Synode der Zwietracht – Kommt es zum „faktischen Schisma“? 4. November 2015 18:49 | Mitteilung an die Redaktion
Papst und Synodalen
Papst Franziskus mit Synodalen
Der dominikanische Theologe Thomas Michelet stellt die Mehrdeutigkeit des Synodentextes bloß, der keine Einheit schuf, sondern die Spaltungen zudeckte. Der Konflikt zwischen der „Hermeneutik der Kontinuität“ und der „Hermeneutik des Bruchs“ und das Dilemma von Papst
Franziskus. von Sandro Magister
Zwei Wochen nach ihrem Ende, wird das, was die Synode über die Familie gesagt hat, gegensätzlich gelesen.
Für einige war dieser unsichere Ausgang gewollt. Pater Adolfo Nicolás Pachón, der Generalobere der Jesuiten, den Papst Franziskus in die Kommission berufen hat, die mit der Abfassung der Relatio finalis beauftragt war, hat dies offen als Erfolg behauptet, kaum daß die Synode zu Ende war:
„Im Kopf aller in der Kommission war die Idee, ein Dokument vorzubereiten, das die Türen offen läßt: damit der Papst hinein und hinaus kann, und tun kann, wie er es für richtig hält“. In der Tat sind nun alle Erwartungen auf das gerichtet, was Franziskus sagen wird. Dieser hat seine Absichten bereits telefonisch am 28. Oktober seinem Freund Eugenio Scalfari angekündigt, dem bekennenden Atheisten und Gründer von La Repubblica, dem italienischen Leitmedium des laizistischen Denkens, der die Worte des Papstes prompt folgendermaßen niederschrieb:
„Die unterschiedliche Meinung der Bischöfe ist Teil der Modernität der Kirche und der verschiedenen Gesellschaften, in denen sie wirkt, aber die Absicht ist eine gemeinsame und was die Zulassung der Geschiedenen zu den Sakramenten betrifft, bestätigt es, daß dieses Prinzip von der Synode angenommen wurde. Das ist das wesentliche Ergebnis, die eigentlichen Abwägungen sind den Beichtvätern anvertraut, doch am Ende der schneller oder langsamer vonstatten gehenden Wege, werden alle Geschiedenen, die es wünschen, zugelassen werden.“ Am 2. November sagte Pater Federico Lombardi allerdings, vom National Catholic Register befragt, daß das, was Scalfari hinterbrachte, „in keiner Weise glaubwürdig ist und nicht als Denken des Papstes betrachtet werden kann“.
Doch unabhängig von der Spannung, mit der erwartet wird, was Franziskus denkt und sagen wird, bleibt das Fragezeichen. Wie begründet ist die Lesart des Synodenschlußberichts – und besonders seiner Paragraphen zum Kernpunkt, der Kommunion für die wiederverheirateten Geschiedenen – als „offen“ für mehrere widersprüchliche Interpretationen?
Es folgt die erste vertiefte Analyse zur Frage. Sie wurde vom französischen dominikanischen Theologen Pater Thomas Michelet für chiesa.espressonline.it [Sandro Magister] geschrieben. Michelet schreibt für die renommierte Zeitschrift Nova et Vetera der Theologischen Fakultät von Freiburg im Üchtland.
Seine Schlußfolgerung lautet: Wenn kein klares und unmißverständliches lehramtliches Dokument auf der Grundlage der Tradition folgt, werden sich die bereits bestehenden unterschiedlichen pastoralen Praktiken weiterentwickeln, die einen in Übereinstimmung mit der Rechtgläubigkeit, die anderen nicht, mit dem unausweichlichen Ergebnis eines „faktischen Schismas“, das für die einen wie für die anderen durch die doppelte, gegensätzliche Lesart des Synodenausgangs legitimiert wird.
Sehen wir, wie Pater Michelet zu seinem Schluß kommt. Mit einem Hinweis: Das Interpretationsschema, das Pater Michelet in der Analyse des Synodentextes anwendet, ist dasselbe, das Benedikt XVI. für die Nachkonzilszeit in seiner denkwürdigen Rede vom 22. Dezember 2005 angewendet hat, in der er die „Hermeneutik der Kontinuität“ der „Hermeneutik des Bruchs“ gegenüberstellte. . Was sagt die Synode wirklich über die wiederverheirateten Geschiedenen?
