„Das Wort verkünden“ Redaktion | 04/03/16
In der Kapelle „Redemptoris Mater“ im Vatikan hielt der Prediger des Päpstlichen Hauses, Pater Raniero Cantalamessa OFMCap, heute die dritte traditionelle Fastenpredigt 2016 für den Papst und die römische Kurie.
Wir dokumentieren die Predigt in einer eigenen Übersetzung.
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DAS WORT VERKÜNDEN
Der Heilige Geist als Hauptakteur der Evangelisierung
Heute wollen wir unsere Überlegungen zur Konstitution Dei verbum über die göttliche Offenbarung fortsetzen. Letztes Mal habe ich über die „lectio divina“ gesprochen, d.h. über die persönliche Lektüre der Heiligen Schrift zur eigenen Heiligung. Wir sind dem Schema gefolgt, dass der heilige Jakobus vorschlägt, und haben darin drei aufeinanderfolgende Schritte unterschieden: das Wort aufnehmen, über das Wort meditieren, nach dem Wort handeln.
Es bleibt aber noch ein vierter Schritt zu tun, über den wir heute nachdenken wollen: die Verkündigung des Wortes. Die Konstitution Dei verbum geht kurz auf die privilegierte Stellung ein, die das Wort Gottes in der kirchlichen Verkündigung haben muss (DV, Nr. 24); aber sie vertieft die Frage nicht weiter, weil das Konzil diesem Thema ein eigenes Dokument widmet: das Dekret Ad gentes über die Missionstätigkeit der Kirche.
Nach diesem Konzilsdokument wurde das Thema noch mehrmals wieder aufgegriffen und vertieft: vom seligen Paul VI. im Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi, vom heiligen Johannes Paul II. in der Enzyklika Redemptoris missio und zuletzt von Papst Franziskus in Evangelii gaudium. Was die Lehre und deren Umsetzung angeht ist also alles schon gesagt worden, und zwar von der höchsten Stelle des Lehramts. Es wäre töricht von mir, wenn ich dem noch etwas hinzufügen wollte. Was aber machbar ist und mit dem Vorsatz dieser Meditationen im Einklang steht, ist eine Vertiefung über einige spirituelle Fragen. Als Ausgangspunkt will ich eine Maxime nehmen, die der selige Paul VI. gern wiederholte: „Der Heilige Geist ist der Erstbeweger der Evangelisierung“[1].
1. Das Mittel und die Botschaft
Wenn ich eine Nachricht verbreiten will ist die erste Frage, die sich mir stellt: Auf welchem Weg will ich sie bekannt machen? Über Zeitung, Radio, Fernsehen? Das Mittel ist so wichtig, dass die moderne Kommunikationswissenschaft den Slogan geprägt hat: „Das Mittel ist die Botschaft“ (The medium is the message)[2]. Und welches ist das natürliche und ursprüngliche Mittel, durch das sich das Wort verbreitet? Der Hauch, der Atem, die Stimme. Die Stimme greift sozusagen das Wort auf, das sich im Geheimen in meinem Geist geformt hat, und trägt es an das Ohr der Zuhörer. Alle anderen Mittel tun weiter nichts, als dieses ursprüngliche Mittel zu verstärken und zu verbreiten. Auch die Schrift kommt später und setzt das gesprochene Wort voraus, denn die Buchstaben unseres Alphabets sind weiter nichts als Symbole, die einen Laut darstellen.
Auch das Wort Gottes folgt dieser Regel. Es verbreitet sich mittels eines Hauchs. Und was oder wer ist dieser Hauch Gottes, der Bibel nach? Wir wissen es: Es ist der Heilige Geist! Kann mein Hauch das Wort eines anderen beleben, oder umgekehrt der Hauch eines anderen mein Wort? Natürlich nicht; mein Wort kann nur durch meinen Hauch eine Stimme erhalten, und das Wort eines anderen nur durch seinen Hauch. So ähnlich, auf analoge Weise, kann das Wort Gottes nur durch den Hauch Gottes belebt werden, und das ist der Heilige Geist.
