Totalitäre Strömungen in liberalen Gesellschaften...Bezeichnung kein Garant für „Freiheit
Der Dämon der Demokratie 27. Januar 2018 0
Die liberale Demokratie ist entgegen ihrer Bezeichnung kein Garant für „Freiheit“ (libertas) und auch nicht für die „Volksherrschaft“ (dēmokratía). Von Wolfram Schrems*
Die zunehmende Meinungsdiktatur durch die Europäische Union und deren destruktive Rolle in einer fälschlich so genannten „Flüchtlings“-Politik wecken bei immer mehr Menschen Zweifel über Sinn und Nutzen der Union. Nun liegt die profunde Abhandlung eines polnischen Politikers zu Demokratie, Kommunismus, Diktatur und EU mit oben zitiertem Titel in deutscher Sprache vor. Sie sollte von den Regierungen, Parlamentariern und Kirchenführern unseres Sprachraums gründlich studiert werden.
Ryszard Legutko – Philosoph und Antikommunist im Dienst am Gemeinwohl
Ryszard Legutko
Legutko wurde 1949 in Krakau geboren. Er ist studierter Anglist und Universitätsprofessor für Geistesgeschichte, spezialisiert auf Platon und politische Philosophie. Während des Kommunismus brachte er mit anderen ein regierungskritisches Samizdat-Blatt heraus. Im Jahr 2005 wurde er Mitglied des Senates für die (seit 2015 alleinregierende) Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), 2007 Minister für Erziehung, 2007 bis 2009 Staatssekretär bei Präsident Lech Kaczyński. Seit 2009 ist er Mitglied des Europäischen Parlamentes und dessen Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten.
Der Kommunismus als ideologische Unterströmung im Westen 2012 veröffentlichte er das gegenständliche Buch. Seine Grundaussage ist: Es besteht eine Geistesverwandtschaft zwischen der liberalen Demokratie, wie sie im Gefolge der 68er Bewegung im Westen praktiziert wird, und dem Kommunismus.
Legutko illustriert diesen Sachverhalt mit der wohlbekannten Tatsache, daß die liberalen Demokratien Europas tendenziell prosowjetisch waren und der kommunistischen Infiltration auch nichts entgegensetzten. Die westlichen Eliten waren daher auch gegen den Antikommunismus eingestellt. Deswegen unterstützten sie die Dissidenten des Sowjetblocks nicht.
Die heutigen Eliten, die in einer ideologischen Kontinuität zu den Anti-Antikommunisten stehen, bilden jetzt den Apparat der Europäischen Union. Diese wiederum kennt keine wirksame, demokratisch legitimierte Mitbestimmung der Völker, im Gegenteil: Sie entwickelt sich immer mehr zur Diktatur.
Legutko entfaltet seine scharfsinnige Analyse in den Kapiteln Geschichte, Utopia, Politik, Ideologie und Religion.
Die anthropologische Revolution und der Triumph des Primitiven
Der Dämon der Demokratie
Der polnische Titel des Buches lautet auf deutsch etwa „Triumph des gewöhnlichen Menschen“. Damit ist ein Bezug zu José Ortega y Gassets Aufstand der Massen angedeutet, der das Phänomen des auf sich grundlos stolzen, primitiven Massenmenschen bereits 1929 beschrieb.
Legutko beklagt die Diktatur der erzwungenen Mittelmäßigkeit unter dem Banner der „Gleichheit“. Das ist nicht nur „Politik“, sondern eine anthropologische Revolution. Es geht um einen schweren Rückfall hinter die zivilisatorische Kraft des Christentums, dem Mittelmäßigkeit, Gleichmacherei und Lauheit ein Greuel ist. Der Geist der Askese, des Mönchtums und der adeligen Ritterlichkeit, des Missionars und Himmelsstürmers, wurde zugunsten des Mediokren und der Uniformität zurückgedrängt und ist nicht mehr kulturbildend:
„Der Triumph von Liberalismus und Demokratie bedeutete Emanzipation, in dem Sinne, daß der Mensch von maßlosen Ansprüchen befreit wurde, die ihm eine unrealistische Metaphysik, erfunden von einer veralteten aristokratischen Kultur des Mittelalters, auferlegte. Mit anderen Worten: Ein wichtiger Teil der modernistischen Botschaft war die Reduzierung des menschlichen Strebens“ (39).
Die von Gott gegebenen und zum Einsatz für das Reich Gottes bestimmten Talente, die gewaltige Leistungen der „mittelalterlichen“ Kultur hervorgebracht hatten, werden nunmehr vergraben.
