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  • 14.12.2017 00:06 - Ein Appell an die Nachdenklichkeit...die „tragische Konsequenzen für das Leben der Kirche“ haben könnten.
von esther10 in Kategorie Allgemein.

Ein Appell an die Nachdenklichkeit

„Amoris laetitia“ und seine verbindliche Auslegung in AAS
13. Dezember 2017 0


Amoris laetitia und die Interpretations-Frage: Im vergangenen Juni wurde ein Brief von Papst Franziskus an die Bischöfe der Kirchenprovinz Buenos Aires in den Acta Apostolicae Sedis (AAS) veröffentlicht und damit zu einem offiziellen Teil des päpstlichen Lehramtes.

Zur akuellen Diskussion über das umstrittene, nachsynodale Apostolische Schreiben Amoris laetitia von Papst Franziskus meldet sich der Bonner Dogmatiker Klaus Obenauer zu Wort. Zum besseren Verständnis werden zwei Aufsätze von ihm zusammen veröffentlicht und durch ihn mit einer einführenden Einleitung ergänzt. Die Veröffentlichung versteht sich als „nüchtern-sachlicher“ Diskussionsbeitrag in einer „konfliktiven Atmosphäre“ aus Sorge vor „Kurzschluss-Reaktionen“, die „tragische Konsequenzen für das Leben der Kirche“ haben könnten.

Von Klaus Obenauer*

I. Einleitung
Die zumal in Rom selbst herrschende konfliktive Atmosphäre um die Amtsführung von Papst Franziskus, zentriert vor allem um „Amoris laetitia“ etc., hat durch die jüngst ruchbar gewordene Veröffentlichung in den Acta Apostolicae Sedis für den Oktober 2016 einen neuen Höhepunkt erreicht. Ich setze die einschlägigen Informationen hierzu voraus.

Ich trete hier mit meiner Wortmeldung deshalb an die Öffentlichkeit, weil ich Kurzschluss-Reaktionen befürchte, die tragische Konsequenzen für das Leben der Kirche haben können. Nachstehendes soll daher nüchtern-solider Urteilsbildung dienen.


Amoris laetitia

Der Hintergrund ist: Im Kontext der Debatten um die beiden Synoden mit der Wiederverheiratetenfrage im Zentrum, an der auch ich anfangs sehr leidenschaftlich teilgenommen habe, beschäftigte mich persönlich zunehmend die Frage, ob es in Sachen „Wiederverheiratete und Nicht-/Zulassung zu den Sakramenten“ vielleicht doch noch offene Fragen gibt in der Verhältnisbestimmung „objektiv versus subjektiv“ bzw. in der genauen Tragweite der objektiven Situation und deren Konsequenzen. Und zwar mit Blick auf die verbindlich vorgetragene „konventionelle“ Doktrin, die also nicht relativiert werden soll, aber unter Umständen differenzierter auszulegen wäre. Dies natürlich mit Blick auf eventuell (!!) konfliktentschärfendes Potential.

Aus dieser Motivation heraus hatte ich schon in der Weihnachtsoktav letzten Jahres, als die Sache mit der in Aussicht gestellten „correctio formalis“ durch die (vier Dubia-) Kardinäle höhere Wellen schlug, einen Beitrag verfasst, den ich über ein anderes Medium einer breiteren Leserschaft zugänglich machen wollte, was mir aber abschlägig beschieden wurde. Ähnlich erging es meinem Versuch, eine Replik auf die Direktiven des Deutschen Bischofskonferenz zu publizieren. – Zumal weil ich im ersteren der beiden bislang unveröffentlichten Beiträge auch auf die päpstliche Gutheißung der Direktiven der Bischöfe der Pastoralregion von Buenos Aires vom September 2016 Bezug nehme, dünken mir meine, insgesamt noch nicht ein ganzes Jahr alten, Einlassungen nach wie vor brandaktuell.

Beide Beiträge lasse ich daher nachstehend unverändert (!) veröffentlichen. Der Leser beachte also, dass sie Ende Dezember letzten Jahres bzw. Anfang Februar dieses Jahres niedergeschrieben wurden, mithin auf die damalige Faktenlage Bezug nehmen und von daher mutatis mutandis zu lesen sind.

Ich versichere: Nicht irgendeine prätentiöse Absicht bewog bzw. bewegt mich zu dieser Publikation, sondern die aktuelle Not. Und ich tue es im Wissen, dass ich an sich nicht auf allzu große Beachtung hoffen kann, scheue aber den Schritt trotzdem nicht. Man kann ja nie wissen … Ansonsten sprechen meine beiden Beiträge für sich, was Absicht, Einordnung etc. angeht. Sie wollten und wollen niemandem mit einer eigenen Position an den Kopf stoßen, egal ob „rechts“ oder „links“, sondern konstruktiv eine Frage artikulieren. Mehr nicht. Und dies in der bloßen Hoffnung, dass man das nicht zu schnell abtut.

