„Ich sehe keine Zukunft" – Iraks geflohene Christen haben kaum noch Hoffnung auf Rückkehr in ihre Heimat
ERBIL – Der August 2014 hat den Irak verändert – wohl für immer: Über 120 000 Christen mussten vor den Terrorkriegern des „Islamischen Staats“ (IS) fliehen. Seither leben viele als mittellose Flüchtlinge inner- oder außerhalb des Irak. Eine Hoffnung auf Rückkehr haben sie kaum noch.
Ein Beispiel ist der 22-jährige Rami. „Ich sehe noch immer den Schrecken auf den Gesichtern der Menschen. Sie hatten Angst um ihr Leben. Sie dachten, dass der IS sie töten würde. Mir ging es auch so. Ich wusste nicht, ob ich den nächsten Tag erleben würde.“ Heute lebt der junge Christ im „Mar Elia Center“, einem Flüchtlingslager in Erbil, der Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Hierher sind die meisten Christen geflüchtet. Christen entführt
„Ich komme aus Mossul“, erzählt Rami. „Wir verließen die Stadt schon im Januar 2014, weil die Sicherheitslage so schlecht war. Dschihadisten entführten Christen. Man musste um sein Leben fürchten.“ Mit seinen Eltern und seiner Schwester ging Rami nach Karakosch, der größten christlichen Stadt im Irak. Dort mieteten sie ein Haus.
Im August wurden sie erneut zu Flüchtlingen. Rami erinnert sich, wie eines Morgens das Gefechtsfeuer stärker wurde. „Als wir sahen, dass die kurdischen Soldaten abzogen, die uns bislang verteidigt hatten, war uns klar, dass wir auch gehen mussten. Es stand ja niemand mehr zwischen uns und dem IS. Die Menschen waren in Panik. Viele rannten einfach los, um sich in Sicherheit zu bringen. In der Hektik habe ich sogar meinen Ausweis vergessen.“
Rami floh mit seiner Familie im Auto seines Cousins. In der Nacht kamen sie in Erbil an. Die Stadt war voll mit tausenden Flüchtlingen. „Wir mussten im Garten der Mar-Elia-Kirche schlafen – unter freiem Himmel. Dann wurden wir in einer Parkgarage untergebracht. Nach ein paar Wochen kamen wir dann wieder in das ,Mar Elia Center‘. Bald konnten wir in ein einfaches Zelt einziehen.“
Heute wohnt Rami wie hunderte andere Menschen in einem Wohncontainer, der mit Hilfe von „Kirche in Not“ angeschafft werden konnte. Ein Jahr nach seiner Ankunft in Erbil hat er keine Hoffnung mehr, bald in seine Heimat zurückkehren zu können. „Ich habe weder zur Regierung noch zur Armee meines Landes Vertrauen. Sie haben dem IS einfach Mossul und die anderen Orte überlassen.“ Aber das Problem geht für Rami tiefer. „Wir Christen haben hier keine Rechte und keine Sicherheit. Außerdem führen Schiiten und Sunniten Krieg gegeneinander. Ich will weg, lieber heute als morgen. Ich sehe keine Zukunft für mich im Irak. Mein Eindruck ist, dass die meisten Christen gehen wollen.“
Gerne würde Rami in den Westen. Aber dazu muss er sich bei den Vereinten Nationen als Flüchtling in einem der Nachbarländer registrieren lassen. Der Weg dorthin und eine Anerkennung als Flüchtling können lange dauern. Das können sich Rami und seine Familie nicht leisten: „Im Libanon, in der Türkei oder in Jordanien dürfen wir nicht arbeiten. Oft dauert es aber Jahre bis man ausreisen darf. Man muss solange vom Ersparten leben. Das haben wir aber nicht.“
„Es waren traurige Tage“
Unvergesslich ist der August 2014 auch für Schwester Sanaa. Die Oberin der Kongregation der Töchter vom heiligsten Herzen Jesu erinnert sich: „Wir Schwestern waren in Erbil und bereiteten uns auf Exerzitien vor. Da hörten wir von den Ereignissen in Karakosch und Umgebung. Wir fragten den Erzbischof, was wir tun sollten. Er meinte, dass wir unsere Exerzitien durchführen sollten. Es waren sehr traurige Tage für uns. Wir haben viel gebetet für die Menschen, die nach Erbil geströmt sind.“
Als die Schwestern von den Exerzitien zurückkamen, sahen sie die Flüchtlinge auf der Straße liegen. Kirchen, Schulen und andere öffentliche Gebäude waren bereits überfüllt. Schnell begannen die Schwestern, den Menschen zu helfen.
Ein Jahr später schaut Schwester Sanaa traurig zurück. „Je länger diese Situation dauert, desto größer werden die Leiden der Menschen. Für mich ist die Lage schlimmer als noch vor einigen Monaten: Die Hoffnung stirbt.“ Die Ordensfrau setzt deshalb ganz auf das Gebet. „Wir als Iraker und Christen sind auf das Gebet angewiesen. Nur das Gebet kann uns helfen in dieser schrecklichen Lage. Wir glauben fest, dass der Herr mit uns ist.“
Auch Douglas Bazi war vom Ausmaß der Krise geschockt. Der chaldäische Priester leitet das „Mar Elia Center“ in Erbil. Er erinnert sich noch gut an den August vor einem Jahr: Er war gerade in den USA, als er von den Ereignissen im Irak hörte. Sofort machte er sich auf den Weg zurück nach Erbil. Dort sah der aus Bagdad stammende Geistliche die Not.
„Die Zehntausenden Menschen, die hier ohne alles ankamen, haben mich überwältigt. In ihren Gesichtern standen Zorn, Verwirrung und Verlorenheit. Sie schienen mir wie Körper mit toten Seelen. Manche wollten nicht einmal essen. Sie sagten: Wozu? Um zu leben? Wofür? Ich dachte: Das ist das Ende. Ich versuchte, nach außen Stärke zu zeigen. Aber innerlich war ich zerstört. Ich wusste, dass allein in Karakosch 60 000 Christen gelebt hatten. Wie sollten wir so vielen Menschen helfen?“
„Das macht mir Angst“
Mittlerweile schläft im „Mar Elia Center“ niemand mehr auf dem Boden. Wohncontainer bieten 130 Familien ein würdevolleres Zuhause. Viele Familien haben sogar Wohnungen gefunden und sind umgezogen. Bazi: „Die Kinder erlernen Instrumente oder den Umgang mit dem Computer. Wir bieten Sprachkurse an. Doch sie fragen mich: Was kommt als Nächstes? Das macht mir Angst. Die Menschen verlieren jeden Tag mehr die Hoffnung.“
Wenn der Priester an den Tag der Flucht zurückdenkt, den Tag, an dem der Terror des IS greifbar wurde, ist er zwiegespalten: „Das ist ein Tag der Trauer“, sagt er, „aber auch der Tag, an dem uns Gott gerettet hat. Schließlich sind wir noch am Leben. Wie können zwar nicht vergessen, was geschehen ist. Wir werden Gott aber bitten, den Tätern zu vergeben und ihr Denken zu verändern.“ KiN neue bildpost
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