29.03.2016
Diese Pakistanerinnen protestieren gegen die Anschläge vor zwei Kirchen © dpa
Schwerer Stand von Christen in Pakistan Viele halten es nicht mehr aus
Christen sind die weltweit am stärksten verfolgte Religionsgruppe. Besonders schwer haben sie es in einigen islamisch dominierten Staaten - zum Beispiel in der Islamischen Republik Pakistan. Der blutige Bombenanschlag am Ostersonntag ist das jüngste Beispiel dafür.
domradio.de: Taliban-Terror gegen religiöse Minderheiten - leider absolut kein Einzelfall in Pakistan. Ministerpräsident Sharif hat jetzt eine Politik der harten Hand gegen islamistische Terroristen angekündigt. Ernst gemeint - oder einfach nur schöne Worte? Was meinen Sie?
Thomas Müller (Pakistan-Experte Open Doors): „Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein, mir fehlt der Glaube.“ Es ist zwar richtig, dass die pakistanische Regierung jetzt verstärkt gegen Taliban-Aktivitäten vorgeht, spätestens seit dem großen Anschlag auf die Militärschule im Dezember 2014. Aber nichtsdestotrotz gilt nach wie vor, dass zwischen guten Taliban und bösen Taliban unterschieden wird, also Taliban, mit denen man kooperieren kann und anderen, mit denen man nicht kooperieren kann, die man bekämpfen muss. So lange das so ist, sehen wir keine wirkliche Verbesserung - ganz zu schweigen davon, dass die Christen eine so kleine Minderheit sind, dass sie für die pakistanische Politik leider nicht wichtig sind.
domradio.de: Sie beobachten die Lage im Land permanent. Gab es auch einen konkreten Anlass für diesen jüngsten Anschlag?
Müller: Der Anlass könnte gewesen sein, dass vor einem Monat der Mörder des 2011 ermordeten muslimischen Gouverneurs des Punjab hingerichtet wurde. Anlässlich der Totenklage gab es auch am Ostersonntag vormittags große Zusammenstöße sowohl in Islamabad als auch in Rawalpindi. Die Regierung hat zwar gesehen, dass sich da Extremistengruppen zu Tausenden auf die Städte zubewegen, hat aber nichts unternommen, um das Vorrücken dieser Gruppen zu unterbinden. Da zeigt sich schon, auf wen man wirklich hört oder wessen Urteil man wirklich annimmt. Zum Hintergrund muss man erklären: Der Gouverneur wurde deswegen ermordet, weil er Asia Bibi, eine Christin, die wegen angeblicher Blasphemie zum Tode verurteilt wurde, getroffen hat und öffentlich gesagt hat: Die Blasphemiegesetze sind eine Schande für unser Land. Das war sein Todesurteil. Er wurde dann von seinem eigenen Leibwächter ermordet.
domradio.de: Ein großes Problem ist das sogenannte Blasphemiegesetz. Kurz gesagt - was steckt dahinter?
Müller: Diese Gesetze regeln, dass jeder, der entweder dem Propheten Mohammed lästert oder den Koran verunglimpft, mit der Todesstrafe zu rechnen hat. Faktisch ist es aber so, dass diese Gesetze so formuliert sind, dass sie sehr oft dafür benutzt werden, irgendwelche persönlichen Rechnungen zu begleichen. Man kann überhaupt nicht mehr wirklich nachvollziehen: Ist da tatsächlich etwas passiert? Die Christen gehören zu den ärmeren und nicht gebildeten Bevölkerungsschichten, können also gar nicht lesen und schreiben. Schon von daher sind die Blasphemievorwürfe häufig völlig absurd. Nichtsdestotrotz werden sie gerne genutzt, um immer wieder gegen die Minderheiten vorzugehen. Da ist Asia Bibi nur die Spitze des Eisbergs.
domradio.de: Attentate sind nur die Spitze des Eisbergs - auch im täglichen Leben sind Christen vielfältigen Formen von Diskriminierung ausgesetzt. Wie äußert sich das?
Müller: In einem Bericht einer katholischen Organisation aus dem letzten Jahr hieß es, dass schätzungsweise pro Tag zwei christliche Mädchen von muslimischen Männern oder Familien entführt, zwangsweise zum Islam konvertiert, oftmals vergewaltigt und zwangsverheiratet werden. Wenn die christliche Familie den Mut hat, gegen die muslimische Familie ein Verfahren anzustrengen, dann gibt es häufig eine Gegenklage und es heißt: Das Mädchen ist doch freiwillig zum Islam gekommen, lasst sie doch in Ruhe. Christen sind in dem Punkt vollkommen schutzlos und es macht auch keiner was, es fällt noch nicht mal jemandem auf.
domradio.de: Welche Möglichkeiten sehen Sie, die leidgeprüften Christen in Pakistan zu unterstützen?
Müller: Das eine ist, dass man immer wieder darauf hinweisen muss, dass die Minderheiten und insbesondere die Christen geschützt werden müssen. Es ist auch so, dass es von Pakistan aus in ganz Südostasien christliche Flüchtlinge gibt, die in anderen Ländern wie in Thailand, in Sri Lanka und anderen südostasiatischen Ländern Zuflucht suchen, weil sie es in Pakistan vor lauter Verfolgung einfach nicht mehr aushalten. Diese Christen dürfen nicht vergessen werden, weder von der Politik noch von uns.
Das Interview führte Hilde Regeniter (dr)
* Experten für neue Debatte über Islam und islamistischen Terror
Nach den Anschlägen in Brüssel und Lahore sprechen sich muslimische und christliche Experten für eine neue Debatte über den Islam und islamistischen Terrorismus aus.
Einer der einflussreichsten sunnitischen Gelehrten weltweit, der Großimam und Scheich der al-Azhar-Universität in Kairo, Ahmad al-Tayyib, sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", er verstehe die Angst vor dem Islam in Deutschland und Europa. Menschen hätten Sorgen wegen der Verbrechen, die im Namen des Islam begangen würden. Wer aber den Nahen Osten besser kenne, könne unterscheiden zwischen dem, was er sehe, und dem Islam als Religion der Barmherzigkeit.
Der frühere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, forderte in der Jesuitenzeitschrift "Stimmen der Zeit" eine "offene und intensive Debatte" über den Islam mit der "Bereitschaft zur Differenzierung". Dies sei man den hier lebenden Muslimen schuldig, die - "wie alle Untersuchungen zeigen" - in überwältigender Mehrheit in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz "ihr Leben und unser Zusammenleben" gestalteten.
Bereits an den Ostertagen hatte Papst Franziskus an die pakistanischen Behörden appelliert, religiöse Minderheiten besser zu schützen. Der katholische Bischof von Regensburg, Rudolf Voderholzer, betonte, durch scheinbar "im Namen Gottes" begangene Taten entstehe ein Klima, in dem Religion als Ganzes immer stärker in Verruf gerate. Der Islam habe deshalb viel Anlass zur Selbstkritik.
KNA
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