Ohne Spenden würden viele verhungern
von Marcel Burkhardt Zivilisten in syrischen Kriegsgebieten leiden nicht nur unter Granatbeschuss und Fassbomben, sondern auch an einem gravierenden Lebensmittel- und Medikamentenmangel. Wie stehen die Menschen den fünften Kriegswinter durch? heute.de hat nachgefragt.
"Stell dir vor, du brauchst Milch für deine Kinder, Brot für deine Familie - und es gibt nichts auf dem Markt oder es ist unbezahlbar – du wirst wahnsinnig." In Rastan, einer umkämpften Vorstadt der syrischen Metropole Homs, fehle es Tausenden Menschen oft am Nötigsten, sagt der junge Lehrer Khaled, der heute.de seit mehreren Jahren kontinuierlich über die Lage in seiner Heimatstadt berichtet.
Arbeitslosigkeit und Verzweiflung
Die bittere Realität sehe inzwischen so aus: "Mehr als 80 Prozent der Leute in Rastan sind arbeitslos und völlig ohne Einkommen. Viele sind verzweifelt und wissen nicht, wie sie ihre Familien durch den Winter bringen sollen. Ohne Spenden würden viele verhungern." So beschreibt es Khaled zu Beginn dieses fünften syrischen Kriegswinters. Ein wichtiger Grund für die Not: Assads Armee hält Rastan und andere Vorstädte von Homs belagert, weil sie als Keimzellen des Widerstands gegen das Regime in Damaskus gelten. SYRISCHE SCHICKSALE
Seit Ausbruch der Kämpfe in Syrien berichtet heute.de regelmäßig über das Schicksal syrischer Zivilisten, etwa in der Serie "Hilferufe aus Homs". Die Recherche stützt sich vor allem auf kontinuierlich fortgeführte Interviews mit Augenzeugen, Informationen unabhängiger internationaler Hilfsorganisationen und der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Mit großer Sorge denkt Khaled an das, was in den nächsten Monaten vor ihnen liegt. In den vergangenen Jahren haben sie erfahren, wie es ist, wenn kaum noch Grundnahrungsmittel aufzutreiben sind, wenn die selbst geernteten Vorräte an Getreide, Oliven, Zwiebeln und eingelegten Auberginen zu Ende gehen. "Echter Hunger ist für alle qualvoll - das Schreien und Wimmern der Kinder aber ist fast unerträglich."
Die Lage vieler Bewohner ist dramatisch
Für viele lebensbedrohlich wurde die Lage auch, weil die syrische Regierung Hilfstransporte nach Homs und die umkämpften Vorstädte lange Zeit rigoros ablehnte, mit dem Verweis, dass Lebensmittel und Medikamente auch den Rebellen zugute kämen, die dort ausharrten. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch sprachen immer wieder von einem "Krieg gegen Zivilisten", in dem syrische Bürger belagert und systematisch ausgehungert wurden.
Auch in Al-Waer, einem bis zuletzt noch immer umkämpften Stadtteil von Homs, der einstigen "Hauptstadt der Revolution", ist die Lage vieler Bewohner dramatisch. "Alles ist abgeriegelt, wir sitzen in der Falle, extremer Hunger in der Nachbarschaft, es gibt keine Hoffnung mehr für uns." Das war die letzte Nachricht des Studenten Ahmad an heute.de, bevor der Kontakt vor mehr als einer Woche abbrach.
Rebellen haben Abkommen mit Assad geschlossen
Inzwischen haben die Rebellen mit dem Assad-Regime ein Abkommen geschlossen, wonach alle Kämpfer und mehrere Tausend Zivilisten Al-Waer innerhalb von zwei Monaten verlassen sollen. Im Gegenzug, so melden es Agenturen aus Syrien, habe die syrische Regierung versprochen, ihre Angriffe auf Al-Waer und die Belagerung zu stoppen.
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orstädten nördlich von Homs harren die Rebellen allerdings aus. Die Armee versucht weiter, den Gegner auszuhungern. Darunter leiden auch Tausende Zivilisten. Ein syrischer Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation, der mit heute.de seit Jahren in Kontakt ist, berichtet nun allerdings von Möglichkeiten, "dringendst benötigte Lebensmittel und Medikamente in die eingeschlossenen Gebiete zu bringen".
Menschen verarmen im Krieg
Der Ring des syrischen Militärs um Gebiete der Opposition im Norden von Homs öffne sich an "einigen Stellen" immer wieder. Ein militärisches Patt sorgt offenbar dafür, dass bestimmte Nahrungsmitteltransporte ihre Ziele in den eingeschlossenen Gebieten erreichen.
Augenzeugen aus verschiedenen Städten rund um Homs berichten heute.de davon, dass die Verwaltungen dank Geldspenden aus dem Ausland, etwa aus Katar, nun zumindest für die völlig mittellosen Bürger Brotrationen verteilen können. Wer nicht dazu gezählt wird, muss Brot auf dem freien Markt zu Preisen einkaufen, die im Vergleich zur Vorkriegszeit um das Siebenfache verteuert haben. "Der Krieg macht viele Menschen hier bitterarm, einige aber auch sehr reich", sagt Khaled.
Eine glückliche Phase - trotz allem
"Zurzeit erleben wir hier aber trotz allem so etwas wie eine glückliche Phase - seit Wochen hat es keine Luftangriffe mehr gegeben auf die Stadt. Die Menschen atmen auf; es fühlt sich fast nach Frieden an." Für zusätzliches Glücksempfinden sorgen dem Lehrer zufolge die ungewöhnlich hohen Temperaturen. "Wir haben tagsüber bis 17 Grad Celsius, nachts drei bis vier Grad – das macht vieles einfacher."
Das milde Wetter erscheint Khaled wie eine Gnadenfrist. "Eigentlich herrscht jetzt schon eisiger Winter bei uns und es gibt kaum noch Brennholz." Hinzu komme, dass 50 Prozent der Häuser durch Luftangriffe beschädigt seien. Und nur wenige Familien besäßen einen Dieselgenerator, der Strom erzeuge, um Heizlüfter zu betreiben. Durch die dünnen Betonwände der meisten Häuser dränge die Kälte, so Khaled. „Wir wickeln die Kinder dann in dicke Decken, um sie zu schützen – und beten, dass sie nicht ernsthaft krank werden.“
http://www.heute.de/syrien-hoffnungsschi...s-41449978.html
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