FASTENZEIT 2. WOCHE - MITTWOCH
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DEN KELCH DES HERRN TRINKEN
Wir können es: der Herr läßt uns nicht im Stich, wenn wir in seiner Nachfolge auf das Kreuz stoßen. Leid und Schmerz - Weg der Erlösung. Kleine Überwindungen im Alltag. »Miterlöser« werden. Dem Nächsten dienen.
I. Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Weg nach Jerusalem. Unterwegs kommt er, nun schon zum dritten Mal, auf sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung zu sprechen. Unweit von Jericho legt der Herr eine Rast ein. Da tritt eine Frau an ihn heran, die Mutter des Jakobus und des Johannes. Matthäus berichtet: Sie fiel vor ihm nieder, weil sie ihn um etwas bitten wollte (...): Versprich, daß meine beiden Söhne in deinem Reich rechts und links neben dir sitzen dürfen.1 Die Antwort des Herrn richtet sich unmittelbar an die zwei Jünger: Ihr wißt nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde? Sie sagten zu ihm: Wir können es.2
Wir erinnern uns an eine andere Stelle des Evangeliums: Doch die Zwölf verstanden das alles nicht; der Sinn der Worte war ihnen verschlossen, und sie begriffen nicht, was er sagte.3 Wahrscheinlich haben die beiden Brüder die Tragweite des Wortes Jesu auch diesmal nicht begriffen. Ihr Wir können es mag naiv und wenig durchdacht gewesen sein, aber aus dieser Antwort spricht eine erfrischende Bereitschaft, alles zu tun, was die Nachfolge mit sich bringen wird. Es ist, als ob sie dem Herrn sagen möchten: Wir kennen dich, und du kennst uns, du wirst uns nicht im Stich lassen, wenn wir etwas wagen.
Die heilige Theresia von Avila zieht eine spirituelle Nutzanwendung aus dieser Episode: »Die göttliche Majestät weiß viel besser, was uns ansteht; es gibt daher keinen Grund, dem Herrn zu raten, was er uns gewähren soll, mit Fug wird er uns sagen können, daß wir nicht wissen, worum wir bitten.«4
Der Dialog zwischen Jesus und den beiden Jüngern vollzieht sich auf verschiedenen Ebenen: Johannes und Jakobus erbitten sich einen Ehrenplatz im kommenden Reich, Jesus aber spricht von der Erlösung, die er in Schmach und Schande vollziehen wird. Er fragt sie, ob sie bereit sind, mit ihm zu leiden. Dabei bedient er sich des jüdischen Bildes des Kelches, das für den Willen Gottes über einen Menschen steht5.
Den Kelch eines anderen zu leeren war Zeichen tiefer Freundschaft und der Bereitschaft, das Schicksal mit dem Freund zu teilen. Nachfolge heißt Bereitschaft zum Trinken des Kelches. Und die Herrlichkeit, an welcher die zwei Jünger teilnehmen wollen, ist nur durch Kreuzesteilnahme zu erlangen.
Seid ihr bereit, mit mir zu leiden? Könnt ihr mit mir den Kelch trinken? Wir können es, antworteten die beiden Apostel. Jakobus starb wenige Jahre später, Herodes ließ ihn enthaupten6. Johannes erlitt aus Liebe zum Herrn Leid und Verfolgung. »Auch uns ruft er, auch uns fragt er, wie er Jakobus und Johannes gefragt hat: Potestis bibere calicem, quem ego bibiturus sum? (Mt 20,22). Könnt ihr den Kelch trinken - diesen Kelch der vollkommenen Ergebenheit in den Willen des Vaters -, den ich trinken werde? Possumus! (Mt 20,22). Ja, wir können es!, antworten Johannes und Jakobus. Ihr und ich, sind wir ernsthaft bereit, in allem den Willen unseres Vaters zu erfüllen? Haben wir dem Herrn das ganze Herz hingegeben? Oder kleben wir noch an uns selbst, unserem Eigennutz, unserer Bequemlichkeit, unserer Eigenliebe? Ist da noch etwas in uns, das unserem Christsein nicht entspricht, und woran liegt es, daß wir uns nicht läutern wollen? Heute haben wir Gelegenheit, dies abzulegen.«7
