Sterbehilfe: Um Himmels Willen, Nein!
30. Oktober 2015 by Papsttreuer Leave a Comment
Am 6.11. soll der Bundestag über Vorschläge zur Regelung der Sterbehilfe entscheiden. Ist das unser Ernst, eine Entscheidung dieser Tragweite zu delegieren?
Krisenzeiten sind Erntezeiten! Und je größer die Krise ist, umso leichter ist es, die Ernte einzufahren, die man über Monate und Jahre gesäht hat. So scheint es auch mit der anstehenden Beschlussfassung des deutschen Bundestages zur Sterbehilfe am 6. November auszusehen. Es ist von heute aus noch eine Woche hin, bis über diese wegweisende moralische Frage entschieden wird, und in den Medien ruht der See ganz still. Da wäre es ein Leichtes, Gesetzesentwürfe durchzubringen, die möglicherweise eine Mehrheit im Parlament haben, aber weder verassungskonform noch ethisch vertretbar sind. Huschhusch, schnell durch damit, es reicht, wenn am nächsten Freitag die Tagesschau über das Ergebnis berichtet.
Dabei geht es um fundamentale Fragen über den Wert des Lebens. So fundamental, dass ich – das muss ich zugeben – mich an das Thema bislang nicht mal herangetraut habe. Umso schwerwiegender, dass nun ein Parlament darüber entscheiden soll, ohne das bislang eine intensive gesellschaftliche Debatte darüber stattgefunden hätte. Wo ist der „Brennpunkt“, wo sind die Talkshows, die das Thema bearbeiten? Wo sind die Schwerpunktthemen im Fernsehen – da beschäftigt man sich lieber mit „Heimat“, weil es gerade so schön heimelig in die Flüchtlingsthematik passt. Dabei geht es hier um Leben und Tod – auch Ihren!
Die Frage, die die Bundestagsabgeordneten per Abstimmung beantworten sollen, ist, inwieweit Menschen am Ende ihres Lebens oder einer auskurierten, nicht mehr heilbaren Krankheit, bei einem selbst gewünschten Selbstmord unterstützt werden dürfen. Dazu liegen vier Gesetzentwürfe vor, von denen drei nach Einschätzung von Verfassungsrechtlern nicht verfassungskonform sind, während der dritte, der sich für ein klares Verbot der Sterbehilfe und eine Intensivierung der Sterbebegleitung und Palliativmedizin einsetzt, voraussichtlich keine Mehrheit finden wird. Das Gespenst, dass ein Parlament in einer solchen Frage ohne intensive gesellschaftliche Debatte entscheidet, wird also noch dadurch gruseliger, dass es am Ende womöglich das Bundesverfassungsgericht sein könnte, dass darüber entscheidet – noch unabhängiger von der Debatte, was für den Lebensschutz ein Vorteil sein kann, aber für die gesellschaftliche Grundstimmung zu dem Thema auch verheerend.
Der klarste und christlichste Vorschlag ist also der der Abgeordneten Dörflinger, Hüppe und Sensburg, der für ein klares Verbot der Sterbehilfe eintritt. Dabei geht es aber nicht um ein Nein zur Sterbehilfe sondern um ein Ja zu einer humanen Sterbebegleitung: Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord sollen grundsätzlich verboten sein, betroffene Menschen aber in Hospizen und mit moderner Palliativmedizin zu einem natürlichen Tod begleitet werden. Es gilt der Satz, der in diesem Zusammenhang auch von Kirchenvertretern geäußert wird: Der Mensch soll an der Hand, nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben.
In den anderen Gesetzesvorlagen (verbunden mit den Namen von erstens Brand und Griese, zweitens Hintze, Reimann und Lauterbach und drittens Künast, Sitte und Gehring), die Sterbehilfe erlauben wollen geht es konsequenterweise nicht nur um den Suizig unheilbar Kranker sondern um den Selbstmord allgemein. Im von Künast, Sitte und Gehring eingebrachten Vorschlag wird nur die gewerbsmäßige Hilfe zum Selbstmord verboten. In allen anderen Fällen darf demnach der Selbstmord unterstützt werden, auch wenn keine Krankheit vorliegt. Im Vorschlag der Abgeordneten Brand und Griese wird unter sonst gleichen Bedingungen jede geschäftsmäßige Hilfe zum Selbstmord verboten, also soweit sie auf Wiederholung angelegt ist, wie bei Sterbehilfevereinen, auch wenn sie nicht gewerbsmäßig tätig sind. Erschreckend ist in meinen Augen insbesondere der Vorschlag der Abgeordeten Hintze, Reimann und Lauterbach, bei dem letztlich jede Sterbehilfe erlaubt ist, wenn sich der Selbstmordwillige aus freiem Willen dazu entschieden hat.
