Gebote und Sakramente des Heils: Kardinal Müller über die Würde und Bürde der Ehe Veröffentlicht: 12. September 2015 | Autor: Felizitas Küble
BUCHBESPRECHUNG von Felizitas Küble aus der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift THEOLOGISCHES (Nr. 4/2015):
Buch-Daten: Die Hoffnung der Familie. Ein Gespräch mit Gerhard Kardinal Müller. 1. Auflage 2015. 80 Seiten, Echter-Verlag (Würzburg), Preis 7,90 €. ISBN-10: 3429038294. – ISBN-13: 978-3429038298. index
Dieses Interviewbuch mit Kardinal Müller trägt zu Recht den positiv klingenden Titel „Die Hoffnung der Familie“, denn es würdigt die überragende Bedeutung von Ehe und Familie aus der Sicht von „Natur und Gnade“, von Sittengesetz Gottes und Heilswerk Christi zugleich.
Die Ehe, ihre Treue und Unauflöslichkeit ist im christlichen Glauben sogar mehrfach geschützt: zum einen durch das 6. und 9. Gebot, zum anderen durch ihren sakramentalen Charakter. Dadurch gehört die Ehe unter Getauften nicht „nur“ zur Schöpfungsordnung (was bereits einen hohen Rang beinhaltet), sondern zur Erlösungsordnung Christi und der Kirche.
In der aktuellen Debatte über die Frage einer Kommunionzulassung ist überdies das Sakrament des Altares betroffen; insofern geht es dabei um zwei göttliche Gebote und diese beiden christlichen Sakramente.
Das fundierte, aber leicht lesbare Interviewbuch mit den erhellenden Antworten des vatikanischen Glaubenspräfekten Gerhard Müller erschien am 1. März 2015 zur rechten Zeit, denn es eignet sich vorzüglich zur geistig-theologischen Vorbereitung für die Debatten um die römische Familiensynode im kommenden Herbst. Dem ansprechend gestalteten und erschwinglichen Taschenbuch ist daher weiteste Verbreitung zu wünschen.
Die inhaltlich guten, wenngleich mitunter langatmig formulierten Fragen stellte Dr. Carlos Granados, der Direktor des christlich orientierten Madrider Verlags „Bibliotheca de Autores Cristianos“. Das in dem erwähnten Buch dokumentierte Interview mit Kardinal Müller erschien im Vorjahr in Spanien unter dem Titel „La Esperanza de la familia“. DSC_0199
Frau Dr. Gabriele Stein übersetzte das im Juni 2014 auf spanisch geführte Gespräch in die deutsche Sprache. Der Präfekt der römischen Glaubenskongregation hat es vor der Drucklegung überarbeitet und aktualisiert. Das Buch wurde zudem in einer englischen, französischen, italienischen und portugiesischen Ausgabe veröffentlicht.
Als besonders eindrucksvoll erweist sich dieses Interview mit Kardinal Müller auch deshalb, weil der oberste Glaubenshüter der Kirche sich einerseits mit glasklaren und eindringlichen Worten für die unabänderliche Ehelehre der Kirche einsetzt; es andererseits nicht dabei beläßt, sondern den herausragenden Sinn der christlichen Ehe im Lichte von Natur und Gnade beleuchtet und die hohe Bedeutung der Familie als Hauskirche würdigt.
Zunächst erwähnt der Glaubenspräfekt die Beobachtung, daß in „einigen traditionell christlichen Ländern“ leider der „Glaubenssinn mehr und mehr verlorengeht“. Zudem werde die christliche Religion vielfach auf ein „bloßes Sortiment an Werten, Ideen oder sozialen Aktivitäten reduziert“ (vgl. Seite 8).
Noch deutlicher spricht der Kardinal mit seiner Äußerung, das Glaubensgut dürfe sich keineswegs „in eine politisch korrekte Zivilreligion verwandeln und auf einige Werte reduziert werden, die für den Rest der Gesellschaft erträglich sind. Damit hätten einige ihr ruchloses Ziel erreicht: das Wort Gottes ins Abseits zu drängen, um die gesamte Gesellschaft ideologisch lenken zu können“ (S. 47).
Dabei gerate das zentrale Anliegen der Kirche aus dem Blick, nämlich die „reale Begegnung mit Jesus Christus unAL-0004d die umfassende Erneuerung des Menschen mit Blick auf die Eschatologie“ (S. 8). Dieser Verweis auf die „letzten Dinge“ ist heute selbst von kirchlicher Seite eher selten zu hören.
