Die Herausforderungen und die Zukunft von Ehe und Familie Interview mit dem Synodenvater und Erzbischof von Riga, Zbigņevs Stankevičs über die Erwartungen vom Ausgang der Familiensynode und der positiven Botschaft einer christlichen Ehe und Familie
Erzbischof Zbigņevs Stankevičs von Riga.
Von CNA Deutsch/EWTN News
ROM/RIGA , 05 April, 2016 / 9:49 AM (CNA Deutsch).- Was alles auf dem Spiel steht, wenn in drei Tagen endlich das Schreiben von Papst Franziskus zu Ehe und Familie erscheint, dass die Synoden der vergangenen Jahre abschließt: Das bringt dieses Interview mit Zbigņevs Stankevičs auf den Punkt. Er ist Erzbischof von Riga (Lettland) und war Teilnehmer der Familiensynode. Robert Rauhut von EWTN Deutschland sprach mit dem Geistlichen, der über den Freiburger Theologen Bernhard Welte promovierte.
Herr Erzbischof, auf der Familiensynode wurden lebendige Diskussionen geführt. Der Begriff der Ehe scheint trotzdem nicht klar zu sein. Könnten Sie zu Beginn eine Definition der Ehe formulieren, die alle Teilnehmer der Synode teilten?
Die Ehe ist ein Bund eines Mannes und einer Frau, der lebenslänglich in Anwesenheit eines qualifizierten Zeugen, das heißt eines Priesters, eines Bischofs, eines Diakons oder – unter besonderen Umständen – einer vom Bischof dazu abgeordneten Person, geschlossen wird. Bei den anderen Rituskirchen können noch andere Aspekte hinzukommen. Zum Beispiel in der Ostkirche bedarf es zur Eheschließung eines Segens des Priesters. Es ist also ein Bund, der in voller Freiheit und mit Bewusstsein der Pflichten geschlossen wird und unwiderruflich ist. Dies in Anlehnung an die Worte von Jesus Christus: "Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen".
Haben Sie während der Familiensynode Versuche wahrgenommen, die Sakramentalität der Ehe in Frage zu stellen. Und wenn ja, sehen Sie in diesen Versuchen eine Protestantisierung des katholischen Eheverständnisses?
Von keinem der Synodenväter habe ich gehört, dass er die Sakramentalität der Ehe in Frage stellen würde. Alle sind sich in Bezug auf die Unauflöslichkeit der Ehe einig, hierzu wurden keine Zweifel geäußert. Die Frage ist nun, ob die Diskussion über die Heilige Kommunion für Geschiedene, bei denen die Ungültigkeit der Ehe nicht festgestellt wurde, nicht ein indirekter Angriff gegen die Unauflöslichkeit der Ehe ist. Eben hier bestehen die Befürchtungen.
Und wie schätzen Sie es ein? Würde die Heilige Kommunion für geschiedene Wiederverheiratete die Unauflöslichkeit der Ehe angreifen?
Diese Befürchtungen entstanden bei einem Teil der Synodenväter und ich teile sie. Wir sind keine "Herren über die Offenbarung", sondern ihre Wächter. Unsere Pflicht ist die Offenbarung in unveränderter Form aufzubewahren, allerdings sie auch ständig zu aktualisieren, für die sich verändernden Umstände auszulegen, auf die sich verändernden Umstände anzuwenden. Unsere Aufgabe ist, die Offenbarung für die jeweilige Generation verständlich zu machen. Und hier setzt das Problem an. Wollen manche nicht zu weit gehen? Sind ihre Vorschläge nicht Abweichungen vom Wesentlichen, das heißt vom Inhalt der Offenbarung?
Sind diese Abweichungen vom Inhalt der Offenbarung das, was wir als Häresie bezeichnen?
Ja. In der Tat ist es so. Auf den Konzilen, bis zum 2. Vatikanischen Konzil, wurde es immer wieder so ausgedrückt: weicht einer vom Glauben ab, "Anathema sit", so schließt er sich selbst von der Einheit der Kirche aus.
