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  • 12.02.2016 00:55 - THEMEN DER WOCHE NEUE BILDPOST Ausgabe 6 vom 13./14. Februar
von esther10 in Kategorie Allgemein.

THEMEN DER WOCHE
NEUE BILDPOST
Ausgabe 6 vom 13./14. Februar

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Schicksale hinter Schlagzeilen – Junge Jesidinnen beschreiben ihre Zeit als Gefangene des „IS"



Die Titel wirken schlicht, die Geschichten erschüttern: Gleich drei junge Frauen jesidischen Glaubens haben Bücher über ihre Zeit als Gefangene der Terrormiliz „Islamischer Staat“ veröffentlicht. Die Werke können auch als Weckruf für Europa gelesen werden.

Seit Jahren haben die Jesiden (siehe Infokasten) im Nahen Osten traurige Bekanntheit erlangt. Immer wieder werden Angehörige der Minderheit vom „Islamischer Staat“ (IS) entführt und hingerichtet. Laut Schätzungen des Zentralrats der

Jesiden in Deutschland sind bis Ende vergangenen Jahres rund 5000 Frauen versklavt worden. Mehrere neue Bücher machen die Einzelschicksale hinter den Schlagzeilen greifbar.

Jungen würden als Kindersoldaten ausgebildet, Mädchen misshandelt, vergewaltigt und „entmenschlicht“ – so beschreibt es der Psychologe Jan Kizilhan. Er behandelt hunderte Betroffener, darunter eine Jesidin, die unter dem Pseu-donym Shirin das Buch „Ich bleibe eine Tochter des Lichts“ veröffentlicht hat. „Wieso können Menschen anderen Menschen so etwas antun?“, habe Shirin ihn immer wieder gefragt, erzählt Kizilhan. „Sie schaute in meine Augen, als wartete sie auf eine Antwort. Ich hatte keine.“

Hass und Gewalt

Antworten auf diese Frage darf auch der Leser von Jinan Bandels Buch „Ich war Sklavin des IS“ nicht erwarten. Ihre Schilderungen von Gewalt sind erschütternd, kaum weniger die Hintergründe, die sie zum althergebrachten Hass auf die Jesiden nennt. „Seit vielen hundert Jahren sind wir hinter euch her“, zitiert Bandel im Buch einen IS-Kämpfer. „Ihr Abtrünnigen, ihr Atheisten!“

Farida Khalaf gibt in „Das Mädchen, das den IS besiegte“ Licht- und Schattenseiten von Religion wieder: Regelmäßige Gebete hätten ihr in der Gefangenschaft Halt gegeben, betont die Autorin. „Für mich war klar, dass ich meine Religion nie verraten würde, auch wenn ich dafür sterben müsste.“ Auch beschreibt sie im Nachwort, wie sich deutsche Ordensschwestern nach ihrer Flucht um sie gekümmert haben.

Gleichzeitig prangert Khalaf auch den Missbrauch von Religion an. So schildert sie, wie Terroristen vor Vergewaltigungen zum Gebet niederknien und ihre Tat so „als eine Art Gottesdienst“ zelebrieren. Dabei, betont die Jesidin, sei das Tun der Islamisten „nicht im Geringsten gottesfürchtig“, sondern „eine große Schande für ihre Religion, die sie damit beschmutzten“.
„Nimm dir das Leben“

Indirekt kritisieren die Autorinnen Teile ihrer eigenen, von religiös motivierten Tabus geprägten Erziehung. „Wenn man versucht, dich zu besudeln, nimm dir das Leben“, riet man Jinan Bandel. Nach ihrem Schein-Übertritt zum Islam befürchtete die Jesidin den Ausschluss aus ihrer Religionsgemeinschaft.

Die Selbstvorwürfe der Frauen seien vielleicht das Schlimmste an der Gefangenschaft gewesen, schreibt ihre Leidensgenossin Khalaf: „Wir alle waren so erzogen worden, dass wir uns selbst die Schuld gaben.“ Am Schicksal anderer Frauen habe sie jedoch erkannt, dass das falsch war. Solch differenzierte Töne beeindrucken.

Die Lektüre könnte womöglich jene Stimmen dämpfen, die lautstark und ohne jegliche Differenzierung fordern, Deutschland solle keine „Anreize“ für die Aufnahme neuer Flüchtlinge schaffen. Wer einen Weg wie Khalaf, Bandel oder Shirin hinter sich hat, braucht wohl keinerlei Kenntnis über Sozialsysteme, um in Europa das Paradies auf Erden zu vermuten. Betroffene wie Bandel betonen aber auch, dass Asyl kein Allheilmittel ist: Die Probleme müssten vor Ort gelöst werden.

Terror kann jeden treffen

Was die Bücher der vom „Islamischen Staat“ verfolgten Frauen deutlich aufzeigen: Ihre Peiniger sind eben solche Fanatiker, wie jene, die für die Anschläge in Paris verantwortlich waren. Sie machen auch klar: Der Terror kann jeden treffen. Die Grenze zu Syrien liegt rund 50 Kilometer von Farida Khalafs Heimatort im Nordirak entfernt. Dennoch, so schreibt sie, habe sich der Krieg vor ihrer Entführung für sie „irgendwo im Fernsehen“ abgespielt. „Es war weit entfernt von meiner eigenen Realität und meinem Alltagsleben.“ Bis sie selbst in die Fänge des IS geriet.
Paula Konersmann

Stichwort: Jesiden

Die Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Weltweit hat die monotheistische Religionsgemeinschaft mehrere hunderttausend Mitglieder. Erstmals erwähnt werden die Jesiden in nahöstlichen Quellen aus dem zwölften Jahrhundert. Ihr Name geht vermutlich auf den früh-islamischen Kalifen Yazid I. ibn Muawiya (680 bis 683) zurück.

Heute leben die Jesiden vor allem im nördlichen Irak. Der Großteil soll dort jedoch vor der Terrormiliz „Islamischer Staat“ geflüchtet sein. Ferner leben sie in Nordsyrien, dem Nordwestiran und dem Südosten der Türkei. Auch in Westeuropa existieren jesidische Gemeinden. In Deutschland leben bis zu 80 000 Angehörige der Minderheit.

Der jesidische Glaube vereint Elemente verschiedener nahöstlicher Religionen – vor allem aus dem Islam, aber auch aus dem Christentum. Das reli-giöse Zentrum ist Lalisch, eine Stadt im Nordirak nahe Mossul. Im Jesidentum gibt es keine verbindliche religiöse Schrift. Die Glaubenslehren werden mündlich überliefert. Nach jesidischer Vorstellung ist Gott „einzig, allmächtig und allwissend“. Jesiden glauben nicht an ein Paradies oder eine Hölle, sondern an Seelenwanderung und Wiedergeburt.

Die Jesiden haben ein weltliches und ein religiöses Oberhaupt. Jeside ist nur, wer von jesidischen Eltern abstammt. Heiratet ein Jeside einen Andersgläubigen, gilt das als Austritt aus der Religionsgemeinschaft.

Jesiden wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verfolgt – sowohl religiös als auch ethnisch wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Kurden. Von fundamentalistischen Muslimen werden Jesiden als „ungläubig“ und „vom wahren Glauben abgefallen“ betrachtet. Deshalb verbergen Jesiden in ihren Heimatgebieten häufig ihre Identität. Das Verhältnis zu Christen gilt nach eigenen Angaben als gut. KNA
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