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  • 30.10.2015 00:39 - NEUE BILDPOST - Deutschland-Ausgabe 44 vom 31. Oktober/1. November
von esther10 in Kategorie Allgemein.

THEMEN DER WOCHE
NEUE BILDPOST - Deutschland.
Ausgabe 44 vom 31. Oktober/1. November


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„Sexualpädagogik der Vielfalt“ sorgt mit neuen Unterrichtsformen für Diskussionen

BONN – Wie weit sollte Sexualerziehung an Schulen gehen? Um dieses Thema gibt es derzeit Streit in mehreren deutschen Bundesländern. Es geht um Schamgrenzen, sexuelle Vielfalt und den Status der traditionellen Familie.

Das Thema ist explosiv. An der modernen Sexualaufklärung scheiden sich die Geister. Denn der neueste Ansatz geht weit über den Sexualkunde-Unterricht der vergangenen Jahrzehnte hinaus. Das zeigen die Lehr- und Bildungspläne mehrerer Bundesländer.

Bei der Jahresversammlung der katholischen Görres-Gesellschaft, einer traditionsreichen wissenschaftlichen Vereinigung, in Bonn ging es kürzlich auch darum, wie weit die „Sexualpädagogik der Vielfalt“ ins elterliche Erziehungsrecht und das Persönlichkeitsrecht der Schüler eingreift – und inwieweit der Staat seinen Bildungsauftrag überdehnt. Bremen hat einen Aktionsplan für die Gleichberechtigung von sexuellen Minderheiten, Schleswig-Holstein, Berlin und Nordrhein-Westfalen auch. Besonders heftig wird in Baden-Württemberg gestritten, wo im März 2016 Landtagswahlen anstehen.

Neue Sexualmoral?

Der Streit ist vielschichtig. Es geht einerseits darum, wie weit die Mädchen und Jungen nicht nur abstraktes Wissen vermittelt bekommen, sondern konkrete Sexualpraktiken kennenlernen und eine neue Sexualmoral vermittelt werden soll. Es geht um den Umgang mit sexuellen Minderheiten – Lesben, Schwulen, Transsexuellen und Transgendern – aber auch um den Stellenwert der traditionellen Familie.

Für die Kölner Pädagogik-Professorin Karla Etschenberg schießen die Bildungspläne zur Sexualität in vielen Bundesländern über das Ziel hinaus. „Sachliches Sprechen über Sexualität ist die wichtigste Methode der Sexualerziehung“, sagte sie bei der Tagung der Görres-Gesellschaft. Kinder und Jugendliche sollten auch mit der „sexuellen Realität“ in der Gesellschaft vertraut gemacht sowie zur Toleranz gegenüber den vielfältigen Formen sexueller Ausrichtung erzogen werden.

„Wie jeder Einzelne aber mit seiner Sexualität umgeht, das sollte Schule und Unterricht entzogen bleiben“, fordert Etschenberg mit Blick auf Unterrichtsformen, in denen zum Beispiel Schüler in Rollenspielen aufgefordert werden, Verhütungsmittel zu kaufen, um ihre Scheu davor zu überwinden.

Externe Referenten

Die Autorin zahlreicher Unterrichtshilfen für den Sexualkundeunterricht beklagt, dass Lehrer schon seit Jahrzehnten unzureichend für den Sexualkundeunterricht ausgebildet würden. Schulen überlassen das Thema teilweise externen Fachleuten, die etwa von Beratungsstellen wie Pro Familia kommen. Etschenberg fordert einen Runden Tisch und eine neue Verständigung über Ziele und Methoden des Sexualkunde-Unterrichts.

Doch der Streit geht noch tiefer: Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt hielt zahlreichen Bildungsplänen vor, die Schüler nicht ausschließlich zur Toleranz gegenüber diskriminierten Minderheiten anzuhalten. Ziel sei es vielfach auch, die „normale“ Familie in Schulbüchern als überholt darzustellen, gar überwinden zu wollen – weil sonst gleichgeschlechtlich fühlende Kinder in ihrer Entwicklung Schaden nehmen könnten.

„Wer Bedenken äußert oder sogar am traditionellen Familienbild in Schulbüchern festhalten will, gilt schnell als homophob“, meint Patzelt. Er fordert, auch das Grundwissen der Biologie und der Evolutionslehre in den Lehrplänen zu berücksichtigen. „Schon wegen der Fortpflanzung ist das Interesse am anderen Geschlecht der Normalfall“, erläutert Patzelt. „Homosexualität ist keine Standard-Praxis.“

Sexualerziehung für Kinder und Jugendliche ist schon immer ein heikles Thema gewesen. Lange blieb sie den Familien überlassen. Das änderte sich mit der Generation der 68er: Sie forderte die Befreiung von den prüden Vorstellungen der Elterngeneration. Auch Schulen sollten ihrer Ansicht nach Aufklärung betreiben. 1977 entschied das Bundesverfassungsgericht, die schulische Sexualerziehung habe sich auf die Wissensvermittlung zu beschränken, müsse verschiedene Werthaltungen achten und auf die „religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen“ der Eltern Rücksicht nehmen.

Politik ist gefordert

In der aktuellen Situation wird die Schule zur ideologischen Hauptkampfzone: Der Bonner Verfassungsrechtler Christian Hillgruber rechnet mit zunehmenden gerichtlichen Auseinandersetzungen über die „Sexualpädagogik der Vielfalt“. Der Staat dürfe nicht indoktrinieren, sondern müsse für verschiedene Werthaltungen offen sein. Hillgruber forderte die Politik auf, den im Grundgesetz verankerten Schutz von Ehe und Familie auch im Sexualkunde-Unterricht wirksam werden zu lassen.
Christoph Arens

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