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  • 09.10.2015 00:15 - „Bei wiederverheirateten Geschiedenen kann das Leben die Regeln überwinden“ – Interview von Erzbischof Heiner Koch
von esther10 in Kategorie Allgemein.

„Bei wiederverheirateten Geschiedenen kann das Leben die Regeln überwinden“ – Interview von Erzbischof Heiner Koch
2. Oktober 2015 11:12 | Mitteilung an die Redaktion


Interview mit Erzbischof Heiner Koch

(Berlin) Berlins Erzbischof Heiner Koch, einer der deutschen Synodalen bei der bevorstehenden Bischofssynode über die Familie, „rühmte zwei Tage vor Synodenbeginn den ‚hohen Wert‘ homosexueller Paare, die sich ‚begleiten und unterstützen‘“, so Secretum Meum Mihi. Der Erzbischof gab dem Corriere della Sera unmittelbar vor Synodenbeginn ein Interview. Die wichtigste Tageszeitung Italiens stellte dazu eine ganze Seite ihrer heutigen Ausgabe zur Verfügung. Was Erzbischof Koch zu Ehe, Familie, wiederverheirateten Geschiedenen, Homosexuellen und der Bischofssynode zu sagen hat, können Sie in deutscher Übersetzung nachlesen.

Erzbischof Koch war im Juni von Papst Franziskus auf den Bischofsstuhl der deutschen Bundeshauptstadt berufen und erst am vergangenen 19. September in sein Amt eingeführt worden. Er ist einer der drei von der Deutschen Bischofskonferenz gewählten Synodenvätern, die Deutschland in Rom vertreten werden. Hinzu kommt noch Kardinal Walter Kasper, den Papst Franziskus persönlich zum Synodalen ernannte.

Anfang 2014 lehnte der damalige Bischof von Dresden-Meißen eine „Homo-Ehe“ ab, bezeichnete es aber als „verletzend“, Homosexualität als Sünde zu bezeichnen. Eine Position, die er im Februar 2015 wiederholte. Das Interview wurde mit dem Titel: „Bei wiederverheirateten Geschiedenen kann das Leben die Regeln überwinden“ und dem Untertitel: „Für die Kirche bleibt die Ehe aber unauflöslich“ veröffentlicht. Das Interview führte der Berlin-Korrespondenz des Corriere della Sera, Danilo Taino.

Corriere della Sera: Die Synode wird über die Entscheidung diskutieren, die Annullierung der kirchlichen Ehe zu erleichtern. Ist das ein Nachgeben gegenüber der Säkularisierung der westlichen Gesellschaften?

Erzbischof Koch: Vor allem wird die Synode über die Ehe und die Familie sprechen und dem Papst einen Rat geben. Sie wird nichts entscheiden. Zur Sache: Die Annullierung einer Ehe bedeutet, daß die Hochzeit nicht gültig war. Das wird kein großes Thema der Synode sein. Dann gibt es Dinge, die der Papst motu proprio ändern kann. In diesem Fall betreffen sie nur den Annullierungsprozeß und dessen Geschwindigkeit. Eine andere Frage ist die Unauflöslichkeit der Ehe, doch dazu gibt es keinen Widerspruch. Die Ehe, als Sakrament, ist unauflöslich: das gibt unserem Glauben einen tiefen Sinn. Die Frage ist vielmehr, ob wiederverheiratete Geschiedene, die nach den geltenden Regeln nicht die Kommunion empfangen können, es wieder tun werden können. Das ist ein Thema, das mehr die Gemeinschaft als die Ehe betrifft.

Corriere della Sera: Können Sie das erklären?

Erzbischof Koch: Nicht an der Kommunion teilhaben, ist in erster Linie nicht eine Frage von Schuld und Strafe: Das Eheskrament ist mehr als ein sozialer Vertrag, er ist ein Teil des Glaubensgeheimnisses, in dem zwei Personen einen Bund untereinander und mit Gott eingehen. Und Gott mit ihnen. Gott wird dieses Versprechen nie zurücknehmen. Wer an der Kommunion teilnimmt, lebt diese Gemeinschaft mit Gott. Das steht im Widerspruch mit dem Bruch des Ehesakraments. Deshalb hat die Kirche gesagt, daß man nicht an der Kommunion teilnehmen kann: um nicht in diesem Widerspruch zu leben. Nun ist die theologische Frage die, ob die Kirche diese Personen, trotz des Bruches [des Ehesakraments] zur Kommunion akzeptieren kann. Generell nicht. Es kann aber Einzelfälle geben, wo der Bischof oder ein von ihm Beauftragter die Teilnahme erlauben können. Weil das Leben die Regeln überwindet. Es gibt einige Thesen des Papstes dazu und wir werden bei der Synode darüber diskutieren.


Erzbischof Heiner Koch von Berlin, Synodale der Bischofssynode 2015
Corriere della Sera: Was meinen Sie mit Leben, das die Regeln überwindet?