Das ist eine einfache und fast selbstverständliche Wahrheit, die aber weitreichende Implikationen hat. Sie beinhaltet das Grundgesetz einer jeden Verkündigung und Evangelisierung. Menschliche Nachrichten verbreiten sich von Mund zu Mund, oder über Radio, Fernsehen, Internet usw.; die göttliche Nachricht verbreitet sich, eben weil sie göttlich ist, mittels des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist ist ihr wahres, grundlegendes Kommunikationsmedium, ohne welches man von der Botschaft nicht mehr empfängt, als die menschliche Auskleidung. Die Worte Gottes sind „Geist und Leben“ (vgl. Joh 6,63); deshalb kann man sie nur „im Geist“ vermitteln oder aufnehmen.
Dieses Grundgesetz ist es, das wir konkret in der Heilsgeschichte wirken sehen. Jesus begann sein öffentliches Predigen „erfüllt von der Kraft des Geistes“ (Lk 4,14). Er selbst erklärte: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe“ (Lk 4,18). Als er am Osterabend seinen Jüngern im Abendmahlsaal erschien, sprach er: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Und „Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist!“ (Joh 20,21-22). Als er seine Jünger aussandte, um das Evangelium in der ganzen Welt zu verkünden, gab Jesus ihnen auch die Mittel, um den Auftrag ausführen zu können: den Heiligen Geist. Und bezeichnenderweise tat er es, indem er sie anhauchte.
Laut Markus und Matthäus war das letzte Wort, das Jesus zu den Aposteln sprach, bevor er in den Himmel aufstieg: „Geht!“. „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16,15; vgl. Mt 28,19). In Lukas scheint das letzte Gebot genau das Gegenteil zu sein: Bleibt! Geht nicht fort! „Bleibt in der Stadt, bis ihr mit der Kraft aus der Höhe erfüllt werdet“ (Lk 24,49). Aber selbstverständlich liegt hierin kein Widerspruch. Der Sinn ist: Geht hinaus in die Welt, aber nicht bevor ihr den Heiligen Geist empfangen habt.
Die Erzählung des Pfingstereignisses dient dazu, diese Wahrheit hervorzuheben. Der Heilige Geist kommt und schon fangen Petrus und die anderen Jünger an, laut über die Kreuzigung und Auferstehung Christi zu sprechen; und ihre Worte sind so kraftvoll, dass dreitausend Menschen sich ins Herz getroffen fühlen. Der Heilige Geist, der über sie gekommen ist, verwandelt sich für die Jünger in einen unwiderstehlichen Drang, zu evangelisieren.
Paulus geht so weit, zu behaupten, ohne den Heiligen Geist sei es unmöglich zu sagen: „Jesus ist der Herr!“ (1 Kor 12,3), was der Anfang und die Zusammenfassung jeder christlichen Verkündigung ist. Petrus seinerseits bezeichnet die Apostel als jene, „die euch in der Kraft des Heiligen Geistes das Evangelium gebracht haben“ (1 Petr 1,12). Mit dem Wort „Evangelium“ bezieht er sich auf den Inhalt, während die „Kraft des Heiligen Geistes“ für ihn das Mittel oder den Weg der Verkündigung bezeichnet.
2. Wort und Tat
Das erste Missverständnis, dem man vorbeugen muss wenn man von Evangelisierung spricht, ist die Vorstellung, dass evangelisieren gleichbedeutend mit predigen und deshalb nur einer bestimmten Kategorie von Christen vorbehalten sei. Über das Wesen der Offenbarung sagt die Konstitution Dei verbum:
„Das Offenbarungsgeschehen ereignet sich in Tat und Wort, die innerlich miteinander verknüpft sind: die Werke nämlich, die Gott im Verlauf der Heilsgeschichte wirkt, offenbaren und bekräftigen die Lehre und die durch die Worte bezeichneten Wirklichkeiten; die Worte verkündigen die Werke und lassen das Geheimnis, das sie enthalten, ans Licht treten“[3].
