23.09.2015
Franziskus mit den Obamas und Kindern © Michael Reynolds ... 23.09.2015
Kenner der US-Kirche zur Bedeutung der Papstreise Nicht nur reine Freude Viele Jugendliche in den USA wenden sich von der Kirche ab, außerdem sorgen die Hispanics für Wandel. Welche Rolle der Besuch des lateinamerikanischen Papstes für die US-Kirche spielt, erzählt Publizist Ferdinand Oertel im domradio.de-Gespräch.
domradio.de: Ein lateinamerikanischer Papst trifft einen afroamerikanischen Präsidenten. Wie bunt sind die USA, wie bunt ist die katholische Kirche dort im Jahr 2015?
Dr. Ferdinand Oertel (Publizist und langjähriger Beobachter der katholischen Kirche in den USA): Die katholische Kirche in den USA ist eine sehr farbige Kirche. Die Weißen sind schon fast in der Minderheit. Es gibt ja fast 40 Prozent Hispanics, die zwar nominell katholisch sind, aber ihre aktive Teilnahme und die Besuche in der Kirche gehen zurück. Man muss aber sagen, dass die Kirche in den USA genau wie bei uns nicht von der Hierarchie aus lebt, sondern sie lebt vor Ort. Sie hat dieselben Probleme wie bei uns, zum Beispiel bei der Weitergabe des Glaubens.
domradio.de: Die traditionelle europäische Pfarrei wird immer älter und kleiner. Die Probleme sind in den USA also ähnlich?
Oertel: Die sind ähnlich. Man hat bei den Hispanics sogar festgestellt, dass die Jugendlichen eine Patchwork-Glaubenshaltung haben oder sich als Nons bezeichnen - also als nicht direkt religiös. Sie wollen sich nicht mehr fest an die kirchlichen Regeln binden, sondern wollen mehr die Sorgen um benachteiligte Mitmenschen in den Vordergrund rücken - ähnlich wie Papst Franziskus. Jugendliche engagieren sich sehr stark im sozialen Bereich, folgen aber weniger der Kirche.
domradio.de: Bis vor wenigen Jahren hat die katholische Kirche ja einen Minderheitenstatus in den USA gehabt. Hat die Institution, also die Bischofskonferenz, auf den Wandel durch die lateinamerikanischen Katholiken angemessen reagiert?
Oertel: Eigentlich erst zu spät. Der große Unterschied der Kirche in den USA zu denen in Europa ist, dass dort zum ersten Mal die Trennung von Kirche und Staat durchgeführt ist. Das hat einerseits Vorteile. Die Kirchen müssen sich selbst erhalten, müssen untereinander konkurrieren, müssen also auf die Menschen zugehen. Andererseits hat es für die Katholiken einen Nachteil. Denn sie galten von Anfang an aufgrund ihrer Papsthörigkeit als nicht demokratiefähig galten.
Das hat sich mit dem US-Präsidenten John F. Kennedy geändert. Und seither hat die Kirche, vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, eine sehr positive Wendung innerhalb der Gesellschaft genommen.
domradio.de: Vor 15 Jahren wurde die Kirche in den USA schwer erschüttert. Es gab Enthüllungen über umfassenden sexuellen Missbrauch durch Kirchenvertreter in den USA. Mehrere Bistümer mussten wegen Schadensersatzzahlungen Insolvenz anmelden und der Imageverlust war enorm. Hat sich die katholische Kirche davon erholt?
Oertel: Nein, immer noch nicht ganz. Es hat kürzlich noch ein Bistum Insolvenz anmelden müssen. Viele Bistümer sind wegen der Schadensersatzzahlungen, Hilfsmaßnahmen für die Opfer und Schutzmaßnahmen gegen weiteren Missbrauch finanziell ziemlich ausgeblutet. Andererseits spielen sie in der Politik doch insofern eine Rolle, als dass sie zu wichtigen Fragen der Gesellschaft Stellung beziehen.
Das führt dazu, dass es zwischen Franziskus und Obama nicht nur reine Freude gibt. Sie stimmen zwar in der Sorge um die Einwanderer überein, aber nicht zum Beispiel in der Frage, ob die Frau selbst bestimmen darf, ob sie ein Kind bekommt oder nicht. Franziskus hat ja gerade anfangs in Amerika viele Skeptiker hervorgerufen, als er gesagt hat, man solle nicht nur von Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe sprechen, sondern auf den Menschen zugehen, ihn verstehen und ihm helfen. Das wird er jetzt wohl auch auf politischer Ebene machen - sowohl im Weißen Haus und vor den UN, als auch vor den Bischöfen und bei Großveranstaltungen. Er wird wahrscheinlich dieselben klaren Worte finden wie in seinen Enzykliken.
Das Gespräch führte Matthias Peter
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(dr)
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