Indem ich diese einleitenden Zeilen am Vorabend des Immaculata-Festes schreibe, empfehle ich der Allerseligsten Jungfrau, der Mutter der Kirche, mein und unser aller Her-zensanliegen an: die ungeschmälerte Einheit der Kirche in klarer Wahrheit und reiner Liebe. Selbstverständlich, dass sich auch mein Beitrag diesem Anliegen wie Maßstab unterwirft.

Klaus Obenauer, Privatdozent für Katholische Theologie an der Universität Bonn

II. Dunkle Wolken
Papst Franziskus, „Amoris Laetitia“ und die Kritiker – eine kleine Anregung

Worum es mir geht

Dunkle Wolken haben sich zusammengezogen über unserer Kirche: Die Einheit in Wahrheit und Liebe ist massiv bedroht. Recht oder Unrecht so einer Maßnahme mal hintangestellt; aber die angedrohte „förmliche Papstzurechtweisung“ durch wie viel auch immer Kardinäle wäre rebus sic stantibus (an sich jedenfalls) ein großes Übel. Denn die dadurch ausgelöste Konfliktdynamik ist nach ihrer Entwicklung nicht absehbar und darf alles andere als unterschätzt werden. Man soll nicht „den Teufel an die Wand malen“; aber es fragt sich, ob er nicht schon längst drangemalt ist.



Die Kardinäle der Dubia

Um gleich zur Sache zu kommen: Ich habe viel Verständnis für die inzwischen berühmten Dubia der vier Kardinäle, denen ich mich im Prinzip auch anschließe. Die Verfasser führen nun selbst aus, dass das ominöse nachsynodale Apostolische Schreiben „Amoris Laetita“1) eine ausdrückliche Zulassung „Wiederverheiratet-Geschiedener“2) zu den Sakramenten nicht ausspricht. Jedoch scheint insgesamt jener Auslegung der Vorzug zu gebühren, wonach eine solche Zulassung unter relativ eng umrissenen Bedingungen zwar nicht offen ausgesprochen, jedoch insinuiert sein soll; zumal nach der Billigung der Direktiven der Bischöfe der Pastoraldirektion von Buenos Aires durch Papst Franziskus vom 05. September vergangenen Jahres eigentlich kein Zweifel mehr bestehen kann, dass die Intention von AL mit dieser Unterstellung korrekt benannt ist. – Und damit ist erhebliches Konfliktpotential geschaffen.

Denn eventuell mögliche Präzisierungen einmal hintangestellt (dazu gleich nachfolgend): Die Sentenz, wonach WG nicht zu den Sakramenten zugelassen werden können, ist unumstößlich. Unter Umständen kann man, mit Blick auf die wiederholte und konstante Bekräftigung gerade auch in jüngerer Zeit, die Qualifikation auf „de fide divina et catholica“ (= förmliches Dogma) hochsetzen. Auf alle Fälle ist diese Sentenz ganz sichere Lehre, die aus den Lehren bzw. Dogmen von der Unauflöslichkeit der Ehe und der damit einhergehenden Treueverpflichtung sowie der Notwendigkeit von der erforderlichen Disposition für die Sakramente zwingend folgt.

Dass noch niemand von öffentlich bedeutsamer Stellung die Konsequenz gezogen hat, Papst Franziskus sei als Häretiker seines Amtes verlustig gegangen, mag verschiedene Gründe haben. Unter Umständen nur deshalb, weil in den Augen des Beurteilenden die Bestreitung der tradierten Sentenz noch nicht greifbar genug geworden ist. Jedenfalls ist bis zur Stunde Bergoglio-Franziskus allseits als gültiger Papst anerkannt. Aber der Konflikt könnte sich ja verschärfen, und zwar mit unabsehbar tragischen Konsequenzen …

Und genau dies hat mich veranlasst, diesen Beitrag zu verfassen. Normalerweise sollten „Hinterbänkler“, zu denen ich mich zähle, sich eher zurückhalten. Der Ernst der Situation bestimmt mich jedoch zu dieser Wortmeldung aus der hinteren Reihe. Ich melde mich unter der Voraussetzung, dass es in Lehrangelegenheiten keine Kompromisse geben darf. Etwas anderes sind jedoch Vermittlungsversuche, die durch entschiedeneren Blick auf die Sache einen Konflikt entschärfen können, da eine Alternative falsch aufgeworfen oder unzulässig ausartikuliert wurde. In diesem Sinne wollen nachfolgende Zeilen einen bescheidenen Beitrag zur Entschärfung des Konflikts leisten, wobei ich mich bewusst darauf beschränke, nur eine Frage zu formulieren. Ich kann für die Haltbarkeit meines Vermittlungsvorschlags nicht selber aufkommen, ich kann ihn nur als nach meinem Ermessen erwägenswert an die Öffentlichkeit bringen. Übrigens ist er Seiner Eminenz, Kardinal Müller, dem Präfekten der Glaubenskongregation, nicht neu, wie ich auch nicht verschweigen will, dass ich seine damalige Reaktion auf meine Gedankengänge als eher reserviert einstufe.

