„Revolution“ Amoris Laetitia – „Pastorale Neuausrichtung“ der Kirche 8. April 2016 0
Kardinal Schönborn und Kardinal Baldisseri bei der Vorstellung von Amoris Laetitia von Giuseppe Nardi
(Rom) Bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Apostolischen Schreibens Amoris Laetitia, das die Ergebnisse der doppelten Bischofssynode zu Ehe und Familie von 2014 und 2015 zusammenfaßt, wurde die „pastorale Neuausrichtung“ der Kirche betont. Es fehlt nicht an enttäuschten Stimmen über eine „ausgebliebene Revolution“. Ist sie tatsächlich ausgeblieben oder schleicht sie doch, wenn auch unterschwellig durch das neue Dokument? Fest steht schon jetzt: Das Dokument erlaubt eine Vielzahl von Lesarten. Etwa von „Die Revolution, die keine wirkliche ist“ bis „Eine Revolution, aber nennt sie nicht so“. Das Dokument enthält wertvolle Aussagen über die Schönheit der Ehe und Bedeutung der Familie. Im aktuellen Streit werden sie aber nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen.
Was genau im nachsynodalen Schreiben steht, und was davon wie öffentlich kommuniziert wird, sind zwei Paar Schuhe. Für die konkreten Auswirkungen dürfte, wie die Erfahrung lehrt, der kommunizierte Inhalt wichtiger sein. Wer liest schon ein fast 200 Seiten langes Vatikan-Dokument?
Schönborn: „Franziskus will eine Kirche, in der alle Platz haben“
Der Tenor, der von Kardinal Christoph Schönborn (Erzbischof von Wien) angeführten Pressekonferenz drückt sich in folgenden Sätzen aus: „Franziskus will eine Kirche, in der alle Menschen Platz haben und in der dem Gewissen große Bedeutung zukommt.“ Der Ton macht bekanntlich die Musik, womit die Stoßrichtung für Kardinal Schönborn geklärt wäre. In dem einen Satz ist, ohne nähere Erläuterungen, bereits mehr als genug Sprengstoff enthalten.
Seine Beauftragung, das Schreiben in Rom vorzustellen, gilt nicht nur als Anerkennung durch Papst Franziskus. Es ist auch der Versuch, die am meisten aufmüpfige Kirche des deutschen Sprachraums zufriedenzustellen. Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, drohte Rom im Vorfeld unumwunden, daß man bei Nichterfüllung der Erwartungen im Alleingang handeln werde. Gemeint ist die faktische Anerkennung von Scheidung und Zweitehe durch Gewährung der Kommunion an wiederverheiratete Geschiedene und die Anerkennung der Homosexualität. Daß dem de facto schon so ist, und wie gut sich die katholische Kirche in Deutschland in den politischen Konsens zur Homosexualität einfügt, zeigte am vergangenen 2. April die „ökumenische Trauerfeier“ für den verstorbenen ehemaligen Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Die Trauerfeier für den bekennenden Homosexuellen und Protestanten Westerwelle fand in einer katholischen Basilika in Köln statt.
Zentrale Botschaft: Kommunion für wiederverheiratete Geschiedenen „in gewissen Fällen“
Die zentrale Botschaft der heutigen Pressekonferenz zur Vorstellung von Amoris Laetitia, die Kardinal Schönborn verkündete, lautete daher, daß der Sakramentenempfang für wiederverheiratete Geschiedene „in gewissen Fällen“ möglich sei.
Das genügt, um das latent über der Frage schwebende Schisma der deutschen Kirche abzuwenden, und die Kirche auf „neue pastorale Wege“ zu lenken.