Kardinal Müller stellt sodann klar, daß die Ehe ist nach Gottes Willen die „innige und ausschließliche Verbindung zwischen einem einzigen Mann und einer einzigen Frau“ sein solle; die Ehe sei zudem „die Quelle, aus der die Familie hervorgeht und das Kriterium, an dem sie gemessen wird“ (S. 9). Zudem erwähnt er eine Aussage von Papst Franziskus, wonach alle Ehen eine „innere Tendenz“ zur Fruchtbarkeit haben. In den Kindern, so Müller, erfüllt und vollendet sich die Liebe der Eheleute.
Der Autor beklagt, daß die geforderte „unverbrüchliche Treue“ in der Ehe von Jugendlichen vielfach nicht mehr akzeptiert werde: „Die Sexualität verstehen manche Menschen heute als bloßes Vergnügen und nicht als eine großartige Gelegenheit, das Leben im Rahmen einer Gemeinschaft der Liebe zu empfangen und weiterzugeben“ (S. 10).
Als Grundlage für ein „umfassendes Verständnis der Ehe“ nennt der Präfekt die Stichworte Person, Gemeinschaft, Fruchtbarkeit, Verantwortung und Bildung (S. 11). In den Eltern erfahren Kinder „zum allerersten Mal die Liebe Gottes“. So seien unsere Eltern „durch ihre Teilhabe am Priestertum aller Gläubigen priesterliche Repräsentanten“ des Gottvertrauens und der „bedingungslosen Akzeptanz unseres menschlichen Daseins“ (S. 12).
Die Sendung der Ehe: „Selbstverwirklichung durch Selbsthingabe“
Das Kreuzesopfer Christi sei letztlich die Wurzel für die eheliche Treue und Unauflöslichkeit, denn es verdeutliche, daß die Liebe nicht etwa ein „unbestimmtes Gefühl“ sei, sondern vielmehr „Selbstverwirklichung durch Selbsthingabe“ (S. 12). DSC05485
Dies könne der Mensch aber „nicht aus eigener Kraft verwirklichen“, sondern er bedürfe der Gnade Gottes. Das „wichtigste Ziel“ der nächsten Familiensynode bestehe darin, „dafür zu sorgen, dass die sakramentale Vorstellung von Ehe und Familie wieder klarer zutrage tritt“ (S. 13). Dabei sei es mit Fachbüchern und Fachaufsätzen nicht getan: „Vergessen wir nicht die Zeugniskraft der Ehen, die nicht scheitern!“ (S. 14).
Sodann erwähnt Kardinal Müller die „Realität der Armut“, von welcher der Papst öfter spreche. Hierbei sei an die Scheidungswaisen zu erinnern: „Sie sind vielleicht die Ärmsten dieser Welt“, ja sogar „die Ärmsten der Armen“, denn trotz vieler materiellen Güter fehle ihnen „das Grundlegendste“, nämlich „die Liebe und Fürsorge von Eltern, die sich um ihretwillen selbst verleugnen“ (S.14).
Die „unauflösliche Ehe“ sei anthropologisch von „allergrößtem Wert“, so Müller weiter: „Sie entzieht den Menschen der Willkür und Tyrannei der Gefühle und Gemütszustände…und vor allem schützt sie die Kinder“ (S. 16).
Leider seien Ehe und Familie heute vielfach isoliert und sich selber überlassen, denn „unsere Gesellschaft treibt die individuellen Rechte oft bis zum Exzess“, beklagt Müller: In unverkennbar manipulativer Absicht würden die „egoistischen Verhaltensweisen Einzelner oder kleiner, isolierter Gruppen begünstigt und privilegiert“ (S. 18).
Die Moderne müsse, „wenn sie gerettet werden will“, von der Familie, die sich als Hauskirche verstehe, erneuert werden: „Ich bin für eine Familienkirche“, betont der Kardinal weiter, der sich sodann kritisch mit der sog. „sexuellen Revolution“ befaßt, denn „hinter diesem Phänomen lauert der Nihilismus“, der Mann und Frau auf ihre „animalischen Instinkte“ reduziere (S. 20). Die „einzige Alternative“ zum Egozentrismus sei ein „Theozentrismus“, denn es gehe zentral um die „ewige Wahrheit über den Menschen in seiner Beziehung zu Gott“ (S. 21).AL-0005
Unter allen menschlichen Gemeinschaftsformen nehme die Ehe eine „einzigartige und herausragende Stellung“ ein, weil sie den Bund Christi mit seiner Kirche widerspiegle; so werde die christliche Ehe zu einem „wirksamen Zeichen, das die heiligmachende Gnade vermittelt“; dadurch sei Gott in der Ehe auf eine „sakramentale, reale, konkrete, sichtbare und greifbare Weise gegenwärtig“ (S. 56).
