„Die Priorität Gottes gilt für alle“ Über den Zusammenhang zwischen Krise der Kirche und der Krise der Liturgie. Von Papst Benedikt XVI. 06. Oktober 2017
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Nihil Operi Dei praeponatur – Man soll dem Gottesdienst nichts vorziehen. Mit diesem Wort hat der heilige Benedikt in seiner Regel (43, 3) die absolute Priorität des Gottesdienstes vor allen anderen Aufgaben des Mönchslebens festgelegt. Dies ist auch im Mönchsleben nicht ohne weiteres selbstverständlich, denn für die Mönche war auch die Arbeit in der Landwirtschaft und an der Wissenschaft eine wesentliche Aufgabe. Sowohl in der Landwirtschaft wie in den Handwerksbetrieben wie in der Bildungsarbeit konnte es durchaus zeitliche Dringlichkeiten geben, die wichtiger scheinen mochten als die Liturgie. All dem gegenüber stellt Benedikt mit der Priorität des Gottesdienstes die Priorität Gottes selbst in unserem Leben unzweideutig heraus: „Sobald man zur Stunde des göttlichen Dienstes das Zeichen hört, lasse man alles liegen, was man in den Händen hat, und komme in größter Eile herbei“ (43, 1).
Im Bewusstsein der Menschen von heute erscheinen die Dinge Gottes und damit der Liturgie keineswegs dringlich. Eile gibt es für alles Mögliche. Die Sache Gottes scheint nie eilbedürftig. Nun könnte man sagen, das Mönchsleben sei doch etwas anderes als das Leben der Menschen in der Welt, und dies ist durchaus richtig. Aber die Priorität Gottes, die wir vergessen haben, gilt für alle. Wenn Gott nicht mehr wichtig ist, verschieben sich die Maßstäbe des Wichtigen. Indem der Mensch Gott beiseite lässt, unterwirft er sich selbst Zwängen, die ihn materiellen Mächten unterwerfen und so seiner Würde entgegengesetzt sind.
Die Priorität Gottes und des Gottesdienstes ist mir in den Jahren nach dem II. Vatikanischen Konzil neu bewusst geworden. Das Missverständnis der Liturgiereform, das sich weithin in der katholischen Kirche ausgebreitet hatte, führte dazu, dass in der Liturgie immer mehr der Aspekt der Belehrung und der eigenen Aktivität und Kreativität in den Vordergrund trat. Das Tun der Menschen ließ die Gegenwart Gottes fast vergessen. In dieser Situation wurde immer deutlicher, dass die Existenz der Kirche von der rechten Feier der Liturgie lebt und dass die Kirche in Gefahr ist, wo der Primat Gottes in der Liturgie und so im Leben selbst nicht mehr erscheint. Die Krise, die die Kirche erschüttert hat, hatte ihren tiefsten Grund in der Verdunkelung der Priorität Gottes in der Liturgie. Dies alles hat mich dazu geführt, mich dem Thema der Liturgie ausgiebiger als bisher zu widmen, weil ich wusste, dass die wahre Erneuerung der Liturgie eine Grundbedingung für die Erneuerung der Kirche ist. Aus dieser Erkenntnis heraus sind die Studien entstanden, die in diesem Band 11 gesammelt sind. Sie sind von ihrem Kontext her ganz auf die Kirche des Westens bezogen. Aber letzten Endes ist das Wesen der Liturgie bei aller Unterschiedlichkeit der Formen doch in West und Ost nur eines. So hoffe ich, dass dieses Buch auch den Christen in Russland helfen kann, das große Geschenk neu und besser zu verstehen, das uns in der heiligen Liturgie geschenkt ist.
Vatikanstadt, am Fest des
heiligen Benedikt, 11. Juli 2015
Benedikt XVI.
Der vorstehende Text ist der Wortlaut des russischen Vorworts für die russischen Ausgabe von Band 11 der
Opera Omnia von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.
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