MOUHANAD KHORCHIDE...sagt Wir brauchen einen islamischen Humanismus
VON MOUHANAD KHORCHIDE12. OKTOBER 2015 Peter Grewer
Mouhanad Khorchide hält muslimischen Reformverweigerern den Spiegel vor.
In seinem neuen Buch „Gott glaubt an den Menschen“ prangert Mouhanad Khorchide die ausbleibende Reform des Islam an. Der Theologe skizziert seine Vision: einen offenen, demokratischen Islam, der Ursprung eines weltumspannenden Humanismus wird. Ein Buchauszug
2 Kommentare Mouhanad Khorchide ist seit 2010 Professor für Islamische Religionspädagogik an der Uni Münster und dort auch Leiter des Zentrums für Islamische Theologie. Er studierte Islamische Theologie und Soziologie in Beirut und Wien, wo er mit einer Studie über islamische Religionslehrer promovierte. Khorchides Auffassung von moderner islamischer Pädagogik empört die muslimischen Verbandsfunktionäre in Deutschland. Bekannt wurde er 2012 mit seinem Buch „Islam ist Barmherzigkeit. Grundzüge einer modernen Religion".
Das Hauptproblem einiger religiöser Menschen besteht darin, dass sie – wenn auch unbewusst – von einem Gottesbild ausgehen, das Gott als Antihumanisten darstellt. Sie stellen sich einen Gott vor, dem es um die eigene Verherrlichung durch die Menschen geht und der sie zu seinen Marionetten machen will, deren Rolle lediglich darin besteht, Instruktionen zu empfangen, die sie unhinterfragt ausführen müssen; ansonsten droht ihnen der Zorn Gottes, schlimmstenfalls das Höllenfeuer. Dadurch konstruieren gerade gläubige Menschen eine künstliche Spannung zwischen sich selbst und der Entfaltung ihrer Persönlichkeit, ihrer Freiheit und ihrer Mündigkeit auf der einen Seite und Gott auf der anderen. Eine Spannung, die von Religionskritikern als Argument gegen Religionen verwendet wird.
Der Islam, wie ich ihn verstehe und für den ich mich stark mache, beschreibt die Gott-Mensch-Beziehung völlig anders, nämlich als eine partnerschaftliche Beziehung. Weder will Gott den Menschen bevormunden, noch soll sich der Mensch für göttlich halten. Gott will den Menschen, er glaubt an ihn, er will seine Glückseligkeit, er hat sich auf ihn eingelassen und sich für ihn entschieden, deshalb ist Gott ein Humanist. Im Folgenden gehe ich auf die wesentlichen Aspekte im Islam ein, die diesen göttlichen Humanismus beschreiben.
(...)
Gott lässt sich von niemandem vereinnahmen
Die ersten Worte der ersten Sure im Koran nach der Basmala (Im Namen Gottes des Allbarmherzigen des Allerbarmers), mit der die Muslime auch jedes Gebet eröffnen, lauten: »Gepriesen sei Gott, der Herr der Menschen in aller Welt.« Gott ist nicht Gott der Gläubigen alleine und schon gar nicht der Muslime alleine, er ist Gott aller Menschen, d.h. er wendet sich an alle Menschen.
Daher sprach er im Koran zum Propheten Muhammad: »Sag: ›Ihr Menschen! Ich bin der Gesandte Gottes an euch alle […]‹«, womit er verdeutlicht, dass sich Muhammads Verkündung an alle Menschen richtet. Daher ist es keine Anmaßung von Nichtmuslimen, wenn sie sich mit dem Islam und dem Koran auseinandersetzen. Im Gegenteil, alle sind dazu aufgerufen, sich damit zu befassen – auch kritisch. Daher treffen die Aussagen nicht zu, der Koran sei das Buch der Muslime und Muhammad der Prophet der Muslime. Um dies zu unterstreichen, wiederholt der Koran an mehreren Stellen den Ruf »O Ihr Menschen«. In einer der bekanntesten Suren im Koran, der letzten Sure, 114, wird mehrfach betont, dass Gott der Gott aller Menschen ist: »Sag: Ich suche Zuflucht beim Herrn der Menschen, dem König der Menschen, dem Gott der Menschen«. In diesem Zusammenhang kritisiert der Koran jegliche exklusivistische Haltung, die den anderen gänzlich ablehnt und Gott nur für eine bestimmte Gruppe, Konfession oderWeltanschauung vereinnahmen will. Im Koran sind hierzu keine eindeutigen Belege zu finden. Um ihre Position zu begründen, greifen Vertreter dieser Ansicht sehr oft auf folgenden koranischen Vers zurück: »Die Religion bei Gott ist der Islam […].« Sie übersehen dabei jedoch, dass der Begriff »Islam« im Koran keine bestimmte Religion bezeichnet, sondern die Haltung, sein Leben auf Gott hin auszurichten, im Sinne von einem Ja zur Kooperation mit Gott, um Gottes Intention nach Liebe und Barmherzigkeit Wirklichkeit werden zu lassen. So werden im Koran u. a. Abraham (3:67), Lot (51:36), Noah (10:72) und die Anhänger Jesu (5:111) als Muslime bezeichnet.
