Schläge auf offener StraßeNordkorea wollte mir perfektes Bild zeigen – dann sah ich eine Szene, die ich nicht sehen sollte
Die Bettlerin beugt sich über einen Mülleimer - wenig später rücken Uniformierte an
FOCUS-Online-Redakteur Paul-Nikolas Hinz Sonntag, 29.10.2017, 12:02
In meinen sieben Tagen in Nordkorea haben die Nordkoreaner alles versucht, um mir ein glänzendes Land zu zeigen. Die Vorzeigestadt Pjöngjang, das Luxusskigebiet Masikryong, perfekt gedrillte Schüler. Es gebe keine Kriminalität in ihrem Land, sagten die Guides. Es gebe keine Armut im Sozialismus, niemand würde zurückgelassen.
Obwohl ich natürlich wusste, dass es in diesem Land Straflager gibt, dass weit verbreitet Armut herrscht, gelang es unseren Guides tatsächlich lange, die Fassade aufrechtzuerhalten. Bis wir eines Mittags aus einem Lokal in der Nähe des Hauptbahnhofs in Pjöngjang kamen. Wir schlenderten in der Mittagshitze herum, beobachteten Menschengruppen, die unter Bäumen saßen und sich unterhielten.
Plötzlich überquerte eine Frau mit ihrem Kind den Bahnhofsvorplatz. Die Frau war mittelgroß, dunkle Haare, einfache Klamotten, wie sie die meisten Nordkoreaner tragen. Sie ging zu einem Mülleimer, beugte sich darüber und fing an, im Abfall zu wühlen. Welch eine Szene. Das darf nicht sein in einem Land, in dem es angeblich allen gut geht.
Reise nach Nordkorea: Die Geschichte hinter den Geschichten
Anderthalb Jahre habe ich gebraucht, um einen Weg nach Nordkorea zu finden. Am 16. Mai saß ich dann endlich in einem Flugzeug von Peking nach Pjöngjang. Als Teil einer Delegation von Journalisten, organisiert von einer niederländischen Consultingfirma. Fünfzehn Journalisten wollten mitreisen, am Ende waren wir zu dritt. Wir reisten sieben Tage durchs Land; vier verbrachten wir in der Hauptstadt Pjöngjang, drei an der Ostküste zwischen Wonsan und der südkoreanischen Grenze. Bis Anfang November wird jeden Tag ein Bericht auf FOCUS Online veröffentlicht. Alle bereits veröffentlichten Texte finden Sie am Ende dieses Artikels.
Schläge mitten auf der Straße
Eine Frau und ein Mann sahen die junge Frau. Sie trugen hellgrüne Uniformen. Keine Soldaten, keine Polizisten, aber irgendwelche Aufpasser. Sie näherten sich der Frau und dem Kind. Bei ihnen angekommen, verpasste die Aufpasserin der Müllsucherin einen festen Schlag auf den Rücken. Sie packte die Frau am Kragen, der Mann schnappte sich das Kind.
In großer Eile zerrten sie die beiden in ein kleines Häuschen. Tür zu. Szene vorbei.
Natürlich ist auch sonst nicht alles perfekt in Nordkorea – im Gegenteil. Doch diese Szene zeigt, wie krampfhaft das Regime versucht, jede Abweichung von der Norm zu ersticken, zu verstecken. Nicht umsonst leben geschätzte 80.000 bis 120.000 Menschen in Nordkorea in Straflagern, weil sie gegen irgendeine Regel verstoßen haben. Ich hoffe, die Frau und ihr Kind gehören jetzt nicht dazu. 7 Tage in Nordkorea - alle Texte
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VIDEO http://www.focus.de/politik/videos/kim-j...id_7303351.html
http://www.focus.de/politik/ausland/nord...id_7285476.html
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