Menschenwürde und Menschenrechte – problematische Implikationen Eng damit verbunden ist die inflationäre und unwahrhaftige Zuerkennung von „Würde“ an alle möglichen Leute. Auch das trägt zum Triumph des Ordinären bei:
„Besonders auffallend ist die Bedeutungsänderung des Wortes ‚Würde‘, das seit der Antike als ein Ausdruck von Verpflichtung verstanden wurde. (…) Würde war etwas, was verdient, erworben werden mußte, indem man sich den höheren Erfordernissen entsprechend benahm, die einem eine Gemeinschaft oder eine Religion auferlegt hatten, zum Beispiel, wenn eine Person mit einer größeren Verantwortung betraut wurde, oder auch nur, weil der Mensch nach Gottes Abbild erschaffen wurde. (…) Doch der Begriff der Würde hat inzwischen eine neue Bedeutung erlangt, die zum ursprünglichen Inhalt im Gegensatz steht. Dies geschah hauptsächlich vermittelt durch die Sprache der Menschenrechte“ (43).
Die Menschenrechtsrhetorik, auf einem falschen Begriff von Menschenwürde aufbauend und damit mit dem unglückseligen Dokument Dignitatis humanae des II. Vatikanischen Konzils verwandt, ist also längst zu einem kulturkämpferischen Instrument gemacht worden, das so gut wie immer gegen Christen, Konservative und Patrioten eingesetzt wird.
Derzeit, da das Konzept der „Menschenrechte“ immer mehr ausgeweitet wird, dient übrigens die Rhetorik der „Kinderrechte“ dazu, Kinder von ihren Eltern zu entfremden und leichter kollektivierbar zu machen.
Die liberale Demokratie als Begünstigung von Diktaturen Legutko beschreibt den Opportunismus der Liberalen, der sich durchaus diktatorischen Regimen andienen kann:
„Wenn wir die Aktivitäten der Liberalen in den vergangenen hundert Jahren betrachten, zeigt es sich, daß sie auf der theoretischen Ebene recht dogmatisch mit dem Begriff der Freiheit umgingen, in der Praxis aber ziemlich opportunistisch waren. Sie hatten keine Hemmungen, sich mit aufgeklärten Absolutisten zu verbünden. Im zwanzigsten Jahrhundert flirteten sie mit dem Sozialismus, seine sowjetische Version mit inbegriffen. Selbst die liberalsten Liberalen zeigten eine extreme Nachgiebigkeit gegenüber der Sowjetunion“ (58).
Die Islamisierung als Teil des antichristlichen Systems Ein besonders bizarres Element gegenwärtiger „europäischer“ Politik ist die gewaltsame Islamisierung der westeuropäischen Länder und der Versuch, diese auch den Visegrád-Staaten zu oktroyieren. Legutko analysiert die prinzipielle Tiefenstruktur dieses Wahnsinns:
„Privilegiert sind [in der liberalen Demokratie] auch Moslems (…). Einerseits haben liberale Demokraten tatsächlich Angst vor ihnen. Andererseits sollen ihre Privilegien der Beweis für die Lebensfähigkeit des Multikulturalismus und eine Übung in moralischem Masochismus sein. Die Haltung den Moslems gegenüber wird manchmal als – zugegeben sehr schwieriger – Test für liberale Toleranz und Offenheit verstanden“ (111).
Damit ist die Christenverfolgung einkalkuliert, zumal der Kampf gegen Gottesbezug und Erwähnung der christlichen Wurzeln Europas ja massiv durchgezogen worden war.
Die Reaktion der kirchlichen Amtsträger ist – im Westen und besonders im Vatikan – völlig falsch:
„Es ist aber ein Irrtum zu glauben, daß die Religionsfeindlichkeit lediglich ein Ergebnis von Mißverständnissen, Zufällen oder von Christen begangenen Fehlern sei: deshalb ist auch die Strategie der Konzilianz falsch. Denn in Wirklichkeit sind die antichristlichen Entwicklungen eine genuine Konsequenz des modernen Geistes, auf dem die liberale Demokratie basiert“ (175).
Die Nutzanwendung dieser Einsicht liegt besonders für unsere verwirrten Kirchenführer auf der Hand.
Damit zum letzten Punkt:
Im Licht von Fatima: Johannes Paul II. und der Kommunismus Das gängige Narrativ in „konservativen“ Kirchenkreisen ist: Johannes Paul II. hat den Kommunismus besiegt. Die Ereignisse im Ostblock der Jahre 1989 und 1990 sind dafür ein Beleg. Manche führen dafür auch die Weltweihe vom 25. März 1984 als geistliche Ursache des Sieges an.
Legutkos Ausführungen zeigen aber, daß der rote Drache, der in den hoffnungsvollen Jahren nach dem Fall der kommunistischen Regimes in Osteuropa schon tot schien, offensichtlich unter anderer Maske weiterlebt (und in Fernost ganz ohne Maske).
