Kustos des Heiligen Landes: Christen „lassen sich Köpfe abschneiden, aber verleugnen nichts“ 22. Januar 2016
Der Kustos des Heiligen Landes über die Tragödie der Christen im Nahen Osten und die Unmöglichkeit eines Dialogs zwischen Religion
(Rom) „Den Nahen Osten, wie wir ihn im 20. Jahrhundert gekannt haben, gibt es nicht mehr. Er wurde in die Luft gesprengt.“
„Nichts wird mehr wie vorher sein“
„Dieser Krieg, der neue Verhältnisse schaffen wird, hat nicht nur die Infrastrukturen und die Staaten zerstört, sondern auch das Vertrauen zwischen den verschiedenen Gemeinschaften, vor allem zwischen den Christen und der moslemischen Mehrheit. Nichts wird mehr wie vorher sein“, so der Kustos.
Neben ihm am Podium saßen Michele Valensise, der Generalsekretär des Italienischen Außenministeriums, und Adnane Mokrani, Dozent an der Päpstlichen Universität Gregoriana und am Päpstliche Institut für Arabische und Islamische Studien.
„Es ist nie die Rede von den obdachlos Gewordenen, den Leuten, die ihr Haus verloren haben und kein Geld mehr haben für einen Neubeginn. Mehr als zwei Drittel aller Syrer leben nicht mehr dort, wo sie vor dem Konflikt gelebt haben. Die Situation ist so dramatisch, daß wir nicht einmal mehr mitteilen, wenn unsere Ordensangehörigen entführt werden. Wir geben es nur dann bekannt, wenn sie auch nach einer Woche noch nicht zurück sind.“
„Geblieben sind die Armen, doch fast niemand hat seinen Glauben verleugnet“
Zur Verantwortung der islamischen Religionsführer sagte der Kustos: „Die islamischen Führer waren sehr schüchtern, wenn es darum ging, das Abscheuliche zu verurteilen, das im Gange ist.“ Unter den Christen „gibt es mitten in dieser Katastrophe auch Episoden großer Entschlossenheit. Geblieben sind vor allem die Armen, die nicht die Mittel haben, um irgendwohin zu können. Sie wissen nicht, wohin sie gehen sollen. Doch fast niemand von ihnen hat seinen Glauben verleugnet. Sie lassen sich Köpfe abschneiden, aber verleugnen nichts.“
Der Kustos berichtete einige Zeugnisse, die er selbst im Norden Syriens erlebt hat, in Gebieten, „die unter der Kontrolle von Al-Qaida-Ablegern sind“. Diese seien im Vergleich zu den Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) „moderater“. Erst gestern hatte Associated Press Satellitenbilder vom Kloster des Heiligen Elias bei Mossul verbreitet, das vom Islamischen Staat offenbar schon 2014 dem Erdboden gleich gemacht worden ist. Das Kloster wurde im 6. Jahrhundert vom aramäischen Mönch Elias gegründet. 1743 wurde es auf Befehl des persischen Schahs zerstört, doch Anfang des 20. Jahrhunderts war nach der osmanischen Christenverfolgung eine Wiederbelebung durch christliche Flüchtlinge erfolgt.
Der Ausdruck „gemäßigt“ sei natürlich relativ zu sehen, so der Kustos und beziehe sich ausschließlich auf den direkten Vergleich mit dem Islamischen Staat. Auch unter der Herrschaft der „Gemäßigten“, sei es Nicht-Moslems verboten, Besitz zu haben oder religiöse Symbole zu zeigen. „Weder Kreuze noch Statuen sind erlaubt, vom Wein für die Meßfeier ganz zu schweigen.“ Doch dort, wo er hingekommen sei, „haben die Christen nicht nachgegeben. Keiner hat es zugelassen, daß ihre religiösen Symbole angerührt werden, und den Meßwein haben sie in ihren Häusern versteckt.“
Der islamische Fundamentalismus „komme nicht aus dem nichts. Darüber muß nachgedacht werden“
Das Problem, so der Kustos, sei, daß „der heutige Fundamentalismus ja nicht aus dem nichts kommen kann. Es gibt immer einen Hintergrund, eine Entwicklung: darüber muß man sich Gedanken machen.“
Er sei „überzeugt, daß man miteinander reden soll, denn ohne Dialog sind wir erledigt, einmal weil der Dialog Begegnung mit dem anderen ist, zum anderen weil der integraler Bestandteil meines Glaubenslebens ist. Der Dialog kann aber nur in der Wahrheit stattfinden. Ich weiß nicht, ob es zwischen Religionen einen Dialog geben kann. Ich denke nicht. Es kann aber zwischen Glaubenden einen Dialog geben und die Glaubenserfahrung geteilt werden. Das ist zu tun. Ich kann nicht glauben, daß ich mit anderthalb Milliarden Menschen nicht in Beziehung treten soll können. Es ist eine geistige Fehlleistung, das zu denken. Wir müssen es tun, aber unter Bedingungen: dem gegenseitigen Respekt und der Wahrheit. Das ist kein Nachgeben möglich.“
Pater Pizzaballa fragte zudem: „Was ist die internationale Staatengemeinschaft eigentlich und wo ist sie “, angesichts der „völligen Gleichgültigkeit“ gegenüber dem Schicksal der Menschen im Nahen Osten.
Am Rande der Tagung bestätigte der Kustos gegenüber Matteo Matzuzzi von der Tageszeitung Il Foglio, daß die islamischen Führer „äußerst zurückhaltend sind, wenn es um die Verbrechen geht“, die von den islamischen Milizen verübt werden. Es habe „einige lobenswerte Ausnahmen gegeben, die hoffen lassen“, doch in der großen Mehrzahl herrsche Schweigen. Es werde eine harte und schwierige Aufgabe sein, den Bruch zwischen den Christen und den Moslems wieder zu kitten: „Das wird viel Zeit und mehrere Generationen in Anspruch nehmen, um zumindest die Koexistenz zu erreichen, die es vor dem Krieg gab.“
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Text: Giuseppe Nardi Bild: Il Foglio (Screenshot)
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