Im deutschsprachigen Raum werden immer wieder die Fragen der Heiligen Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene wie auch der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften diskutiert. Welche Fragen haben Ihrer Meinung nach heutzutage grundsätzlichen und fundamentalen Charakter?
Von fundamentaler Bedeutung ist die positive Botschaft für Familien. Die auf der Offenbarung beruhende Kirchenlehre über die Familie, das heißt was eine Familie ist, muss bestätigt werden. Die Botschaft muss für die heutigen Umstände bestätigt werden. Denn heutzutage ist es in der Welt, zumindest in der "westlichen" Welt und den Ländern unter ihrem Einfluss so, dass junge Menschen immer häufiger keine Ehe schließen. Sie leben zusammen, ohne kirchlich oder standesamtlich geheiratet zu haben. Die Aufgabe der Synode ist eine positive Botschaft zu geben, indem die Ehe als eine Berufung gezeigt wird, die dem Menschen von Gott geschenkt wurde. Indem die Ehe als ein Weg zur Vollkommenheit für diejenigen gezeigt wird, die sich zum Zölibat nicht berufen fühlen. Es geht also darum, die gegenwärtige Kultur zu transzendieren und die Schönheit der Berufung zur Ehe zu zeigen. Die Ehe ist kein Joch, sondern etwas Schönes, wodurch der Mensch vollkommen wird.
Manche Synodenväter verkündeten, dass die Fragen der Ehe und der Familie nicht alleine mit Bezug auf die Heilige Schrift diskutiert werden sollten. Der Alleinbezug auf die Heilige Schrift sei fundamentalistisch. Ist die Bibel ein Wegweiser in Fragen der Ehe und Familie?
Damit war das Konzil von Trient in seiner Reaktion auf die Reformation beschäftigt. Die Fragen, was die Bibel und was die Offenbarung Gottes ist, waren Gegenstand dessen Betrachtungen. Die Hauptschlussfolgerung dieser Betrachtungen war, dass die Offenbarung Gottes weiter aufgefasst wird als die Bibel, denn die Bibel stellt die niedergeschriebene Offenbarung dar. Die in der Bibel niedergeschriebene Offenbarung wird im Sinne der Kirchentradition ausgelegt. Deshalb darf die Bibel nicht losgelöst von der Kirchentradition ausgelegt werden. Die Bibel ist im Mutterschoß der Kirchentradition entstanden, sie ist die Frucht dieser Tradition, der Ausdruck der Tradition. Deshalb darf die Offenbarung nicht auf den schriftlichen Text der Bibel eingeschränkt werden. Das ist der Buchstabe und die Offenbarung ist lebendig, sie ist der wirkende Geist. Ihre Frage lässt sich nicht kurz beantworten. Ich verweise aber auf einen zeitgenössischen Heiligen der Ostkirche, der sagte: "Der Heilige Geist wohnt in diesem Buch, aber nicht in dessen Buchstaben. Durch Buchstaben wird der Heilige Geist ausgedrückt." Derjenige, bei dem der Glaube, der Geist nicht innewohnt, wird diesen Buchstaben seiner eigenen Ideologie beugen, wird diesen Buchstaben zur Verteidigung seiner Meinung, seiner Position instrumentalisieren. Das ist also nicht so einfach.
In der Bibel, im 1. Buch Mose wird gesagt, dass der Gott den Menschen als Mann und Frau schuf…
Ja, und Jesus Christus hat gesagt, dass die Welt vergehen wird, aber seine Worte nicht vergehen werden. Am Ende der Offenbarung des Johannes wird gesagt, dass wer zu diesen Worten etwas hinzufügt, dem Gott die Plagen zufügen wird, von denen in diesem Buch geschrieben steht. Das alles bezeugt, dass die Worte "Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen" in Bezug auf unseren Glauben fundamental sind. Wir dürfen sie nicht einfach beiseiteschieben. Wir dürfen nicht sagen, sie seien veraltet. Das ist eine Häresie.