Wer etwa derzeit österreichischen Staatsfunk hört, wird mit einer unfaßbaren Karl-Marx-Renaissance und -huldigung zu dessen bevorstehendem 200. Geburtstag (5. Mai) konfrontiert. Derjenige Schwachkopf, der „Mehr Marx“ an Wiener Hauswände kritzelt, hätte im Staatsfunk, im Kulturbetrieb, in der Politik und in der Akademie also ohnehin viel Unterstützung. Vielleicht handelt es sich ja auch um ein „Kunstprojekt“. –
Schon vor geraumer Zeit wurde von dem russischen Dissidenten Vladimir Bukovsky (sinngemäß zitiert) konstatiert, daß Moskau nach Brüssel übersiedelt war. Das Obama-Regime betrieb eine Politik mit kulturmarxistischer, antichristlicher Prägung.
Kommunistische Inklinationen finden sich derzeit auch im Vatikan. Besonders schlimm ist der Verrat an der chinesischen Untergrundkirche durch Papst Franziskus und die Kollaboration mit dem kommunistischen Regime. Das ist eine Neuauflage der schändlichen „Ostpolitik“ unter Johannes XXIII. und Paul VI.
Daraus folgt, was in letzter Zeit immer mehr Beobachter und Analytiker festgestellt haben, nämlich, daß die in Fatima verlangte Weihe Rußlands nicht durchgeführt worden ist. Die „Irrtümer Rußlands“ breiten sich in vielen Masken und Schlichen ungehindert aus. Johannes Paul II. tat hier nicht alles, was er hätte tun können und sollen.
Der skandalöse Rücktritt von Papst Benedikt beseitigte den letzten Schutzwall in der Kirche.
Jetzt sieht es düster aus.
Resümee Grundsätzlich kann man Legutkos Analyse resümieren, daß die liberale Demokratie entgegen ihrer Bezeichnung kein Garant für „Freiheit“ (libertas) und auch nicht für die „Volksherrschaft“ (dēmokratía) ist. Ohne Verwurzelung in der Wahrheit gibt es keine Freiheit und ohne nationale Selbstbestimmung regieren andere. Was dabei herauskommt, ähnelt dem Sowjetsystem, einschließlich seiner „Kommissare“. Das sehen wir allenthalben. –
Allenfalls hätte Legutko noch darauf hinweisen können, daß etwa das Schweizer Modell der direkten Demokratie, der Abstimmungen auf lokaler und nationaler Ebene und der ausgeprägten Autonomie der Kantone Beispiel für ein demokratisches System ist, in dem die legitimen Anliegen des Volkes relativ adäquat umgesetzt werden können. Und: Da „liberal“ ein gewisses Bedeutungsspektrum besitzt und im deutschen Sprachgebrauch normalerweise etwas anderes meint als im englischen, wäre auch eine ausführlichere Begriffsbestimmung hilfreich gewesen. (Zu diesem Themenkomplex darf ich auf meine Ausführungen zu einem einschlägigen Lehrschreiben von Papst Leo XIII., das sich als überzeitlich aktuell erwies, auf dieser Seite verweisen) –
Dank und Anerkennung Professor Legutko, seiner Übersetzerin und dem Verleger, der ein schönes Buch zustande brachte. Verschreibungen und Fehler wurden für eine wünschenswerte Zweitauflage schon durchgegeben. Übrigens wären die vom Autor gekürzten polnischen Interna auch für den deutschsprachigen Raum von Interesse, zumal die deutschsprachigen Hauptstrommedien die PiS-Regierung von Anfang an nur mit Geifer attackieren. Man würde gerne auch eine kompetente Darstellung der Polen selbst lesen.
Post scriptum Wer sich über Legutko noch vor einer allfälligen Konsultation des Buches ein genaueres Bild machen will, sei auf zwei seiner Redebeiträge in englischer Sprache verwiesen:
Im ersten spricht er Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande kritisch an, im zweiten entwickelt er seine Gedanken im Rahmen eines Vortrages.
Ryszard Legutko, Der Dämon der Demokratie – Totalitäre Strömungen in liberalen Gesellschaften, Karolinger, Wien 2017 (Deutsch von Krisztina Koenen, polnisches Original: Triumf człowieka pospolitego, Zysk, Posen 2012). Die deutsche Ausgabe wurde gegenüber dem Original vom Autor um spezifische polnische Interna gekürzt.
*MMag. Wolfram Schrems, Wien, Theologe, Philosoph, Katechist, Mitbegründer der Plattform Solidarität mit verfolgten Christen
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