Flüchtlingskrise Kein Geld mehr für Armutszuwanderer
Rainer Wehaus, 26.09.2015 12:48 Uhr
Der Gutschein, bis vor kurzem noch als menschenunwürdig verpönt, kehrt als Mittel zum Zweck in die Flüchtlingspolitik zurück. Angesichts der großen Zahl an Zuwanderern will man auch in Baden-Württemberg künftig mit Bargeld knausrig sein.
Essensausgabe in Ellwangen: Statt Taschengeld soll es Gutscheine geben.Foto: dpa Berlin/Stuttgart - Armutsflüchtlinge vom Balkan sollen in Deutschland künftig möglichst kein Bargeld mehr bekommen. Dies geht es aus dem Gesetzespaket hervor, auf das sich Bund und Länder diese Woche in Berlin geeinigt haben und das zum 1. November in Kraft treten soll.
In der Praxis soll dies in Baden-Württemberg folgendermaßen umgesetzt werden: Neu ankommende Flüchtlinge vom Balkan sollen möglichst bis zum Abschluss ihres Verfahrens in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung verbleiben. Schon bislang gibt es dort kein Bargeld für Kleidung und Verpflegung. Allerdings wird noch das sogenannte Taschengeld ausbezahlt, das auf Anordnung des Bundesverfassungsgerichts Mitte 2012 von 40 auf inzwischen 143 Euro pro Monat und Flüchtling erhöht werden musste. Der frühere Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt, hatte kurz vor seinem Rücktritt darauf hingewiesen, dass allein dieses Taschengeld angesichts der Verdienstmöglichkeiten in den Balkan-Staaten einen erheblichen Anreiz zur Einreise nach Deutschland darstelle. Nun haben sich Bund und Länder darauf geeinigt, dass das Taschengeld in Erstaufnahmeeinrichtungen in Form von Sachleistungen und Gutscheinen gewährt werden soll. Die Umsetzung wäre in dem Fall Sache der grün-roten Landesregierung, die dem Berliner Kompromiss im Bundesrat zustimmen will.
Auch bei den Kommunen im Südwesten hat angesichts des enormen Anstiegs der Flüchtlingszahlen ein Umdenken eingesetzt. „Bargeldzahlungen stellen einen großen Anreiz dar, das sieht vor Ort inzwischen jeder so“, verlautet aus den Kommunalverbänden. Um mitzuhelfen, die Anreize weiter zu senken, werde daher darüber nachgedacht, auch in der kommunalen Unterbringung wo immer möglich zum Sachleistungsprinzip zurück zu kehren.
1500 Euro für eine fünfköpfige Familie Dies ginge allerdings nur auf freiwilliger Basis und nur in kommunalen Gemeinschaftsunterkünften. Dort könnte man dann künftig zum Beispiel wieder Gutscheine für Lebensmittel verteilen oder eine Kantine einrichten, heißt es. Derzeit bekommen die allermeisten Flüchtlinge in kommunaler Unterbringung sowohl das Taschengeld, das ihnen dort auch künftig erhalten bleiben wird, als auch Geld für Kleidung und Lebensmittel. Für einen alleinstehenden Erwachsenen sind das in der Regel 325 Euro im Monat, bei einer fünfköpfigen Familie summieren sich die Geldleistungen auf rund 1500 Euro im Monat.
Am kommenden Montag will Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) alle Landräte sowie die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte, also der Stadtkreise, im Stuttgarter Staatsministerium über die Berliner Beschlüsse informieren. Dabei wird er voraussichtlich auch mit der Forderung konfrontiert werden, einen Teil der Bundeshilfen, die das Land künftig und auf Dauer für die Flüchtlingsunterbringung erhält, an die Kommunen weiterzugeben.
Der Bund will für jeden Flüchtling den Ländern künftig eine Pauschale von 670 Euro überweisen. Das sind in etwa fünf Prozent der Kosten, die das Land hat. Baden-Württemberg zahlt den Kommunen derzeit nämlich einmalig 12 556 Euro pro Flüchtling . Im Unterschied zu anderen Bundesländern ist der Südwesten gegenüber seinen Kommunen damit recht großzügig, aber zumindest der Städtetag beklagt, dass die Kommunen zu wenig Unterstützung haben, wenn es um Sozialhilfe Betreuung für anerkannte Asylbewerber (etwa ein bis zwei Prozent aller Flüchtlinge) oder Bürgerkriegsflüchtlinge geht. Da die Zugangszahlen extrem hoch geworden sind, und die Schutzquote in diesem Jahr insgesamt bundesweit bislang bei rund 39 Prozent liegt, fordert Städtetagspräsident Gudrun Heute-Bluhm hier mehr Hilfe vom Land.
Städtetag begrüßt Senkung der Leistungsanreize
Jeder Flüchtling mit Bleiberecht koste die Städte im Schnitt rund 8000 Euro pro Jahr, sagte Heute-Bluhm unserer Zeitung. „Der Bund beteiligt sich nur mit einem Teil der Kosten für die Unterkunft.“
Zudem fordert Heute-Bluhm verstärkte finanzielle Anstrengungen des Landes im sozialen Wohnungsbau, nachdem nun der Bund den Ländern dafür 500 Millionen Euro im Jahr in Aussicht gestellt habe. Die Pläne für eine Verminderung des Zustroms von Balkan-Flüchtlingen, die noch immer rund 40 Prozent aller Flüchtlinge ausmachen, findet Heute-Bluhm gut: „Wir begrüßen die nun gemeinsam getragene Überzeugung von sicheren Drittstaaten und die Überlegungen, finanzielle Anreize durch Umstellung auf Sachleistungen deutlich zu mindern und die schnellere Rückführung zu sichern.“
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