FASTENZEIT 2. WOCHE - FREITAG
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DIE SÜNDE VERABSCHEUEN
Jede Sünde steht in geheimnisvoller Beziehung zum Leiden Christi. Verlust des Sündenbewußtseins. Gefährlichkeit der läßlichen Sünden. Sie fördern die Lauheit. Auch kleine Sünden als Sünde erkennen. Aufrichtigkeit. Gewissenserforschung. Reue.
I. Gott hat uns geliebt und seinen Sohn gesandt als Sühne für unsere Sünden.1 Die Liturgie der Fastenzeit führt uns nach und nach hin zur Mitte des Mysteriums der Erlösung. Sie stellt uns Gestalten des Alten Testaments vor, in denen wir schattenhaft den Erlöser ahnen können. Heute hören wir in der ersten Lesung der heiligen Messe die Geschichte vom alttestamentlichen Patriarchen Josef. Der Verrat seiner Brüder an ihm wurde - nach dem Plan der göttlichen Vorsehung - zur Vorstufe des Heils für die Stämme des auserwählten Volkes2. Er ist Sinnbild für Christus, den Erlöser.
Josef war der Lieblingssohn Jakobs. Auf dessen Geheiß hin macht er sich auf die Suche nach seinen Brüdern, er soll ihnen einen Gruß des Vaters und etwas zu essen bringen. Die Brüder - neidisch, weil der Vater ihn bevorzugte - planen, ihn umzubringen; schließlich verkaufen sie ihn stattdessen als Sklaven. Gott bedient sich dieses Umstandes, damit Josef nach Ägypten gelangt, wo er Jahre später ein hoher Beamter werden soll. Während einer Hungersnot wird er, in der Freiheit seines Herzens, zum Retter seiner Brüder. Die israelitischen Stämme lassen sich in Ägypten nieder, das zur Wiege des auserwählten Volkes wird. Wenn jemand sich mit einer Bitte an den Pharao wendet, antwortet dieser: Geht zu Josef.
Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf3, heißt es bei Johannes. Christus schildert dieses Verhalten anhand eines dramatischen Gleichnisses: Ein Gutsbesitzer schickt den Winzern, denen er das Land verpachtet hat, zahlreiche Boten, um seinen Anteil am Weinberg einzufordern. Sie werden mißhandelt und verjagt: Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben. Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie zueinander: Das ist der Erbe. Auf, wir wollen ihn töten, damit wir seinen Besitz erben. Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten ihn um.4 Später sollte das Gleichnis Jesu Wirklichkeit werden.
Die Sünden der Menschen waren die Ursache für den Tod des Herrn. Jede Sünde steht in geheimnisvoller Beziehung zu seinem Leiden. Nur wenn wir im Lichte der Gnade auf das Mysterium der Erlösung schauen, sind wir in der Lage zu erkennen, was Sünde und wie verwerflich sie ist. Erst dann geht uns ein Licht auf: wir brauchen Läuterung, Sühne, Reue. Dies ist die ständige Botschaft der Kirche, besonders in dieser Fastenzeit.
Am Anfang unserer Bereitschaft umzukehren steht der Wille, standhaft jede Sünde abzuwehren und auch alle Umstände zu meiden, die uns in Gefahr bringen könnten, Gott zu beleidigen. Die sittliche Erneuerung, deren die Welt so sehr bedarf, geht von der tiefen Überzeugung aus, »daß es für dich auf der Erde nur ein Übel gibt, das du fürchten und mit der Gnade Gottes vermeiden mußt: die Sünde.«5 »Der Verlust des Sündenbewußtseins ist eine Form oder eine Frucht der Verneinung Gottes nicht nur in ihrer atheistischen, sondern auch in ihrer säkularistischen Spielart. Wenn Sünde ein Abbruch der Kindesbeziehung zu Gott ist, um die eigene Existenz aus dem Gehorsam ihm gegenüber herauszunehmen, dann ist Sündigen nicht nur eine Verneinung Gottes. Sündigen ist auch, so zu leben, als ob er nicht existiere; Sündigen ist, ihn aus dem eigenen Alltag zu beseitigen«6.
