Flüchtlinge erzählen von ihrer Flucht "Wir haben den Schleppern alles gegeben" 11.10.2015, 15:40 Uhr | Nico Damm, t-online.de
Hinter den blanken Flüchtlingszahlen stehen viele Einzelschicksale. Wer sind diese Menschen? Was haben sie auf der Flucht erlebt? Was sind ihre Hoffnungen und Erwartungen an Deutschland? Fühlen sie sich willkommen?
t-online.de hat mit Flüchtlingen in Darmstadt und Frankfurt gesprochen. Manche von ihnen wollen anonym bleiben und ihr Gesicht nicht zeigen.
Dara Aziz und Bakhtiar Ahmad mit den Söhnen Hewar (1) und Rejwan (2) aus dem Irak
Mutter Lizan Dara Aziz und Vater Faraj Bakhtiar Ahmad mit ihren Söhnen Hewar (links) und Rejwan. Foto: Nico Damm
Lizan Dara Aziz (20): Mein Mann hat als Bauarbeiter gearbeitet, ich war Hausfrau. Dann wurde unser kleines Dorf im Nordirak von der Terrorgruppe Islamischer Staat erobert. Sie haben viele junge Männer umgebracht, Häuser ausgeraubt, sogar kleine Kinder getötet. Deshalb sind wir geflohen - teils zu Fuß, teils mit dem Lkw. Wir waren sieben Monate lang unterwegs. Wir haben den Schleppern alles gegeben, was wir hatten. Auf dem Weg über Serbien, Bulgarien und Ungarn hatten wir manchmal tagelang nichts zu Essen. Auf den Strecken zu Fuß hätten uns die Schlepper einfach sitzen gelassen, wenn wir nicht immer weiter gelaufen wären.
Faraj Bakhtiar Ahmad (25): Im Lager müssen wir lange anstehen für das Essen, und manchmal ist es schon fast alle, wenn wir drankommen. Wir sind seit über einem Monat in Deutschland, aber mittlerweile schon im fünften Camp. Leider fragt hier keiner, wie es einem geht. Wir erwarten nicht viel von der Zukunft. Nur, dass wir frei sind. Dass wir einfach leben können. Zum Glück haben wir durch Zufall eine Kurdin kennen gelernt, die schon lange in Deutschland lebt. Sie hilft uns sehr.
Abdii (18) aus Äthiopien
"Die Flucht durch die Sahara war schrecklich." Abdii (18) aus Äthiopien. Foto: Nico Damm
Ich bin seit drei Monaten hier - zuerst habe ich in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen gewohnt, dann einen Monat lang in einer Sporthalle. Jetzt wohne ich in einem richtigen Haus. Ich bin über den Sudan und Libyen nach Italien geflohen. Die Flucht durch die Sahara war schrecklich.Wir waren 200 Leute in einem Bus, 15 Tage lang. Es gab kaum zu essen und zu trinken. Nicht jeder hat das überlebt. Auch später auf dem Schiff sind einige Menschen gestorben. Hier will ich als erstes Deutsch lernen.
Saba Teshome (27) aus Eritrea
Mit acht Frauen teilt sie sich ein Zimmer. Saba Teshome (27) aus Eritrea. Foto: Nico Damm
Ich bin seit Ende August in Deutschland. Ich bin mit einer Gruppe Männer aus meiner Nachbarschaft aus Eritrea geflohen. Dort gibt es keine Arbeit und keine Freiheit. Die Flucht war sehr gefährlich. Danach war ich zwei Jahre lang in der Türkei. Ich war sehr krank, aber zum Glück haben die Vereinten Nationen mir die Operation bezahlt. Gewohnt habe ich bei Freunden. Seit zwei Tagen bin ich in der Erstaufnahmeeinrichtung in Darmstadt. Hier schlafe ich mit acht anderen Frauen in einem Raum. Die Toiletten sind dreckig. Ich weiß nicht, wohin ich als nächstes komme. Ich habe eine Tante, die schon länger in Frankfurt lebt. Sie weiß noch nicht, dass ich komme. Vielleicht kann sie mir helfen.
Yahya (22) aus Äthiopien
Auf der Suche nach Freiheit: Yahya (22) aus Äthiopien. Foto: Nico Damm
In Äthiopien gibt es keine Freiheit. Es gibt viel Kriminalität. Menschen werden überfallen und getötet. Auch die Polizei ist gefährlich. Sie hat meinen Onkel getötet, weil er für mehr Freiheit demonstriert hat. In Deutschland will ich so schnell wie möglich die Sprache lernen.
Sifan Gizaw (23) aus Äthiopien
Mit 900 Leuten stundenlang in einem Boot: Sifan Gizaw (23) aus Äthiopien. Foto: Nico Damm
Ich bin seit zwei Tagen im Auffanglager in Darmstadt, davor war ich in Gießen. Ich bin alleine von Äthiopien aus mit dem Bus über den Sudan nach Libyen gefahren. Von dort aus habe ich ein Boot nach Italien genommen. Die Überfahrt war sehr hart. Wir waren 900 Leute in einem vielleicht zehn Meter langen Boot. Es war so voll, dass man nur stehen konnte. Es gab keine Toilette, es stank, und es war sehr heiß. Mir war schlecht. Die Fahrt hat über sieben Stunden gedauert. Ich hoffe, meine Familie kann auch nach Deutschland kommen. Ich möchte Deutsch lernen und arbeiten - jede Arbeit ist gut.
Mohammed Ibrahim (36) aus Somalia
Die al-Shabaab-Miliz wollte ihn töten: Mohammed Ibrahim (36) aus Somalia. Foto: Nico Damm
Ich komme aus der Stadt Huddur in Somalia. Ich habe dort Frauen im Schneidern unterrichtet. Als die Al-Shabaab-Miliz die Stadt eroberte, haben sie mir gesagt: Die Frauen dürfen jetzt nur noch Burkas herstellen. Als ich mich weigerte, haben sie gedroht, mich zu töten. Deshalb bin ich geflohen. Deutschland ist gut, hier bin ich sicher und kann nachts schlafen. Freiheit ist einfach das Wichtigste im Leben.
Omar (19) aus Somalia
Schon die zweite Flucht: Omar (19) aus Somalia. Foto: Nico Damm
Ich komme aus Somalia, aber als ich zwei Jahre alt war, floh meine Familie mit mir vor dem Bürgerkrieg nach Saudi-Arabien. Doch wir wurden abgeschoben und mussten zurück. In Mogadischu hat die Al-Shabaab-Miliz meinen Vater ins Gefängnis geworfen - ohne Grund. Wenn man zufällig dem falschen Stamm angehört, bekommt man Probleme. Danach sind wir geflohen. Das war 2006. Zwei meiner Schwestern wohnen jetzt in Ägypten, meine Mutter und meine anderen Geschwister in Kanada.
Erjon (19) aus Albanien
Sucht Arbeit, von der er leben kann: Erjon (19) aus Albanien. Foto: Nico Damm
Meine Familie kommt aus einem kleinen Dorf in Albanien. Dort hat niemand von ihnen Arbeit. Deshalb bin ich allein nach Vlora gegangen. Dort habe ich als Kellner in einem Club gearbeitet, für 110 Euro im Monat. Das war nicht genug zum Leben. In Deutschland will ich zur Schule oder arbeiten gehen, bis ich genug Geld für ein Studium in Albanien habe. Mein Deutschkurs läuft nur 30 Tage - ob ich danach weiterlernen kann, weiß ich nicht. Zurzeit bin ich in einer Sporthalle untergebracht.
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