Pater Thomas Michelet OP von Thomas Michelet OP
Es wird niemandem entgangen sein, daß die Frage der „wiederverheirateten Geschiedenen“ (die man besser „wiederverpflichtete Getrennte“ nennen sollte) die während diese ganzen Synode über die Familie am härtesten diskutierte war, sowohl unter den Synodenvätern als auch unter den Gläubigen, ja sogar des großen Publikums, indem sie regelmäßig die Titelseiten der Zeitungen eroberte. Etwas, was man seit langem nicht mehr gesehen hatte. Kurzum, wenige Themen haben ein ebensolches Interesse ausgelöst.
Die Komplexität der Debatte spiegelt sich in den offiziellen Dokumenten wider, indem die direkt diese Materie betreffenden Paragraphen jedes Mal die geringste Zustimmung fanden, obwohl die Entwürfe darauf abzielten, einen breiten Konsens zu finden. So findet man es auch in den gegensätzlichen Bewertungen durch die Medien wieder, die je nachdem entweder den Sieg des einen oder des anderen Lagers verkünden, oder sich über den Ausgang freuen oder ihn beklagen. Die einen, indem sie den Von-Fall-zu-Fall-Zugang der Geschiedenen zur Kommunion als Beginn einer sanften Revolution in Richtung einer neuen Kirche halten; die anderen, indem sie auf das entscheidende Fehlen einer Erwähnung der Kommunion im Schlußbericht verweisen und damit die Beibehaltung des status quo ante.
Setzen wir jedoch nicht zu schnell die „Synode der Medien“ der wirklichen gegenüber und geben vielmehr ehrlich zu, daß dieser Interpretationskonflikt seinen Ursprung, zumindest zum Teil, im Text selbst hat, dem es in diesem konkreten Punkt an jener Klarheit und Präzision fehlt, die man sich nach zwei Jahren erwarten hätte dürfen. Wie ich bereits im Juli geschrieben habe, ist zu befürchten, daß verschiedene Synodenväter mit dieser Übereinkunft aus den unterschiedlichsten, ja sogar gegensätzlichen Gründen, zufrieden sind, da der Text unterschiedliche Lesarten erlaubt und ermöglicht, eine Spaltung zuzudecken, die bleibt und die Gefahr birgt, in Zukunft noch größer zu werden, wenn man die Sache nicht klärt.
1. Ein schwieriger Konsens
Alle erinnern sich, daß am 18. Oktober 2014 bei der Abstimmung über den Schlußbericht der Paragraph 52 über den Zugang der widerverheirateten Geschiedenen zum Buß- und Altarsakrament sowie der Paragraph 53 über die geistliche Kommunion verworfen wurden, indem sie nicht die nötige Zweidrittelmehrheit erreichten, das war die Zustimmung von 122 von 183 Synodenvätern. (Nr. 52 erhielt 104 placet und 74 non placet; Nr. 53 erhielt 112 placet und 64 non placet). Zu diesen beiden Paragraphen ist noch jener über die Seelsorge für Personen mit homosexueller Neigung (Nr. 55: 118 placet und 62 non placet) hinzuzufügen. Diese formal abgelehnten Paragraphen fanden sich dennoch im offiziellen Schlußtext, der zum Arbeitspapier für den weiteren Synodenprozeß wurde, sicher um eine freie Diskussion zu fördern.
Im Instrumentum laboris vom 24. Juni 2015 findet sich dieser Paragraph 52 unter dem Titel „Der Bußweg“ als Paragraph 122 wieder. Dazu ein Paragraph 123, der mit der erstaunlichen Feststellung aufwartete, daß „es eine allgemeine Übereinkunft bezüglich der Idee eines Prozesses der Versöhnung oder eines Bußweges“ gibt.1 Man hat sich damals gefragt, worin denn diese geheimnisvolle Übereinkunft besteht. Um so mehr, als die Mehrheit der auch jetzt 2015 versammelten Synodenväter dagegen deutliche Vorbehalte geäußert zu haben scheint mit dem Resultat, daß diese „Idee“ am Ende nicht einmal angewandt wurde, jedenfalls nicht in dieser Formulierung.
In der Relatio synodi vom 24. Oktober 2015 wird in den Paragraphen 84 bis 86 ein neuer pastoraler Vorschlag unterbreitet unter dem Titel: „Unterscheidung und Integration“.2 Da die Zahl der Synodenväter auf 265 angewachsen war, waren für die Zweidrittelmehrheit 177 Stimmen erforderlich. Sie wurde bei diesen drei Paragraphen nur mit Mühe erreicht, in einem Fall sogar nur wegen einer einzigen Stimme (Nr. 84: 187 placet und 72 non placet; Nr. 85: 178 placet und 80 non placet; Nr. 86 190 placet und 64 non placet).
