Papst-Vertrauter „Tebartz kommt nicht zurück“ Von Joachim Frank ist Chefkorrespondent von Kölner Stadt-Anzeiger, Berliner Zeitung und Mitteldeutsche Zeitung. Joachim Frank 20.01.14, 06:50 Uhr
Köln - Einer der engsten Vertrauten von Papst Franziskus, der honduranische Kardinal Óscar Rodríguez Maradiaga, hält die Rückkehr des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst ins Bistum für ausgeschlossen. "Ich weiß, dass viele Gläubige im Bistum Limburg verletzt sind. Um offene Wunden zu heilen, schütte ich keinen Alkohol darauf", sagte der Erzbischof von Tegucigalpa dem "Kölner Stadt-Anzeiger".
Er leide mit den deutschen Katholiken an den Problemen in Limburg, erläuterte der Koordinator der Kardinalskommission, die im Auftrag des Papstes an Strukturreformen der Kirchenleitung arbeitet. "Wenn einer Fehler gemacht hat, soll er sich dazu bekennen, um Entschuldigung bitten und sich einen anderen Platz suchen", führte Maradiaga mit Blick auf Tebartz weiter aus.
Das komplette Interview im Wortlaut:
Herr Kardinal, Anhänger und Gegner von Papst Franziskus fragen sich ein Jahr nach seiner Wahl, was er eigentlich mit der Kirche vor hat. Können Sie es uns sagen?
ÓSCAR RODRÍGUEZ MARADIAGA: Ich bin fest überzeugt: Wir stehen in der Kirche am Beginn einer neuen Ära. Ähnlich wie vor 50 Jahren, als Papst Johannes XXIII. die Kirchenfenster öffnen ließ, um frische Luft hereinzulassen. Heute will Franziskus die Kirche in die Richtung führen, in die er selbst vom Heiligen Geist getrieben wird: näher bei den Menschen, nicht über ihnen thronend, sondern in ihnen lebendig. Die Kirche, das darf man nicht vergessen, ist nicht bloß eine Institution von Menschenhand, sondern Gottes Werk. Ich bin sicher, er hatte bei unserer Wahl im März 2013 seine Hand im Spiel. Denn nach menschlichem Ermessen wäre ein anderer Papst geworden.
Was aber will der Papst konkret?
MARADIAGA: Vor allem einen einfacheren Lebens- und Führungsstil der kirchlichen Hierarchie, angefangen von den Bischöfen bis zu den Priestern. Wir dürfen nicht in unseren Verwaltungsbüros sitzen und darauf warten, dass die Leute zu uns kommen. Wir müssen zu ihnen hingehen. Das ist ein neues Selbstverständnis. Obwohl, nein, neu ist es eigentlich gar nicht. Wir finden es in der Botschaft Jesu. Aber wir haben das bisweilen vergessen.
Das heißt: Vorrang für die Seelsorge?
MARADIAGA: Mehr Pastoral als Doktrin, ja. Die kirchliche Lehre, die Theologie ist uns vorgegeben. Aber wir müssen sehen, dass wir damit die einfachen Menschen erreichen. Ein zweites wesentliches Anliegen des Papstes lautet: Barmherzigkeit - eine andere Art kirchlicher Zuwendung zur Welt, besonders zu den Notleidenden.
Aber muss sich in einer "barmherzigen" Kirche nicht auch eine Lehre ändern, die von vielen als unbarmherzig empfunden wird? Denken Sie an den Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen!
MARADIAGA: Die Kirche ist gebunden durch Gottes Gebote. Christus sagt über die Ehe: Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. Dieses Wort steht fest. Aber es gibt viele Zugänge, es zu deuten. Nach dem Scheitern einer Ehe können wir zum Beispiel fragen: Waren die Eheleute wirklich in Gott verbunden? Also, da gibt es noch viel Raum für eine vertiefte Durchdringung. Aber es wird nicht in die Richtung gehen, dass morgen weiß ist, was heute schwarz ist.
Papst Franziskus hat die Katholiken befragen lassen, wie es um die kirchliche Lehre zur Familie und die Sexualmoral steht. Was wird auf der Bischofssynode 2014 zu diesen Themen aus den Antworten folgen, die - wie im Erzbistum Köln - schonungslos von weltfremden und lebensfeindlichen Positionen der Kirche sprechen?
MARADIAGA: Ich habe den Papst gefragt: "Warum denn schon wieder eine Synode zur Familie? Wir hatten doch schon 1980 eine, und wir haben das schöne Lehrschreiben Familiaris consortio Johannes Pauls II. von 1983."
Was hat Franziskus geantwortet?
MARADIAGA: Das ist 30 Jahre her. Heute gibt es die Familie von damals für die meisten Menschen gar nicht mehr. Und das stimmt: Wir haben Scheidungen, wir haben die Patchworkfamilien, die vielen Alleinerziehenden, Phänomene wie Leihmutterschaften, kinderlose Ehen. Nicht zu vergessen die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Die waren 1980 doch nicht einmal am Horizont erkennbar. All das erfordert Antworten für die Welt von heute. Und es genügt nicht zu sagen: Dafür haben wir die traditionelle Lehre. Selbstverständlich, die traditionelle Lehre wird fortbestehen. Aber die pastoralen Herausforderungen erfordern zeitgemäße Antworten. Und die stammen nicht mehr aus Autoritarismus und Moralismus. Das ist keine "Neuevangelisierung", nein, nein!