Diese Aussage geht auf Gregor den Großen zurück: „Unser Herr und Erlöser“, schreibt der heilige Kirchenvater, „ermahnt uns manchmal durch seine Worte, andere Male durch das, was er tut“ (aliquando nos sermonibus, aliquando vero operibus admonet)[4]. Dieses Gesetz gilt nicht nur für die Offenbarung in ihrer Geburtsstunde, sondern auch für ihre Ausbreitung. Anders ausgedrückt: Man evangelisiert nicht nur durch Worte, sondern mehr noch durch die Werke und den Lebensstil; nicht nur durch das was man sagt, sondern mehr noch durch das was man tut und ist.
So war es von Anfang an. Die auch heute noch autoritätsvollste Studie über „Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten“ kommt zu dem Schluss, dass die frühen christlichen Gemeinden „durch ihr bloßes Dasein und Handeln missionierend wirkten“[5]. In diesem Jahr der Barmherzigkeit wird es uns nützlich sein, uns ins Gedächtnis zu rufen, worin dieses „Handeln“ der ersten christlichen Gemeinden bestand. Außer in der brüderlichen Hilfeleistung untereinander, bestand es in den Werken der Barmherzigkeit, die allen zugutekamen: in der Fürsorge um die Waisen, Kranken, Gefangenen. Die Kraft dieser Initiativen war so offensichtlich, dass der zum Heidentum zurückgekehrte Kaiser Julian um das Christentum zu bekämpfen versuchte, ähnliche karitative Einrichtungen im Zivilbereich einzuführen.
Es gibt im Englischen einen Spruch, der einen ganz besonderen Klang annimmt, wenn man ihn auf die Evangelisierung bezieht: „Deeds speak louder than words“; Taten sprechen lauter als Worte. Ein ebenfalls oft wiederholter Satz aus dem Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi Pauls VI. sagt: „Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind“[6].
Einer der bekanntesten Moralphilosophen des vorigen Jahrhunderts (wir brauchen seinen Namen nicht zu nennen) wurde eines Abends in einem Lokal in zweifelhafter Gesellschaft ertappt. Ein Kollege fragte ihn, wie er sein Verhalten mit dem in Einklang bringen konnte, was er in seinen Büchern schrieb. Der Philosoph antwortete seelenruhig: „Haben Sie jemals ein Verkehrsschild gesehen, das sich in die Richtung bewegt, die es weist?“ Das ist zwar eine glänzende Antwort, aber sie verurteilt sich von selbst. Die Menschen wissen nichts mit „Verkehrsschildern“ anzufangen, die den Weg weisen, ohne sich selber vom Fleck zu bewegen.
Ich kann ein schönes Beispiel für die Wirksamkeit des Zeugnisablegens nennen, das aus dem selben Orden stammt, dem ich auch angehöre. Der größte (wenn auch verborgene) Beitrag, den der Kapuzinerorden in den fünf Jahrhunderten seiner Geschichte für die Evangelisierung geleistet hat, liegt, so glaube ich, nicht in den hauptberuflichen Predigern, die er hervorgebracht hat, sondern in seinen Laienbrüdern: einfache und ungebildete Klosterpförtner und Bettelmönche. Die Bevölkerung ganzer Landstriche hat durch sie ihren Glauben behalten oder wiedergefunden. Einer von ihnen, der selige Nicola von Gesturi, sprach so wenig, dass die Menschen ihn den „stillen Bruder“ nannten; trotzdem identifiziert sich der Kapuzinerorden auf Sardinien noch heute, 58 Jahre nach seinem Tod, mit Bruder Nicola von Gesturi; oder auch mit Bruder Ignazio von Laconi, einem anderen heiligen Bettelmönch vergangener Tage. Dasselbe ereignete sich in Rom ganz am Anfang der Entstehung des Ordens, mit dem heiligen Felix von Cantalice. Es hat sich das Wort bewahrheitet, dass Franz von Assisi eines Tages an die Prediger seines Ordens richtete: „Warum rühmt ihr euch, die Menschen bekehrt zu haben? Wisst, dass unsere einfachen Brüder sie durch ihr Gebet bekehrt haben“[7].