Die Relatio synodi 2015 liefert drei lehramtliche Hinweise. Alle drei sind im Paragraph 85 enthalten und bereits in der Relatio synodi 2014 und im Instrumentum laboris enthalten. Es handelt sich um Familiaris consortio Nr. 84, den Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 1735 und die Erklärung vom 24. Juni 2000 des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte. Das Dokument vom 14. September 1994 der Glaubenskongregation, die im Paragraph 123 des Instrumentum laboris Erwähnung fand, findet sich hingegen nicht mehr.
2. Das Zitat aus Familiaris consortio
Untersuchen wir zunächst das Zitat aus Familiaris consortio Nr. 84: „Die Hirten mögen beherzigen, daß sie um der Liebe willen zur Wahrheit verpflichtet sind, die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden. Es ist ein Unterschied, ob jemand trotz aufrichtigen Bemühens, die frühere Ehe zu retten, völlig zu Unrecht verlassen wurde oder ob jemand eine kirchlich gültige Ehe durch eigene schwere Schuld zerstört hat. Wieder andere sind eine neue Verbindung eingegangen im Hinblick auf die Erziehung der Kinder und haben manchmal die subjektive Gewissensüberzeugung, daß die frühere, unheilbar zerstörte Ehe niemals gültig war.“
Dieser Text wird hier als „ein Gesamtkriterium“ genannt, „das die Grundlage für die Bewertung dieser Situationen bleibt“, sowohl für den Priester, dessen Aufgabe es ist, „die betroffenen Personen auf dem Weg der Unterscheidung zu begleiten“, als auch für den Gläubigen, in seiner „Gewissensprüfung mittels Momenten des Nachdenkens und der Reue“. Wenn von Reue die Rede ist, impliziert das die Notwendigkeit, die eigene Schuld und die eigene Sünde anzuerkennen, um Vergebung zu erlangen. Es ist daher nicht richtig, zu behaupten, daß Kenntnis der Sünde in diesem Dokument beiseite gelegt wird. Es bleibt aber die Tatsache, daß sie nicht mehr im Titel der propositio erwähnt wird, der nicht mehr direkt von Reue spricht, sondern von Unterscheidung. Dieses Fehlen kann man auf doktrineller Ebene beklagen, auch wenn diese Formulierung auf pastoraler Ebene sicher sympathischer ist. Zudem ist es möglich, daß es eine Tendenz gibt, die Reue mehr für Schuld der Vergangenheit zu verstehen (die Kirche, die für die Sünden ihrer Glieder bereut), während die Buße häufiger Situationen der Vergangenheit, aber auch der Gegenwart (und sogar die Sünden anderer Personen) betrifft, um die Umkehr des Sünders und die Wiedergutmachung des Übels zu erreichen, das er durch seine Schuld provoziert hat.
Die Wahl des Wortes „Reue“ birgt daher die Gefahr, die Zweitehe nach einer Scheidung nur als Schuld der Vergangenheit zu betrachten, anstatt als immer aktuelle „objektiv ungeordnete Situation“. Oder gar nur die Schuld der Vergangenheit zu betrachten, die zu dieser Situation geführt hätte, die man für sich selbst nicht gewollt habe und für die man daher auch nicht schuldig sei. Man muß also, was diesen Prozeß betrifft, sowohl in seinem Verständnis als auch in seiner Praxis, zu einer wirklichen „semantischen Unterscheidung“ fähig sein.
Andererseits zieht Familiaris consortio Nr. 84, bei aller Notwendigkeit diese verschiedenen Situationen zu unterscheiden, eine für alle Fälle identische Schlußfolgerung: die Unmöglichkeit, die Kommunion zu empfangen, außer man bringt die eigene Situation auf die eine oder andere Weise in Ordnung:
„Die Kirche bekräftigt jedoch ihre auf die Heilige Schrift gestützte Praxis, wiederverheiratete Geschiedene nicht zum eucharistischen Mahl zuzulassen. Sie können nicht zugelassen werden; denn ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und
gegenwärtig macht. Darüber hinaus gibt es noch einen besonderen Grund pastoraler Natur: Ließe man solche Menschen zur Eucharistie zu, bewirkte dies bei den Gläubigen hinsichtlich der Lehre der Kirche über die Unauflöslichkeit der Ehe Irrtum und Verwirrung.
