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  • 25.01.2019 00:05 - Sterben 40 Prozent in den Niederlanden keines natürlichen Todes?
von esther10 in Kategorie Allgemein.

25. JANUAR 2019

Sterben 40 Prozent in den Niederlanden keines natürlichen Todes?

25. Januar 2019 0
Abtreibung, offene und verdeckte Euthanasie, Mord und Selbstmord: Bis zu 40 Prozent der Niederländer sterben keines natürlichen Todes.



Abtreibung, offene und verdeckte Euthanasie, Mord und Selbstmord: Bis zu 40 Prozent der Niederländer sterben keines natürlichen Todes.
(Den Haag) Zahlen sprechen eine klare Sprache. Über ihre Interpretation wird dennoch nicht selten gestritten. Je nach Lesart läßt sich sagen, daß von allen Todesfällen in den Niederlanden bis zu 40 Prozent keines natürlichen Todes sterben. Erschreckende Aussichten oder nur falsche Lesart?

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Die Vergleichszahlen beziehen sich auf das Jahr 2017 und werden durch die bereits vorliegenden Statistiken für das Jahr 2018 bestätigt. Alle Zahlenwerte sind zur leichteren Darstellung gerundet.

Todesfälle und Tötungsvarianten
Laut niederländischem Statistikamt wurden 2017 150.000 Todesfälle und 170.000 Lebendgeburten registriert.

Diese Zahl ist jedoch zu korrigieren, da wie in allen Abtreibungsstaaten – das sind Staaten, in denen die Tötung ungeborener Kinder legalisiert ist – die durch Abtreibung getöteten Kinder nicht in die allgemeine Bevölkerungsstatistik einfließen. Im Sinne der Abtreibungslobby gelten die ungeborenen Kinder als inexistent. Sie wurden vom Staat noch in keinem Geburtsregister oder Einwohnerverzeichnis geführt.

Die Zahl der registrierten Abtreibungen wird in den Niederlanden mit jährlich 30.000 angegeben. Hinzukommen Opfer von Mord und Todschlag (50), Drogentote (50), Selbstmorde (1900), Verkehrstote (600).

Die Tötungsarten Abtreibung, Mord und Totschlag machen in den Niederlanden fast 17 Prozent aller Todesfälle aus.



Der „gute Tod“ der Euthansie
Das niederländische Parlament verabschiedete 2001 ein Sterbehilfegesetz. Damit wurden der Euthanasie die Türen geöffnet, die euphemistisch „guter Tod“ genannt wird. 2017 wurden nach diesem Gesetz 6.600 Menschen „suizidiert“. Weitere 1900 Niederländer begingen (gewissermaßen illegal) Selbstmord. Das sind zusammen 8.500 Menschenleben oder fast fünf Prozent aller Todesfälle. Folgt man der offiziellen Statistik, ohne Einrechnung der Abtreibungsopfer, sind es sogar zwei Prozent mehr.


Euthanasie-Befürworter im Parlament von Victoria (Australien)
Die Zwischenbilanz lautet daher: Tötungsdelikte, Euthanasie und Selbstmord zusammengezählt machen in den Niederlanden 21,5 Prozent aller Todesfälle aus.

Bei 32.000 der registrierten Todesfälle wurde eine palliative Sedierung angewandt, über deren Wirkung gestritten wird. Handelt es sich dabei nur um eine „milde Gabe“, Angst und Schmerzen zu dämpfen oder auszuschalten? Oder wird damit das Sterben beschleunigt? Handelt es sich also um eine versteckte Form der „Sterbehilfe“? Verbunden mit der palliativen Sedierung ist jedenfalls eine Bewußtseinsdämpfung. Die Sinne werden benebelt. Kritiker sehen diese Praxis als Form der Euthanasie, da die Grenzen durch die Dosierung leicht verwischt werden können.

Werden Tötungsdelikte (fast 17 Prozent der Todesfälle), legalisierter und illegaler Suizid sowie palliative Sedierung zusammengezählt ergibt das in den Niederlanden eine Gesamtzahl von über 70.000 Todesfällen oder mehr als 39 Prozent aller Toten des Jahres 2017. Werden noch Drogentote und Verkehrstote eingerechnet, kommt man der Zahl von 40 Prozent aller Todesfälle sehr nahe.

Es läßt sich zumindest sagen, daß zwischen 22 und 40 Prozent aller Todesfälle in den Niederlanden durch den Mensch selbst induziert wurden. Der genaue Wert liegt je nach Lesart irgendwo im Graubereich dazwischen.

