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  • 26.04.2013 10:42 - WIE DAS EVANGELIUM LESEN?
von Hildegard Maria in Kategorie Allgemein.

OSTERZEIT
4. WOCHE - FREITAG

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WIE DAS EVANGELIUM LESEN?

Das Evangelium: Begegnung mit dem geoffenbarten Mysterium Gottes.
Das Leben Christi im Kopf und im Herzen tragen.
Sich ins Evangelium hineinversetzen, den Heiligen Geist wirken lassen.


I. Wir nennen die Überlieferung dessen, was sich mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes unter uns ereignet und erfüllt hat1, Evangelium, Frohe Botschaft. Nach dem Sinn unseres Lebens fragend, finden wir dort die sichere Antwort, denn sie kommt von dem, der der Weg, die Wahrheit und das Leben2 ist. Das Evangelium als »Hauptzeugnis für Leben und Lehre des fleischgewordenen Wortes, unseres Erlösers«3, gibt uns nicht lediglich historische Auskunft, sondern bedeutet - mit Worten des heiligen Paulus4 - die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, (die) alles übertrifft. Der in ihm begründete christliche Glaube ist »= 3, gibt uns nicht lediglich historische Auskunft, sondern bedeutet - mit Worten des heiligen Paulus - die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, (die) alles übertrifft4. Der in ihm begründete christliche Glaube ist nicht etwa eine Weltanschauung mit religiösem Hintergrund, auch nicht ein religiöses oder theologisches Lehrsystem oder Moralgesetz, sondern es ist Mysterium im paulinischen Sinn, das heißt eine Offenbarung Gottes an die Menschheit durch gottmenschliche Taten, voll Leben und Kraft.«5

Deshalb reichen weder ein allgemeines Bescheidwissen als Bestandteil menschlicher Allgemeinbildung noch auch eine tiefergehende Kenntnis durch bloßes Nachdenken aus. »Das Leben Jesu muß sich in unserem eigenen Leben wiederholen, indem wir Christus kennenlernen: durch Lesen und immer wieder Lesen, durch Meditieren und immer wieder Meditieren der Heiligen Schrift.«6 Nötig ist eine Kenntnis, die wir engagiert nennen könnten, weil es ihr um das Ganze des Lebens geht: »Es genügt nicht, ein allgemeines Bild von Christus zu haben, wir müssen vielmehr aus seiner Haltung und seinen Reaktionen lernen. Und vor allem müssen wir seinen Erdenwandel betrachten und seinen Spuren nachgehen, um Kraft, Licht, Gelassenheit und Frieden daraus zu schöpfen.

Wenn man einen Menschen liebt, möchte man alles, selbst die kleinsten Details über ihn wissen, um sich mit ihm identifizieren zu können. Darum müssen wir die Lebensgeschichte Jesu betrachten, von der Geburt in einer Krippe bis zu seinem Tod und seiner Auferstehung.«7

In den vier Evangelien verdichtet sich die gesamte Heilige Schrift, denn alles im Alten Testament war auf ihn - auf Christus - hingeordnet, und alle anderen Bücher im Neuen Testament gehen von ihm - von Christus - aus. Besonders von den Evangelien gilt, was in der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die göttliche Offenbarung steht: »In den Heiligen Büchern kommt ja der Vater, der im Himmel ist, seinen Kindern in Liebe entgegen und nimmt mit ihnen das Gespräch auf«8 Die Lektüre des Evangeliums, die »Seelenspeise und reiner, unversiegelter Quell des geistlichen Lebens«9 ist, soll deshalb eine liebende, betende Lektüre sein, wie es einem Werk entspricht, dessen Urheber Gott ist.

Das betende Betrachten des Evangeliums erfordert Glauben, denn da spricht die reine Wahrheit zu uns, und Ehrfurcht, denn es ist Gottes Wort, sowie ein Gespür für das Heilige, denn es sind Worte des Heils. Unter dem Beistand des Heiligen Geistes hat die Kirche den Schatz des Lebens Christi auf Erden unversehrt durch die Jahrhunderte weitergegeben, damit wir darin den Weg zur Heiligkeit finden. In dem Maße, in dem der Wunsch nach Gemeinschaft mit Gott in uns wächst, erschließt sich uns das Evangelium. Fragen wir uns also: Sind wir bestrebt, Tag für Tag tiefer in das Geheimnis der Menschwerdung unseres Herrn einzudringen? Bitten wir den Heiligen Geist vor der Lektüre des heiligen Buches um das Feuer seiner Liebe?