Die Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der Treue zu ihm bereut und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht. Das heißt konkret, daß, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen – zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder – der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, ‚sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind‘.“ Was kann man dem Umstand entnehmen, daß diese doch so starke Schlußfolgerung von Familiaris consortio nicht ausdrücklich in das neue Dokument übernommen wurde? In einer „Hermeneutik der Kontinuität“ wird man das Schweigen mit Zustimmung gleichsetzen im Sinne, daß das Zitieren eines Textes auf den gesamten Text verweist, der dem Zitat seinen wirklichen Kontext liefert. Ein solcher Unterscheidungsprozeß kann nur dann zur Eucharistie führen, wenn der Gläubige wirklich soweit gelangt ist, durch die Verwirklichung eines festen Vorsatzes aus dieser objektiv ungeordneten Situation herauszutreten, damit die Vergebung seiner Schuld erlangt und die Absolution erhält. Bis zu diesem Moment kann er die Kommunion nicht empfangen.
In einer „Hermeneutik des Bruches“ wird man das Schweigen mit Widerspruch gleichsetzen.
Wenn die Schlußfolgerung von Familiaris consortio nicht ausdrücklich übernommen ist, bedeutet dies, daß sie obsolet geworden ist, weil sich der familiäre Kontext seit damals [1981] völlig verändert habe, eine Veränderung, die das Dokument nicht nur kulturell, sondern auch „anthropologisch“ nennt. Die Ordnung der Kirche zur Zeit von Johannes Paul II. sei nicht mehr die Ordnung der neuen Kirche, auf die man sich beruft. Man wird wahrscheinlich daraus folgern, daß dieser Prozeß der Unterscheidung auch ohne Änderung des eigenen Lebens zur Eucharistie führen kann, sofern die Person die vergangene Schuld bereut und nach eigenem Gewissen zum Schluß gekommen ist, die Kommunion empfangen zu können.
3. Der Katechismus der Katholischen Kirche
Im selben Paragraph 85 der Relatio synodi 2015 wird die Nr. 1735 des Katechismus der Katholischen Kirche zitiert:
„Zudem kann nicht geleugnet werden, daß aufgrund unterschiedlicher Faktoren in einigen Umständen ‚die Anrechenbarkeit einer Tat und die Verantwortung vermindert oder aufgehoben sein können‘ (KKK Nr. 1735).“
Das Zitat ist nicht vollständig. Es empfiehlt sich daher, den vollständigen Text zu lesen: „1735. Die Anrechenbarkeit einer Tat und die Verantwortung für sie können durch Unkenntnis, Unachtsamkeit, Gewalt, Furcht, Gewohnheiten, übermäßige Affekte sowie weitere psychische oder gesellschaftliche Faktoren vermindert, ja sogar aufgehoben sein.“
Ist dieser Paragraph wirklich auf die Situation der wiederverheirateten Geschiedenen anwendbar? Zunächst ist anzumerken, daß dieselben Bedingungen sich teilweise auch bezüglich der Ehe finden und diese ungültig machen:
„1628. Der Konsens muß ein Willensakt jedes der beiden Vertragspartner sein und frei von Zwang oder schwerer Furcht, die von außen eingeflößt wird [Vgl. [link] CIC, can. 1103]. Keine menschliche Gewalt kann den Konsens ersetzen [Vgl. [link] CIC, can. 1057, § 1]. Falls diese Freiheit fehlt, ist die Ehe ungültig.“
Kann jemand sich also vorstellen, daß einer dieser Umstände bei einer Zweitehe nach einer Scheidung auf moralischer Ebene nicht anrechenbar wäre? Wenn dem so wäre, wäre die neue Verbindung allemal ungültig. Gewiß, das ist sie bereits, weil die Ehe unauflöslich ist, weshalb eine Zweitehe gar nicht möglich ist, solange der erste Ehegatte noch am Leben ist. Sie wäre aber nicht nur als Ehe ungültig: Sie wäre auch als menschliche Handlung ungültig, sie wäre eine Freudsche „Fehlleistung“. Damit könnte man auch nicht mehr von wiederverheirateten Geschiedenen sprechen: Es gäbe keine wirkliche neue Verpflichtung und keine Art von
Verbindung zwischen den beiden Personen. Unter diesen Umständen ist es nicht sicher, ob man wirklich immer die Möglichkeit einer totalen Eliminierung der Anrechenbarkeit geltend machen will. Zudem müßten diese psychischen Faktoren an erster Stelle die Existenz des sakramentalen Bundes in Frage stellen. Die Situation würde sich damit ganz anders darstellen.
