Das sagen Experten Fall Rebecca: Was können Polizisten tun, wenn der Verdächtige schweigt?
Die 15-jährige Rebecca aus Berlin wird seit Wochen vermisst.
dpa/AdobeStock/iStock/Composing: Sascha WeingartzDie 15-jährige Rebecca aus Berlin wird seit Wochen vermisst.
FOCUS-Autor Marco Wisniewski Mittwoch, 13.03.2019, 13:28 Vor etwa drei Wochen ist Rebecca aus Berlin verschwunden. Die Polizei vermutet, dass der Schwager der 15-Jährigen etwas damit zu tun hat - doch der Mann schweigt. Ein erfahrener Mordermittler und ein bekannter Strafverteidiger erklären, wie die Polizei mit dem Schweigen umgeht.
Vor rund drei Wochen ist die 15-jährige Berliner Schülerin Rebecca aus dem Haus ihrer Schwester und ihres Schwagers verschwunden.
Die Polizei geht von einem Tötungsdelikt aus. Als dringend tatverdächtig gilt der Schwager, der in Untersuchungshaft sitzt. Florian R. soll zur mutmaßlichen Tatzeit allein mit Rebecca im Haus gewesen sein. Widersprüchliche Aussagen rückten ihn ins Visier der Ermittler.
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Inzwischen schweigt der 27-jährige Tatverdächtige beharrlich. Die Beweislage scheint dünn. Und der Druck auf die Ermittler steigt.
"Ist der Verdächtige in Untersuchungshaft, kommen wir nicht mehr an ihn ran" Oft sind es in solchen Fällen die Vernehmungsspezialisten einer Mordkommission, die das Lügengebäude eines Täters zum Einsturz bringen und die entscheidende Wende einleiten. Bei Rebecca gelang der entscheidende Durchbruch allerdings noch nicht.
"Ein Beschuldigter hat natürlich das Recht zu schweigen und muss sich nicht selbst belasten", erklärt Kriminalhauptkommissar Bernd Ströter (Name von der Redaktion geändert) aus Hamburg. Jahrelang bearbeitete er in der Hansestadt Kapitalverbrechen. Wie oft er mit Mördern, Totschlägern und Sexualstraftätern an einem Tisch saß, sich mit ihnen unterhielt und belügen lassen musste – er weiß es nicht mehr.
"Ist der Tatverdächtige in Untersuchungshaft und hat einen Rechtsbeistand, kommen wir eigentlich nicht mehr an ihn ran", sagt der Kripo-Beamte. Zu einer Vernehmung zwingen könne man einen Beschuldigten nicht. Und den Strafverteidiger umgehen und dem Tatverdächtigen einfach mal spontan einen Besuch im Gefängnis abstatten, geht auch nicht."
Erfahrener Mordermittler rät: authentisch bleiben Erklärt sich ein Angeklagter zu einer polizeilichen Befragung bereit, sind die Beamten relativ frei in der Gestaltung der Gesprächsführung. „Es gibt da kein einheitliches Vorgehen“, sagt Ströter.
Jeder Vernehmungsbeamte habe im Laufe der Jahre seinen eigenen Stil, seine Art des Auftretens und seine eigene Taktik entwickelt. Auf jeden Fall, so Ströter, müsse man authentisch bleiben. So könne zum Beipiel ein älterer Kollege die Rolle des klassischen Beichtvaters natürlich viel besser und glaubhafter übernehmen als ein junger Beamter.
Er sei eher der freundliche und kumpelhafte Typ und daher auch stets so aufgetreten, sagt Ströter. Wichtig sei es, dass man eine Gesprächs- und Vertrauensebene zum Gegenüber aufbaue.
Die Zickzack-Methode Als Taktik habe er sich zum Beispiel gerne der Zickzack-Methode bedient. Dabei ginge es darum, den Tatverdächtigen durch ständiges Hin- und Herspringen in der Schilderung des zeitlichen und inhaltlichen Ablaufs unter Stress zu setzen und zu Fehlern zu zwingen.
„Wer sich eine Lügengeschichte ausgedacht hat, kommt da schnell ins Schwimmen“, sagt Ströter. Da müsse der Kopf Höchstarbeit leisten. „Wer die Wahrheit sagt, hat damit weit weniger Probleme.“
Abweichendes Verhalten in der Gestik und Mimik eines Befragten zu erkennen, sei auch wichtig, so der Kripo-Beamte. Welche Körperhaltung nimmt der Befragte ein, wenn ich mich mit ihm entspannt unterhalte? Und wie reagiert er, wenn die Fragen härter und unangenehmer werden?
Polizist hält wenig vom Modell "guter Bulle, böser Bulle" Von Vernehmungstaktiken wie „guter Bulle, böser Bulle“, bei der zwei Beamte den Befragten durch den Wechsel von Provokation und Einfühlung in die Zange nehmen, halt Ströter wenig. Das sei leicht zu durchschauen, so der Kommissar und betont: „Die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben für eine Vernehmung ist extrem wichtig, denn die Aussagen müssen vor Gericht verwertbar sein.“
Umstrittene Methode "eine Stufe vor dem Waterboarding" Höchst umstritten sind Vernehmungstechniken wie die Reid-Methode, die in den USA entwickelt wurde und auch in Deutschland - zumindest in Teilen - angewandt wird. Rechtspsychologen bezeichneten dieses Verfahren in der Vergangenheit schon als "eine Stufe vor dem Waterboarding" und äußerten die Befürchtung, dass die Methode auch falsche Geständnisse hervorbringen kann.