Ihr Mitbruder, Kardinal in spe Gerhard Ludwig Müller, hält als Präfekt der Glaubenskongregation offenbar mehr von der Autorität der Kirche.
MARADIAGA: (lacht) Ich habe es gelesen, ja. Und ich dachte: "Okay, vielleicht hast Du Recht, vielleicht aber auch nicht." Ich meine, ich verstehe ihn: Er ist Deutscher - ja, ich muss das sagen, er ist obendrein Professor, ein deutscher Theologieprofessor. In seiner Mentalität gibt es nur richtig oder falsch, das war's. Aber ich sage: "Die Welt, mein Bruder, die Welt ist nicht so. Du solltest ein wenig flexibel sein, wenn du andere Stimmen hörst, damit du nicht nur zuhörst und sagst, nein, hier ist die Wand." Also, ich glaube, er wird dahin gelangen, andere Ansichten zu verstehen. Aber jetzt ist er halt noch am Anfang, hört bloß auf seinen Beraterstab.
Werden Sie ihm Ihren Rat anbieten?
MARADIAGA: Bis jetzt haben wir noch nicht miteinander gesprochen. Aber wir werden reden, ganz bestimmt. Es ist immer gut, einen guten Dialog zu führen.
Mit dem Papst hatten Sie noch vorige Woche ein Gespräch. Was ist der Stand der Strukturreformen, die der Papst von der Kommission erwartet, die er mit Ihnen und sieben weiteren Kardinälen besetzt hat?
MARADIAGA: Okay, wechseln wir das Thema! Natürlich muss sich vieles in der Kirche ändern. Der Papst weiß das, ich weiß es, und auch das Kardinalskollegium war sich dessen bewusst, als es 2013 ins Konklave ging. Strukturen stehen im Dienst der Menschen. Wenn sich aber die Lebenswelt der Menschen so rasant verändert, müssen es auch die Strukturen der Kirchenleitung, der Kurie. Das ist eine komplexe Aufgabe. Wir sind mitten in Beratungen, wir holen Voten und Expertise ein. Und wir gehen schrittweise vor.
Was ist der erste Schritt?
MARADIAGA: Ganz oben auf unserer Agenda steht die Bischofssynode, die nach dem Willen des Papstes ein handliches, wirkungsvolles Instrument kollegialer Leitung sein soll und nicht bloß ein Meeting in Rom alle drei Jahre. Dann wird es um Veränderungen im Staatssekretariat gehen, mit dessen Arbeit in der Vergangenheit viele unzufrieden waren. In unserer vorigen Kommissionssitzung im Dezember haben wir uns auch mit den einzelnen Behörden im Vatikan befasst, den Dikasterien. Wir schlagen vor, eine eigene Kongregation für die Laien einzurichten. Es gibt eine Kongregation für die Bischöfe, eine für die Priester, eine für die Ordensleute. Aber keine für die Laien. Für sie gibt es bislang bloß einen päpstlichen Rat. Dabei bilden die Laien die übergroße Mehrheit des Volkes Gottes.
Verwaltungen sind die natürlichen Gegner von Verwaltungsreformen. Spüren Sie Misstrauen, Vorbehalte oder Widerstand gegen Ihre Kommission in der Kurie?
MARADIAGA: Ja, schon. Es gibt aber in der Kurie selbst auch genügend Mitarbeiter, die sagen, so kann es nicht bleiben. Sie unterstützen uns mit eigenen Vorschlägen. Die Kurie ist keineswegs ein monolithischer Block. Am Ende all unserer Überlegungen soll eine neue Verfassung für die Kurie stehen, die an die Stelle der bestehenden Apostolischen Konstitution "Pastor Bonus" Johannes Pauls II. von 1988 tritt. Also nicht bloß eine Modifikation oder Anpassung dieses Dokuments, sondern etwas komplett Neues.]
Fürchten Sie nicht, dass dem Papst mit seinen 77 Jahren nicht genug Zeit für all diese Veränderungen bleibt?
MARADIAGA: Ich glaube, zum einen sind wir bereits an einem "Point of no return". Zum anderen ist der Papst von einer Energie, die mich immer wieder staunen macht. Wissen Sie, wir sprachen vor dem Konklave miteinander, und er sagte: "Ich habe übrigens schon mein Rücktrittsgesuch eingereicht." Dann kam er als Papst aus dem Konklave - und seither ist er wie verwandelt.
Dabei hieß es doch, er habe Probleme mit der Lunge.
MARADIAGA: Das war Negativ-Propaganda, mit der ihm jemand aus dem "inner circle" vor dem Konklave gezielt schaden wollte. Ich habe den späteren Papst mal beim Essen darauf angesprochen, er habe ja nur einen Lungenflügel und sei gesundheitlich geschwächt. Er fing an zu lachen: "Ach was! Ich hatte eine Zyste im oberen Bereich des linken Lungenflügels. Die wurde entfernt, und gut war's." Daraufhin bin ich aufgestanden, von Tisch zu Tisch gegangen und habe gesagt: "Hört zu! Die von Euch, die sagen, Bergoglio habe nur eine Lunge, die sind auf dem Holzweg."
