„Immer dick, deftig und kräftig" – Deshalb servieren die Franziskaner den Bedürftigen üppige Kost
Pünktlich um 12.45 Uhr ertönt hoch oben vom Turm die Glocke mit der Inschrift „Der Herr gebe dir Frieden". Eine hungrige Schar strömt herbei. So mancher wartet schon eine längere Zeit mit knurrendem Magen auf das markante Signal, das in der Suppenküche des Franziskaner-Klosters in Berlin-Pankow die Mittagszeit einläutet. Seit 25 Jahren geben die Ordensbrüder hier in der Wollankstraße 19 täglich bis zu 400 warme Mahlzeiten an Bedürftige aus.
„Was gibt es heute?“, fragt jemand vorn in der Reihe, während ein anderer versucht, sich von hinten durchzudrängeln. Doch auch er muss sich diszipliniert anstellen. Die Schlange wird immer länger. Vom Saal der Essensausgabe reicht sie bis weit nach draußen zur Rampe im Innenhof. Nur kurz begrüßt Franziskaner-Bruder Andreas Brands OFM die versammelten Mittagsgäste. Als er sogleich zum Tischgebet übergeht, kehrt für einen Moment Ruhe ein. „Lieber Gott, segne uns und deine Gaben, die wir aus deiner guten Hand empfangen. Wir danken dir für unsere Tischgemeinschaft durch Christus, unseren Herrn. Amen.“
Erst dann wird der heiße Deckel vom ersten der beiden schweren Töpfe genommen, die groß sind wie Kübel und mehr als 70 Liter fassen. Kelle für Kelle schöpfen die ehrenamtlichen Helfer, Teller für Teller wird ihnen entgegengehalten.
„Jede Suppe bei uns ist ein Unikat“, sagt Bruder Andreas. Auf den Tisch kommt, was die Küche hergibt – und das hängt ganz wesentlich davon ab, was an Lebensmittelspenden eingegangen ist, erklärt er. Das Rezept wird immer an die Zutaten angepasst, nicht umgekehrt – je nachdem, welche Mengen Tomaten, Nudeln oder Würstchen, an Paprika, Kohlrabi oder Blumenkohl zur Verfügung stehen. „Jeden Tag gibt es eine andere Suppe, eine noch nie dagewesene“, sagt er schmunzelnd. Was für eine? – „Das ist ein Geheimnis des Glaubens.“
Entscheidend ist, dass die ausgegebenen Portionen üppig sind und gehaltvoll ausfallen. „Die Suppe ist niemals eine dünne Minestrone, sondern immer dick, deftig und kräftig“, erklärt Bruder Andreas. Sie muss vor allem eines: sättigen. „Für die meisten ist sie die einzige Mahlzeit am Tag.“ „Letzter Rettungsanker“ Deshalb ist ausdrücklich auch ein Nachschlag gestattet, so es denn die Vorräte hergeben, und selbst während der Fastenzeit wird nicht grundsätzlich auf Fleisch verzichtet. „Wir kochen ohnehin oft vegetarisch und sind ganz froh, wenn wir was in die Suppe zugeben können“, sagt Bruder Andreas. Wer zur Suppenküche kommt, muss schon auf so vieles verzichten und braucht eine Stärkung. „Die Suppenküche ist keine Mensa, sondern ein letzter Rettungsanker“, betont er. „Der letzte Ort für die, die keine Wahl haben.“
Es sind bei weitem nicht nur Obdachlose, die kein Zuhause mehr haben und deshalb auf der Straße leben, die auf die Suppe der Franziskaner angewiesen sind. Es kommen auch immer mehr andere: vor allem alte Menschen, deren Rente nicht ausreicht, Kranke, psychisch belastete, langzeitarbeitslose Männer, die jede Hoffnung auf eine Perspektive aufgegeben haben und nicht selten Alkohol und Drogen verfallen sind. Zunehmend kommen auch Migranten aus Osteuropa, die schon durch das dortige soziale Netz gefallen sind, aber auch Alleinerziehende mit ihren Kindern. „Die Überforderung der Sozialsysteme treibt Tausende in eine Grauzone der Existenz“, berichtet Bruder Andreas. Die meisten kommen finanziell nicht mehr zu Rande und viele leiden an einer sozialen Verarmung, weil sie weder Familie noch Freundeskreis haben, die sie stützen. Die Ursachen für die Probleme sind zwar so verschieden wie die Biografien der Einzelnen. Eines aber ist unübersehbar, sagt Bruder Andreas: „Viele Menschen werden krank in unserer Gesellschaft. Wenn das ganze Lebensgerüst zusammenbricht, verlieren sie alles.“ Die Suppe der Franziskaner soll ihnen zumindest helfen, es über den Tag zu schaffen, von heute auf morgen.