Umgekehrt, wenn die Menschen bei vollem Bewußtsein dessen, was sie tun, fähig sind, sich das „Ja“ für das Leben zu schenken, dann können sie sich nicht gleichzeitig nicht auch bewußt sein, daß sie durch eine neue Verpflichtung gegenüber einer anderen Person einen Schlag genau gegen dieses „Ja“ ausführen. Es ist damit völlig unverständlich, wie die Verantwortung für diese Neuverpflichtung in Frage gestellt werden kann. Mag sein, daß es viele Arten von Motiven gibt, die dazu verleiten, so zu handeln, wie es im Paragraph 85 weiter heißt: „Unter bestimmten Umständen finden die Personen große Schwierigkeiten auf andere Weise zu handeln.“ Das ändert aber nichts daran: Entweder wissen sie, daß sie mit ihrer neuen Verpflichtung ihren Ehebund schlagen und es sich damit um eine freie Handlung, für die sie die Verantwortung tragen müssen, handelt, oder sie wissen es nicht und man kann sogar bezweifeln, ob ihr Eheband existiert.
4. Die Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte
Paragraph 85 der Relatio synodi 2015 fährt so fort: „Folglich darf das Urteil über eine objektive Situation nicht zu einem Urteil über die ‚subjektive Anrechenbarkeit‘ führen (Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Erklärung vom 24. Juni 2000, 2a).“
Der Text, um den es sich handelt, ist folgender in seinem Kontext:
„ 2. Jegliche Interpretation des can. 915, die seinem wesentlichen Inhalt widerspricht, wie er ununterbrochen vom Lehramt und der Disziplin der Kirche durch die Jahrhunderte erklärt wurde, ist eindeutig abwegig. Man darf die Achtung vor den Worten des Gesetzes (vgl. can. 17) nicht verwechseln mit dem uneigentlichen Gebrauch der selben Worte als Instrumente zur Relativierung der Vorschriften oder zu deren inhaltlicher Entleerung.
Die Formulierung „sowie andere, die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren“ ist klar und muß so verstanden werden, daß ihr Sinn nicht verformt und die Anwendung der Norm unmöglich wird. Die drei geforderten Bedingungen sind: a) die schwere Sünde, im objektiven Sinn, denn die subjektive Anrechenbarkeit könnte der Kommunionspender nicht beurteilen;
b) das hartnäckige Verharren, das heißt das Bestehen einer objektiven Situation der Sünde, die in der Zeit fortdauert und die der Gläubige nicht aus der Welt schaffen will; es sind keine anderen Erfordernisse notwendig (herausforderndes Verhalten, vorausgehende Ermahnung usw.), damit die Situation in ihrer grundsätzlichen kirchlichen Schwere eintritt; c) der offenkundige Charakter der Situation der schweren habituellen Sünde.
Jene Gläubigen, die geschieden und wiederverheiratet sind und wegen ernster Gründe, zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder, nicht „der Verpflichtung zur Trennung nachkommen können“, befinden sich nicht im Zustand der schweren habituellen Sünde, wenn sie „die Verpflichtung eingehen, in voller Enthaltsamkeit zu leben, das heißt sich der den Gatten eigenen Akte zu enthalten“ (Familiaris consortio, Nr. 84) und auf der Grundlage dieser Absicht das Sakrament der Buße empfangen haben. Weil die Tatsache, daß diese Gläubigen nicht more uxorio zusammenleben, naturgemäß verborgen ist, während ihre Lebenssituation als geschiedene Wiederverheiratete naturgemäß bekannt ist, können diese nur remoto scandalo das Sakrament der Eucharistie empfangen.“
Diese Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte legt also fest, daß die Zweitehe nach einer Scheidung eine Situation „schwerer gewohnheitsmäßiger Sünde“ ist, die vom Canon 915 des Codex Iuris Canonici behandelt wird, der jene meint, „die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren“. Die von der Relatio synodi zitierte Stelle spezifiziert, daß diese Bewertung objektiv und nicht subjektiv zu verstehen ist, „weil der Kommunionspender die subjektive Anrechenbarkeit nicht beurteilen könnte“. Mit anderen Worten, die Situation wurde im forum externum geklärt, weil man keinen Zugang zum forum internum hat. Im Kontext der Relatio synodi scheint diese Stelle aber einen anderen Sinn zu bekommen: Da man nicht über die „subjektive Schuldhaftigkeit“ urteilen könne, sollte man sich eines moralischen Urteils über diese Situation enthalten. Gewiß, der Text sagt das nicht so ausdrücklich, doch wer sich nicht die Mühe macht, die Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte anzuschauen, kann ihn so verstehen. Zudem sagt der Text an keiner Stelle, weder daß es sich um eine Sünde handelt noch daß Christus die neue Verbindung als Ehebruch bezeichnet, wenn der erste Ehegatte noch am Leben ist (vgl. Mk 10,11-12). Dieses Wort mag hart klingen, aber es stammt direkt aus dem Munde Christi, der es in seiner ganzen Tragweite gebraucht.