Man könnte sich nun fragen, was denn ein Liberaler gegen eine freie Willensentscheidung einzuwenden hat? Es stellt sich aber die Frage, inwieweit ein Mensch eigentlich wirklich frei entscheidet, der Selbstmord begehen möchte. Ist er wirklich frei oder eingeschränkt durch die Umgebung und die Umstände? Argumentiert wird oft mit unerträglichen Schmerzen, vor denen man sich selbst bzw. den Anderen bewahren will. Unbekannt sind dabei nicht selten die Möglichkeiten der Palliativmedizin, die weitgehend in der Lage ist, auch schwerste Krankheiten ohne Schmerzen zu durchleben. Auch die Angst, alleine und hilflos zu sterben kann im Hintergrund des Sterbewunsches stehen – aber das ist ebenfalls im Grunde keine freie Entscheidung sondern eine Konsequenz der Entscheidung von Menschen aus dem Umfeld. Patrick Sensburg, der Mitautor des Vorschlags zu einem Sterbehilfeverbot, beschreibt die Situation genau richtig: „Diejenigen, die übrigens vom höchsten Maß der Selbstbestimmung im Suizid ausgehen, werden feststellen müssen, dass der Suizident nach den vorliegenden Gesetzesentwürfen maßgeblich vom Willen Dritter abhängt, also sie die letztliche Wahl haben.“
Darüber hinaus muss man auch die Botschaft beachten, die man als Gesetzgeber und als Gesellschaft aussendet, wenn man Sterbehilfe und Sterbebegleitung gleichberechtigt nebeneinander stellt. In dem Fall wird sich letztlich irgendwann die Frage der Wirtschaftlichkeit stellen. Auch hier ist das Argument von Sensburg treffgenau: „Der Patient, der sich für die Lebenserhaltung mit großem Aufwand entscheidet, wird dann den Angehörigen und der Gesellschaft gegenüber begründungspflichtig, wie dies in den Niederlanden beispielsweise bereits der Fall ist.“ Die Verteidiger der Sterbehilfe behaupten, mit der begrenzten Freigabe der Sterbehilf sei kein weiterer Weg präjudiziert – die Entwicklung in den Niederlanden und der Schweiz mit „Sterbeparties“ und ähnlichem straft solche Argumente Lügen.
Prof. Dr. Christian Hillgruber, der für eine Anhörung im Bundestag ein Gutachten verfasst hat, kommt daher zu folgendem Ergebnis:
Drei von vier der in der Debatte um Sterbehilfe vorgelegten Gesetzentwürfe tragen der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben und die Würde jedes Menschen nur ungenügend Rechnung. Eine Beschränkung des Verbotes der Sterbehilfe auf geschäftsmäßige oder organisierte Fälle, wie es der Entwurf von Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) vorsieht, wird dieser staatlichen Schutzpflicht nicht gerecht. Vielmehr bestehen gerade auch im engeren familiären Umfeld des Sterbenskranken Abhängigkeiten und Erwartungshaltungen, die die stets prekäre freiverantwortliche Entscheidung am Lebensende strukturell gefährden.
Die Gesetzentwürfe von Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Die Linke) einerseits sowie Peter Hintze (CDU) und Carola Reimann (SPD) andererseits, die ärztliche Suizidbeihilfe unter bestimmten Voraussetzungen legalisieren und so das in 10 von 17 Ärztekammerbezirken geltende Verbot außer Kraft setzen wollen, sind mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf diesem Gebiet bereits formell verfassungswidrig. Aber auch materiell bestehen durchgreifende Zweifel daran, ob durch eine gesetzlich näher ausgestaltete Organisation der Suizidbeihilfe bei Künast und Sitte dem verfassungsrechtlich gebotenen Autonomie- und Lebensschutz ausreichend Rechnung getragen werden kann.
Diesem hohen Schutzgut genügt hingegen der Gesetzentwurf von Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger (beide CDU), der ein umfassendes Verbot der Suizidbeihilfe vorsieht. Ein solches Verbot, mit dem die Rechtsordnung gegen die Selbsteinschätzung des Lebensmüden um der Menschenwürde willen daran festhält, dass das Leben unter allen Umständen ein erhaltenswertes Gut darstellt, ist nicht nur verfassungskonform, sondern verfassungsrechtlich sogar geboten.