Die deutsche Schisma-Drohung hatte bereits die Endphase des Pontifikats von Papst Benedikt XVI. überschattet. Es wird einmal Aufgabe von Historikern sein, den Zusammenhang zwischen diesem Druck und dem unerwarteten Amtsverzicht des deutschen Papstes in seiner Bedeutung zu beleuchten. 2017 feiert der protestantische Teil des deutschen Raumes 500 Jahre Reformation. Um Haaresbreite hätte das Reformationsgedenken, „passenderweise“, mit einer zweiten Kirchenspaltung zusammenfallen können. Vielleicht wäre es für die Kirche das Beste gewesen. Wer aber möchte diese Verantwortung auf sich laden? Benedikt XVI. wollte es jedenfalls nicht.
Die deutsche Drohung mit dem Schisma
Die von Kardinal Schönborn geleitete Pressekonferenz im Vatikan
Der Druck im Dampfkessel wird mit dem heutigen Tag abgelassen. Sind damit aber die Probleme gelöst? Wie es aussieht, weder praktisch und schon gar nicht theologisch. Seit einem halben Jahrhundert steht die Weltkirche unter einem unheilvollen protestantisierenden deutschen Einfluß. Es entspricht daher einer inneren Logik, daß es auch Deutsche sind, die sich diesem Einfluß entgegenstellen. Die Wahl von Papst Benedikt XVI. sollte, dieser Logik folgend, die Gegenbewegung vollenden. Eine Aufgabe, die er trotz Kraftanstrengung in letzter Konsequenz nicht bewältigte. Der „praktische“ Erfolg durch die Schisma-Drohung zementiert den von der „Rheinischen Allianz“ 1963 begonnenen Einfluß auf die Gesamtausrichtung der Weltkirche. Ist Rom erpreßbar geworden? So drastisch läßt sich das nicht formulieren. Die Dinge sind um einiges komplexer und verwobener. Die Gefahr einer Konditionierung besteht jedenfalls.
Theologisch wurden in den vergangenen zwei Jahren, seit Papst Franziskus die Weichen neu stellte und dem „deutschen Zug“ freie Fahrt gab, von den Verteidigern der kirchliche Ehe- und Morallehre beachtliche Anstrengungen unternommen, um das überlieferte Verständnis des Ehesakraments und der damit verbundenen Unauflöslichkeit der Ehe zu vertiefen. Das wird noch reiche Frucht tragen.
So sehr Papst Franziskus seit seiner Wahl der neuen progressiven „Allianz“ an Rhein und Donau Raum gab und ihr Tür und Tor öffnete, kann kein Gleichschritt mit dem deutschen Episkopat behauptet werden. Die päpstlichen Sympathien für Kardinal Walter Kasper sind bekannt und echt. Sie verschafften dem ehemaligen Bischof von Rottenburg-Stuttgart ein ebenso spätes wie unerwartetes „Comeback“. Immerhin dürfte die Wahl von Kardinal Jorge Mario Bergoglio das „Meisterstück“ des deutschen Kardinals gewesen sein. Weniger Sympathien hegt Franziskus für den mächtigen Mann der deutschen Kirche, für den Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx. Das liegt schon am unterschiedlichen Charakter. Das erklärt die Annäherung zwischen dem Papst und Wiens Erzbischof Kardinal Schönborn.
Das Schönborn-Interview: „Liebe wichtiger als Normen“
Der aus uradeligem Geschlecht stammende Dominikaner Schönborn ist ebenso ein Vertreter des deutschen Sprachraums, aber in seiner gekonnten, diplomatischen Art dem Papst deutlich näher. Um die Feinheiten der „Botschaft“ zu verstehen, ist ein Interview zu beachten, das Schönborn bereits vor der römischen Pressekonferenz seiner eigenen Presseagentur Kathpress gab. Interview und Pressekonferenz sind als Einheit zu lesen.
Im Interview fiel die programmatische Aussage:
„Das erste sind nicht die Normen, die zwar wichtig sind, an erster Stelle steht aber die Ausrichtung auf die Liebe.“ Das sei die „besondere Logik“, die hinter dem gesamten päpstlichen Schreiben stehe.
