Die Karlsbadverschwörung – Protestantismus, Subversion und Staatsterror 6. Oktober 2017
. Links die Ermordung des Schriftstellers, russischen Generalkonsuls und Freimaurers August Friedrich von Kotzebue durch den Burschenschafter Karl Ludwig Sand; rechts die Hinrichtung Sands. Von Wolfram Schrems*
Am 18. Oktober jährt sich das „Wartburgfest“ der Deutschen Burschenschaft zum 200. Mal. Die von Martin Luther angestoßene Revolution, die später als „Reformation“ in die offizielle Geschichtsschreibung einging, jährt sich kurz danach zum 500. Mal. Zwischen beiden Weltanschauungen besteht eine untergründige Verbindung. Die Amalgamierung beider durch eine radikale burschenschaftliche Gruppe wurde nach dem Wiener Kongreß durch einen Staat bekämpft, der seinerseits vor Subversion und Mord nicht zurückschreckte: Das ist die These eines spannenden und geistesgeschichtlich profunden Romans, der vor kurzem erschienen ist. Und diese These hat brisante Implikationen für die Politik. In einer Zeit, da man Martin Luther schon im Vatikan feiert, ist sie auch für Katholiken von Interesse. Besonders die Hierarchie sollte darüber nachdenken.
Zweitwerk eines geistesgeschichtlich versierten Autors
Parlamentsrat Mag. Norbert Nemeth, Jurist, Direktor des Freiheitlichen Parlamentsklubs und Autor des bemerkenswerten Romans Im Schatten des Gracchus, der auf dieser Seite bereits besprochen wurde, beschäftigt sich wiederum mit Ereignissen, die man im weiteren Sinn als Folgen der Französischen Revolution begreifen kann.
Die Revolution hat aber viele Gesichter – und sie begann viel früher.
Die Handlung: Subversion gegen die Subversiven
Ein Militärakademiker, der den Decknamen Klaus Steinmetz trägt, schleust sich im Auftrag des Barons Friedrich von Gentz, der rechten Hand von Fürst Metternich und erster Sekretär des Wiener Kongresses, in den Kreis der sogenannten „Unbedingten“ in Jena ein. Dieser konspirative Zirkel ist im Umfeld der soeben gegründeten Allgemeinen Deutschen Burschenschaft angesiedelt. Die Burschenschaft strebt ein republikanisches und geeintes Deutschland auf lutherischer Grundlage an („Andere Glaubenslehren werden im Reiche nicht geduldet.“).
„Die Karlsbadverschwörung“, ein historischer Roman Die „Unbedingten“ wollen diesen Prozeß mittels Attentaten beschleunigen. Gentz benötigt ohnehin handfeste Beweise für staatsgefährdende Umtriebe der Burschenschaften, um diese verbieten und deren Ideengeber, die „politischen Professoren“ ihrer Lehrstühle entheben zu können. Zur Not müssen diese Beweise eben erst geschaffen werden. Steinmetz soll innerhalb der Konspiration deshalb Gewalttaten auszulösen helfen.
Steinmetz, der sich als Medizinstudent ausgibt, gelingt es, das Vertrauen des Jenenser Philosophieprofessors Jakob Friedrich Fries zu gewinnen und zu seinem Privatissimum eingeladen zu werden. Dort lernt er den konspirativen Kreis der Unbedingten um den Rechtsanwalt und Dozenten Karl Follen und dessen Bruder kennen und kann auch dort einsickern.
Da Steinmetz sich bei einer überraschend angesetzten Mensur, obwohl schwer getroffen, bewährt, gewinnt er das Vertrauen des Bundes und erhält in einer Zeremonie, die freimaurerisch anmutende Elemente enthält, einen Dolch als Zeichen dieses Bundes überreicht.
Er stachelt einen psychisch labilen Bundesbruder zur Durchführung eines Attentats an, was dieser aber nicht über sich bringt. Steinmetz ermordet den Zauderer mit einer Granate in einer Kapelle und läßt es aussehen, als wäre dieser Opfer seiner eigenen Bombe geworden. Das von Steinmetz dem vermeintlichen Attentäter untergeschobene Bekennerschreiben läßt aufhorchen: August von Kotzebue, Schriftsteller, als Generalkonsul in russischen Diensten, Spion und „Reaktionär“, hätte das Opfer sein sollen.
Dieser wird dann von dem Theologiestudenten Karl Ludwig Sand, ebenfalls ein labiler Typ, ermordet.
Friedrich von Gentz Ein weiteres Gruppenmitglied scheitert bei einem Attentat und begeht im Gefängnis Selbstmord.
Follen, der Kopf der „Unbedingten“, der mit martialischer Rhetorik seine Anhänger in den Attentatismus hineingehetzt, sich selbst aber fein herausgehalten hatte, zieht sich angesichts des völligen Scheiterns seiner Pläne aus der Affäre, emigriert in die USA, wird unitaristischer Prediger, Professor, Agitator, Abolitionist und Freimaurer. Er kommt bei einem Fährunglück im Jänner 1840 ums Leben.