Schauen wir noch mal auf den Katechismus, dessen diesbezügliche Abschnitte es sich in Gänze zu lesen lohnt, sieht man auch aus dieser Sicht, welche Konsequenzen für einen Katholiken zu ziehen sind:
2276 Menschen, die versehrt oder geschwächt sind, brauchen besondere Beachtung. Kranke oder Behinderte sind zu unterstützen, damit sie ein möglichst normales Leben führen können.
2277 Die direkte Euthanasie besteht darin, daß man aus welchen Gründen und mit welchen Mitteln auch immer dem Leben behinderter, kranker oder sterbender Menschen ein Ende setzt. Sie ist sittlich unannehmbar.
Eine Handlung oder eine Unterlassung, die von sich aus oder der Absicht nach den Tod herbeiführt, um dem Schmerz ein Ende zu machen, ist ein Mord, ein schweres Vergehen gegen die Menschenwürde und gegen die Achtung, die man dem lebendigen Gott, dem Schöpfer, schuldet. Das Fehlurteil, dem man gutgläubig zum Opfer fallen kann, ändert die Natur dieser mörderischen Tat nicht, die stets zu verbieten und auszuschließen ist.
2278 Die Moral verlangt keine Therapie um jeden Preis. Außerordentliche oder zum erhofften Ergebnis in keinem Verhältnis stehende aufwendige und gefährliche medizinische Verfahren einzustellen, kann berechtigt sein. Man will dadurch den Tod nicht herbeiführen, sondern nimmt nur hin, ihn nicht verhindern zu können. Die Entscheidungen sind vom Patienten selbst zu treffen, falls er dazu fähig und imstande ist, andernfalls von den gesetzlich Bevollmächtigten, wobei stets der vernünftige Wille und die berechtigten Interessen des Patienten zu achten sind.
2279 Selbst wenn voraussichtlich der Tod unmittelbar bevorsteht, darf die Pflege, die man für gewöhnlich einem kranken Menschen schuldet, nicht abgebrochen werden. Schmerzlindernde Mittel zu verwenden, um die Leiden des Sterbenden zu erleichtern selbst auf die Gefahr hin, sein Leben abzukürzen, kann sittlich der Menschenwürde entsprechen, falls der Tod weder als Ziel noch als Mittel gewollt, sondern bloß als unvermeidbar vorausgesehen und in Kauf genommen wird.
Die Betreuung des Sterbenden ist eine vorbildliche Form selbstloser Nächstenliebe; sie soll aus diesem Grund gefördert werden. (Hervorhebungen durch mich)
Der eine oder andere mag meinen, dieser Beitrag sei allzu trocken geraten bei einem so emotionalen Thema. Das ist Absicht: Ich wollte an dieser Stelle lediglich die Fakten in gebotener Kürze und notwendiger Breite darstellen. Dass in dieser Hinsicht für mich nur eine Entscheidung des Bundestages legitim sein kann, und dass ich mich frage, wie Abgeordnete von Parteien, die das „C“ im Namen tragen, ernsthaft auf den Gedanken kommen können, Sterbehilfe sei eine gute Idee, sollte sich danach von selbst verstehen.
Meine eigentliche Botschaft ist aber eine andere: Wie kann man auch nur annähernd annehmen, dass eine gesetzgeberische Entscheidung dieser Tragweite keine gesellschaftlichen Auswirkungen hat? Wie kann man – um das derzeit im Vordergrund stehende Thema aufzugreifen – von Menschen erwarten, sich in unsere Kultur einzugliedern, wenn man die Entscheidung über derart fundamentale Fragen über den Wert des Lebens und den Umgang mit dem Tod, den Abgebordneten des Bundestages überlässt – ohne intensive Diskussionen im Vorfeld? Welche Allmachtsphantasien treiben die Vertreter der gesetzgebenden Gewalt in Deutschland, dass sie meinen, am 6.11. in dieser Weise über Leben und Tod entscheiden zu können? Ich unterstelle keinem Vertreter der anderen Positionen schlechte Absichten, sie meinen vermutlich, das Richtige vorzuschlagen und zur Entscheidung vorzulegen. Aber welche Hybris steckt eigentlich hinter den Vorschlägen und dem Willen, deratige moralische Fragestellungen durch ein Gesetzgebungsverfahren zu lösen?
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