Und so rücke ich nur angesichts des Ernstes der Situation erneut damit heraus. Unter anderen Umständen hätte ich die Sache auf sich beruhen lassen.

Mein „Vermittlungsvorschlag“

Was mich in dieser Causa seit längerem umtreibt, ist der genaue Konnex zwischen der objektiven Situation der WG, nämlich als die einer habituellen schweren Sünde, und der Ausgeschlossenheit von den Sakramenten. Am deutlichsten findet sich die unaufgebbar-verbindliche Lehre wohl in der Erklärung des Päpstlichen Rates zur Auslegung der Gesetzestexte zur Kommunion von WG (vom 24. Juni 2000) ausgesprochen, wenngleich diese Erklärung von der formalen Verbindlichkeit her ein vergleichsweise niederrangiges Dokument darstellt. Demnach schließt also sicher schon die objektive Situation der WG von den Sakramenten aus. Offen erscheint mir jedoch die Frage, ob die objektive Situation unter allen Umständen vom Sakramentenempfang ausschließt, auf dass eventuell feststellbare subjektiv exkulpierende Faktoren, also Faktoren, die die persönliche Anrechenbarkeit aufheben, hier schlicht keine Rolle spielen. Mir ist bekannt, dass nicht wenige dies so vertreten. Ein durchschlägiges Autoritätsargument ist mir dazu jedoch nicht bekannt. Ich lasse mich da gerne eines Besseren belehren, wie ich mich der maßgeblichen höheren Autorität auch beuge. Das steht für mich außer Frage. Im Gegenzug allerdings gestehe ich, dass rein sachlogische Erwägungen mich bislang nicht haben davon überzeugen können, dass der Konnex von objektiver Situation und Ausgeschlossenheit von den Sakramenten eben ein absoluter sein soll. – Im Rahmen meiner bewusst vorsichtigen Herangehensweise komme ich also zu folgender Feststellung: Bis auf weiteres ist die Frage noch nicht sicher beantwortet, ob das überkommene Lehramt tatsächlich den besagten absoluten Konnex lehrt beziehungsweise zur Annahme dieses absoluten Konnexes nötigt.

In dem Maße also, als dieser absolute Konnex noch nicht sicher ist, bleibt aber Raum für die Möglichkeit, dass das Lehramt sich in diesem Punkt selbst präzisiert, indem es eine stillschweigende Implikation bzw. Voraussetzung der Sentenz, wonach die objektive Situation von WG dieselben von den Sakramenten ausschließt, ans Licht hebt, eine Implikation bzw. Voraussetzung, die nicht thematisch werden zu lassen man bislang, aus welchen Gründen auch immer, vorgezogen hatte. Und so bliebe auch Raum für eine Innovation, eine welche AL spätestens dann darstellt, wenn man AL zusammennimmt mit der genannten Billigung der Direktiven der Pastoralregion von Buenos Aires. Wobei ich unter „Innovation“ neutral einen Lehrvortrag verstanden haben will, dessen inhaltliche Neuheit von der (legitimerweise) bloßen Hebung einer Lehrimplikation o.ä., die bislang (so) noch nicht ausdrücklich wurde, bis hin zur (illegitimerweise) echten Neuerung reicht.

Von daher: Will man vindizieren, dass AL (zusammen mit der besagten Billigung der Pastoraldirektive von Buenos Aires) als legitime Innovation der überkommenen Lehre des Lehramts in Sachen Kommunionempfang der WG nicht untreu wird, sondern diese Lehre nur präzisiert – was auch der Fall sein muss, um a limine Geltung zu entfalten –, dann umreißt man die heranzuziehende Axiomatik wohl am besten so: 1.) Die Sentenz, wonach WG die Sakramente und zumal die heilige Kommunion nicht empfangen dürfen, gilt „simpliciter sumpta“, „einfachhin genommen“. 2.) „Secundum quid“, „in gewisser Hinsicht“ mag Gegenteiliges zutreffen. Denn 3.): Die objektive Situation der WG schließt „per vel secundum se“, sprich: nach Maßgabe ihrer selbst von den Sakramenten aus; „per accidens“, durch hinzutretende Umstände mag solches jedoch gerade nicht der Fall sein. Demnach ist selbstredend das „per se“, mit dem die objektive Situation ausschließt, nicht gleichzusetzen mit einem „per se solum“, „durch sich allein“, auf dass nämlich auf die Eventualität hinzutretender Umstände, die an der Hinderung etwas ändern, gar nicht erst Rücksicht genommen werden müsste, für solche Umstände also von vornherein kein Raum mehr bliebe.

