Katholiken fordern "Bravo"-Verbot Das nackte Grauen Mehr als zehntausend strenge Katholiken fordern ein Verbot der "Bravo", die mit Sextipps ein "Massaker an der Kindheit" anrichte. Allen voran ein "Prof. Dahl", der leider nicht zu sprechen ist.
Zu nackt für Katholiken: die "Bravo" sei ein "erotisches Blatt". Bild: dpa
Die Pussycat Dolls telefonieren auf der Toilette und Bruce Darnell hilft Jennifer (15), das richtige Kleid zu finden. Eine ganz normale Woche in der Bravo. Zwischen 80 Seiten Werbung, Schminktipps und Paparazzi-Fotos haben sich auf zwei Seiten Joe und Vanessa in die Sprechstunde von Dr. Sommer getraut. Nackt. Er zeigt seinen Penis, sie ihre Brüste. Mathias von Gersdorff geht das zu weit. Für den Initiator der Aktion "Kinder in Gefahr" ist die Bravo der "Feind Nr. 1". Das Heftchen sei verantwortlich für ein "Massaker an der Kindheit", voll von "sexuellen Perversionen" und "stark sexualisierter Sprache". Die Zeitschrift ist ein "erotisches Blatt", das die "Kindheit in Deutschland (…) zerstört".
Gersdorff trägt eine Heinz-Erhard-Brille, schwarzes Sakko und einen schnittigen Seitenscheitel. Seine Mission: "Stoppt endlich Bravo!" Darum hat er eine Petition ins Internet gestellt, mehr als zehntausend Menschen sollen sich seit April 2008 seiner Forderung an Familienministerin Ursula von der Leyen, die Bravo zu verbieten, angeschlossen haben. In den kommenden Wochen will ihr der Missionar die Unterschriften übergeben. Als wären Wirtschaftskrise und Bedeutungsverlust - von 1,2 Millionen Käufern 1998 sind der Bravo nur 450.000 geblieben - nicht schon schlimm genug, kommt für das Exzentralorgan der Jugend nun also auch noch Ungemach aus der christlichen Ecke hinzu. Mathias von Gersdorff ist überzeugter Katholik. Im Auftrag der Deutschen Vereinigung für eine Christliche Kultur (DVCK) wettert er auf Youtube gegen die Homoehe, den Christopher Street Day und den "homosexuellen Politiker Volker Beck". Er kritisiert das ZDF dafür, dass es "sich zunehmend zu einem Erotikanbieter entwickelt". Wohlgemerkt: das ZDF. Der Bravo wirft der Moralapostel vor, dass sie mit Fotos von Sexstellungen und Texten über Oralsex Auflage machen will, mitnichten gehe es dem Magazin um Aufklärung. "Die Vorwürfe entbehren jeder Grundlage", sagt Katrin Hienzsch vom Heinrich Bauer Verlag, der die Bravo herausgibt. "Alle Illustrationen und Texte dienen ausschließlich einer sachlichen Aufklärung." Das Dr.-Sommer-Team arbeite mit ehrbaren Organisationen wie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Aids-Hilfe zusammen. Von den Experten werde die Arbeit der Bravo geschätzt, so der Verlag. "Aber muss man dafür jede Stellung so ausführlich zeigen?", fragt der religiöse Rächer von Gersdorff, der neben der Zeitschrift auch die Bravo-Internetseite auf dem Kieker hat. Und tatsächlich: In der Rubrik "Love School" auf bravo.de gehts in 22 Bildern zum Orgasmus ("Oralverkehr ist Geschmackssache!"). Hier schlage die Bravo über die Stränge, meint von Gersdorff. Lieber solle die Redaktion Abenteuergeschichten bringen, über Sport berichten oder Kunst. Eben, was Jugendliche interessiert. Das Familienministerium bewertet die Christengruppe skeptisch. Schon öfter habe sie versucht, durch Aktionen auf sich aufmerksam zu machen, sagt Ministeriumssprecher Marc Kinert. Nicht jedoch, um ernsthaft über Jugendmedienschutz zu diskutieren, sondern aufgrund finanzieller Interessen: "Die DVCK nutzt die öffentliche Diskussion vorrangig dafür, Spendengelder einzuwerben", sagt Kinert. Dieser Vorwurf sei "absurd und verletzend", entgegnet von Gersdorff. Alle Mitarbeiter arbeiteten ehrenamtlich, und bereits dreimal sei sein Verein erfolgreich gegen die Bravo vorgegangen. Noch nie habe das Magazin oder bravo.de aufgrund der Kritik dieser Kulturwächter seine Berichterstattung geändert, sagt Katrin Hienzsch vom Bauer Verlag. Auch bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien muss man länger nach der letzten indizierten Bravo suchen. Sie erschien 1996 mit einem als pornografisch beanstandeten Liedtext von MarkOh. Auch wenn die Hintermänner der "Kinder in Gefahr"-Aktion altmodisch daherkommen, nutzen sie moderne Kanäle wie die Google-Werbefunktion Adwords und Youtube. Nicht alles jedoch, was sie als Wahrheiten verkaufen, scheint auch glaubwürdig zu sein. So wirbt ein "Prof. Dr. Dieter Dahl" auf den Internetseiten der Anti-Bravo-Kampagne als moralische und akademische Instanz für die Jesusjünger. In einem Aufsatz schreibt er, dass Jungs, die sich an Darstellungen auf bravo.de aufgeilen, sexsüchtig werden könnten: "Es entstehen dann seelische Zerstörung, Haltlosigkeit, Fehlorientierungen, nicht zuletzt andere Süchte, vor allem Drogensucht." Die taz wollte Prof. Dahl gern zu diesen steilen Thesen befragen, konnte ihn aber weder in Wissenschaftlerdatenbanken noch im Internet finden. Normalerweise treten Forscher bei Kongressen auf oder gehen mit Studien an die Öffentlichkeit. Nicht so Prof. Dahl. Nachfrage bei "Kinder in Gefahr": Dort weiß man nicht einmal, in welchem Fachgebiet Dahl lehrt. Alle drei Werke, die sich unter diesem Namen finden lassen, sind fast 30 Jahre alt und behandeln "Volkswirtschaftstheorie" - nicht gerade eine Disziplin, die sich häufig mit der Psyche von Kindern beschäftigt. Da kommt auch Mathias von Gersdorff ins Stottern und gibt zu: "Ich selbst kenne Herrn Dahl auch nicht persönlich." http://www.taz.de/!5166121/
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