II. Lieben kann man nur, was man gut kennt. Deshalb ist es nötig, das Leben Christi »ganz im Kopf und im Herzen zu tragen, damit wir es in jedem Augenblick ohne Hilfe eines Buches mit geschlossenen Augen vor unserem inneren Blick wie einen Film vorbeiziehen lassen können. Die Worte und Taten des Herrn werden uns auf diese Weise in den verschiedenen Situationen unseres Lebens begleiten.

So werden wir sein Leben mitleben. Denn es geht nicht nur darum, an Jesus zu denken, uns diese oder jene Szene zu vergegenwärtigen. Wir müssen uns vielmehr in sie hineinversetzen, und als Teilnehmer des Geschehens werden wir dann Christus so nahe folgen wie Maria, seine Mutter, wie die ersten Zwölf, wie die frommen Frauen und die Menge, die ihn umdrängte. Wenn wir so handeln und Christus keine Hindernisse in den Weg legen, werden uns seine Worte bis ins Innerste durchdringen und umwandeln.«10

Wir schlagen das Evangelium mit dem Wunsch auf, Christus sehr aufmerksam, wie seine Jünger damals, zu betrachten: wie er in dieser oder jener Situation reagierte, warum er mit diesem Menschen so und mit jenem anderen anders sprach, wie er sich der Bedürftigen und Notleidenden erbarmte, wie er sich nach langer Wanderung müde fühlte und unter Freunden Erholung suchte, wie er den Glauben einfacher Menschen pries, wie er geduldig die Schwerfälligkeiten seiner Jünger ertrug. Und immer wieder werden wir beobachten, wie er tagsüber und nächtelang das Gespräch mit dem Vater sucht, dankend, vertrauend, bittend. Wir lernen so den Umgang mit Gott und mit den Menschen und entdecken in den Bildern des Evangeliums uns selbst: als Arbeiter im Weinberg und als Knechte auf dem Acker des Herrn, als Hirten, Bauern und Stadtmenschen, denn das alles sind wir in den Gleichnissen. Wir lernen Umgang mit der Schönheit der Natur, den Vögeln am Himmel und den Blumen auf dem Feld, mit den Dingen des Alltags, mit Arbeit, mit Leid. Vor allem aber lernen wir beten. Deswegen ermahnt das Zweite Vatikanische Konzil alle an Christus Glaubenden, »besonders eindringlich, durch das häufige Lesen der Heiligen Schrift sich das >alles übertreffende Wissen Jesu Christi< (Phil 3,8) anzueignen. >Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen< (Hieronymus). Sie sollen deshalb gern an den heiligen Text selbst herantreten, einmal in der mit göttlichen Worten gesättigten heiligen Liturgie, dann in frommer Lesung.«11

»Laß uns aus deiner Kraft leben und unter deinem beständigen Schutz geborgen sein«12, erbitten wir heute vom Herrn im Tagesgebet der heiligen Messe. So schwer ist das nicht: »Ich habe dir geraten, jeden Tag einige Minuten im Neuen Testament zu lesen und dich, gleichsam selbst beteiligt, in jede der einzelnen Szenen hineinzuversetzen. Auf diese Weise kannst du das Evangelium in deinem Leben sozusagen >Fleisch und Blut< werden lassen, kannst es erfüllen und auch andere dahin bringen, es zu erfüllen.«13

III. Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit hat er zu uns gesprochen durch den Sohn.14 Seitdem der Sohn gesprochen hat, steht jede Stunde der Menschheitsgeschichte im Zeichen der Endzeit, der Vollendung - auch jede Stunde meines Lebens. Das ist der Kern der Frohen Botschaft. Das Wort des Sohnes bleibt Stunde für Stunde brandaktuell: lebendig (...) kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert.15 Es gilt allgemein, ohne deshalb abstrakt zu sein, denn es richtet sich an jeden einzelnen: es dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark.16 Es offenbart uns als wahres Licht, das jeden Menschen erleuchtet17, Sinn und Wert unseres Lebens und richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens18.