Manche sagen, die letzte Instanz in diesen Angelegenheiten ist das eigene Gewissen. Ist das Gewissen die letzte Norm bezüglich dieser Fragen, und wenn nicht, warum?
Der Mensch ist verpflichtet, seinem Gewissen zu folgen. Allerdings kann das Gewissen irren. Auch wenn das Gewissen irrt, muss der Mensch auf das Gewissen hören. Die Aufgabe eines Menschen ist aber auch das Gewissen zu erziehen. Die Pflicht der Kirche und die der Hirten der Kirche ist das Evangelium zu verkünden und Gewissen zu formen. Wenn man sieht, dass das Gewissen eines Menschen nicht richtig geformt ist, dass es irrt, dann muss man diesen Menschen darauf hinweisen.
Meinem Beitrag auf der Synode habe ich deshalb einen Titel gegeben, das ein Zitat aus dem Instrumentum Laboris aufgreift: die höchste Barmherzigkeit ist, einem Menschen die Wahrheit in Liebe zu sagen. Das heißt wenn ein Mensch ein irrendes Gewissen hat, können wir uns nicht damit rechtfertigen, dass wenn er seinem Gewissen weiterfolgt, alles in Ordnung bleibt. Nein, so ist es nicht, denn unsere Pflicht besteht darin, diesen Menschen darauf hinzuweisen, wie es in Wahrheit um sein Gewissen steht, was darüber die Offenbarung Gottes sagt. Die Pflicht eines jeden Gläubigen ist, sein Gewissen zu überprüfen. Der Apostel Paulus im 1. Brief an die Korinther, im Kapitel 11, wenn er das Empfangen der Heiligen Kommunion beschreibt, sagt, dass wer am Mahl des Herrn teilnimmt, ohne sich vorher geprüft zu haben, das heißt im Stand der Sünde, sich das Gericht zuzieht. Weiter fallen sehr starke Worte: Deswegen sind unter euch viele schwach und krank und nicht wenige sind schon entschlafen. Weil ihr am Mahl des Herrn unwürdig teilnehmt. An einer anderen Stelle sagt der Apostel Paulus: "Fragt euch selbst, ob ihr im Glauben seid" das heißt ob ihr im Glauben beharrt oder bereits am Weg vorbei lauft aber meint, alles sei bei euch in Ordnung.
Für die diskutierten Fragen schlagen manche eine Regionalisierung vor. Das heißt eine andere Lösung findet man in Weißrussland, eine andere in Afrika, und noch eine andere in Deutschland. Können so viele unterschiedliche Wege einen Weg in die Zukunft bahnen?
Die katholische Kirche ist deshalb eine einige katholische Kirche, weil sie überall auf der Welt dieselbe Doktrin und dieselbe Moral hat. Den Änderungen können liturgische Bräuche unterliegen beziehungsweise lokale Traditionen können unterschiedlich sein. Dies betrifft aber nicht den Glauben und die Moral. Diese sind weltweit die gleichen. Der Papst hat es unterstrichen, dass der Nachfolger des Apostels Petrus derjenige ist, der sich für diese Einheit einsetzt und der das Zeichen dieser Einheit ist. Seine Pflicht ist zuzusehen, dass diese Einheit nicht auseinandergeht.
Im Westen erleben wir den sogenannten "demographischen Winter”. Was kann die Kirche tun, um junge Menschen auf die Ehe und auf das Familienleben gut vorzubereiten, wie kann die Kirche diese jungen Menschen animieren, unterstützen?
Die Enzyklika Humanae Vitae wurde zum Zeitpunkt ihrer Erscheinung scharfer Kritik ausgesetzt. Ich habe jetzt nach diesen beinahe 40 Jahren den Eindruck, dass gerade die Länder, in denen die Kritik am lautesten war, die größten demographischen Probleme haben. Die Schlussfolgerungen liegen auf der Hand. Notwendig ist die Rückkehr zur Lehre der Enzyklika Humanae Vitae über das menschliche Leben, über den Wert des menschlichen Lebens. Darüber, dass die Verhütung und Abtreibung mit Gottes Recht nicht zu vereinbaren sind. Und dass die wirklich Gläubigen für das Leben offen sein müssen. Das Leben soll nicht als eine Gefahr wahrgenommen, sondern so wie es wirklich ist, als Gottes Gabe angenommen werden.