Vertreter exklusivistischer Positionen wollen – bewusst oder unbewusst – sich selbst die Macht verleihen, über Menschen zu richten, sich somit selbst profilieren, um sich über andere zu erheben.
Wenn der Koran sagt: »Und die Juden sagen: ›Den Christen fehlt die Sachkunde‹, und die Christen sagen: ›Den Juden fehlt die Sachkunde.‹ Dabei lesen sie doch die Schrift. Sie reden wie diejenigen, die kein Wissen haben. Am Tag der Auferstehung wird Gott zwischen ihnen richten, worüber sie uneins waren«56, dann will er damit nicht die Juden oder die Christen kritisieren, sondern die grundsätzliche Haltung, anderen die ihnen gebührende Anerkennung abzusprechen. Mit anderen Worten: Würde der Koran heute verkündet werden, würde er den Muslimen sagen: »Und die Juden sagen: ›Den Christen fehlt die Sachkunde‹, und die Christen sagen: ›Den Juden fehlt die Sachkunde‹, und die Muslime sagen: ›Den Juden und den Christen fehlt die Sachkunde.‹ « Am Ende des Verses betont der Koran, dass es lediglich in der Kompetenz Gottes liegt, zwischen den Menschen und den Konfessionen zu richten:
»Wahrlich, zwischen den Muslimen, den Juden, den Sabäern und den Christen und den Magiern und den Polytheisten wird Gott richten am Tag der Auferstehung. Wahrlich, Gott ist aller Dinge Zeuge.«
Juden, Christen und anderer erhalten ewige Glückseligkeit
Der Koran unterstreicht, dass die einzig wahre Verfügung über die Barmherzigkeit bei Gott liegt und nicht beim Menschen, denn der Mensch würde die göttliche Barmherzigkeit, die alle und alles umfasst, nur selektiv verteilen und vielen vorenthalten: »Wenn ihr über die Vorräte der Barmherzigkeit Gottes verfügen würdet, würdet ihr aus Furcht, euch zu verausgaben, Zurückhaltung üben. Denn der Mensch ist geizig.« Diese koranische Warnung vor einer exklusivistischen Position findet allerdings bei einigen Muslimen kaum Beachtung. Und das, obwohl der Koran selbst eine inklusivistische Position betont, die das Andere würdigt und anerkennt: »Die Muslime, und diejenigen, die dem Judentum angehören, und die Christen und die Sabäer, – (alle) die, die an Gott und den jüngsten Tag glauben und Rechtschaffenes tun, denen steht bei ihrem Herrn ihr Lohn zu, und sie brauchen (wegen des Gerichts) keine Angst zu haben, und sie werden (nach der Abrechnung am jüngsten Tag) nicht traurig sein.«
Dieser Vers, der sich in der fünften Sure wiederholt (5:69), verspricht Juden, Christen und Angehörigen anderer Religionen unmissverständlich die ewige Glückseligkeit. Innerislamisch werden heute inklusivistische und pluralistische Positionen von einer wachsenden Anzahl von Gelehrten vertreten, darunter Mohammed Arkoun (gest. 2010), Hasan Askari, Adnan Aslan, Mahmut Aydin, Mahmoud Ayoub, Ashgar Ali Engineer (gest. 2013), Farid Esack, Seyyed Hossein Nasr, Abdulaziz Sachedina, Abdulkarim Souroush u. a. Adnan Aslan und Mahmoud Ayoub zeigen in ihren Arbeiten anhand koranischer Aussagen, dass der Islam nicht nur dem Judentum und dem Christentum gegenüber offensteht, sondern auch anderen Religionen und Weltanschauungen wie dem Buddhismus und dem Hinduismus. Denn der Koran unterstreicht, dass die konfessionelle Vielfalt unter den Menschen gottgewollt ist: »Und wir sandten zu dir in Wahrheit das Buch hinab, bestätigend, was ihm an Schriften vorausging und über sie Gewissheit gebend. […] Jedem von euch gaben wir einen Weg. Wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Doch er will euch in dem prüfen, was er euch gegeben hat. Wetteifert nun nach den guten Dingen […].«60 Letztendlich darf nur Gott zwischen den Menschen richten: »Muslime, Juden, Sabäer, Christen, Magier und Polytheisten, Gott wird am Tag des Gerichts zwischen ihnen richten. Er ist über alles Zeuge.« http://www.cicero.de/salon/islam-und-hum...tradition/59898 http://www.cicero.de/salon/zur-fluechtli...eraendern/59958
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