Manchmal werden wir uns in einer der Gestalten des Evangeliums wiederfinden, im verlorenen Sohn, der traurig-froh zum Vater heimkehrt, oder im verirrten Schaf, dem die Sorge des Hirten gilt. Manchmal wird uns ein Wort oder eine Begebenheit besonders ansprechen, die uns dann zu einem den Tag prägenden Stoßgebet des Dankes, der Bitte oder der Reue inspirieren. Vor allem aber liefert das Evangelium den Stoff für unsere festen Gebetszeiten, die ja so nötig sind, will man ein kontemplatives Leben mitten in der Welt führen. »Jeder Gläubige kann und muß aus den verschiedenen Formen und dem Reichtum des christlichen Gebetes, wie es die Kirche lehrt, seinen eigenen Weg und seine eigene Gebetsmethode herausfinden; doch fließen alle diese persönlichen Wege am Ende in jenen Weg zum Vater zusammen, als der sich Jesus Christus bezeichnet hat. Beim Suchen nach dem eigenen Weg soll sich der einzelne daher nicht so sehr von seinem persönlichen Geschmack als vielmehr vom Heiligen Geist leiten lassen, der ihn durch Christus zum Vater führt.«19

Die Betrachtung des Evangeliums unseres Herrn führt uns in das Mysterium seines Lebens. Es ist besonders wichtig, sein Leben als Geheimnis der Liebe Gottes zu sehen, reich und nie auszuloten, aber nicht willkürlich interpretierbar: »Die Liebe Gottes, einziger Gegenstand der christlichen Kontemplation, ist eine Wirklichkeit, deren man sich mit keiner Methode oder Technik >bemächtigen< kann; ja, wir müssen den Blick immer auf Jesus Christus gerichtet halten, in dem die göttliche Liebe für uns am Kreuz so weit gegangen ist, daß sie auch die Gottverlassenheit auf sich genommen hat (vgl. Mk 15,34). Wir müssen also Gott die Entscheidung darüber überlassen, wie er uns an seiner Liebe teilhaben lassen will. Wir dürfen aber nie irgendwie versuchen, uns mit dem betrachteten Gegenstand, der freien Liebe Gottes, auf eine Stufe zu stellen; auch dann nicht, wenn uns durch die Barmherzigkeit Gottes des Vaters, durch den in unsere Herzen gesandten Heiligen Geist in Christus aus Gnade ein spürbarer Widerschein dieser göttlichen Liebe geschenkt wird und wir uns von der Wahrheit, Güte und Schönheit des Herrn gleichsam angezogen fühlen.«20

Wir überlassen es Gott, wie er durch die Lektüre des Evangeliums auf unser Leben einwirken will. Aber wir können dieses Wirken vorbereiten und erleichtern, indem wir nach einem besonders passenden Augenblick für die tägliche Lektüre suchen. Die kurze Lektüre bereits am Morgen kann uns eine konkrete, einfache Anregung für den beginnenden Tag mit auf den Weg geben, die so unsere Gottesgegenwart, unseren Umgang mit den Menschen, unsere Arbeit oder unsere Stimmung grundiert. Schritt für Schritt können die Worte des seligen Josemaría Escrivá im »Weg« in uns Gestalt annehmen: »Wären doch dein Verhalten und deine Worte so, daß jeder, der dich sieht oder mit dir spricht, unwillkürlich dächte: Der da beschäftigt sich mit dem Leben Jesu.«21

1 vgl. Lk 1,1. - 2 Joh 14,6. - 3 II.Vat.Konz., Konst. Dei Verbum, 18. - 4 Phil 3,8. - 5 Odo Casel, Das christliche Kultmysterium, Regensburg 1932, S.25. - 6 J.Escrivá, Christus begegnen, 14. - 7 ebd., 107. - 8 II.Vat.Konz., Konst. Dei Verbum, 21. - 9 ebd. - 10 J.Escrivá, Christus begegnen, 107. - 11 II.Vat.Konz., a.a.O., 25. - 12 Tagesgebet. - 13 J.Escrivá, Die Spur des Sämanns, Nr.672. - 14 Hebr 1,1. - 15 Hebr 4,12. - 16 ebd. - 17 Joh 1,9. - 18 Hebr 4,12. - 19 Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der christlichen Meditation, 15.10.1989, 29. - 20 Kongregation für die Glaubenslehre, a.a.O., 31. - 21 J.Escrivá, Der Weg, Nr.2.



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