Welche Bedeutung hat heutzutage Johannes Paul II., der heilige "Papst der Familie", für die Ehe und die Familie?
Eine sehr große. Noch bevor er Papst wurde, hat er an der Theologie des Leibes gearbeitet. Sein Buch "Liebe und Verantwortung" ist nach meiner Ansicht bis heute in gewissem Sinne revolutionär. Er scheute nicht davor zurück, über die Sexualität zu sprechen, was größtenteils früher ein Tabuthema war. Wir tragen heute die Konsequenzen dieser Tabuisierung. Er begann darüber zu sprechen, über die Würde der Frau, über die Berufung der Frau. Deshalb ist seine Lehre keinesfalls veraltet und wir müssen aus dem Vollen schöpfen.
Was kann gemacht werden, dass Familien, Ehepaare im Einklang mit der Lehre des Hl. Johannes Paul II. begleitet werden?
Ich sehe hier zwei Ufer eines Flussbetts. Das eine Ufer ist die orthodoxe, sprich rechtgläubige Doktrin und das andere Ufer ist der Dialog. Das heißt die Offenheit für alle Fragen und eine offene Problemdiskussion. In einer Zusammenkunft dieser zwei Aspekte liegt die Aussicht auf Erfolg. Werden Probleme diskutiert, aber die Doktrin, die Kirchenlehre, verschwiegen, so kommen wir zu keinem Ergebnis. Denn wir wissen dann nicht, wohin der Fluss fließen soll. Werden wir wiederum nur die Sprache der Philosophie und Theologie verwenden, reine Begriffe vermitteln, ohne dass wir offen sind, für den Dialog, für den Menschen und seine Bedürfnisse, ohne dass wir diese hören und verstehen, dann kommt die Botschaft auch nicht an. Sie wird über die Köpfe hinweggehen, wird nicht wahrgenommen werden, nicht auf einen fruchtbaren Boden fallen können.
Ihnen ist die atheistische Atmosphäre des Ostens sehr gut bekannt. Aber trotz des Atheismus der kommunistischen, sowjetischen Zeit, haben sich dort die Familie und der Glaube in der Familie behaupten können. Können Sie vielleicht ein Beispiel dafür geben, wie der Glaube durch das Familienleben aufrechterhalten wurde, und uns sagen, was die Menschen des Westens daraus lernen können?
Mir ist oftmals eine fehlerhafte Haltung begegnet, wenn die Eltern Folgendes sagen: Wir möchten unseren Kindern den Glauben nicht aufzwingen. Im Erwachsenenalter werden die Kinder selbst wählen können. Damit ist allerdings schon eine Wahl für die Kinder getroffen worden, denn gewählt wurde der Atheismus. Wird der Glaube dem Menschen im Kindesalter nicht vermittelt, so ist es später sehr schwer alleine zum Glauben zu finden. Diese Haltung ist deshalb fehlerhaft.
Jesus Christus vergleicht das Reich Gottes mit einer kostbaren Perle. Ist der Glaube diese kostbare Perle, so will man diesen Schatz mit seinen Kindern teilen. Tun die Eltern es nicht, dann heißt es, dass sie selber diesen Schatz "verwässert" haben, dass das Salz seinen Geschmack verloren hat, dass sie darin keinen Wert sehen. Sie halten den Glauben, die Kirche, für einen von vielen Vorschlägen.