Wir wollen mehr und mehr in unseren Sünden den geheimnisvollen Zusammenhang mit Christi Leiden sehen: »Tu meine Augen auf, rühre mein Herz an, daß ich sehe und tief inne werde, wie groß deine Liebe zu mir ist: daß ich mich mit ganzer Seele zu dir wende, mein Erlöser, und von der Sünde lasse, die dir so bittere Schmerzen gebracht hat.«7
II. Das Bemühen um persönliche Umkehr muß uns allmählich in Fleisch und Blut übergehen. Und es gibt bestimmte Zeiten und Umstände, wie jetzt die Fastenzeit, die für uns besondere Gnaden Gottes bereithalten. Unser Kampf gegen die Sünde kann dann bewußter werden, das Bemühen um gute Werke beharrlicher.
Wir erfassen die Verwerflichkeit der Sünde viel konkreter, wenn wir bedenken, wieviel Jesus Christus wegen unserer Vergehen gelitten hat. Gott hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht8, schreibt der heilige Paulus. Es beginnt mit der unaussprechlichen Todesangst in Getsemani: »Auf dem harten Boden kniend, harrt er aus im Gebet. - Er weint um dich ... und um mich: die Sünden der Menschen lasten schwer auf ihm.«9 Die Betrachtung dieses Augenblicks im Leben des Herrn mag uns besonders dann helfen, wenn Versuchungen uns bedrängen.
Das Wachsen im geistlichen Leben hängt von der Haltung ab, die wir der läßlichen Sünde gegenüber einnehmen. Die Sünden, die wir als harmlos ansehen, fügen in Wirklichkeit der Seele großen Schaden zu, da sie sie stumpf und gleichgültig werden lassen gegenüber den Eingebungen und Anstößen des Heiligen Geistes. Läßliche Sünden beeinträchtigen das Gnadenleben, erschweren das Bemühen um die Tugenden und ebnen nach und nach der schweren Sünde den Weg. In einem geistlichen Buch heißt es über die gewohnheitsmäßigen läßlichen Sünden: »Viele Fromme sind fast dauernd in >kleinen< Dingen untreu und ungenau; sie sind ungeduldig, lieblos in Gedanken, Urteilen und Worten, im Reden und Sichgeben, sie sind schlaff und träge in religiösen Dingen, unbeherrscht, zu frei im Reden und gehen leichtfertig mit dem Rufe des Nächsten um. Sie wissen um ihre Fehler und Untreuen. Sie klagen sich wohl auch darüber in der heiligen Beichte an. Aber sie bereuen sie nicht ernst und wenden die Mittel nicht an, mit denen sie diesen Sünden vorbeugen könnten. Sie beachten nicht, daß jede dieser Untreuen und Sünden wie ein Mühlstein um ihren Hals ist, der sie niederzieht. Sie beachten nicht, wie sie anfangen, nur mehr rein natürlich-menschlich zu denken, wie sie nur noch aus rein natürlichen Beweggründen handeln, wie sie den Anregungen der Gnade gewohnheitsmäßig widerstehen und die Gnaden mißbrauchen. Und die Folgen davon? Die Seele büßt den Glanz ihrer Schönheit ein. Gott zieht sich von ihr mehr und mehr zurück. Sie findet nach und nach zu Gott nicht mehr das Verhältnis wie ehedem. Sie erkennt ihn nicht mehr als den liebenden Vater, dem sie in kindlicher Zärtlichkeit verbunden ist. Es ist etwas zwischen sie und Gott getreten.«10 Die Seele gerät auf den abschüssigen Pfad der Lauheit.