II. Ein Kirchenvater kommentiert die Reaktion des Herrn auf die mütterliche Bitte so: »Jesus wußte sehr wohl, daß sie stark genug waren, ihm auf seinem Kreuzweg nachzufolgen. Aber er stellte ihnen diese Frage unseretwegen, damit wir erfahren, daß niemand mit Jesus herrschen kann, wenn er nicht zuvor denselben Weg gegangen ist wie er; Dinge von hohem Wert nämlich sind nur zu einem hohen Preis zu erwerben.«8 Mit anderen Worten: Es gibt kein christliches Leben ohne das Kreuz. »Der Herr hat uns erlöst durch das Kreuz; mit seinem Tod hat er uns die Hoffnung zurückgegeben, das Recht auf Leben. Wir können daher Jesus nicht preisen, wenn wir ihn nicht als unseren Erlöser anerkennen, wenn wir ihm nicht im Geheimnis des Kreuzes unsere Ergebung bezeugen ... Der Herr verwandelte den Schmerz in ein Werkzeug der Erlösung; mit seinem Schmerz hat er uns unter der Voraussetzung errettet, daß wir nicht davor zurückscheuen, unseren Schmerz mit dem seinen zu vereinen und so aus beiden zusammen ein Werkzeug der Erlösung zu machen.«9
Das Leiden Christi läßt eigenes Leid zur Teilhabe am Werk der Erlösung werden. Was zuvor sinnlos erschien, erhält in Christus jetzt Sinn. Von da her ahnen wir die Tragweite der paulinischen Worte: Das alles erdulde ich um der Auserwählten willen, damit auch sie das Heil in Christus Jesus und die ewige Herrlichkeit erlangen.10
In der Fastenzeit stehen uns Abtötung und Buße deutlicher als sonst vor Augen, da wir des erlösenden Leidens unseres Herrn gedenken. Wir trinken den Kelch, den er trinken wird und der zum Kelch des Segens11 für alle Menschen werden wird. Die Worte der Konzilskonstitution »Gaudium et Spes« über die Mühsal menschlicher Arbeit gelten noch eindringlicher für Leid und Schmerz: »Durch seine Gott dargebrachte Arbeit verbindet der Mensch sich mit dem Erlösungswerk Jesu Christi selbst«12. Freiwillige kleine Abtötungen und das Ertragen unerwarteter Mißlichkeiten lassen uns am Erlösungsgeschehen teilhaben. Wir werden zu Mitträgern des Kreuzes Christi, in seiner Kraft zu Miterlösern unter ihm.
Dabei sind wir selbst die ersten Nutznießer. Denn die freiwillige Abtötung bedeutet Läuterung, und die ist unverzichtbar für ein kontinuierliches Gebet und für ein apostolisches Wirken, denn »das Tun ist ohne das Gebet nichts wert: das Gebet wird wertvoller durch das Opfer.«13
Buße und Abtötung entzünden sich an den ganz normalen, nur selten an außergewöhnlichen Situationen des Alltags. »Buße heißt, den Stundenplan genau zu erfüllen, den du dir vorgenommen hast, auch wenn das dem Leib widerstrebt oder wenn deine Gedanken in utopische Träume flüchten möchten. Buße heißt, zur festgesetzten Zeit aufzustehen. Buße heißt auch, eine schwierige, mühevolle Arbeit nicht ohne Grund auf später zu verschieben.
Zur Buße gehört, daß du deine Pflichten gegen Gott, gegen deine Mitmenschen und gegen dich selbst miteinander zu vereinbaren verstehst, indem du dich so forderst, daß du die nötige Zeit für die jeweilige Aufgabe findest. Du bist ein Büßer, wenn du dich der für das Gebet eingeplanten Zeit in Liebe unterwirfst, magst du dich auch erschöpft, lustlos oder innerlich kalt fühlen.
Buße heißt, ein Höchstmaß an Nächstenliebe im Umgang mit deinen Mitmenschen zu zeigen, ganz besonders denen gegenüber, die dir nahestehen. Buße heißt, zartfühlend zu sein mit den Trauernden, den Kranken, den Leidgeprüften und geduldig mit Menschen, die dir lästig fallen oder ungelegen kommen. Buße heißt, daß wir unsere Planungen umwerfen oder verschieben, wenn die Umstände es erfordern, und vor allem, wenn dies den guten, vernünftigen Anliegen unserer Mitmenschen zugute kommt.