Was Wien „längst praktiziert“, wurde vom Papst „voll übernommen“
Schönborn lieferte im Interview auch gleich seine Deutung des Schreibens mit. Er sieht in Amoris Laetitia die nachträgliche Bestätigung einer „in Wien seit gut 15 Jahren gelebten pastoralen Praxis“. Was Wien längst praktiziere, sei vom Papst „voll übernommen“ worden. Das zum Thema Gehorsam und deutsche Alleingänge.
Dem Schreiben, so Schönborn, sollte eigentlich der Satz „Liebe und tu was du willst“ vorangestellt werden. Wiens Erzbischof bemühte sich erst gar nicht, diesen heutzutage leicht mißverständlichen Satz des heiligen Augustinus zu erklären. Ein gewisses Mißverstehen scheint intendiert. Schönborn wiederholte mit anderen Worten die knappe These „Love is Love“, die er bereits nach der Bischofssynode von 2014 ausgesprochen hatte.
Schönborns Demontage: Gibt es eine objektiv irreguläre Situation?
Vor allem warnte der Kardinal vor vorschnellen Urteilen über sogenannte „reguläre“ oder „irreguläre“ Lebenssituationen. Im päpstlichen Dokument sei das Wort „irregulär“ fast durchwegs unter Anführungszeichen geschrieben, was „besonders wichtig“ sei. Schönborn wörtlich:
„Ob sich jemand in einer regulären oder irregulären Situation befindet, ist zuerst einmal nur ein äußerer Blick auf die Situation.“ Es handelt sich demnach, für den Wiener Erzbischof, nicht um einen objektiven Zustand: „Der innere Blick auf die Lebenssituation von Ehen und Familien besteht darin, dass wir alle mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben und alle der Barmherzigkeit Gottes bedürfen.“
Schönborn: „Befreiende und wohltuende Botschaft“
„Kein Ehepaar und keine Familie“ dürften daher sagen: „Wir sind die ordentlichen und Ihr seid die unordentlichen.“ Das sei für ihn eine „befreiende und wohltuende“ Botschaft, „weil es in Wirklichkeit auch so ist“, so Schönborn. „Befreiend“ für wen und wovon?
190 Seiten umfaßt das nachsynodale Schreiben. Man solle es „nicht hastig“ lesen, empfahl heute der Papst. Dennoch wird der Anteil unter den 1,3 Milliarden Katholiken, die es vollständig lesen, überschaubar bleiben.
Mit heute ist das Rennen eröffnet, sich auf die Suche nach Aussagen im Dokument zu machen, die der eigenen Positionen entgegenkommen oder vereinnahmt werden können. Seit Jahrzehnten ist, gewissermaßen auch analog zu den Fraktionen der protestantischen Synoden-Parlamente, auch in der katholischen Kirche die Rede von „Konservativen“, „Progressiven“, „Traditionalisten“, „Modernisten“ oder „Moderaten“. Eine verzerrte Perspektive, denn darum geht es in der Katholischen Kirche nicht. Jedenfalls sollte es nicht darum gehen. Es geht nicht darum, daß eine Fraktion über eine andere siegt, sondern um die von Gott geoffenbarte Wahrheit. Und der sind alle Fraktionen verpflichtete, wenn sie wirklich in Anspruch nehmen, katholisch zu sein. Auch hier gilt, daß es zumindest so sein sollte.