Wie läßt sich diese Gefahr bannen? Indem wir auch jene Beleidigungen Gottes zu meiden suchen, die geringfügig erscheinen. »Du tust mir leid, wenn du keinen Schmerz über deine läßlichen Sünden verspürst. - Erst dann beginnst du wirklich inneres Leben zu haben.«11 »Bitte für uns Sünder« heißt es im Gebet der Kirche zur Muttergottes. Ihre Fürbitte möge uns empfänglicher für eine Liebe werden lassen, die nicht nur die schwere Sünde, sondern auch die bewußte läßliche Sünde verabscheut.
III. »Das echte Sündenbewußtsein wieder neu zu formen, das ist die erste Weise, um die schwere geistige Krise, die den Menschen unserer Zeit bedrückt, anzugehen.«12
Nur wenn wir die läßliche Sünde als wirkliche Sünde, d.h. als eine Gott zugefügte Beleidigung, erkennen, finden wir die Kraft, uns gegen sie zu wehren. Denn wir sehen dann, daß auch sie die Nähe zu Gott beeinträchtigt. Haben wir also den Mut, auch Geringfügigkeiten beim Namen zu nennen, ohne Umschweife, ohne Verharmlosung: erste Anwandlungen von Jähzorn oder Neid, das noch unklare Gefühl einer Unordnung im sinnlichen Empfinden, den scheinbar harmlosen Wunsch, im Mittelpunkt eines Gespräches zu stehen, das Kreisen um sich selbst, das uns für die Sorgen anderer taub macht, eine routinierte Frömmigkeit, Vorurteile ... Nennen wir dies Sünde, und nicht bloß unvermeidliche Unzulänglichkeiten. »Wessen Seele einen gesunden Geruchssinn hat« sagte der heilige Augustinus, »der wird den widerlichen Gestank der Sünde wahrzunehmen wissen.«13
Nur mit der Hilfe des Heiligen Geistes ist es möglich, unsere Fehler und Sünden wirklich einzusehen, mit wachem Gewissen, mit dem Wunsch nach Vergebung. Der Heilige Geist schenkt uns eine aufrichtige Reue über unsere Fehler und Sünden. Er hilft uns, die Gewöhnung zu überwinden, besonders wenn wir im Sakrament der Beichte die göttliche Barmherzigkeit erfahren. Der heilige Franz von Sales gibt den Rat: »Sorge dich darum, wirklich Schmerz zu empfinden über die Sünden, die du beichtest, so leicht sie auch sein mögen, und nimm dir fest vor, dich zu bessern. Es gibt viele, die wertvollen Besitz und erheblichen geistlichen Nutzen preisgeben. Weil sie nämlich ihre läßlichen Sünden nur aus Gewohnheit und Pflichtgefühl beichten, ohne die Absicht sich zu bessern, verharren sie ihr ganzes Leben unter der Last dieser Sünden.«14
Maria ist Zuflucht der Sünder. Wir empfehlen uns ihrer Fürbitte, damit wir ein waches Gewissen haben - feinfühlig in der Liebe zu Christus und zu allen Menschen, aufrichtig in der Beichte, mutig beim reuigen Eingeständnis unserer Verfehlungen, auch der kleinen.
1 Kommunionvers. 1 Joh 4,10. - 2 vgl. Gen 37,3-4.12-13.17-28. - 3 Joh 1,11. - 4 Evangelium der Messe vom Tage. Mt 21,33-43.45-46. - 5 J. Escrivá, Der Weg, Nr. 386. - 6 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Reconciliatio et Paenitentia, 2.12.1984, 18. - 7 R. Guardini, Der Kreuzweg unseres Herrn und Heilandes, Mainz 1967, S.23. - 8 2 Kor 5,21. - 9 J. Escrivá, Der Rosenkranz, Die Todesangst im Ölgarten. - 10 B. Baur, Still mit Gott, Krefeld 1957, S.60. - 11 J. Escrivá, Der Weg, Nr. 330. - 12 Johannes Paul II., Apost. Schreiben Reconciliatio et Paenitentia, 2.12.1984, 18. - 13 Augustinus, Erklärung der Psalmen (37). - 14 Franz von Sales, Philothea, II,19.
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