Zur Buße gehört, daß wir mit guter Laune den tausend kleinen Widerwärtigkeiten des Alltags begegnen; daß wir unsere Beschäftigung nicht aufgeben, auch wenn der freudige Schwung des Anfangs sich nicht mehr einstellen will; daß wir dankbar essen, was auf den Tisch kommt, und uns diesbezüglich Extravaganzen versagen.
Für die Eltern und überhaupt für alle, die eine leitende oder erzieherische Aufgabe haben, bedeutet Buße, daß sie zurechtweisen, wenn es nötig ist, nachdem sie die Art des Fehlers und die persönlichen Voraussetzungen dessen, dem sie helfen wollen, berücksichtigt haben, ohne sich von albernen und sentimentalen subjektiven Erwägungen beirren zu lassen.
Der Geist der Buße führt dazu, daß wir uns nicht von Kolossalgemälden zukünftiger Pläne fesseln lassen, an denen wir innerlich mit genialem Pinsel arbeiten möchten. Wie freut sich Gott, wenn wir es fertigbringen, auf das Gekritzel und Gestrichel eines kleinen Gernegroß zu verzichten und ihm Pinselführung und Farbtöne zu überlassen.«14
III. Die übrigen Jünger wurden ärgerlich über das Gespräch zwischen Jesus und den beiden Brüdern. Jesus sagte daraufhin zu ihnen: Ihr wißt, daß die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen mißbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.15
Wieder einmal wird die Verhaltensregel, die Christus seinen Jüngern gibt, mit einem Hinweis auf ihn, den Menschensohn, veranschaulicht. Höhepunkt seines Dienstes an den Menschen ist das Kreuz, doch auch jeder Augenblick seines Lebens im Dienste der Bedürftigen - und jeder Mensch ist ein Bedürftiger - ist Erlösung. Und das gilt auch für uns: Wenn wir ein Gespür für das Göttliche besitzen, wird alles, selbst das scheinbar Belanglose, von dem Willen geprägt sein, anderen zu helfen, ihnen zu dienen, Tag für Tag. Unser Dienst darf nicht dort haltmachen, wo mit Dank oder Gegenleistung nicht zu rechnen ist. Ja, es ist dies geradezu die sinnvollste Art und Weise, auf Christus schauend das Leben hinzugeben für andere: ihnen unauffällig und wirksam zu Diensten sein. Gleichzeitig bekämpfen wir so die Ichsucht in uns und entdecken eine ganz neue Art der Freude.
Die Haltung des Dienens ist ohnehin in zahlreichen Berufen vorgegeben: Hausfrauen, Ärzte oder Lehrer leisten einen unmittelbaren Dienst für andere. In anderen Berufen mag dies nicht so deutlich hervortreten; möglich ist es aber und nötig, wenn wir die Arbeit wirklich zum Mittel der eigenen Heiligung und der Heiligung unserer Mitmenschen werden lassen wollen.
Die Haltung des Dienens setzt die Gegenwart Gottes voraus. Denn vor Gott fällt die Selbstüberwindung, in Form kleiner Abtötungen, leichter. Menschen, die nur ihr eigenes Vorankommen im Auge haben, mögen dies nicht verstehen. Und doch wissen wir Christen, daß wir besser als sie abschneiden: nicht nur weil wir in der Nachfolge Christi stehen, sondern auch weil wir dabei zahlreiche natürliche Tugenden üben, die uns menschlich bereichern.
Mit Christus gemeinsam und um Christi willen zu dienen heißt, mit ihm zu herrschen. Maria, die ganz für ihren Sohn und den heiligen Josef da war, möge uns helfen, Diener der anderen zu sein.
1 Mt 20,21-22. - 2 Mt 20,22. - 3 Lk 18,34. - 4 Theresia von Avila, Die innere Burg, 11,8. - 5 vgl. Ps 16,5. - 6 vgl. Apg 12,2. - 7 J. Escrivá, Christus begegnen, 15. - 8 Johannes Chrysostomos, Homilien über das Matthäusevangelium, 35. - 9 Paul VI., Ansprache, 24.2.1967. - 10 2 Tim 2,10. - 11 vgl. Jes 51,17-22. - 12 II. Vat. Konz., Konst. Gaudium et Spes, 67. - 13 J. Escrivá, Der Weg, Nr. 81. - 14 ders., Freunde Gottes, 138. - 15 Mt 20, 24-28.
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