Ich erinnere mich noch an einen Fall aus der Ukraine. Es gab dort damals keinen Bischof, auch fast keine Priester. Das Priesterseminar in Lettland hat übrigens etwa 40 Prozent seiner Absolventen ins Ausland abgeordnet, deshalb hatten wir den ersten Kardinal in der Sowjetunion. Lettland hat für Priester in der gesamten Sowjetunion, mit Ausnahme von Litauen, gesorgt. In einer der Kirchen, die vom Staat nicht enteignet wurde, haben sich Menschen versammelt, auch wenn es dort keinen Priester gab. Sie legten das Ornat und den Kelch auf den Alter und verlasen die Texte der Heiligen Messe. Immer wenn sie am Eucharistischen Hochgebet angelangt sind, haben sie geschwiegen. Sie haben alles getan, was sie durften. Dieser Haltung der Menschen ist es zu verdanken, dass zum Beispiel in Lettland nur wenige Kirchengebäude vom Staat konfisziert wurden. Die Menschen standen da und der Staat wagte den Konflikt nicht. Es waren Menschen von starkem Geist.
In meiner Familie war es so, dass wir es zur Kirche nicht weit hatten. Weihnachten haben wir im Familienkreis gefeiert, die Eltern haben den Pfarrer eingeladen, der zwar nicht immer dabei sein konnte, oftmals aber unser Gast war. Die Mutter legte auf den Tisch Heu, deckte es mit der Tischdecke ab, wir aßen das Heiligabendbrot und sangen die Weihnachtslieder. Das blieb mir sehr tief in Erinnerung, auch wenn ich jetzt 60 bin. Die Familie hat den Glauben vermittelt. Damals war ich zwischen sieben und zehn Jahre alt und ich weiß das alles noch. Auch die Erstbeichte, die Erstkommunion oder die Firmung. An die Firmung kann ich mich besonders gut erinnern. Eine bestimmte Zeitlang gab es in Lettland keinen Bischof, das heißt den Bischöfen wurde staatlich verboten, ihre Pflichten zu erfüllen und es gab keinen der von diesem Verbot entbunden war. Meine Eltern bekamen Kenntnis davon, dass in einer Pfarrei etwa 20 Kilometer von unserem Dorf die Firmung stattfinden wird.
Zu der Firmung sollte ein Bischof kommen, der während der dritten Sitzungsperiode des 2. Vatikanischen Konzils kurz vor der Firmung geweiht wurde. Wir fuhren 12 Kilometer mit dem Bus, gingen die restlichen acht über Wiesen zu Fuß, dann überquerten wir noch den Fluss, die Daugava, mit dem Boot. Da die Firmkandidaten sehr zahlreich waren, musste die Firmung im Kirchengarten stattfinden. Dieser Kardinal hat später seine Erinnerungen niedergeschrieben. Da ist zu lesen, dass er damals an einem Ort mehreren Tausend Menschen die Firmung erteilte, es musste sogar ein paar Tage dauern. Was sind die Schlussfolgerungen? In Zeiten der Glaubensverfolgung wird der Glaube stärker. Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche, wie es einer der Kirchenväter sagt. Das war der Fall zu kommunistischen Zeiten. Leider zeigt die Erfahrung, dass sobald die Kirche nicht mehr verfolgt wird, reich wird, im Überfluss lebt, der Glaube verwittert.
Was kann daraus der Mensch des Westens lernen? Vielleicht, dass es wertvoll ist, sich mit den Erfahrungen der Kirche jenseits der Grenzen, jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhangs vertraut zu machen, die Zeugen kennenzulernen, die diese Zeiten erlebt und überlebt haben. Ich selber kenne auch solche Personen – mein Spiritual war acht Jahre Gulag-Häftling in einem Kohlebergwerk, er wurde ohne Grund deportiert, weil er einem Mitglied des Komosomol, des kommunistischen Jugendverbands in der Sowjetunion, sagte, dass es Gott gibt und man an Ihn glauben sollte. Es wurde als antistaatliche Tat eingestuft und er wurde deportiert. Was ich empfehle, ist sich mit den Erfahrungen dieser Zeitzeugen vertraut zu machen und sich ihre Wertehierarchie als Vorbild zu nehmen.
Wie werden Menschen in Ihrer Diözese auf die Ehe und Familie vorbereitet? Wie werden die Menschen von der Kirche begleitet?