Die objektive Situation schließt per vel secundum se aus: Das ist zum einen damit gegeben, dass es sich objektiv um eine schwere Sünde handelt, die obendrein habituell geworden ist; zum anderen damit, dass die Wahrheit über diese Sünde prinzipiell zugänglich ist, umso mehr für solche, die den katholischen Glauben bekennen. Wenn Katholiken von sich behaupten, sich von dieser Wahrheit nicht gestellt zu wissen, dann ist dies entweder eine willkürliche Postulation oder Ausdruck einer Distanzierung von der Lehrautorität der Kirche, die zumindest in nächste Nähe zur Häresie kommt. Und vor diesem Hintergrund bleibt für den Regelfall kein Raum für subjektiv exkulpierende Faktoren. –

Per accidens mag, wie hier erwogen, Gegenteiliges der Fall sein: Denn jenseits besagten Regelfalles, nämlich umstandshaft („per accidens“), mögen sich solche subjektiv exkulpierende Faktoren einstellen, die, insoweit moralisch zu vergewissern, die Ausgeschlossenheit von den Sakramenten sozusagen suspendieren. Naturgemäß sind solche Faktoren sehr grenzwertig, ohne deshalb schon in das Reich der Undenkbarkeit abgewiesen werden zu müssen.

Zum einen denke ich hierbei an Folgendes, für dessen innere Möglichkeit ich mich meinerseits nicht verbürgen mag, was ich mir aber schon „irgendwie vorstellen“ kann: So erscheint mir die grenzwertige Situation einer „subjektiven Perplexität“ auch eines konsequent das Lehramt bejahenden Katholiken durchaus als etwas Erwägbares. Denn Gewissensurteile, qua praktische Urteile des je eigenen Intellekts in (auch) eigener Sache, sind zwar wesentlich (qua Subsumptionsurteile) eine Angelegenheit der Logik. Dies schließt aber nicht aus, dass sich umstandsbedingt auch andere Faktoren psychologischer Natur geltend machen. Ein vielleicht etwas hausbackenes Beispiel:

Warum sollte sich die Mutter einer Familie im Kontext einer Zweitverbindung nicht Folgendes sagen: „Gut, auch wenn es schwer ist – am liebsten würde ich einen Schlussstrich ziehen unter meine irreguläre Verbindung und so endlich mit mir ins Reine kommen. Aber ich kann dies den Kindern einfach nicht antun …“? Und dies eben vor dem Hintergrund, dass eine Aufrechterhaltung der Hausgemeinschaft ohne Geschlechtsgemeinschaft der Eltern nicht möglich ist, weil eben der andere Partner, der Mann in diesem Fall, nicht mitspielt.

Dass diese Perplexität objektiv nicht besteht, dass auch das Wohl der Kinder gegen die Treueverpflichtung nicht aufkommt, dass es also auf objektiver Ebene keine konkurrierenden „Zweitverpflichtungen“ geben kann, daran zweifle ich jedenfalls – bei aller Angefochtenheit – nicht. Etwas anderes ist es aber, dass sich dies im Gewissensurteil in Bezug auf das, was von je mir hier und jetzt zu tun ist, womöglich erheblich anders darstellt. Auch bei einem das Lehramt (theoretisch) konsequent bejahenden Katholiken. Während sich das Rechnen mit so einem Fall unter Rücksicht auf die angesprochene Logizität von Gewissensurteilen ziemlich problematisch und entlegen, gar konstruiert ausnimmt, erscheint es unter dem Gesichtspunkt der praktischen Erfahrung als gar nicht so realitätsfern … – Ebenso kann ich mir schon vorstellen, dass auch psychosoziale Faktoren die Entscheidungsfreiheit erheblich einschränken.

Die Gefahr einer Ausrede mit Hilfe einer Allerweltsvokabel sehe ich gleichwohl. Aber ich mag wirklich nicht ausschließen, dass in Ländern und Großregionen mit sehr starkem Sozialgefälle, wie eben auch Lateinamerika, Menschen durch die Sozialdynamiken, in die sie hineinwachsen, Prägungen erhalten, die deren Entscheidungsfreiheit erheblich einschränken. – Es versteht sich dann von selbst, dass es an den Seelsorgern, allen voran den Beichtvätern, liegt, sich (die moralisch mögliche) Gewissheit über solche exkulpierende Faktoren zu verschaffen. Es kann nicht in Frage kommen, dass die betroffenen Personen dies einfach für sich in Anspruch nehmen, um zu den Sakramenten zugelassen zu werden.