Gegründet wurde die Suppenküche in der Nachwendezeit vor 25 Jahren, als die Initiatorin Schwester Monika miterlebte, wie gerade im Ostteil Berlins die Grunderfahrungen von Bedürftigkeit neu zu Tage traten: Viele konnten mit den rasanten gesellschaftlichen Veränderungen nicht Schritt halten und wurden in die Armut hinein gespült.
Inspiriert vom heiligen Franziskus, der den Nöten der Menschen möglichst konkret begegnen wollte, begann Schwester Monika, jeden Tag ein warmes Mittagessen zu kochen. So entstand die Zusammenarbeit mit dem 1921 gegründeten Franziskaner-Kloster, das die Trägerschaft für die Suppenküche übernahm. „Immer mehr Menschen haben sich eingefunden“, erzählt Bruder Andreas. „Erst zehn Leute, bald schon 20 und 100 – bis zu 500.“ Kleider und Hygiene
Was 1991 klein anfing, ist inzwischen zu einer Institution gewachsen. Neben der Suppenküche ist eine Kleiderkammer entstanden, eine Hygienestation mit Duschmöglichkeit und eine Sozialberatung. Die Ordensbrüder verkauften die Hälfte des Klostergartens, damit sie 2004 die alten Gebäude grundsanieren und eigens einen Neubau errichten konnten, der mit seinem Essenssaal 160 Gästen ein Dach über dem Kopf bietet und einem nachhaltigen ökologischen Konzept folgt.
Mehr als 2,2 Millionen Essen hat die Suppenküche der Franziskaner seit ihrer Gründung ausgegeben: rund 90 000 jedes Jahr, zwischen 220 und 450 täglich. Am Monatsende sind es zumeist deutlich mehr als zum Monatsanfang. Diese Zahlen werden sicherlich nicht unerwähnt bleiben, wenn die Einrichtung im April auf ihr 25-jähriges Bestehen zurückblickt und zu diesem Anlass unter anderem mit der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, über das Thema Armut diskutiert wird.
Neben all der existenziellen Hilfe, für die die Suppenküche steht, sind „ein offenes Ohr und ein gutes Wort für die Menschen das Wichtigste“, sagt Bruder Andreas und weist auf die franziskanischen Texte an der gläsernen Fassade des Speisesaals. „Höchster glorreicher Gott, erleuchte die Finsternis meines Herzens und schenke mir rechten Glauben, gefestigte Hoffnung und vollendete Liebe“, ist dort zu lesen. „Gib mir, Herr, das rechte Empfinden und Erkennen, damit ich deinen heiligen Auftrag erfüllen, den du mir in Wahrheit gegeben.“
Die Worte des heiligen Franziskus von Assisi sind für jeden, der die Suppenküche in Pankow besucht, unübersehbar. „Sich an die Seite der Ärmsten am Rand der Gesellschaft zu stellen, das gehört seit jeher zum Glauben“, sagt Bruder Andreas. „Die Suppenküche ist gelebte Kirche.“ Auch wäre das, was die Franziskaner seit 25 Jahren für die Bedürftigen der Hauptstadt leisten, nicht ohne das eingespielte Team von Helfern, Unterstützern und Spendern denkbar.
Die Suppenküche lebt vom Ehrenamt. Rund 70 Berlinerinnen und Berliner engagieren sich, vom 15-jährigen Schüler, der berufstätigen Mutter bis zum 80-jährigen Rentner. Manche, die tagein, tagaus ihren Dienst tun, sind schon von Anfang an dabei, wie die Köchin Rosi Skupin. „Die Suppe schmeckt immer, erst recht, wenn man Hunger hat“, sagt sie. Nur ein einziges Mal hat sie „eine Suppe ein bisschen versalzen“, verrät sie. „Aber das ist lange her.“
Entsprechend groß sind der Andrang und auch die Dankbarkeit, die den Brüdern und ihren Helfern entgegengebracht wird. „Bis jetzt ist bei uns jeder satt geworden“, sagt Bruder Andreas und fügt hinzu: „Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das wissen die Menschen, die zu uns kommen, und das zeigen sie uns jeden Tag.“ Christian Soyke
Weitere Informationen und Kontakt: www.pankow.franziskaner.de
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