„Die Euthanasie ist etwas Normales geworden“
Christopher de Bellaigue veröffentlichte im britischen Guardian einen Bericht über die Anwendung des Sterbehilfegesetzes in den Niederlanden. Dazu besuchte er den Arzt Bert Keizer von der Levenseindekliniek (Lebensendeklinik), in der 2017 750 Personen „suizidiert“ wurden. Keizer ist es gewohnt, die Menschen, die nach dem Sterbehilfegesetz sterben wollen, auch zu Hause aufzusuchen. Dabei erlebt er auch für ihn ungewöhnliche Szenen.

Als er zusammen mit einer Krankenschwester das Zimmer des Mannes betrat, den er töten sollte, standen an die 35 Personen in dem Raum und „tranken, schrien und lachten. Es herrschte ein großer Lärm und ich dachte: ‚Und was mache ich jetzt?‘ Zum Glück wußte der Mann, der sterben wollte, genau, was zu tun war. Plötzlich sagte er: ‚Ok, Jungs‘, und alle haben verstanden. Sie schwiegen, die Kinder wurden rausgebracht, und ich habe ihm die Spritze gegeben.“

Dieses Erlebnis erzählt Keizer, um zu veranschaulichen, daß „die Euthanasie etwas Normales geworden ist“. In den ersten 15 Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes hat sich die Zahl der „auf Wunsch“ euthanasierten fast vervierfacht.

Anfangs konnten nur Erwachsene euthanasiert werden, inzwischen auch Kinder. Es braucht als Bedingung auch keine unheilbare Krankheit im Endstadium mehr, um die tödliche Spritze gesetzt zu bekommen. Es genügt, das Leben als subjektiv „untragbar“ zu empfinden. Das kann von Demenz bis Depression reichen. Sollte der Hausarzt sich weigern, gibt es die Lebenseindekliniek.

„Todespille“ für alle ab 70?
Christopher de Bellaigue geht nach seinen Recherchen davon aus, daß das niederländische Parlament bald auch die „Lebensendepille“ zulassen könnte. Gemeint ist eine „Todespille“ für alle, die aus irgendeinem Grund Lebensmüde sind. Geht es nach dem Vorschlag von Gesundheitsminister Hugo de Jonge und Justizminister Ferdinand Grapperhaus, sollen alle Niederländer, sobald sie 70 werden, diese Pille erhalten – auf Vorrat.

Beide Minister sind Christdemokraten der CDA. Der Jong gehört dem neuen Zusammenschluß der Protestantischen Kirche der Niederlande an, Grapperhaus ist Katholik.



Jubeltränen für die Euthanasie im Italienischen Parlament
Die Euthanasie gehört in den Niederlanden zur „medizinischen“ Grundversorgung, die über die Krankenversicherung abgedeckt wird. Ein Geschäft ist sie auch: Für jede Todesspritze, die gesetzt wird, zahlen die Krankenversicherungen der Lebenseindekliniek 3.000 Euro. Gezahlt wird auch, falls es sich der Kunde im letzten Augenblick noch anders überlegt.

Klinikdirektor Steven Pleiter, gewissermaßen ein Lebensende-Direktor, will aber nicht im Geld das Hauptmotiv des Handelns sehen. Es handle sich, so Pleiter, vielmehr um „Empathie, Ethik und Mitleid“. Das „Mitleid“ hat der Lebenseindekliniek im Jahr 2017 immerhin mehr als zwei Millionen Euro eingebracht.

„Die Krankenversicherungen zahlen lieber eine einmalige Summe“ (für das Töten)
Christopher de Bellaigue bringt es in seinem Bericht wie folgt auf den Punkt:

„Die Krankenversicherungen ziehen es natürlich vor, eine einmalige Summe zu zahlen, um jemand zu töten, als eine enorme Menge Geld auszugeben, um eine lebende, aber unproduktive Person zu pflegen.“

Staatliche Gesetze verändern auch das Gewissen, was im Gesetzgebungsprozeß selten einen Niederschlag findet. Das gilt für die Abtreibung und ebenso für die Euthanasie. Nicht einmal acht Prozent der niederländischen Ärzte weigern sich aus Gewissensgründen die Todesspritze zu setzen, also zu töten, anstatt zu heilen.

Dennoch will Christopher de Bellaigue ein Umdenken erkennen. 2018 wurde die niederländische Ärzteschaft vom Fall einer Kollegin erschüttert. Die Staatsanwaltschaft erhob erstmals Anklage gegen eine Ärztin, weil sie einen Patienten getötet hatte, obwohl dieser klar und deutlich zu verstehen gegeben hatte, nicht sterben zu wollen. Die Ärztin rechtfertigte sich, daß der Patient zu einem früheren Zeitpunkt eine entsprechende Erklärung unterzeichnet hatte.

