6. Dezember 2015
Krieg gegen den Terror47 Äußerst fragwürdig
von Michael Wiesberg
Französische „Rafale“-Kampfflugzeuge bei einem Einsatz gegen den IS: Diffuse Koalition Foto: picture alliance / abaca Seit den Terroranschlägen in Paris ist Frankreichs Präsident François Hollande sichtlich bemüht, Entschlossenheit zu demonstrieren und eine „Koalition der Willigen“ im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) zustande zu bringen. In diese Koalition soll sich nun auch Deutschland einreihen. Unter anderem ist geplant, bis zu 650 Bundeswehrsoldaten in den Norden Malis zu schicken, um Frankreich zu entlasten.
Die deutschen Soldaten sollen zur Durchsetzung eines Friedensabkommens zwischen der malischen Regierung und den Aufständischen im Norden beitragen. Weiter sollen eine Fregatte, die den französischen Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ schützen soll – wahrscheinlich gegen die furchteinflößende IS-Luftwaffe –, sowie Aufklärungs-„Tornados“ mit dem Auftrag, Ziele zu fotografieren, den Franzosen „solidarisch“ zur Seite stehen. Es zeichnet sich also auch hier die mittlerweile sattsam bekannte Arbeitsteilung ab: Während Deutschlands Partner Krieg führen, übt sich die Bundeswehr in „flankierenden Operationen“.
Der militärische Wert dieser Operationen indes geht gegen null. Mehr kann die auf 170.000 Mann geschrumpfte Truppe, die überdies in vielen kleinen Missionen gebunden ist, nicht mehr leisten. Wichtig ist offenbar allein, daß die Bundesregierung ihren vollmundigen Solidaritätsbekundungen „irgendwie“ Genüge getan hat.
Feldzug voller Ungereimtheiten
Diese Diagnose paßt in das Gesamtbild des von Hollande ausgerufenen Anti-IS-Feldzuges, der von Unaufrichtigkeiten und Ungereimtheiten gekennzeichnet ist. Die beginnen schon in der Nähe der französischen Hauptstadt: Wie kann es sein, daß der zum „Terror-Mastermind“ hochgeschriebene IS-Dschihadist Abdelhamid Abaaoud, der als Drahtzieher der Pariser Terroranschläge kolportiert wird, eine angemietete Wohnung im Pariser Vorort Saint-Denis mit einer gepanzerten Tür sichern konnte, die die Spezialkräfte der Polizei zu einer siebenstündigen Belagerung zwang?
Angeblich war Abaaoud den französischen, aber auch anderen westlichen Geheimdiensten wohlbekannt, was diesen aber nicht daran gehindert hat, sich in Frankreich, Deutschland und Belgien wie ein Fisch im Wasser zu bewegen. Französische Terrorexperten berichteten, daß Abaaoud auf den einschlägigen Seiten sozialer Netzwerke eine Art „Posterboy“ war. Das läßt nur einen Schluß zu: Das grenzenlose Schengen-Europa ist ein massives Sicherheitsrisiko, das umgehend entschärft werden muß, soll der vollmundig ausgerufene Kampf gegen den Terror überhaupt einen Sinn ergeben.
Diffuse „Koalition der Willigen“
Abaaoud, der Medienberichten zufolge über die offenen Grenzen in Europa gespottet haben soll, ist bestenfalls ein Exponent der belgisch-französischen Dschihadisten-Szene, zu der auch etliche IS-Kämpfer gehören sollen, die mit Kampferfahrung aus Syrien zurückgekehrt sind. Ein ähnlich diffuses Bild gibt die „Koalition der Willigen“ ab, die Hollande zu schmieden bemüht ist.
Nach dem Abschuß eines russischen Kampfflugzeugs durch die Türkei im türkisch-syrischen Grenzgebiet hat sich die Lage nochmals verkompliziert. Die Interessen der Amerikaner und Rußlands in der Region dürften zu unterschiedlich sich, um sie unter einen Hut zu bekommen. Die USA greifen an der Spitze einer internationalen Koalition den IS seit einiger Zeit aus der Luft an. Zu den Alliierten gehört auch Frankreich.
Dubiose Rolle Saudi-Arabiens
Seit September fliegt Rußland eigene Luftangriffe in Syrien. Insbesondere Washington wirft Moskau vor, dabei vor allem den verbündeten syrischen Machthaber Baschar al-Assad zu stützen, der im Westen als Gottseibeiuns gilt, da er einen „Krieg gegen das eigene Volk“ führt. Das Dilemma, vor dem Hollande steht, ist vielschichtig. Einmal steht er vor der Frage, wie er gegen den IS vorgehen soll, ohne die Russen und Assad zu stärken. Zum anderen steht die Frage nach der dubiosen Rolle im Raum, die die Türkei, Saudi-Arabien und Katar spielen.
Saudi-Arabien exportiert nicht nur Erdöl, sondern auch eine aggressive Variante des Wahhabismus; das Emirat Katar leistet hier bereitwillig Hilfsdienste. Zu Recht kommentierte die FAZ, daß Saudi-Arabien „der Schöpfer“ des „Ungeheuers“ IS sei; einer „besonders gewalttätigen Fortsetzung des wahhabitischen Islams“. Die Vereinigten Staaten haben aber aus geo- und energiepolitischen Interessen heraus keinerlei Interesse daran, Saudi-Arabien mit Sanktionen zu überziehen.
Türkei in IS-Geschäfte verwickelt
Ähnlich trüb ist die Rolle der Türkei, die jüngst durch zwei Studien ein wenig erhellt werden konnte. Eine 2014 publizierte Studie der New Yorker Columbia University beleuchtet die vielfältigen Verbindungen der Türkei zum IS-Staat und läßt vor allem einen Schluß zu: Der Türkei ist ein IS-Staat vor der eigenen Haustür offenbar allemal lieber als ein Kurdenstaat; sie ist dafür sogar bereit, den IS zu unterstützen.
Wissenschaftler der Londoner University of Greenwich haben laut einem Bericht der britischen Tageszeitung The Guardian von Ende Oktober eine Studie vorgelegt, die belegt, daß das Ölgeschäft des IS über die Türkei läuft. Zwar betonen die Autoren, keinen Beweis dafür zu haben, daß die Regierung Erdoğan von den Ölgeschäften mit dem IS weiß. Die Indizien, die sie in ihrer Studie präsentieren, sprechen aber eine andere Sprache.
Vor diesem Hintergrund bekommt der „Deal“ der EU-Staaten mit der Türkei, einen Neuanfang in den Beziehungen in Aussicht zu stellen, wenn diese gegen ein ansehnliches Bakschisch den Flüchtlingsstrom in Richtung Europa eindämmt, einen reichlich faden Beigeschmack, so wie der ganze Antiterrorkrieg, der wohl doch eher darauf abzielt, unter allen Umständen zu verhindern, daß Rußland in Syrien einseitig „unwillkommene“ Fakten schafft. www.jungefreiheit.de JF 50/15
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