Ihr enger Draht zu Franziskus macht sie für konservative Katholiken zu seinem "fürchterlich zungenfertigen Chefberater". Ihre Kommission firmiert als die "Achterclique" von Bergoglio & Co. Das spricht für eine massive Gegnerschaft zum neuen Papst.
MARADIAGA: Massiv vielleicht, aber nicht zahlreich. Die meisten Katholiken stehen hinter dem Papst. Seine Gegner sind Leute, die die Wirklichkeit nicht kennen. Es gab zum Beispiel in US-Wirtschaftskreisen viel Geschrei um die Kapitalismus-Kritik des Papstes in seiner Enzyklika "Evangelii Gaudium". Ja, wer sagt denn, der Kapitalismus sei perfekt? Wen hat denn die jüngste Finanzmarkt-Krise getroffen? Doch nicht die Armen, sondern das reiche Amerika, das reiche Europa. Und diese Krise war keine Erfindung der Befreiungstheologie und nicht die Folge der "Option für die Armen". Wer den Kapitalismus nicht kritisiert, der liegt falsch. Nicht der Papst. Aber bitte, sollen sie auf ihn schimpfen und sich über ihn echauffieren. Ich versuche, meinem Gewissen zu folgen.
Der Papst wünscht sich eine "arme Kirche". Die deutsche Kirche ist reich, sehr reich. Darf sie "reiche Kirche" sein, solange sie mit ihrem Geld den Armen hilft?
MARADIAGA: Den Armen zu helfen, bedeutet nicht, arm zu sein. Es geht um wahres Teilen. Sie haben Recht, die deutsche Kirche ist reich - reich an Geschichte, an Kultur, an wunderbaren Kunstwerken. Dieses Erbe muss sie wahren. Wir wären ja verrückt, wollten wir zu Bilderstürmern werden wie im Mittelalter.
Vergessen Sie die Kirchensteuer nicht!
MARADIAGA: Das ist ein anderer Aspekt von Reichtum. Die Deutschen, große Organisatoren, haben sich dieses System der Finanzierung ausgedacht. Das habe ich nicht zu kritisieren. Ich sehe vielmehr, dass die deutsche Kirche ein waches Auge, ein offenes Herz hat und dass sie ihren Reichtum für andere einsetzt. Es gibt keine Ortskirche auf der ganzen Welt, die so viel Hilfe leistet wie die deutsche. Keine einzige! Ich finde, das muss auch gesagt werden, und als Außenstehender kann ich das am besten.
Die deutsche Kirche sieht sich selbst zu negativ?
MARADIAGA: Vielleicht gewichtet sie falsch. Nehmen Sie das Bistum Limburg. Natürlich, ich leide mit den deutschen Katholiken an den Problemen dort. Aber das ist doch nur ein Fall! Und selbst dem lässt sich womöglich noch etwas Positives abgewinnen. Wir sagen im Spanischen: Es gibt kein Übel, aus dem nicht etwas Gutes werden könnte.
Was wäre das Gute?
MARADIAGA: Dass sich in der kirchlichen Hierarchie die Erkenntnis durchsetzt: Wir müssen da wohl ein paar Dinge bei uns ändern, nicht nur in Limburg.
Wird Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst in sein Bistum zurückkehren?
MARADIAGA: Nein, ich glaube nicht. Wenn einer Fehler gemacht hat, soll er sich dazu bekennen, um Entschuldigung bitten und sich einen anderen Platz suchen. Ich weiß, dass viele Gläubige im Bistum Limburg verletzt sind. Um offene Wunden zu heilen, schütte ich keinen Alkohol darauf.
Sieht der Papst das auch so?
MARADIAGA: Es ist offensichtlich, dass sein Plädoyer für eine arme Kirche und sein persönlicher Lebensstil immer kohärent waren, ob als Jesuitenpater, als Erzbischof oder jetzt als Papst.
Sie meinen, da hat er wenig Verständnis für opulente Bischofsresidenzen oder frei stehende Badewannen?
MARADIAGA: Leuten, die wie er oder ich aus Lateinamerika kommen, fällt das auch schwer. Natürlich, Ihre Lebensstandards in Deutschland sind andere als bei uns. Aber trotzdem: Vieles von dem, was ich gehört habe, ist nicht nötig. Eine Dusche, eine Toilette - das reicht. Den meisten Leuten jedenfalls reicht es. Und dem Papst auch, wie Sie wissen, in seinem Drei-Zimmer-Apartment. Mir hat sehr gefallen, was der Papst zum Fest Allerseelen gesagt hat: "Ich habe noch nie eine Beerdigung gesehen mit einem Umzugswagen hinter dem Sarg."
https://www.ksta.de/politik/--4025922
Das Gespräch führte Joachim Frank https://www.ksta.de/politik/-papst-vertr...rueck--22741022
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