Während eines ökumenischen Treffens fragte ein Mitglied einer Pfingstkirche mich einmal, warum wir Katholiken Maria als „Leitstern der Evangelisierung“ bezeichnen. Das war nicht als Kritik gemeint; er wollte wirklich verstehen. Seine Frage wurde auch für mich zu einer Gelegenheit, über diesen Titel nachzudenken, den Papst Paul VI. zum Abschluss von Evangelii nuntiandi auf Maria bezog. Ich kam zu dem Schluss, dass Maria deshalb der Leitstern der Evangelisierung ist, weil sie nicht ein bestimmtes Wort zu einem bestimmten Volk getragen hat, wie es selbst die größten Evangelisatoren der Geschichte getan haben, sondern das menschgewordene Wort selbst auch leiblich in sich getragen und der ganzen Menschheit geschenkt hat! Sie hat nie gepredigt, sie hat überhaupt sehr wenig gesprochen; aber sie war von Christus erfüllt und verbreitete um sich herum seinen Duft; so sehr, dass Johannes der Täufer ihn schon im Mutterschoß wahrnehmen konnte. Wer könnte leugnen, dass die Jungfrau von Guadalupe eine entscheidende Rolle in der Evangelisierung und im Glauben des mexikanischen Volkes gespielt hat?
Da ich in einem kurialen Umfeld spreche, halte ich es für richtig, den Beitrag hervorzuheben, den Menschen, die den größten Teil ihrer Zeit an einem Schreibtisch verbringen und Geschäften nachgehen, die scheinbar wenig mit der Verbreitung des Glaubens zu tun haben, für die Evangelisierung leisten können und tatsächlich auch leisten. Wenn er seine Arbeit als Dienst am Papst und an der Kirche auffasst, wenn er diese Intention von Zeit zu Zeit erneuert und nicht zulässt, dass der Eifer um die eigene Karriere in seinem Herzen die Oberhand gewinnt, dann kann ein bescheidener Angestellter einer Kongregation mehr zur Evangelisierung beitragen, als es ein Berufsprediger tut, der den Menschen mehr gefallen möchte als dem Herrn.
3. Wie man zu Verkündern des Evangeliums wird
Wenn die Berufung zur Evangelisierung für alle gilt, dann wollen wir versuchen zu erkennen, welche Voraussetzungen man erfüllen muss und unter welcher Bedingung man zu Verkündern des Evangeliums wird. Die erste Bedingung erfahren wir aus dem Wort, das Gott an Abraham richtete: „Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde“ (Gen 12,1). Es gibt keine Mission und keine Sendung, der nicht ein „Wegziehen“ vorausgeht. Wir sprechen oft von einer Kirche, die „hinausgehen“ muss. Wir müssen begreifen, dass die erste Tür, durch die wir hinausgehen müssen, nicht die der Kirche, der Gemeinschaft, der Institutionen, der Sakristeien, sondern die unseres „Ichs“ ist. Das hat Papst Franziskus sehr deutlich formuliert, als er sagte: „Hinausgehen bedeutet vor allem, aus dem Zentrum herauszutreten um das Zentrum Gott zu überlassen.“ Teilhard de Chardin hätte gesagt: „Dezentriere uns von uns selbst und zentriere uns neu in Christus.“
Stärker noch als der Befehl Gottes an Abraham ist der Aufruf, den Jesus an jene richtet, die er zu Mitarbeitern bei der Verkündigung des Reiches machen will: „Zieh hinaus, komm heraus aus deinem Ich, verleugne dich selbst! Dann wird alles mir gehören. Dein Leben wird sich verändern; mein Gesicht wird dein Gesicht werden. Nicht mehr du wirst leben, sondern ich werde in dir leben.“ Nur so können wir den Morast aus Neid, Eifersucht, Angst, Missgunst, Ressentiment und Abneigung überwinden, der das Herz des alten Menschen erfüllt, um uns vom Evangelium „bewohnen“ zu lassen und den Duft des Evangeliums zu verbreiten.