Noch einmal: Was ich hier knapp artikuliere, ist nicht mehr als eine Frage: weder eine These noch eine Hypothese. Eine Frage nach der eventuell möglichen Präzisierung der Sentenz, wonach WG die Sakramente und zumal das der Eucharistie nicht empfangen können, wobei diese Sentenz nach ihrem eigentlichen Gehalt – den die Präzisierung durch Benennung stillschweigender Implikationen nur profilschärfer ans Licht treten ließe – nicht mehr zur Disposition stehen kann, vielmehr irreformable Lehre ist.

Allerdings passt mein Vorschlag, der sich aus ehrlicher Überzeugung auf eine Frage zurücknimmt, ziemlich gut zur schon mehrfach erwähnten Billigung der Direktiven der Bischöfe der Pastoralregion von Buenos Aires durch Papst Franziskus vom 05. September vergangenen Jahres. Freilich mit dem Unterschied, dass ich größeren Wert lege auf die Herausarbeitung der indoles propria dieser Innovation: nämlich bloße Präzisierung der tradierten Lehre auf deren wahre Tragweite hin zu sein. Dazu gehört dann auch, dass ein per accidens möglich werdender Sakramentenempfang durch WG a fortiori unter der Bedingung steht, dass die Gefahr des Ärgernisses beseitigt ist (sprich: „remoto scandalo“ erfolgt); im Verhältnis nämlich zu jenen zivil Wiederverheirateten, die sich verpflichtet haben, nicht „more uxorio“ zusammenzuleben. Nr. 9 besagter Direktive scheint mir deutlich in diese Richtung zu weisen, könnte aber mehr Trennschärfe vertragen.

Nachdrücklich will ich allerdings registriert wissen, dass meine Anfrage ganz vom Spannungspaar „subjektiv versus objektiv“ lebt. Dieses Spannungspaar ist nicht zu verwechseln mit einem anderen, das ich denn auch für illegitim erachte: „‚im Prinzip‘ versus ‚in der konkreten Situation‘“ (vgl. auch unten). – Es gibt demnach keine Einzelsituation, die von einer allgemeingültigen Norm (die diesen Namen auch verdient) dispensieren könnte; entsprechend auch keinen Konflikt gleichrangiger Verpflichtungen auf objektiver Ebene („objektive Perplexität“); aber es gibt subjektive Verfasstheiten, die exkulpieren, unter welche die von mir erwogene „subjektive Perplexität“ zu zählen wäre. Es gehört zu den Misslichkeiten von AL3) und vielleicht noch mehr der Rahmendebatte, dass man es für entbehrlich hält, den Unterschied zwischen beiden Spannungspaaren deutlich genug herauszuprofilieren.

Zum kirchenpolitischen Hintergrund
Überdies und vor allem: Schon allein weil die Sache mit dem Dennoch-empfangen-Dürfen „secundum quid“, wonach also die objektive Situation per accidens nicht von den Sakramenten ausschließt, ziemlich grenzwertig ist – was noch nichts sagt über die statistische Häufigkeit eventueller Anwendbarkeit dieser Per-accidens-Klausel –, muss der Schwerpunkt im Kontext der Debatte um die WG ganz anders gesetzt werden. Demnach ist das Herz der Pastoral der Barmherzigkeit darin gelegen, Betroffenen den Weg der Umkehr zu den steilen Anforderungen des Evangeliums als für sie konkret lebbar aufscheinen zu lassen. Es klingt nach einem utopischen Postulat: Aber hinter jedem Seelsorger, der mit diesen Anforderungen konfrontiert (und er muss es!), sollte auch eine Gemeinde oder Gemeinschaft stehen, die den bisweilen schweren Schritt – konkret: im Verlassen einer irregulären Beziehung – mitträgt und begleitet; naturgemäß in Gestalt von aufgeschlossen Engagierten. Nicht dürfen die Seelsorger von der engen Pforte und dem engen Weg (vgl. Mt 7,13sq.) dispensieren; vielmehr dürfen sie sich nicht darauf beschränken, die Menschen mit den Anforderungen der Nachfolge Christi zu konfrontieren, um zynisch dabei zuzusehen, wie es den Betroffenen „eiskalt den Buckel herunterläuft“ mit der Konsequenz, dass sie sich getroffen abwenden. „Einer trage des anderen Last!“ (Gal 6,2), heißt vielmehr die Maxime. Keine Frage, dass dies lebensfern idealistisch klingt, aber das ist der wahrhaft kruziale Punkt in der ganzen Debatte. Sind nicht in den letzten Jahrzehnten, nämlich im Zuge wenig nachhaltiger Versuche der „restauratio“, Orthodoxie und Loyalität mit der Kirche sehr weitgehend degeneriert zu entweder bloß oberflächlicher Anpassung (bei „flexibel“ bleibenden Seelen) oder Bürokratenkorrektheit oder auch schneidigem Offiziersgehabe? Und dies gerade bei der Formung des Priesternachwuchses? Ein bedrückendes Defizit ist auszumachen im Fehlen von glaubhafter Verkörperung der Lehre der Kirche, in welcher Verkörperung sich die herbe Anforderung des Evangeliums als ebenso anspruchsvoll wie einladend darstellt. Eine „Barmherzigkeitspastoral“ mit Offenheit für die Vielfalt der Lebenswirklichkeiten ist doch nur das schäbige Surrogat der liberalen Bürgerkirche für dieses Programm glaubhafter Verkörperung.