Gentz und sein Agent Steinmetz sind also erfolgreich: Die Republikbewegung ist desavouiert, die Burschenschaft kommt ihrem Verbot durch Selbstauflösung zuvor. Deutsche Fürsten, die mit den burschenschaftlichen Ideen sympathisierte, ändern ihre Meinung und schließen sich der „Reaktion“ an.
In den darauf folgenden Karlsbader Beschlüssen von 1819 wird der Status quo praktisch bis 1848 festgeschrieben.
Welche Implikationen hat diese Handlung?
Zumindest drei:
Protestantischer Terror im Gefolge Luthers: Blutvergießen und fortschreitender Zerfall der „Reformation“
Die peniblen Recherchen (41 z. T. hochspezialisierte Titel werden im Literaturverzeichnis aufgelistet) führten den Autor zu einer Geistesströmung, die aus einer protestantischen Auffassung von Gewissen abgeleitet worden war. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß Professor Fries, Sohn eines protestantischen Pfarrers, ursprünglich pietistisch inspiriert war.
Gemäß dieser Ideologie wird der Adept angeleitet, „in sich hineinzuhören“ und auf diese Weise festzustellen, ob „die Stimme Gottes“ von ihm die Durchführung eines Attentats verlangt. Da es nun moralisch verwerflich ist, anderen etwas anzutun, was man selbst nicht zu ertragen bereit ist, verlangt die Regel, nach erfolgreichem Attentat sein eigenes Leben zu „opfern“, also Selbstmord zu begehen.
Marktplatz in Karlsbad, erste Hälfte des 19. Jhdt. Da das Gewissen natürlich gegen Mord und Selbstmord aufbegehrt, ist die Prozedur der Entscheidungsfindung quälend. Der Autor stellt das plastisch dar.
Von daher ist der Roman ein überraschender, ja spektakulärer Beitrag zum Lutherjahr: Denn Luther, selbst ein verworrener Charakter, der mit sich nicht im Reinen war, hatte in seiner Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen (1521) praktisch den Bauernaufstand von 1524 begünstigt. Nachdem sich ein Obsiegen der Obrigkeit abzeichnete, wechselte Luther die Seiten und ermutigte nun in dem blutrünstigen Schreiben Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern die Fürsten, die Bauern auf jede mögliche Weise ins Jenseits zu befördern.
Luther publizierte Texte voller Aufruhr, Beschimpfung und Haß. Diese verfehlten ihre Wirkung nicht.
Betrachtet man also die Schriften und das Verhalten des „Reformators“ als für dessen Adepten normativ, wird man dem Terror und der Gewalt im Lutherschen System einen prominenten Platz zuerkennen müssen. Der Schwedenkönig Gustav Adolf verstand Luther offenbar auch so, als er im Dreißigjährigen Krieg weite Teile Deutschlands, Böhmens und Mährens verheerte und entvölkerte.
Da die Lutherschen Lehren willkürlich und frei erfunden sind, fühlten sich viele Nachahmer ermutigt, ihrerseits „Reformationen“ durchzuführen und dem obersten „Reformator“ Konkurrenz zu machen. Das gefiel ihm gar nicht.
Dabei sind immer weitere Aufspaltungen die Folge und die revolutionäre Gewalt eine Konstante: Calvin, Zwingli, Müntzer u. a.
Überhaupt macht man sich heutzutage keine adäquate Vorstellung über die revolutionäre Dynamik der protestantischen Strömungen.
Der Autor bringt es präzise auf den Punkt, als er Gentz das Wartburgfest als „seltsame Symbiose aus protestantischem Gottesdienst und französisch-revolutionärem Volksfest“ bezeichnen läßt.
Pseudochristliche Utopien und die „permanente Revolution“
Burschenhaften als „Wegbereiter der Revolution“ von 1848 Das Titelbild des Romans bringt die religiös-politische Utopie der „Unbedingten“ und vermutlich vieler, weniger radikaler Burschenschafter der ersten Generation auf den Punkt: Eine Art Christusfigur, ähnlich wie in Rio de Janeiro, mit dem traditionellen Flaus bekleidet und dem Burschenschafterband auf der Brust, steht mit ausgebreiteten Armen überdimensioniert auf der Wartburg, die ihrerseits überdimensioniert auf der Erdkugel errichtet scheint.
Es geht also um eine Verzerrung des Christentums zu ausschließlich irdisch-politischen Zwecken. Diese Zwecke können durchaus vielgestaltig sein, wie man heute in einem links-gutmenschlichen Pseudo-Christentum protestantischer und neuerdings auch katholischer Provenienz erkennen kann. Die „Unbedingten“ waren nur eine Ausprägung.
Wie wir wissen, ging die Revolution weiter und fand in Lew Bronstein, genannt Trotzki, das böse Genie der „permanenten Revolution“, nunmehr ganz ohne christliche Versatzstücke.