Methodik der unpräzisen Formulierung
Ist das Ergebnis der Synode damit so ausgefallen, wie man es sich erwartet hatte? Letztlich schon. Es ist, wie mehrere hohe Kirchenvertreter, auch Kurienerzbischof Georg Gänswein, versicherte, nicht zu einem aufsehenerregenden Bruch gekommen. Und doch kann man den Bruch bei näherem Betrachten der Details durchaus herauslesen. Genau darin liegt die Bestätigung der Erwartungen. Die Veränderungen, die „Revolution“, die „revolutionäre Wende“ (Worte von Kardinal Kasper) geschieht, wenn sie geschieht, subtil im Wortwust ungenauer Formulierungen. Auch diesbezüglich also Nichts Neues unter der Sonne. Die schon auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil angewandte Methode, die Klarheit in unklaren Formulierungen aufzulösen, wird fortgesetzt. Der Jesuit Karl Rahner, und damit Ordensmitbruder des amtierenden Papstes, fand diese Sprachmethodik geradezu genial, denn sie erlaube letztlich immer das herauszulesen bzw. hineinzuinterpretieren, was man will.
Es ist die Methode jener Revolutionäre, denen die Mehrheiten oder die Armeen fehlen, um ihren Willen direkt und schnell durchzusetzen. Es ist mehr noch die Methodik der Pseudo-Revolutionäre, die zwar radikale Ideen haben, denen aber der letzte Antrieb fehlt, sich offen zur Revolution zu bekennen. Die Volkstheologie, deren Vertreter Jorge Mario Bergoglio in Argentinien war, und seine Ablehnung des bewaffneten Kampfes seiner Ordensmitbrüder für die marxistische Befreiungstheologie bietet einige Ansätze zum Verständnis dieses Pontifikats.
Schlichtweg irritierend, das sei nur am Rande erwähnt, ist das weitgehend unkritische „Ja zur Sexualerziehung“, das Papst Franziskus ausspricht. Angesichts der Erfahrungen mit der Schulsexualerziehung und staatlichen „Aufklärungskampagnen“, angesichts der Gender-Ideologie, die massiv der schulischen Sexualerziehung ihren Stempel aufdrücken will, angesichts der entsprechenden „Bildungspläne“ von Baden-Württemberg, Wien oder Bayern, um nur einige zu nennen, fragt man sich verblüfft, welche „Realität“ der Papst und seine Ghostwriter denn bei diesem Thema vor Augen haben.
Wohin die „pastorale Neuausrichtung“ führt, steht in den Sternen
Wohin die „pastorale Neuausrichtung“ allerdings die Kirche Westeuropas führen werden, steht indes völlig in den Sternen. Fest steht nur: Das deutsche Kirchensteuersystem mit seinen Schattenseiten, zu denen ein unverhältnismäßig schlechter Einfluß auf die Gesamtkirche zählt, bleibt bestehen. Das jedenfalls dürfte für manchen Prälaten eine Erleichterung sein, die – im Zweifelsfall – noch wichtiger ist, als der Kampf um die „liberalen“ Öffnungen.
Bleibt am Ende die Frage: Hat es sich gelohnt, daß Papst Franziskus 2013 Ehe und Familie zum Thema einer Bischofssynode machte, um das nachsynodale Schreiben Familiaris Consortio von 1981 zu ersetzen? Läßt man die Chronologie der vergangenen drei Jahre im Zeitraffer passieren, bleibt der Eindruck zwiespältig. Einerseits wurde ein Streit vom Zaun gebrochen und in die Weltkirche hineingetragen, indem Papst Franziskus ohne Not der unduldsamen deutschen Kirche unangemessenen Spielraum gewährte. Wieviel Scherben deshalb noch aufzulesen sein werden, läßt sich derzeit noch gar nicht absehen. Gleichzeitig ist die Doppelsynode, wenn sie als Revolution gedacht war – und mehr als einiges spricht dafür –, zum Rohrkrepierer geworden. Die Kirche spricht weniger denn je mit einheitlicher Stimme. Das Pontifikat von Franziskus fördert die Dissonanz. Die wirkliche innere Erneuerung der Kirche erfährt keine wirklichen Impulse. Sie muß weiterhin warten. http://www.katholisches.info/2016/04/08/...ung-der-kirche/ Text: Giuseppe Nardi Bild: MiL
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