Zudem verdeutlicht Kardinal Müller die eschatologische Perspektive der christlichen Ehe: „Die sakramentale Ehe ist ein Zeugnis für die Macht der Gnade, die den Mann und die Frau verwandelt und die ganze Kirche darauf vorbereitet, die heilige Stadt, das neue Jerusalem zu sein, die Kirche selbst, die bereit ist „wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat (Offb 21,2)“ (S. 58). Daher sei niemals eine „pragmatische Anpassung“ seitens der Kirche angesagt, sondern vielmehr „prophetische Kühnheit“, um die „Heiligkeit der Ehe zu bezeugen“ (S. 58).
Sakrament der Ehe: Gottes Gnade geht uns voraus
Zum Dauerbrenner der nach einer Scheidung zivilrechtlich verheirateten Katholiken verweist der Glaubenspräfekt genau ins Schwarze treffend auf den Missionsbefehl Christi an die Apostel: „Geht zu allen Völkern […] und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28,19-20). Dieser Auftrag sei, so Müller, „nichts anderes als eine Definition des Depositum Fidei, des Glaubensgutes, das die Kirche empfangen hat und nicht abändern darf“ (S. 31).
Für das Lehramt sei allein die göttliche Offenbarung verbindlich, nicht etwa diverse Theorien von Theologenseite. Das gelte auch und gerade für die kirchliche Verkündigung über jede gültige und vollzogene sakramentale Ehe: „Die absolute Unauflöslichkeit einer solchen Ehe ist keine bloße Lehre, sondern ein göttliches und somit der Kirche vorgegebenes Dogma“ (S. 32). Wer aber dem „Geist der Welt“ (2 Kor 2,12) entsprechend denke, könne „weder die Heiligkeit noch den sakramentalen Charakter der Ehe begreifen“ (S. 58). 008_Index - Kopie
Entgegen manch oberflächlicher Vorstellungen gehe es hier nicht um irgendeinen „theologischen Disput“, erläutert der Kurienkardinal, sondern vielmehr um die „Treue der Kirche zur Lehre Jesu, der sich in dieser Hinsicht restlos klar ausgedrückt hat“ (S. 34).
Daher könne das Band einer sakramentalen Ehe „auf keinen Fall gelöst“ werden. Hierzu hätten weder der Papst noch irgendeine Bischof die Befugnis, weil dies nicht ihre, sondern „allein Gottes Sache ist“ (S. 37), denn die eheliche Verbindung „besteht und wurzelt in Gott“ (S. 38); sie ist als Sakrament eine „sichtbare Vergegenwärtigung der verwandelnden Gnade“ (S. 38).
Man dürfe die sakramentale Gnade und die göttliche Barmherzigkeit keineswegs gegeneinander ausspielen, weil beides zusammengehöre, erläutert der Glaubenspräfekt: „Gott schenkt uns seine Gnade, damit wir treu sein können. Das ist der eigentliche Sinn der Barmherzigkeit Gottes“ (S. 41). Diese stehe im Zusammenhang mit den Geboten des Ewigen: „Gott gewährt uns in seiner grenzenlosen Barmherzigkeit die Kraft der Gnade, damit wir seine Gebote erfüllen“ (S. 43).
Diese Ausrüstung mit der Gnade Gottes sei kein fernes Ideal, betont Kardinal Müller, sondern könne in jeder christlichen Ehe erfahrbar werden: „Jedes Ehepaar, das Gott in die Mitte seines Ehelebens stellt, entdeckt mit freudigem Staunen, dass seine Liebe von Tag zu Tag mehr Nahrung findet und gedeiht“ (S. 59).
Insofern beobachte er mit einem „gewissen Erstaunen“, wie das Barmherzigkeits-Argument vielfach instrumentalisiert werde, um die Zulassung von geschiedenen und zivilrechtlich „Wiederverheirateten“ zu den Sakramenten „zu erzwingen“: „Die gesamte sakramentale Ordnung ist ja ein Werk der göttlichen Barmherzigkeit; sie kann also nicht unter Berufung auf eben dieses Prinzip, das sie trägt, aufgehoben werden“ (S. 42).
Außerdem gehe aus der Heiligen Schrift klar hervor, daß neben der Barmherzigkeit auch Heiligkeit und Gerechtigkeit zum „Geheimnis Gottes“ gehören (S. 43).