Zurück zu AL und der Debatte darum: Angesichts der entstandenen Irritationen und der tatsächlichen erheblichen Unklarheiten sehe ich den Papst in der strengen Pflicht, sich über die ungezwungene Anschlussfähigkeit eines Dokuments wie AL an das überkommene Lehramt der Kirche Rechenschaft zu geben; dies um: entweder 1.) ein Dokument wie AL etc. gar nicht erst herauszubringen; oder 2.) es nachträglich zurückzunehmen; oder 3.) besagte Anschlussfähigkeit überzeugend transparent zu machen, und sei es nachträglich. Meine Überlegungen wollen Anstöße bereithalten, wie Punkt 3 unter Umständen zu gewährleisten wäre, und zwar ungleich mehr, als dies bislang der Fall war, da solches weithin und nicht ohne Grund als bloße Beteuerung ohne echte Überzeugungskraft registriert wurde.

Mit Blick auf den nicht unerheblich gestörten Frieden in der Kirche oder doch wenigstens die heraufziehende Gefahr schwerer Verwerfungen können hier kritische Anfragen an das Verhalten des amtierenden Heiligen Vaters nicht ausbleiben. Es kann nicht angehen, berechtigte Anfragen an die Anschlussfähigkeit von AL nonchalant zu übergehen beziehungsweise sich deren Beantwortung durch suggestive Moralismen an die Adresse der Fragesteller entziehen zu wollen, wonach diese selbstbezogen ihrem Doktrinalismus verhaftet blieben oder ähnlich. Es ist die Pflicht eines Papstes, hier für Klarheit zu sorgen: Er ist die Letztinstanz der regula fidei, die sich für jeden Verständigen in nachvollziehbarer Weise als in sich kohärente und konsistente erweisen muss; und dies im Bogen vom Gestern zum Heute. Ja, es ist mehr als befremdlich, wenn der Eindruck entsteht, der Papst beanspruche so eine Art metahermeneutischer Kompetenz, wonach eine programmatische Vokabel, wie allem voran „Barmherzigkeit“, ihm den Schlüssel an die Hand gäbe, den tradierten Lehrbestand einer Neubewertung zu unterziehen, um sperrig-widerständige Aspekte zwar nicht direkt zu eliminieren, jedoch durch gezielte Unterforcierung und Relativierung zu paralysieren. Und dabei so zu tun, als genüge der Selbstausweis des Programmwortes, um Kritiker als der Engherzigkeit Überführte ins Unrecht zu setzen.

Da mein Beitrag am entscheidenden Punkt nur die Frage nach einer eventuellen Präzisierbarkeit der überkommenen Lehre in Sachen ‚WG und Sakramente‘ aufwirft – eine Präzisierung, die das Eigentliche dieser Lehre wahrt, um demselben in der ausfaltenden Artikulation nur gerechter zu werden –, kann ich gerade nicht an die Kritiker des Papstes in Sachen AL das Ansinnen herantragen, sie sollten sich diesem Vermittlungsvorschlag anschließen. Solche Vermessenheit liegt mir sehr fern. Allerdings erfordert es die Treue zur Lehre im Dienst am Heil der Seelen, sich der Frage nach der Möglichkeit solcher Präzisierungen nicht von vornherein zu verschließen, sich darüber Rechenschaft zu geben, dass man die wahre Lehre der Kirche nicht mit den eigenen Vorstellungen von Konsequenz etc. verwechselt! Leichte, griffige, sozusagen markant-windschnittige Handbarkeit im Diskurs ist noch kein Wahrheitskriterium. Ich sage das nicht, um jemandem etwas zu unterstellen, jedoch um auf ziemlich reale Gefahren in der Urteilsbildung hinzuweisen.