Die Bibel bietet uns ein Sinnbild, das mehr Wahrheit enthält als alle Abhandlungen über die Pastoral der Verkündigung. Ich meine die Vision vom gegessenen Buch in Ezechiel:
„Und ich sah: Eine Hand war ausgestreckt zu mir; sie hielt eine Buchrolle. Er rollte sie vor mir auf. Sie war innen und außen beschrieben und auf ihr waren Klagen, Seufzer und Weherufe geschrieben. Er sagte zu mir: Menschensohn, iss, was du vor dir hast. Iss diese Rolle! Dann geh und rede zum Haus Israel! Ich öffnete meinen Mund und er ließ mich die Rolle essen. Er sagte zu mir: Menschensohn, gib deinem Bauch zu essen, fülle dein Inneres mit dieser Rolle, die ich dir gebe. Ich aß sie und sie wurde in meinem Mund süß wie Honig“ (Ez 2,9-3,3; vgl. auch Offb 10,2).
Es besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen dem Wort Gottes, das nur studiert und verkündet wird, und dem Wort Gottes, das man „isst“ und in sich aufnimmt. Im ersten Fall haben wir einen Prediger, der „druckreif“ sprechen kann; trotzdem erreicht er das Herz der Menschen nicht in der Tiefe, denn das Herz erreicht nur, wer mit dem Herzen spricht. „Cor ad Cor loquitur“ war der Wahlspruch des seligen Kardinal Newman.
Der Verfasser des Buchs der Offenbarung greift das Bild aus Ezechiel wieder auf, fügt ihm jedoch eine kleine, aber bedeutsame Variante hinzu. Er sagt, dass das gegessene Buch zwar wirklich im Mund süß wie Honig war; im Magen aber wurde es bitter (vgl. Offb 10,10). Ja, denn bevor es die Zuhörer verwundet muss das Wort den Verkünder verwunden, indem es ihm seine Sünde vor Augen hält und ihn zur Umkehr bewegt.
Diese Arbeit kann nicht an einem Tag geschehen. Eines gibt es aber, das man an einem Tag tun kann, heute noch: Wir können dieser Perspektive zustimmen und den unumstößlichen Beschluss fassen, sofern es an uns liegt, nicht mehr für uns selbst, sondern für den Herrn zu leben (vgl. Röm 14,7-9). Das alles kann nicht nur die Frucht der asketischen Bemühungen des Menschen sein; es ist ebenfalls ein Werk der Gnade und Frucht des Heiligen Geistes. „Damit wir nicht mehr uns selber leben, sondern ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist, hat er von dir, Vater, als erste Gabe für alle, die glauben, den Heiligen Geist gesandt.“ So beten wir im Eucharistischen Hochgebet IV.
Es ist nicht schwer, zu erfahren, wie man im Hinblick auf die Evangelisierung den Heiligen Geist empfängt. Es genügt, sich anzusehen, wie Jesus ihn empfing und wie die ganze Kirche ihn am Pfingsttag empfing. Lukas beschreibt die Taufe Jesu mit folgenden Worten: „Zusammen mit dem ganzen Volk ließ auch Jesus sich taufen. Und während er betete, öffnete sich der Himmel, und der Heilige Geist kam auf ihn herab“ (Lk 3,21-22). Das Gebet Jesu öffnete den Himmel und ließ den Heiligen Geist herabkommen. Dasselbe ereignete sich für die Jünger. Der Heilige Geist kam am Pfingsttag auf sie herab, während „sie alle einmütig im Gebet verharrten“ (Apg 1,14).