Keine Trennung von Lehre und Leben: „Christus ist der HERR“
Auf die Interview-Frage, ob denn womöglich die Lehre und die pastorale Praxis „in verschiedene Richtungen laufen“ könnten, antwortet Kardinal Müller mit Hinweis auf Joh 14,6, wonach Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist: „Das Leben von der Lehre zu trennen hieße, Christus als den Sohn Gottes von Christus als dem Erlöser trennen zu wollen….Wir können nicht auf doktrineller Ebene bekennen, dass Christus der Herr ist – und dann nicht seinen Willen tun“ (S. 46).cropped-ZIM_5640
Jesus sei nicht gekommen, so Müller, „damit sich die Gemüter beruhigen und im Grunde alles so bleibt, wie es war: Er ist gekommen, um die „herrschende Ordnung“ zu verändern“ (S. 47), weshalb ein echtes christliches Leben so „anspruchsvoll“ sei, denn es erlaube keine „bequemen Kompromisse“ zwischen der Offenbarung Gottes und den Vorstellungen der Welt: „Man kann nicht morgens zur Kirche und abends ins Bordell gehen“ (S. 48).
Der Mensch gerate in eine „ausweglose Sackgasse“, wenn er sich ohne göttliche Gnade erziehen wolle, zumal wenn die „Sexualität einen beinahe schon götzenhaften Rang einnimmt“. Daher müsse der Mensch erkennen, daß er für das „Höchste, für die Unendlichkeit geschaffen sei“, um sein Leben wieder „im Licht der Gnade“ zu sehen (S. 63). Deshalb gelte das Leitwort: „Der wahre Humanismus ist theozentrisch“ (S. 69).
Glaubenspräfekt Müller betont, daß wir nicht ohne die „gesunde Lehre“ (vgl. Tit 2,1) das Heil erlangen können (S. 47). Er formuliert eine Art katholischen Imperativ, wonach die Ordnungen der Liturgie, des Betens, des Glaubensbekenntnisses und des Lebens in der Nachfolge Christi untrennbar zusammengehören: „Lex orandi est lex credendi est lex vivendi“ (S. 46).
Auf die Frage, ob die Kirche gemäß einem Wort von Papst Franziskus eine Art „Feldlazarett“ sei, in dem Wunden geheilt werden, antwortet Kardinal Müller, dieses Bild sei zwar „sehr eindrücklich“, doch könne man es nicht auf die gesamte kirchliche Wirklichkeit anwenden: „Die Kirche an sich ist kein Sanatorium“ (S. 64).
Im irdischen Leben könnten keineswegs alle Verletzungen geheilt werden. Erst am Ende werde Gott „alle Tränen von ihren Augen abwischen“, zitiert Müller die Johannes-Offenbarung 21,4 (S. 65).DSC06228
An anderer Stelle weist er ebenfalls darauf hin, daß sich das letzte Ziel unseres Lebens erst in der Ewigkeit erfüllen werde: „Der Kommunismus und der zügellose Kapitalismus haben dem echten, himmlischen Paradies, nach dem sich jeder Christ sehnt, die Aussicht auf ein irdisches Paradies gegenübergestellt.“ (S. 69). Doch der Christ betreibe gleichwohl keine Jenseitsvertröstung, im Gegenteil: Gerade wegen seiner Ausrichtung auf das ewige Ziel könne er seine Pflichten für den Nächsten und die Welt „vollverantwortlich annehmen“ (S. 70).
Der Kardinal kommt sodann auf die „schwere Krise“ zu sprechen, in welcher sich die „sakramentale Idee“ befindet (S. 54). Auch Ehe und Familie leiden darunter, wobei der Autor ausdrücklich den negativen Einfluß „der Ideologie des Wohlstands und des Hedonismus“ erwähnt (S. 53). Um aus dieser „Fallgrube“ herauszukommen, müssen wir, so Müller, „das Offensichtliche wieder laut aussprechen“, zB. folgendes:
„Alle christlichen Eheleute sollten sich froh dazu bekennen, dass Kinder selbst in den kompliziertesten Situationen niemals eine Last oder Belastung, sondern ein vertrauensvoller Lebensentwurf und eine unerschöpfliche Quelle der Freude sind, die uns aber erst im Himmel voll offenbar werden wird“ (S. 54).
Kardinal Müller macht sich angesichts der „Orientierungslosigkeit“ unserer Jugend, der hohen Scheidungsraten und sinkenden Geburtenzahlen aber keinerlei Illusionen über den – wie er glasklar sagt – „Zusammenbruch der westlichen Gesellschaft“:
„Was ist das für eine Zukunft, die wir für die kommenden Generationen aufbauen? Es droht ein völliges Scheitern. (…) Wir müssen einen anderen Kurs einschlagen! Die Lehre der Kirche über die Familie ist genau das Heilmittel, das wir brauchen, um eine mögliche angekündigte Katastrophe zu verhindern“ (S. 60)
Felizitas Küble leitet hauptamtlich den KOMM-MIT-Verlag und ehrenamtlich das Christoferuswerk in Münster, das dieses CHRISTLICHE FORUM betreibt.
Müller-Fotos: Bistum Regensburg
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