In unseren Tagen betrachtet die Revolution mittlerweile die Burschenschaften als „reaktionär“, „rechtsradikal“ und zu bekämpfend. Die Revolution blieb nicht stehen und überrollt die Langsamen.
Staatliche Gewalt als Mittel der Machtausdehnung
„Dass Gentz den Tod von Menschen anordnete oder billigte, ist historisch nicht verbrieft, unbestritten ist aber, dass die Attentate und Unruhen des Jahres 1819 Metternich ins Konzept passten“, stellt der Autor klar und folgert:
„Das sollte uns zu denken geben, vor allem wenn wir uns vor Augen halten, dass im Milieu der Burschenschaft immer wieder ‚besonders radikale‘ Elemente auftauchen. Meinen die es wirklich gut mit der Burschenschaft? Oder ist es eher so, dass systemkritische Kräfte immer wieder Opfer einer Anspannungsstrategie werden?“
Karlsbader Beschlüsse Wenn die Staatsmacht zu schmutzigen Mitteln greift, verliert der Staat selbst an moralischer Qualität und Autorität. Wenn nicht moralisch saubere Mittel der Investigation und Strafverfolgung angewandt werden, sondern per Infiltration eine „Strategie der Anspannung“ verfolgt wird, bei der Tote gerne in Kauf genommen werden, nun, dann ist es letztlich um den Untergang eines solchen Systems auch nicht schade.
In Zeiten, da ein NPD-Verbot daran scheiterte, daß fast alle wichtigen Funktionäre Verbindungsleute des „Verfassungsschutzes“ waren, ist das durchaus zu bedenken. Ganz abgesehen noch vom Fall des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrundes“, bei dem es etliche Tote gab, besonders von Zeugen, und dessen offizielles Narrativ (radikale Neonazis ermorden Polizistin und friedliche Dönerbudenbesitzer, um sich am Schluß selbst umzubringen und danach ihr Wohnmobil in Brand zu stecken, worauf dort eine unbeschädigte und blitzsaubere Bekenner-CD gefunden wird) völlig unglaubhaft ist.
Ob der Autor genau diese Sachverhalte im Auge hatte und historisch parallelisieren wollte, kann man naturgemäß nicht sagen. Passen tut die Analogie auf alle Fälle.
Resümee
Der Autor, selbst Protestant und Burschenschafter, ist mit diesem ausgezeichnet geschriebenen Buch wiederum über seinen eigenen Schatten gesprungen. Diese Leistung verdient unseren Respekt. Die Wahrheitsliebe der historischen Forschung führte ihn zu einer Darstellung, die keine Glorifizierung von Luthers Weichenstellungen erlaubt.
Auch die Burschenschaft wird kritisch betrachtet. Denn diejenigen, die nicht zum Kreis der „Unbedingten“ gehören, also der „Hauptstrom“, werden im Buch ziemlich blaß dargestellt. Erst ganz am Schluß schreit ein Burschenschafter den vermeintlichen „Unbedingten“ Steinmetz an und deklariert: „Für das hirnverbrannte Treiben der Unbedingten haben wir hier wenig übrig! (…) [Die] haben unser Burschenhaus in ein Irrenhaus verwandelt“.
Ja, aber das Burschenhaus war für diese Art Radikalismus, wie es scheint, offen gewesen. –
Das ganze Buch ist von Düsternis durchzogen, moralisch vorbildliche Gestalten kommen nicht vor, auch unter den Staatsmännern und Beamten. Der Autor konnte aufgrund der Quellenlage nichts besseres berichten. Die Handlung endet daher wie ein barockes Mysterienspiel, aber ohne den positiven Teil von Versöhnung und Erlösung.
Der Autor läßt am Ende aufblitzen, was der Mensch angesichts des Endes und der Ewigkeit benötigt: „Trost und Vergebung“.
Aber in weiten Teilen von Volk und Staat hatte man schon damals im Gefolge Luthers die Kirche verworfen, die den wahren Trost spenden und die Vergebung Gottes autoritativ vermitteln konnte. Die Konspirationen von „Aufklärung“ und Freimaurerei trugen das ihrige zur Apostasie von Staat und Gesellschaft bei. Die spätjosephinische Kirche des Vormärz ließ sich allzu geschmeidig in einen spätjosephinischen Staat einfügen und zu einem gewissen Grad von Weltkirche und Papst abkoppeln – sehr zum Verdruß des hl. Clemens Maria Hofbauer und anderer kirchentreuer Katholiken.
Das Ende von Charles Follen ist Symptom des Abfalls von Gott. Dann bleibt nur mehr die äußerste Finsternis.
S. Coell, Die Karlsbadverschwörung, „Zur-Zeit“-Edition, W3 Verlagsges. m. b. H., Wien 2017, 224 Seiten
S. Coell, Im Schatten des Gracchus, „Zur-Zeit“-Edition, W3 Verlagsges. m. b. H., Wien 2015, 244 Seiten http://www.katholisches.info/2017/10/die...d-staatsterror/ *Wolfram Schrems, Mag. theol., Mag. phil., Katechist
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