Auch andere Fälle lösen bei manchen Ärzten ein Umdenken aus. De Bellaigue schildert den Fall eines demenzkranken Patienten der eine Euthanasie-Verfügung unterzeichnet hatte für den Fall, daß sich sein Zustand verschlechtern sollte. In den folgenden Jahren „änderte er aber 20 Mal seine Meinung“. Das hatte damit zu tun, daß „ihn seine Frau dazu zwingen wollte“. Die Ärztin, die ihn behandelte, berichtet, daß nach dem X-ten Meinungswechsel seine Frau bei ihr in der Praxis auftauchte, mit den Fäusten auf den Tisch schlug und rief: „Wenn er nur den Mut fände, der Feigling!“ Die Ärztin weigerte sich, gegen den erkennbaren Willen des Mannes zu handeln. Er wurde dennoch getötet – von einem anderen Arzt, als sie im Urlaub war.

Sie beschloß darauf, ihren Beruf aufzugeben. Sie wußte, daß der Kollege, der sie im Urlaub vertreten würde, ein Euthanasie-Fan ist. Daß er so weit gehen würde, damit hatte sie aber nicht gerechnet. Seither plagen sie Gewissensbisse.

„Ich bin Ärztin, aber nicht einmal imstande den Schutz meiner schutzlosesten Patienten zu garantieren.“

„Eine rote Linie wurde überschritten“
Auch Marc Veld hat Schuldgefühle, obwohl er die Euthanasie nicht grundsätzlich ablehnt. Er hatte seine Mutter im Verdacht, ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen, obwohl sie an keiner unheilbaren Krankheit litt. Er sprach daher mit ihrem Hausarzt, der sich aber unzugänglich zeigte. Am 9. Juni 2018 erhielt er einen Anruf vom Hausarzt: „Es tut mir leid, ihre Mutter ist vor einer halben Stunde gestorben“. Der Hausarzt hatte ihr die Todesspritze gesetzt, ohne den Sohn – wie es das Gesetz vorsieht – vorher zu informieren. „Sie hätte noch mehrere Jahre leben können“, so Veld, der sich Vorwürfe macht.

Die Ethikerin Berna Van Baarsen gehörte zehn Jahre einer Kontrollkommission zur Überwachung des Euthanasiegesetzes an. Sie war für dieses Gesetz und hatte an dessen Ausarbeitung mitgewirkt. Im Januar 2018 verließ sie jedoch unter Protest die Kommission. Sie hatte die Akten zu den Fällen getöteter Patienten zu prüfen, die von den Ärzten übermittelt werden müssen. Sie stellte im Laufe der Jahre eine Bürokratisierung des Tötens fest. Es zähle immer mehr, ob der „Tötungsschein“ vom Betroffenen unterschrieben ist, „nicht mehr sein direkter Wille“. Wurde der Schein irgendwann unterschrieben, würden die Ärzte darauf verweisen, sich vor dem Gesetz abgesichert fühlen und die Todesspritze setzen, also bürokratisch exekutieren. Ob der Patient das zu diesem Zeitpunkt wirklich wolle, spiele eine immer geringere Rolle. Für Van Baarsen wurde „eine rote Linie überschritten“. Dagegen protestiert sie seither.

Christopher de Bellaigue schreibt, daß die „Todespille“, die in den Niederlanden noch nicht erlaubt ist, es aber vielleicht bald sein könnte, „vielen Ärzten“, mit denen er sprach, schon zusagen würde. Es würde sie vom Töten befreien. Sie könnten sich wieder „wie vorher darum kümmern, Leben zu retten“.

Das Problem sei, daß die Menschen, die sterben wollen, sich aber nicht selbst töten wollen.

„95 Prozent von denen, die in den Niederlanden die Euthanasierung beantragen, wollen, daß sie ein Arzt tötet. In einer Gesellschaft, die sich rühmt, jede Form von festgelegter Autorität abzulehnen, wollen, wenn es um den Tod geht, aber alle die Mamma. Alle wollen, daß der Staat sie autorisiert und es gutheißt. Sie wollen, daß ihnen jemand sagt: Du bringst dich nicht um, du tust nichts Schlechtes, du handelst gut.“

Davon steht nichts im niederländischen Sterbehilfegesetz.

Text: Giuseppe Nardi
Bild: The Guardian/CR (Screenshots)



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