Unsere Bemühungen um einen neuen missionarischen Eifer stehen zwei Gefahren gegenüber. Die erste ist unsere Trägheit, unser Hang, nichts zu tun und alles den anderen zu überlassen. Die andere ist die Versuchung, sich einem fieberhaften und leeren Tatendrang hinzugeben und dabei allmählich die Verbindung zur Quelle des Wortes und seiner Wirkungskraft zu verlieren. Auch damit wäre man zum Versagen verurteilt. Je mehr der Umfang unseres Tuns zunimmt, desto mehr muss auch der Umfang unserer Gebete zunehmen. Man könnte mir entgegenhalten: Das ist absurd; wir können unsere Zeit doch nicht vermehren! Nun gut; aber der, der Brot und Fische vermehrt hat, kann er nicht auch unsere Zeit vermehren? Schließlich tut Gott es immer wieder und wir machen täglich diese Erfahrung. Nachdem wir gebetet haben, erledigen wir dieselben Tätigkeiten in weniger als der halben Zeit.
Man könnte weiter einwenden: Wie sollen wir stillhalten und beten, wie können wir nicht eilig handeln, wenn das Haus schon brennt? Auch das stimmt. Aber stellt euch diese Szene vor: Eine Feuerwehrmannschaft hat eine Brandmeldung bekommen und eilt mit lauten Sirenen zur Stelle; aber sobald sie den Schauplatz des Brandes erreichen, stellen die Feuerwehrleute fest, dass sie kein Wasser im Tank haben! So sind wir, wenn wir hastig ausziehen um zu predigen, ohne vorher gebetet zu haben. Nicht, dass es uns dann an Worten fehlen würde; im Gegenteil, je weniger man betet, desto leichter kann man reden. Aber unsere Worte werden leer sein, sie werden niemanden erreichen.
4. Evangelisierung und Erbarmen
Neben dem Gebet gibt es noch einen zweiten Weg, um den Heiligen Geist zu erlangen: die ehrliche Absicht. Unsere Absichten können, wenn wir Christus verkünden, auf vielfältige Weise verunreinigt sein. Paulus listet einige unlautere Beweggründe in seinem Brief an die Philipper auf: aus Neid und Streitsucht oder aus Ehrgeiz (vgl. Phil 1,15-17). Der Fehler, der alle anderen beinhaltet, ist jedoch ein einziger: der Mangel an Liebe. Paulus sagt: „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke“ (1 Kor 13,1).
Die Erfahrung hat mich eines gelehrt: Man kann Christus aus Gründen verkünden, die sehr wenig mit Liebe zu tun haben. Zum Beispiel aus Proselytenmacherei, wenn man in der Zunahme seiner Anhänger eine Bestätigung für die eigene kleine Kirche sucht; vor allem dann, wenn man sie selber gegründet hat oder sie noch jung ist. Man kann, um ein Bild aus Markus wörtlich zu nehmen, das Evangelium verkünden, damit es alle Völker der Welt erreicht und dadurch die Rückkehr des Herrn beschleunigt wird (vgl. Mk 13,10).
Zum Teil sind diese Absichten für sich selbst genommen nicht einmal schlecht. Sie genügen aber nicht. Es fehlt jene ehrliche Liebe und jenes Erbarmen mit den Menschen, das die Seele des Evangeliums ist. Das Evangelium der Liebe kann nur mit Liebe verkündet werden. Wenn wir uns nicht Mühe geben, die Menschen die wir vor uns haben zu lieben, dann können die Worte sich in unseren Händen leicht in Steine verwandeln, die verletzen und vor denen man sich zu schützen versucht, wie man sich vor einem Hagelschlag schützt.