Kritisches zu den Dubia und zu „Amoris Laetitia“
Dies gibt mir den Anlass, noch kurz auf AL und die Dubia einzugehen. Zuerst auf letzteres: Ich stimme den vier Kardinälen im Grundanliegen zu. Im Einzelnen: 1.) Eine Lehre und (kirchenamtlich gutgeheißene) Praxis in Sachen Sakramentenempfang durch WG, die der überkommenen (sachlich und evtl. sogar formell) irreformablen Lehre widerspricht, kann unmöglich in Frage kommen. 2.) In AL, und zumal im inkriminierten Bogen von Nr. 300 bis Nr. 305, herrscht ziemliche Unklarheit darüber, wie man der unaufgebbaren und zuletzt durch „Veritatis Splendor“4) eingeschärften Lehre von der ausnahmslosen Geltung negativer moralischer Normen („intrinsece mala“) Rechnung zu tragen gedenkt. – Dass ich in puncto 1.) je nach dem zu einer etwas anderen Bewertung von AL kommen muss, versteht sich nach dem Gesagten von selbst. Was 2.) angeht, so nimmt sich mir das Dubium quartum etwas merkwürdig aus: Ich vermag nicht zu sehen, wie die Erwägung subjektiv exkulpierender Faktoren, wie ich es nenne, die recht verstandene Lehre von den „intrinsece mala“ tangiert. Dass bestimmte Handlungen nach ihrer Materie unsalvierbar schlecht sind, schließt doch nicht aus, dass derjenige, dem diese Schlechtigkeit schuldlos nicht bewusst geworden ist oder der in seiner Freiheit entscheidend eingeschränkt ist, seine formelle moralische Integrität behält. Vielmehr besagt jenes für diese formelle moralische Integrität des Agierenden nur, dass sie dann verloren geht, sobald dem hinreichend frei Agierenden die materielle Schlechtigkeit solcher Handlungen bekannt geworden (bzw. schuldhaft nicht bekannt) ist, ohne dass irgendwelche gute Zwecksetzungen oder Umstände daran etwas zu ändern vermöchten. – Ansonsten ist an AL zu monieren, dass der besagte Bogen von Nr. 300 bis 305 Anlass gibt zum Argwohn, hier sei einer weiteren, überdies definierten, Glaubenslehre zu wenig Rechnung getragen: dass es nämlich dem Gerechtfertigten möglich ist, durch Gottes Gnade alle Gebote Gottes und seiner Kirche zu halten, jene Gebote, die gerade den Gerechtfertigten bleibend in die Pflicht nehmen: DS 1536–1539; 1568–1570. (Nebenbei: Subjektiv exkulpierende Faktoren bei objektiver Übertretung, die ja allseits anerkannt sind, sind damit nicht unvereinbar: Die Gnade richtet den durch sie Gerechtfertigten in entschiedener Liebe auf Gott hin aus, um diese Entschiedenheit je neu zu unterstützen und zu gewährleisten, was nicht eo ipso alle Urteilsmängel und Einschränkungen der Willensfreiheit durch psychische Defekte etc. salviert: vgl. STh I/II, 109,8–10; II/II, 24,11; Axiom „gratia praesupponit naturam“.)