In Riga haben wir eine obligatorische Vorbereitung eingeführt. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber der Normalfall sieht folgendermaßen aus: wir bieten einen mehrmonatigen Brautleutekurs an, in dem Themen wie zum Beispiel was ist die Ehe, was sind die Pflichten der Eheleute und so weiter besprochen werden. Es passiert auch, dass manche Brautleute am Ende des Kurses uns sagen, dass sie die Ehe doch nicht schließen möchten, weil es ihnen nicht bewusst war, dass die Ehe eine so ernsthafte Sache ist.
Manche Pfarrer bitten auch das Brautpaar, am Alpha-Kurs teilzunehmen. Dies ist vor allem bei denjenigen der Fall, die keine aktiven Mitglieder der Pfarrgemeinde sind oder vor kurzem ihre Mitglieder wurden. Ich kann bestätigen, dass dies ein erfolgreicher Weg ist. Der Prozentsatz der standesamtlichen Scheidungen bei gleichzeitig katholisch und standesamtlich geschlossenen Ehen – wir bekommen in dieser Hinsicht eine Rückmeldung vom Staat – ist viel kleiner. Er liegt auf einem Niveau von 16 Prozent gegenüber 86 Prozent bei nur standesamtlich geschlossenen Ehen. Diese Daten beziehen sich auf die Zeit, nachdem die Scheidungsrechtsvorschriften in Lettland liberalisiert worden sind. Diese Daten wurden auch durch die Massenmedien aufgegriffen und fast zu einer Sensation erklärt – die Frage war, was wir in der Kirche tun, dass der Prozentsatz der Scheidungen so klein ausfällt. Ich habe die Situation geschildert, wie sie war – dass wir Brautleutekurse, Ehevorbereitungskurse anbieten und das die Menschen wissen, was auf sie zukommt.
Ich habe aber auch auf das Sakrament hingewiesen – es liegt auf der Hand, dass der Mensch alleine es nicht schaffen kann, den Nächsten zu lieben, wie sich selbst und dies das ganze Leben lang. Dafür ist das Sakrament da, das durch die Anwesenheit von Jesus Christus unterstützt und Hilfe leistet. Wenn die Eheleute diese Hilfe benötigen und sie einholen möchten, dann versagt Er sie nicht.
Das ist eine gute grundlegende Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe. Werden auch Familien seelsorgerisch begleitet?
Bei uns sind eher Kirchenbewegungen für Ehepaare der Fall, zum Beispiel die "Begegnung von Ehepaaren" (Encounters of Married Couples), eine Bewegung, die in Polen entstanden und in Lettland inzwischen sehr verbreitet ist. Unsere Priester und Priesteramtskandidaten begleiten die Ehepaare im Rahmen von Exerzitien. Diese Bewegung ist bereits in 13 Ländern präsent und letztens wurde ein Ehepaar aus Lettland zu Hauptverantwortlichen für die gesamte internationale Bewegung gewählt.
Mit welchen Herausforderungen werden Ehepaare und Familien in Lettland zur Zeit konfrontiert?
Die erste habe ich bereits kurz angesprochen, das ist das voreheliche Zusammenleben. Man geht von der falschen Voraussetzung aus, dass sich das Paar vor der Eheschließung besser kennenlernen, eine "Probezeit" durchlaufen muss, "sich bewähren" muss. Laut soziologischen Forschungen steht es aber um die Sache gerade umgekehrt. Statt zur Beständigkeit der Ehe zu verhelfen, wird dadurch die Beständigkeit der Ehe leider geschwächt. Dies ist das Ergebnis einer bestimmten Mentalität.