Erzbischof Koch: Zum Beispiel den Fall einer Ehe, in der der Mann die Frau verlassen und sie zum Wohl der Kinder wieder geheiratet hat, aber die Kommunion um jeden Preis will. Sie trifft keine moralische Schuld. Wenn eine tiefe Religiosität vorhanden ist, überwindet meines Erachtens das Leben die Regeln.

Corriere della Sera: Wird man je von einer katholischen Scheidung sprechen können?
Erzbischof Koch: Nein. Für uns ist die Ehe unauflöslich.

Corriere della Sera: Gibt es die Gefahr von Spaltungen in der Kirche? Kardinal Gerhard Müller sagte, daß „die protestantische Reformation auf dieselbe Art begonnen hat“.

Erzbischof Koch: Die Einheit der Kirche steht für mich und meine Mitbrüder im Bischofsamt außer Diskussion. Im Gegenteil ist es unsere Absicht, diese Einheit zu stärken. Kardinal Müller hat Recht, wenn er sagt, daß hier grundlegende Fragen diskutiert werden. Ich bin aber überzeugt, daß ein großer Konsens vorhanden ist: Hier in Deutschland werden wir Bischöfe nichts tun, was die Einheit der Bischöfe und der Kirche bedrohen könnte.

Corriere della Sera: Gibt es ein anti-italienisches Gefühl in Teilen der Weltkirche? Ein Gefühl gegen die vatikanische Kurie?

Erzbischof Koch: Gegen die italienische Kirche sehe ich es nicht. Gegenüber der Kurie gibt es immer eine gewisse Distanz: Vor Ort denkt man häufig, die Dinge besser zu kennen. Die Kurie hat aber andere Aufgaben, sie muß auf das Ganze schauen. Das kann sich nicht mit unseren Aufgaben fern von Rom vertragen. Das war immer so und wird so bleiben: Das ist kein Problem.

Corriere della Sera: Zum Beispiel?

Erzbischof Koch: Zum Beispiel haben wir die Aufgabe, uns um die Fälle von sexuellem Mißbrauch zu kümmern. Es ist sehr wichtig, es zeigt, wie sehr die Kirche verwundet ist. Das verlangt, daß die Vorgehensweise schnell ist. Doch manchmal sind die Zeiten lang, weil das Personal fehlt. Hier kann es eine Frage mit der Kurie geben. Die Kurie aber ist ein Organ des Papstes, mit dem wir in Gemeinschaft leben wollen und dem wir vertrauen. Gewiß, jede Verwaltung muß sich erneuern: Hoffen wir, daß es bei der bevorstehenden Reform Ergebnisse gibt.

Corriere della Sera: Wie sehen Sie Verbindungen zwischen Mann und Frau, die nicht verheiratet sind?

Erzbischof Koch: Wir müssen zugeben, daß die Leute in Freiheit immer öfter diesen Weg wählen. Wir haben nicht die Möglichkeit und das Recht, es zu verbieten. Für uns ist das eine Herausforderung: Wir müssen darüber in der Gesellschaft diskutieren, indem wir einladen und überzeugen. Wenn zwei Personen den höchsten Punkt ihrer Liebe erreichen und sagen: „Du kannst mir vertrauen, ich vertraue dir, gehen wir gemeinsam bis zum Tod“: das ist das größte Versprechen der Freiheit, das man abgeben kann. Das ist auch die Bedeutung des Ehesakraments, des Bundes mit Gott.

Corriere della Sera: Was denken Sie über homosexuelle Verbindungen?

Erzbischof Koch: Für uns kann die Sexualität nicht von der menschlichen Gemeinschaft getrennt werden. Wir können sie nicht von der Möglichkeit trennen, Leben zu schenken. Deshalb ist die Sexualität in der Logik der Kirche an die Ehe geknüpft. Daher ist sie mit der Liebe zwischen einem Mann und einer Frau, möglichem Vater und möglicher Mutter verknüpft. Eine homosexuelle Beziehung kann nicht so sein. Unabhängig davon ist klar, daß es homosexuelle Personen gibt, die sich unterstützen und sich begleiten auch im Alter und in der Krankheit, was ein hoher Wert ist.

Corriere della Sera: Warum eine Synode über die Familie durchführen angesichts der Probleme von Flüchtlingen, Krieg und Armut?

Erzbischof Koch: Ich hoffe sehr, daß die Flüchtlingsfamilien ein Thema der Synode sein werden, ich möchte darüber sprechen. Dies angemerkt: das Thema der Ehe und der Familie ist ein ständiges. Die zerbrochenen Familien sind eine Herausforderung, die in der Kirche wegen der Weitergabe des Glaubens eine große Bedeutung hat. Und sie hat eine aktuelle und dramatische Bedeutung für das Alter, für die Person, die stirbt. Die Euthanasie zum Beispiel ist eine Diskussion der Familien: aktuell und explosiv. Jeder ist vom Thema Familie betroffen: Ich glaube, daß der Papst sich deshalb dazu entschieden hat.

Einleitung/Übrsetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corriere della Sera (Screenshot)/Wikicommons



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