Das Ärgernis, das durch AL in die Kirche gekommen ist, verdient noch unter einem anderen Aspekt fokussiert zu werden: Es ist dies die Argumentationsweise fehlender intellektueller Redlichkeit, die ich Papst Franziskus nicht persönlich anlaste, den Verfassern und Paten dafür umso mehr. Anzusprechen ist das deshalb, weil man all diejenigen brüskiert und schockiert, die mit so einem Stil nicht können. Ich zähle mich selber dazu. Ein Paradebeispiel ist die Zitation des heiligen Thomas unter Nr. 304: Bemüht wird STh I/II, 94,4. AL erweckt hier nur zu sehr den Eindruck, als ginge es hier um eine Spannung von allgemeiner Norm und Einzelsituation, welcher die allgemeine Norm nicht gerecht werden könne, ohne dass dies die Norm ihrer Eigendignität beraubte. Im Effekt läuft dies jedoch auf eine Bedeutung von „allgemein“ im Sinne von „in der Mehrzahl der Fälle“ bzw. „im Regelfall“ hinaus. Der heilige Thomas unterscheidet jedoch an Ort und Stelle zwischen allgemeinen Prinzipien, die nach An-sich-Geltung („rectitudo“) und Bekanntheit („notitia“) prinzipiell keine Ausnahme zulassen, und applikativen Normen für die Eigentümlichkeit der Bereiche, die nach An-sich-Geltung und auch Bekanntheit prinzipiell (!) Ausnahmen zulassen, um so nur für die Mehrzahl der Fälle („ut in pluribus“) in Kraft zu sein. Bei diesen Ausnahmen denkt Thomas zumindest prävalent jedoch an positive Normen (wie, dass man Hinterlegtes zurückgeben muss). Im Gegenzug lehrt der Aquinate unter I/II, 100,8, dass die Gebote des Dekalogs, als die Intention des göttlichen Gesetzgebers ausdrückende, indispensabel sind. Was die Anwendung dieser Intention auf den Einzelfall angeht, gesteht Thomas (siehe ad3) gleichwohl eine gewisse flexible Handhabung zu. Wobei jedoch, und das ist für uns entscheidend, in den Bereichen, die von Gott allein eingesetzt sind, die konkrete Bestimmung über die Nicht-/Gebotswidrigkeit unmitteilbare Prärogative Gottes bleibt. Als Beispiel wird ausdrücklich die Ehe erwähnt. (Entsprechend konnte Gott es dem Hosea erlauben, mit der ehebrecherischen Frau als legitimer Gattin Kinder zu zeugen.) Nimmt man hinzu, dass Gott sich selbst widersprechen würde, würde er einem sakramental Verehelichten erlauben, außerhalb dieser sakramentalen Ehe legitim die Ehe zu vollziehen (da dies mit der Ehe als Partizipation an der unlösbaren Verbindung Christi mit seiner Kirche unvereinbar ist), so folgt daraus die absolute Indispensabilität von der ehelichen Treuepflicht auch nach der Lehre des heiligen Thomas (eben bei sakramentalen Ehen). Auf jeden Fall aber: Nach der klaren Lehre des heiligen Thomas ist das der Ehe Gemäße oder Widrige menschlicher Entscheidung prinzipiell entzogen und in diesem Sinne die außerhalb eines bereits bestehenden Ehebandes ausgeübte Geschlechtlichkeit intrinsisch übel. – Fazit: Kein verantwortungsbewusster akademischer Lehrer würde seinem Doktorkind einen derartigen Umgang mit den Quellen durchgehen lassen, wie die Verfasser von AL die ganz aus dem Kontext gerissene Lehre des Aquinaten gewaltsam in ihren Argumentationsduktus einbauen. Es ist einfach schlimm, wenn so etwas Schule macht; unerträglich der Gedanke, dass derart forcierende und zugleich logisch schwer überschaubare Argumentationsgänge in Zukunft für lehramtliche Dokumente stilbestimmend werden sollen.

Mein Appell
Zum Schluss und damit zum eigentlichen Zweck der Übung: Es sind dunkle Wolken heraufgezogen. Und da müssen sich einige unangenehme Fragen gefallen lassen. Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. hat mit Blick auf Prophetie den Ausdruck vom „wartenden Wort“ geprägt. Mir düngt, die Liste der wartenden Worte ließe sich da noch verlängern um die Worte des heidnischen Dichters, denen eine Erfüllung in Aussicht steht, deren Tragik die Begebenheiten der Antike weit in den Schatten stellt: Ich meine Horaz‘ berühmtes „Quo, quo scelesti ruitis“. Ich hüte mich zu zitieren und sage nur: legatur. Ich will damit auch niemanden persönlich diskreditiert haben, wie man auch nicht alles darin quoad nos wörtlich nehmen muss, was abwegig wäre. Aber irgendwie ist darin so treffend eingefangen, was wir gerade im Begriffe sind zu tun: So etwas Brudermörderisches im geistigen Sinne durchzieht doch schon unsere jüngere bis jüngste Kirchengeschichte? Nicht wahr? Und da müssen sich alle besinnen: bloßer Repetitionismus tut es nicht, geistvolles Kerygma und lebendige Evangelisierung tun not (vgl. 2 Kor 3,6); nicht minder muss jedoch die Treue zu ererbten Lehre unbedingt gewahrt bleiben (vgl. 2 Tim 1,13sq. u. 3,14) und in den aktualisierenden Dokumenten unzweideutig greifbar werden. Ich habe dazu bescheidene Hinweise zu geben versucht. Während ich hier selbst nur eine Frage nach möglichen Lehrpräzisierungen stellen kann, ist mir das methodische Anliegen das ungleich Wichtigere: sich Rechenschaft geben über die Echtheit der Treue, die nicht nur über eine faktische Manipulation hinweg behauptet werden darf; aber auch darüber, das eigene Vorurteil über das Substantielle nicht mit der Substanz zu verwechseln. So bleibt eigentlich nur, jetzt in der Weihnachtszeit karfreitäglich zu beschwören:
„Jerusalem, Jerusalem, convertere ad Dominum Deum tuum!“


hier geht es weiter

https://www.katholisches.info/2017/12/am...slegung-in-aas/



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