Ich habe immer die Lehre vor Augen, die die Bibel uns indirekt durch das Beispiel Jonas erteilt. Gott zwingt Jona, in Ninive zu predigen. Die Einwohner von Ninive waren jedoch Feinde Israels und Jona liebte die Niniviten nicht. Es bereitet ihm sichtlich Freude und Genugtuung, zu verkünden: „Noch vierzig Tage und Ninive ist zerstört!“ Diese Aussicht scheint ihm kein bisschen zu missfallen. Aber die Niniviten bereuen und Gott erspart ihnen das Strafgericht. Das stürzt Jona in eine Krise. Darauf sagt der Herr ihm, sich fast entschuldigend: „Dir ist es leid um den Rizinusstrauch… Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen leben, die nicht einmal rechts und links unterscheiden können?“ (Jona 4,10-11). Gott hat mehr Mühe damit, den Prediger zu bekehren, als es ihn gekostet hat, sämtliche Einwohner von Ninive zu bekehren!
Liebe zu den Menschen müssen wir also im Herzen tragen. Besonders aber auch Liebe zu Jesus. Die Liebe zu Christus muss unser Beweggrund sein. „Liebst du mich mehr als diese?“, lautet die Frage, die Jesus an Petrus richte. Darauf folgt eine Aufforderung: „Weide meine Schafe!“ (vgl. Joh 21,15 ff.). Man muss Jesus lieben, denn nur wer in Jesus verliebt ist kann ihn mit tiefer Überzeugung der Welt verkünden. Mit Begeisterung kann man nur über das sprechen, was man liebt.
Wenn wir das Evangelium verkünden, mit unserem Leben wie mit unseren Worten, dann bereiten wir Jesus nicht nur eine Ehre, sondern auch eine Freude. Wenn es wahr ist, dass „die Freude des Evangeliums das Herz und das gesamte Leben derer erfüllt, die Jesus begegnen“[8], dann ist es umgekehrt auch wahr, dass die, die das Evangelium verbreiten, das Herz Jesu mit Freude erfüllen. Das freudige und wohlige Gefühl, das ein Mensch empfindet, wenn plötzlich wieder Leben in ein gelähmtes und fast abgestorbenes Glied seines Körpers einkehrt, kann uns eine entfernte Vorstellung von der Freude vermitteln, die Christus empfindet, wenn er spürt, dass ein abgestorbenes Glied seines Leibes durch seinen Geist neu belebt wird.
Es gibt in der Bibel ein Wort, das mir noch nie zuvor aufgefallen war: „Wie kühlender Schnee an einem Sommertag ist ein verlässlicher Bote für den, der ihn sendet; er erquickt die Seele seines Herrn“ (Spr 25,13). Das Gleichnis der Erfrischung an einem heißen Tag ruft das Bild Jesu in den Sinn, der am Kreuze ruft: „Mich dürstet“. Es dürstet ihn nach Seelen, und wir sind berufen, ihn durch unseren demütigen Dienst bei der Verkündigung des Evangeliums zu erquicken. Möge der Heilige Geist, „Erstbeweger der Evangelisierung“, uns gewähren, dass wir Jesus diese Freude bereiten; durch Wort und Tat, je nach den Gaben und Ämtern, die ein jeder von uns in der Kirche hat.
[Aus dem Italienischen übersetzt von Alexander Wagensommer] https://de.zenit.org/articles/das-wort-verkuenden/ *
FUSSNOTEN
[1] Paul VI., Evangelii nuntiandi, Nr. 75.
[2] Der Spruch stammt von Marshall McLuhan, Understanding Media. The Extensions of Man, Mc Graw Hill, New York 1964.
[3] DV, 2
[4] Gregor der Grosse, Homiliae in Evangelium, XVII.
[5] A. von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Hinrichs, Leipzig 1902.
[6] EN, 41.
[7] Thomas von Celano, Vita Secunda, CXXIII, 164 (FF, 749).
[8] Papst Franziskus, Evangelii gaudium, 1.
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