Auch in diesem Fall wird eine „Hermeneutik der Kontinuität“ zu einer Textinterpretation führen, in der man aus dem Kontext der zitierten Dokumente ergänzt, daß es sich um eine „schwere und offenkundige Sünde“ handelt. Eine „Hermeneutik des Bruchs“ hingegen wird dieses Schweigen nützen und sich jedes Urteils einer subjektiven Schuldhaftigkeit enthalten, was dazu führen wird, jedwede Beurteilung dieser Situation im Zusammenhang von Schuld und Sünde zu qualifizieren, sei sie nun schwer und offenkundig oder nicht.
Im ersteren Fall wird man im Lichte der Enzyklika Veritatis splendor im Rahmen einer Moral der Objektivität und des Zwecks daran festhalten, daß die Zweitehe nach einer Scheidung ein schlechter Akt ist, den man unter keinen Umständen wollen kann.
Im zweiteren Fall wird man die Einladung aufgreifen, die eigene pastorale Sichtweise zu ändern und mehr auf die Umstände zu achten und damit das doktrinelle Gleichgewicht von Veritatis splendor modifizieren, indem man sich auf eine Moral der Subjektivität und des Gewissens beruft. Der Papst hat garantiert, daß nirgends die Lehre angerührt wurde, was für erstere Auslegung spricht. In der Tat gibt es ausreichend Verweise auf das Lehramt, um die Vertreter der Hermeneutik der Kontinuität in ihrer Lesart zu bestärken. Es gibt allerdings auch ausreichend Schweigen, Leerstellen und positive Signale für die Vertreter der Hermeneutik des Bruchs, sodaß sich auch diese in ihrem Zugang bekräftigt fühlen können. In Ermangelung weiterer Präzisierungen scheinen beide Interpretationen zulässig.
Zum Abschluß dieser Analyse der drei Zitate sei angemerkt: Die Lücken in der Formulierung erklären wahrscheinlich, warum dieser Paragraph 85 die größte Anzahl an non placet erhalten hat und er nur mit einer Stimme Mehrheit angenommen wurde. Es ist daher möglich, daß Präzisierungen in die eine oder andere Richtung ihn Stimmen verlieren hätten lassen. Eine einzige hätte genügt, und er wäre abgelehnt worden.
5. Begleitung und Integration
Was den Paragraphen 84 betrifft, so präsentiert er die „Logik der Integration“ der wiederverheirateten Geschiedenen als „Schlüssel ihrer pastoralen Begleitung“, die darauf abzielt, ihnen nicht nur zu zeigen, daß sie nicht exkommuniziert sind, sondern daß sie in der Kirche leben und wachsen können, durch die Überwindung „der verschiedenen Formen des Ausschlusses, die derzeit im liturgischen, pastoralen, erzieherischen und institutionellen Bereich praktiziert werden“. Paragraph 86 siedelt schließlich das „korrekte Urteil über das, was die Möglichkeit einer vollständigeren Teilnahme am Leben der Kirche behindert“, auf der Unterscheidungsebene mit dem Priester im forum internum an. „Diese Unterscheidung wird nie von den Notwendigkeiten der von der Kirche verkündeten Wahrheit und der Nächstenliebe des Evangeliums abweichen”.
