Pressestimmen zum toten Flüchtlingsjungen "Müssen wir uns schämen, dass wir solche Bilder brauchen?" 03.09.2015, 21:09 Uhr | dpa, t-online.de
Der Vater des toten Jungen, der bei der Tragödie vor der türkischen Küste auch seinen anderen Sohn und seine Frau verloren hat.
Wie andere Medien auch hat sich t-online.de am Donnerstag entschieden, das Bild des toten Flüchtlingsjungen an der türkischen Küste zu veröffentlichen. Viele Argumente sprachen für eine Veröffentlichung, andere dagegen. Dieses Für und Wider spiegelt sich auch in den Kommentaren der Presse. Das Foto könne den Europäern die Augen öffnen, heißt es einerseits. Ein Bild alleine ändere nichts, kritisieren andere. Am Ende steht die Frage im Raum, wieso solche Bilder überhaupt notwendig erscheinen?
"Die Frage ist,ob wir uns schämen müssen, dass wir solche Bilder brauchen, um die Dramatik einer Situation zu erfassen", fragt die "Aachener Zeitung". "Ja, schämen sollten wir uns dafür schon. Gleichwohl wissen wir, dass die Eindrücke von Fotos aus dem eigenen Land immer viel stärker sind als jene von fernen Küsten. Insofern öffnet das Bild aus der Türkei die Augen, um zu begreifen, dass die wirklich dramatischen Probleme nicht hierzulande auftreten, sondern andere Teile der Welt verheeren und dort offensichtlich nicht zu bewältigen sind.
Sind wir schon so abgestumpft?
"Die Menschenwürde des kleinen Syrers wurde schon zu Lebzeiten mit Füßen getreten. Von einem Regime, das seine Familie aus dem Land trieb. Und von den Schleppern, die Männer, Frauen und Kinder auf Seelenverkäufern und in Lastwagen zusammenpferchen (...)", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". "Mancher gibt auch der angeblichen Kaltherzigkeit der Europäer und ihrer Regierungen eine Mitschuld am Tod dieses Kindes und der Tausenden anderer Migranten (...). Das Foto, so die Argumentation, sei ein Dokument für das Versagen Europas und müsse als solches veröffentlicht werden. Doch haben uns die Gewaltorgien im Fernsehen und im Netz wirklich so abgestumpft, dass wir das Ausmaß der Tragödie vor und auch schon hinter unserer Türschwelle nur dann begreifen, wenn wir Bilder von echten toten Kindern am Strand oder in einem Kühllastwagen sehen?"
Klar für die Veröffentlichung des Fotos spricht sich das "Mindener Tageblatt" aus: "Wie in einem Brennglas bringt dieses erschütternde Bild das vielfache menschliche Versagen auf den Punkt, das letztlich zum Tod dieses Kindes geführt hat. Einem leider alltäglichen Tod. In dieser und anderen Formen ist er vieltausendfach Bestandteil dessen, was wir auch deshalb mit oft abstrakten oder gar abwehrenden Bezeichnungen belegen, um es auf gewisse Weise von uns fernhalten zu können. Das Foto lässt uns diese Möglichkeit nicht. Es zeigt: hinter all diesen Begriffen, politischen Diskussionen, Verteilungsstreitereien, Interessengegensätzen, organisatorischen Herausforderungen und finanziellen Problemen stehen Schicksale. Menschen. Deren Würde tagtäglich missachtet wird. Auch durch Wegsehen."
"Es gibt Bilder, die gehen durch Mark und Bein. Nicht weil sie Ereignisse zeigen oder Informationen transportieren, die neu wären, sondern weil sie den Menschen, die Krieg, Not und Elend oder Qualen erleiden, ein Gesicht geben. Umgekehrt könnte man sagen, wovon es keine Bilder gibt, das gibt es auch nicht. Zumindest in unserer Wahrnehmung, die so subjektiv wie ungerecht ist, so mitfühlend wie zynisch. Jetzt geht das Bild eines kleinen Jungen um die Welt, dessen Leiche an den türkischen Strand gespült wurde. Er ist nicht der erste Tote des Flüchtlingsdramas. Und er wird nicht der letzte sein. Tausende sind schon vor ihm im Meer gestorben. Und dennoch rüttelt das Bild des Jungen mehr auf als andere. "Wer oder was sind wir, wenn wir solche Bilder weiter hinnehmen?", fragt die "Märkische Zeitung". http://www.t-online.de/nachrichten/ausla...hinnehmen-.html Bilder können mächtige Wirkung entwickeln
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Trauerfeier in Kobane WELT 04.09.2015 Vater lässt Aylan in Syrien begraben
Abdullah Kurdi, der Vater des toten Buben (Foto: Murad Sezer / Reuters ) Das Foto des kleinen Aylan ging um die Welt. Wie kein anderes Bild führt es den Menschen die Auswirkungen der verfehlten Flüchtlingspolitik vor Augen. Am Donnerstag musste der einzige Überlebende der Familie, der Vater des Kindes, seine Liebsten identifizieren, am Wochenende werden der Dreijährige, sein Bruder und seine Mutter in Syrien zu Grabe getragen.
Mit Entsetzen wurde das Bild, das sich unter dem Hashtag #KiyiyaVuranInsanlik (Türkisch für "Fortgespülte Menschlichkeit", Anm.) rasend schnell im Netz verbreitete, von der internationalen Gemeinschaft aufgenommen. "Jeder, der letzte Nacht diese Bilder gesehen hat, konnte gar nicht anders, als bewegt zu sein", sagte Großbritanniens Premierminister David Cameron.
Am Donnerstag musste Abdullah Kurdi seine tote Familie identifizieren. Neben Aylan kamen auch noch sein fünfjähriger Bruder Galip und die Mutter der Kinder, Rehan, bei der Flucht aus Syrien ums Leben. Als der Vater aus der Leichenhalle in Mugla kam, brach er weinend zusammen. Die Familie soll in der Heimatstadt Kobane ihre letzte Ruhestätte finden.
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