Dabei handelt es sich um eine Kombination psychologischer Techniken, die darauf basiert, dass dass Menschen eher dazu neigen, ein Geständnis abzulegen, wenn sie glauben, dass man die Beweise ohnehin schon in den Händen hält. In der Folge werden dem Tatverdächtigen scheinbare Rechtfertigungen für sein Verhalten angeboten, um ihm eine goldene Brücke zu bauen.
"Dafür gehst du viele Jahre weniger in den Knast" „Es werden immer wieder Methoden angewandt, die einer rechtsstaatlichen Vernehmung nicht genügen, aber hingenommen werden “, sagt der bundesweit bekannte Strafverteidiger Ulrich Endres aus Frankfurt. Einst verteidigte Endres den Kindermörder Magnus Gäfgen. Der Fall machte Geschichte, weil der Frankfurter Polizeivizepräsidenten dem Tatverdächtigen bei der Vernehmung Folter androhte, um das Leben des Jungen möglichweise noch retten zu können.
„Es fängt damit an, dass die Müdigkeit des Beschuldigten ausgenutzt wird oder dem Tatverdächtigen falsche Versprechungen gemacht werden“, sagt Endres. Dann fallen gerne mal Sätze wie: "Wenn Sie jetzt was sagen, dann ist es möglich, dass wir Sie dem Haftrichter gar nicht vorstellen." Oder: "Irgendwann kriegen wir dich sowieso. Erleichter dich doch jetzt. Dann können wir aus dem Mord vielleicht einen Totschlag machen. Dafür gehst du viele Jahre weniger in den Knast."
Endres sagt, das sei zwar nicht die Regel, komme gelegentlich aber bei Verfahren vor, bei denen die Ermittlungsbeamten sehr stark unter Erfolgsdruck stünden.
Vom Zeugen zum Verdächtigen "Manchmal werden Beschuldigte erst einmal nur als Zeugen geladen. Ein Anwalt muss bei einer solchen Befragung noch nicht hinzugerufen werden. Im Verlaufe der Vernehmung wird dann ganz plötzlich umgeschwenkt“, erklärt Endres. "In solchen Momenten kann der Betroffene den Ernst der Lage oft gar nicht richtig deuten." „Das wird in manchen Fällen gerne geschickt ausgenutzt."
AdobeStock/iStock/Composing:Sascha Weingartz SICHERHEITSREPORT DEUTSCHLAND Sicherheit ist mehr als ein Gefühl. Sie ist Voraussetzung für Freiheit und Demokratie. Aber Sicherheit ist nicht selbstverständlich. Sie muss jeden Tag verteidigt werden, etwa gegen Extremismus, Terrorismus, Organisierte Kriminalität, Cyberattacken. In einer großen Serie gibt FOCUS Online jenen Menschen eine Stimme, deren Job Deutschlands Sicherheit ist: Polizisten, Soldaten, Katastrophenschützer, Politiker. Wir analysieren, was verbessert werden muss – und zeigen neue Wege in eine sichere Zukunft Deutschlands.
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Manchmal ist es aber auch einfach nur die erdrückende Beweislast, der dann das Geständnis folgt. Nicht selten vergehen Jahre, bis die Fälle aufgeklärt werden können. Aufklärung der Verbrechen Jahrzehnte später Im Fall der ermordeten zehnjährigen Stephanie aus Thüringen dauerte es über 26 Jahre, bis ein 65-jähriger Lastwagenfahrer aus Thüringen den Mord an dem Mädchen gestand. Die Schülerin aus Weimar war im August 1991 aus einem städtischen Park verschwunden, nachdem sie mit einem Unbekannten mitgegangen war. Ihre Leiche wurde zwei Tage später unter der Teufelstalbrücke an der Autobahn 4 gefunden. Der Täter hatte das Mädchen missbraucht und den Leichnam von der Brücke geworfen.
Nach 18 Jahren konnte der Mord an der achtjährigen Johanna Bohnacker aus Ranstadt-Bobenhausen (Hessen) geklärt werden: Ein im Oktober 2017 festgenommener 41-jähriger Mann hatte das Mädchen in sein Auto gezerrt, es sexuell missbraucht und getötet. Vor dem Haftrichter räumte der Beschuldigte den überwiegenden Teil der Vorwürfe ein.
"Muss den Mut aufbringen, die Zeit für sich arbeiten zu lassen" Als Strafverteidiger, sagt Ulrich Endres, habe er absolutes Verständnis, wenn der Beschuldigte - wie im Fall Rebecca - schweigt. "Wenn er nichts sagt, müssen die Ermittler die Beweise liefern. Man muss als Tatverdächtiger den Mut aufbringen, in Haft zu gehen und die Zeit für sich arbeiten zu lassen. Aber genau diese Angst vor der Haft wirkt bei Vernehmungen sehr häufig und deutlich.“
Im Video: Mysteriöses Verschwinden: Die dramatische Suche nach Rebecca
https://www.focus.de/panorama/chronologi...d_10437763.html
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