Im Licht der „Hermeneutik der Kontinuität“ erscheinen diese beiden Paragraphen völlig rechtgläubig und lehramtsgemäß. Das Zitat aus Familiaris consortio Nr. 84 und der Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte erlauben, dieses Wachsen als schrittweise Bekehrung in der Wahrheit des Evangeliums zu verstehen. Eine Pastoral der Begleitung wird immer auf die volle Versöhnung des Gläubigen und nach Erreichung derselben auf die Wiederzulassung zur Eucharistie abzielen nach den Bedingungen, so wie sie in Familiaris consortio Nr. 84 genannt sind. Es geht darum, jenem „objektiven Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche” ein Ende zu bereiten, den die neue Verpflichtung mit einer anderen Person als dem rechtmäßigen Ehegatten darstellt, und den der Codex Iuris Canonici im forum externum als „schwere und offenkundige Sünde“ bezeichnet. Hier ist am Ende des Paragraphen 86 mit schönen Worten ein wirklicher Weg der Heiligkeit skizziert, wenn die Rede ist von den „notwendigen Voraussetzungen der Demut, der Zurückhaltung, der Liebe zur Kirche und zu ihrer Begleitung, auf der ehrlichen Suche nach dem Willen Gottes und dem Wunsch zu einer Antwort zu gelangen, die diesem am vollkommensten entspricht.“
Die Anerkennung der Integration in die Kirche fände also mit Blick auf die „Ordnung der Büßer“ statt, wie man in alten Zeiten gesagt hätte mit Einschränkungen in der Ausübung verschiedener kirchlicher Dienste, die vom objektiven Stand der ungeordneten Situation abhängen und die schrittweise aufgehoben werden können, so wie diese Situation in Ordnung gebracht wird.
Im Licht der „Hermeneutik des Bruchs“ hingegen wird man, da die genannten Voraussetzungen und Schlußfolgerungen des früheren Lehramtes in diesem Text verschwiegen werden, dazu tendieren, die relative Neuheit einer Aufwertung des forum internum zu Lasten des forum externum zu bevorzugen. Man wird auf diese Weise zu einer Moral der Subjektivität statt der Objektivität gelangen, mit der Schwierigkeit, um es mit Veritatis splendor zu sagen, „in sich schlechte Handlungen“ zuzulassen, da der Schwerpunkt vor allem auf dem Gewissen und der inneren Wahrnehmung der verschiedenen Handlungen, Entscheidungen und Umstände gelegt wird. Unter diesen Bedingungen spielt es dann keine Rolle mehr, daß der Codex des
Kanonischen Rechts diese Situation als „schwere und offenkundige Sünde“ bezeichnet, wenn sie innerlich nicht so wahrgenommen wird. Vielmehr wäre es sogar besser, dies zu verschweigen, anstatt damit in den inneren Raum der Freiheit und des unverletzlichen Heiligtums des Gewissens eindringen zu wollen. Man wird also warten müssen, daß die Person selbst imstande ist, von sich aus diese Handlungen zu definieren, ohne je in diesen Prozeß einzugreifen aus Angst, sie zu verletzten oder Zwang auf ihr freies Fortkommen auszuüben. Hier handelt es sich mehr um eine „Freiheit der Gleichgültigkeit“ als um eine „Freiheit der Qualität“. Die Begleitung würde von der Person ausgehen und dem, was in ihr aufgewertet werden könnte, um sie wachsen zu lassen, anstatt von einem von außen auferlegten Gesetz auszugehen, dem sich diese Person anpassen sollte. Die Integration in die Kirche wäre von der Subjektivität der Person abhängig, von ihrer inneren Wahrnehmung der eigenen Situation. Unter diesen Umständen, wenn diese Person „im Gewissen“ entscheidet, daß sie keine Sünde begangen hat und die Kommunion empfangen darf, wer sind wir, um zu urteilen? Der geistliche Fortschritt könnte sich zudem, paradoxerweise, durch einen Rückzug zeigen, wenn die Person schrittweise die eigene Sünde oder die objektive Unordnung erkennt und daher von sich aus die Entscheidung trifft, die Kommunion nicht mehr zu empfangen, weil sie erst dann den Grund dafür erkennt; oder die Entscheidung trifft, nicht mehr bestimmte Dienste in der Kirche auszuüben, weil sie erst dann das negative Zeugnis in der Öffentlichkeit versteht gegenüber den jungen Leuten, die sich auf die Ehe vorbereiten.
Diese beiden Positionen sind hier als Gegensatz dargestellt. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, daß sich sowohl in der einen wie der anderen positive Aspekte und Grenzen finden lassen. Der Irrtum selbst kann dazu dienen, die Wahrheit klarer sichtbar zu machen. Die Grenze der reinen Logik der Objektivität liegt im Verständnis, daß es Zeit und verschiedene Etappen braucht, um die Wahrheit zu erlangen, damit diese Wahrheit nicht nur als wahr an sich verstanden wird, sondern als wahr für einen, als erstrebenswert und gut und daß es möglich ist, sie
fruchtbringend zu leben. Die Grenze der reinen Logik des Gewissens ist die Möglichkeit eines irrenden Gewissens und der Notwendigkeit, es von diesem Irrtum zu befreien, damit es wirklich wird, was es ist, nämlich wirklich frei und nicht nur potentiell frei: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32).
