Ehenichtigkeit: Die „besonnene“ Reform von Papst Franziskus (Zweiter Teil)
Laut dem an der Katholischen Universität vom Heiligen Herzen in Mailand als Professor wirkenden Kanonisten Andrea Bettetini erleichtert die höhere Geschwindigkeit des Verfahrens die Überwindung zahlreicher Gewissensprobleme. Von Luca Marcolivio Rom, 18. September 2015 (ZENIT.org) Wir veröffentlichen im Folgenden den zweiten Teil des Interviews mit dem Kanonisten Andrea Bettetini. Teil eins erschien am gestrigen Donnerstag, dem 17. September 2015. *** Eine der wesentlichsten Neuerungen scheint die Qualifizierung des Bischofs als „Einzelrichter“ zu sein. Was bedeutet dies rechtlich und was wird sich dadurch in der Realität verändern? Der neue Text des Canons 1671 beruht auf der Rechtsauffassung, wonach der Diözesanbischof Richter in seiner Ortskirche ist. Daher besagt er, dass das Gericht allein vom Diözesanbischof konstituiert werden kann. Dieser ist jedoch nicht der einzige Richter seiner Ortskirche: Er wird um die Konstitution eines Gerichts ersucht, das an seiner Stelle urteilen kann. Der Bischof selbst erhält in jedem Fall Zugang zu einem nahegelegenen Gericht. Kann der Bischof im Falle eines „ordentlichen Verfahrens“ weder ein Gericht einsetzen noch jenes einer benachbarten Diözese in Anspruch nehmen, so hat er die Möglichkeit, einen Kleriker als Einzelrichter zu ernennen, dem nach Möglichkeit zwei Helfer zur Seite gestellt werden, die auch Laien mit „einwandfreier Lebensführung und Expertenwissen in Rechts- oder Humanwissenschaften“ sein können. Diese werden vom Bischof selbst für die Erfüllung dieser Aufgabe zugelassen. Die Bezeichnung des Bischofs als „Einzelrichter“ erweckt den Eindruck, dass im Rahmen der Verfahren nicht mehr nur eine rechtliche, sondern auch eine pastorale Lösung erwünscht sei. Wie denken Sie darüber? Die beste Antwort darauf stammt aus meiner Sicht vom Papst selbst. Ihm zufolge dient diese Regelung dazu, „glaubhaft zu machen, dass der in seiner Kirche als Hirte und Oberhaupt eingesetzte Bischof selbst aus diesem Grund als Richter für die ihm anvertrauten Gläubigen fungiert“. Darüber hinaus hat Papst Franziskus unter besonderer Bezugnahme auf das kürzere Verfahren in der Präambel des Motu Proprio festgehalten: „Dennoch ist mir nicht entgangen, dass ein verkürzter Prozess das Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe gefährden könnte; gerade daraus ergab sich mein Wunsch, den Bischof selbst in diesem Verfahren als Richter einzusetzen, der Kraft seines pastoralen Amtes mit Petrus der größte Garant der katholischen Einheit im Glauben und in der Disziplin ist“. Tatsächlich wird es zunehmend wichtig zu vermitteln, dass alle im Bereich des Kirchenrechts tätigen Anwälte im Rahmen des von den Eheleuten oft als lang und mühsam wahrgenommenen Verfahrens den oft verlorenen und verletzen Gläubigen entgegenkommen müssen und als Evangelisierende auftreten. Dadurch soll unter anderem vermieden werden, dass die Herzen der involvierten Parteien aufgewühlt werden; außerdem wird bezweckt, ihnen die zukünftigen beruflichen Entscheidungen im Lichte der Feststellungen des Urteils stärker bewusst zu machen. Mancherorts wurde bemerkt, dass das Problem des Empfangs der Kommunion durch wiederverheiratete Geschiedene mit dieser Reform a priori überwunden wurde. Welche Auffassung vertreten Sie diesbezüglich? Behauptungen dieser Art führen zu einer Verwechslung zweier voneinander sehr verschiedener Ebenen: Das kanonische Eheschließungsverfahren weist einen eigenen und spezifischen Gegenstand auf: die Gültigkeit oder Nichtigkeit der Bindung. Die sakramentale Ehe besteht oder sie besteht nicht; einen Mittelweg gibt es nicht. Daher ist die kanonische eheliche Bindung nicht auflösbar wie eine Scheidung. Es besteht nur die Möglichkeit anzugeben, ob die Ehe existiert oder ob dies aus einem der rechtlich vorgesehenen Nichtigkeitsgründe nicht der Fall ist. Die Scheidung löst in der Tat etwas bereits Gültiges auf und führt somit zur Beendigung der Wirksamkeit einer Realität, die bis zu diesem Zeitpunkt stets in gültiger Weise (rechtliche, moralische, soziale usw.) Wirkungen erzeugt hat. Die gültige und vollzogene kanonische Ehe kann – wie im Can. 1141 in einem allgemeinverständlichen Latein festgehalten wurde – „nulla humana potestate nullaque causa, praeterquam morte, dissolvi potest“ („durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grund, außer durch den Tod, aufgelöst werden“; Quelle: CIC, Kapitel IX, Can 1141). Ohne zu sehr in die Komplexität des Themas vorzudringen soll gesagt sein, dass die nach wie vor gültige kirchliche Lehre in Nr. 1650 des Katechismus der Katholischen Kirche folgendermaßen festgehalten ist: „In vielen Ländern gibt es heute zahlreiche Katholiken, die sich nach den zivilen Gesetzen scheiden lassen und eine neue, zivile Ehe schließen. Die Kirche fühlt sich dem Wort Jesu Christi verpflichtet: ‚Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet‘ (Mk 10,11-12). Die Kirche hält deshalb daran fest, dass sie, falls die Ehe gültig war, eine neue Verbindung nicht als gültig anerkennen kann. Falls Geschiedene zivil wiederverheiratet sind, befinden sie sich in einer Situation, die dem Gesetze Gottes objektiv widerspricht. Darum dürfen sie, solange diese Situation andauert, nicht die Kommunion empfangen. Aus dem gleichen Grund können sie gewisse kirchliche Aufgaben nicht ausüben. Die Aussöhnung durch das Bußsakrament kann nur solchen gewährt werden, die es bereuen, das Zeichen des Bundes und der Treue zu Christus verletzt zu haben, und sich verpflichten, in vollständiger Enthaltsamkeit zu leben“ (Quelle: KKK, Nr. 1650). Die Behauptung, wonach „das Problem des Empfangs der hl. Kommunion durch wiederverheiratete Geschiedene“ mit dem neuen Eheschließungsverfahren „a priori überwunden“ sei, ist nichts anderes als die Betrachtung einer real nicht existenten und nicht existenzfähigen Entität als „catholic way of divorce“ (katholische Form der Scheidung). Sicherlich werden zügigere Gerichtsverfahren eine bessere Überwindung zahlreicher Gewissensprobleme ermöglichen. In unregelmäßigen Situationen befindliche Personen (wie eben beispielsweise wiederverheiratete Geschiedene) können, sofern die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden, die Erklärung der Nichtigkeit der vorausgegangenen kanonischen Ehe beantragen, sodass nach deren Erhalt auch eine Wiederverheiratung „coram Deo et hominibus“ sowie der Zugang zur Eucharistie erfolgen kann; jenem Sakrament, das das Ziel aller anderen darstellt. Auch im früheren System stand einem Gläubigen diese Möglichkeit offen. Nun besteht der Vorteil in einer Vereinfachung und Beschleunigung der Gerichtsverfahren
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