Erstens handelt es sich um den fehlenden Glauben, den allgemeinen Rückgang des Glaubens in der westlichen Kultur. Deshalb ändert sich auch die Wertehierarchie des Menschen. Der Glaube ist nicht mehr der übergeordnete Wert und Jesus Christus steht nicht mehr im Zentrum. Bei einer solchen Werteverschiebung wird auch der andere Mensch instrumentalisiert, oft als Spielzeug zur Befriedigung der Gelüste behandelt. Diese Umstellung der Werte bewirkt, dass bei einer schwierigen Erfahrung, beim kleinsten Scheitern jede Anstrengung für überflüssig gehalten wird. Der Mensch findet sich einen anderen. Schon zu ihrem Beginn ist also die Ehe negativ belastet.
Zweitens, die Gender-Ideologie. Diese behauptet, dass der biologische Körper und das Geschlecht nicht zusammenfallen müssen. Das der Mensch selbst seine Identität, Mann oder Frau, seine sexuelle Orientierung wählen könne. Das kann man mit Settings im Computer vergleichen – wenn einmal an den Settings der Menschen etwas geändert wird, so bleibt in ihm drinnen ein Durcheinander. Das wiederum erschwert ihm, gesunde Beziehungen aufzubauen. Diese Herausforderungen beziehen sich auf den Ausgangspunkt der Ehe.
Nachdem die Ehe geschlossen wurde, wird der Bund oft durch fehlende Offenheit für Leben – Verwendung der Verhütungsmittel – geschwächt. Die Abtreibung hinterlässt auch Wunden an der Ehe. Weiter auch das Aufgeben bei den ersten Schwierigkeiten. Das ist aber die Folge einer gewissen Optik – den Menschen ist es nicht bewusst, dass die Ehe eine Berufung Gottes, ein Weg zur Vollkommenheit ist. Ist das Ziel der Menschen am irdischen Leben möglichst großen Genuss zu empfinden, so geht die Ehe auseinander. Weiß man, dass sein Ziel das Reich Gottes, der Himmel ist, so sind die Eheschwierigkeiten vorübergehend. So sind sie ein Preis, den ich zu zahlen habe. Auch finanzielle Probleme stellen eine Herausforderung dar. Bei Arbeitslosigkeit versucht der Mann oder die Frau eine Arbeit im Ausland zu finden. Verreisen beide nicht, sondern nur – und dies ist meistens der Fall – der Mann, so schwächt sich die Ehebeziehung ab oder die Ehe geht auseinander. Persönlich kenne ich ein paar solche Fälle. Manche sagen, der Familienzerfall erfolgt hier innerhalb von drei Jahren.
Die Kirche wächst. Welche Rolle spielen katholische Familien bei der Förderung der neuen Priesterberufungen?
Einer der Synodenväter sagte in einem Gespräch im kleineren Kreis folgendes: Priester und Priesterkandidaten, die aus vollständigen Familien stammen, sind auch normale Priester. Diejenigen, die aus zerrütteten Familien kommen, projizieren diese Verhältnisse auf ihr Priestertum. Trotz mehrerer Jahre im Priesterseminar können sie nicht geformt werden. Das heißt, von der Familie hängt sehr viel ab. Auch wenn in einer zerrütteten Familie eine Priesterberufung keimt, so ist der Kandidat mit einer negativen Erfahrung vorbelastet. Er muss diese Erfahrung aufarbeiten und das ist schwierig. Hat er wiederum seine Erfahrungen erfolgreich aufgearbeitet und diese überwunden, dann kann er künftig den Menschen mit ähnlichen Erfahrungen besser helfen. Dies bedarf aber einer enormen Aufopferung und hoch qualifizierter Vorgesetzter. Diejenigen, denen diese Erfahrungen erspart blieben, können in dieser Hinsicht weniger Verständnis zeigen.
Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem Synodenabschluss und der Apostolischen Exhortation?
Ich hoffe, dass das Enddokument den Familien helfen wird, sich in ihrer Familienidentität zu bestätigen und die Überzeugung zu festigen, dass sich die Bemühungen, der Kampf um die erfolgreiche Ehe lohnt, dass diese schön ist und dass der Wert in der Öffnung fürs Leben liegt. Dass dies die Zukunft ist. http://de.catholicnewsagency.com/story/d...nd-familie-0660
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