Schließlich stellen wir eine gewisse Unruhe in der Sprache des Paragraphen 84 fest, der „Exklusion“ der „Integration“ gegenüberstellt. Eine solche Terminologie entspricht nicht der Theologie. Sie ist vielmehr typisch für eine Gleichheitsideologie, die besonders die LGBT-Bewegung und generell die Befreiungslehre auf der alten Grundlage der marxistischen Dialektik mit einer neuen nihilistischen Tendenz vertritt. Es ist nicht mehr der Klassenkampf, sondern die Abschaffung aller Klassen, Unterschiede, Kategorien, Stände… und daher auch das Verschwinden der wahren Gerechtigkeit, die jedem nach seinem Teil gibt (suum cuique tribuere), was nicht zwangsläufig das Gleiche für alle bedeutet, weil die Situationen nicht zwangsläufig dieselben sind. Wenn man beginnt, eine solche Art von weltlichem Gegensatz in einem kirchlichen Dokument zu dulden, ist die Tür offen für andere Bevölkerungskategorien (Personen mit homosexuellen Neigungen, Frauen- statt Männerklerus, usw.), die ihre
„Exklusion“ beklagen und ihre volle „Integration“ in die Kirche fordern werden. Es wäre daher angemessen, die Suche nach der Gemeinschaft für jene Menschen, die wegen einer objektiv ungeordneten Situation derzeit sich nicht in der vollen Gemeinschaft mit der Kirche befinden, was ihre Zulassung zur Kommunion unmöglich macht, auf andere Weise aufzudrücken. Vielmehr sollte die Nächstenliebe betont werden, die dringend geboten ist, um diese Personen in der Wahrheit wieder in die volle Einheit mit der Kirche zurückzuführen unter den vom Evangelium genannten Bedingungen.
6. Kommunion und Dezentralisierung
Die Relatio synodi 2015 hat als solche keine lehramtliche Bedeutung. Es handelt sich nur um ein dem Papst übergebenes Dokument, damit er eine Entscheidung trifft. Man darf daher hoffen, daß der Papst in einem nach-synodalen Apostolischen Schreiben in aller Deutlichkeit die einzuhaltenden Linien zieht. Oder daß ein Dokument der Glaubenskongregation die notwendigen Präzisierungen liefert, zum Beispiel in der Form einer Ermahnung zur richtigen Interpretation der lehramtlichen Dokumente gemäß einer Hermeneutik der Kontinuität.
In Ermangelung solcher Klärungen könnte was geschehen? Alle werden zufrieden nach Hause gehen können mit dem sicheren Gefühl, erreicht zu haben, was sie erreichen wollten und das Schlimmste vermieden zu haben, was vom gegnerischen Lager angestrebt wurde. Eine Einigung, die auf zweideutiger Grundlage erreicht wurde, mag eine Spaltung zudecken, sie bringt der Kirche aber keinen Nutzen. Die bereits heute bestehenden unterschiedlichen, widersprüchlichen und gegensätzlichen pastoralen Praktiken werden weiterhin bestehen und sich weiter entfalten können, die einen auf der Grundlage einer Hermeneutik der Kontinuität und die anderen auf der Grundlage einer Hermeneutik des Bruchs. Die Zuweisung der Frage an die pastorale „Gewissens“-Entscheidung eines jeden Priesters und Gläubigen, wird eine Vielzahl unterschiedlicher pastoraler Lösungen zur Folge haben, die einen völlig in Übereinstimmung mit Orthodoxie und Orthopraxie, die anderen mehr oder weniger diskutabel. Letztlich, wenn in einem Land die Priester, von „Richtlinien“ der eigenen Bischöfe ermutigt,
damit beginnen identische pastorale Praktiken festzulegen, die sich aber von jenen anderer Länder unterscheiden, könnte das in ein faktisches Schisma führen, in dem sich beide Seiten durch eine mögliche doppelte Lesart dieses Dokuments legitimiert fühlen. Man gelangt damit an den Punkt, vor dem wir bereits im vergangenen Juli gewarnt haben, falls es der Synode nicht gelänge, eine klare Linie zu definieren. Dort sind wir nun. http://www.katholisches.info/2015/11/04/...ischen-schisma/ Am Fest der heiligen Apostel Simon und Judas 28. Oktober 2015
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