Zu Ostern unterwegs mit Missionars-Familien 11/04/16
Amalia* kämpft mit den Tränen, also sie vom Tod ihres Sohnes im Bergwerk vor wenigen Wochen berichtet, nur Tage, nachdem dessen eigener Sohn von seiner (unverheirateten) Freundin geboren worden war. Wenig später starb Amalias Mutter. Über diese Schicksalsschläge mit einem Priester sprechen zu können, war Amalia ein großes Bedürfnis gewesen; nun ist es ihr möglich, denn die Familie Gonzalez, die Amalia in ihrem Haus zuerst besuchte, hat mich dann mit ihr in Verbindung gebracht.
Sie ist nur einer von vielen Besuchen, die ich in der Woche vor Ostern in der Kleinstadt Madera absolviert habe. Da ist Josepha, eine über 80 jährige Dame, die es nicht mehr zur Kirche schafft: sie konnte nun die Krankensalbung empfangen, und ich schaffte es, ihr noch nach der Osternacht die Heilige Kommunion zu bringen: den auferstanden Christus in ihr bescheidenes Heim. Oder José, jener bettlägerige Greis, der nur noch aus einem Auge sehen konnte und sich nicht einmal erinnerte, ob er überhaupt je in seinem Leben zur Beichte gegangen war: seine ebenso betagte Frau war so froh, dass er nun mit den Sakramenten der Kirche versehen werden konnte. Viele andere beeindruckende Erlebnisse müssen unerwähnt bleiben, weil sie unter das Siegel des Beichtgeheimnisses fallen, und es waren so viele Beichten, die ich während dieser Woche hören durfte!
Jedes Jahr verzichten Tausende von Jugendlichen, Erwachsenen und ganze Familien auf den Urlaub in ihren Osterferien, um über die ganze Republik Mexiko verstreut in entlegene Ortschaften zu ziehen und bedürftige Menschen in ihren Häusern zu besuchen, die oft für Jahre keinen direkten Kontakt mit der Kirche gehabt haben und auch nicht selten Opfer protestantischer Sekten werden. Diese Missionen werden von der Apostolatsbewegung Regnum Christi organisiert und von Priestern der Ordensgemeinschaft der Legionäre Christi begleitet. In diesem Jahr habe ich zum ersten Mal daran teilgenommen, und zwar für Familia Misionera, auf Deutsch „Familien-Mission“, in meinem Fall eine Gruppe von acht Familien aus der Stadt Chihuahua, die sich nun schon zum zweiten Mal im Nordwesten des nordmexikanischen Staates Chihuahua dem Ort Madera widmen. Vier weitere Legionäre übernahmen andere Gruppen von Familien, Mädchen, oder jungen Männern. Mir war die Pfarrei San Rafael zugeteilt. Die Gegend hatte in vergangenen Jahren viel unter der Gewalt von Drogenbanden gelitten; derzeit hat sich die Lage beruhigt, doch bleiben noch Wunden offen. Allein zwei der Missionar-Familien bestanden aus Witwen und ihren Kindern, die den Ehemann bzw. Vater unter diesen Umständen verloren hatten.
Pfr. Ramón Arias, der einzige Pfarrer vor Ort, trug den Missionaren auf, alle Häuser des Ortes aufzusuchen und zu notieren, wo es Bedarf an Sakramenten gibt: Taufe, Erstkommunion, Firmung, häufig auch das Ehesakrament für noch nicht kirchlich Verheiratete, ein erstaunlich häufiger Zustand in dieser Gegend. Außerdem luden die Missionare die Leute ein, während der Woche am besonderen Programm in der Pfarrei teilzunehmen: Gesprächskreise für Jugendliche, Erwachsene und Paare, dazu auch ein Kinder-Katechese-Programm; dann eine gemeinsame Rosenkranzprozession und um 18 Uhr die Abendmesse. Während der Nachmittags-Veranstaltungen stand ich für das Bußsakrament zur Verfügung. Gegen Ende der Karwoche kamen noch die entsprechenden liturgischen Feiern und weitere Angebote hinzu: ein Krankengottesdienst am Gründonnerstag morgens, die Abendmahlsfeier mit eucharistischer Anbetung am Abend und die Nacht hindurch; am Freitag ein Kreuzweg durch die staubigen Erdwege der Seitenstraßen, dann die Karfreitagsliturgie und zum Schluss noch in der Hauptpfarrei von Madera ein Rosenkranz zur schmerzhaften Gottesmutter mit anschließender Fackelprozession im Schweigen durch die Innenstadt — es ist hier Brauch, ein Kruzifix horizontal vor der Prozession herzutragen und mit den langgestreckten Schlägen einer großen Tragepauke den Tod Jesu kundzutun.
Es war für mich als Priester auch das erste Mal, dass ich die Gründonnerstagsliturgie selbst zelebrieren konnte. Ich erkannte nicht wenige der Ortsbewohner wieder, denen ich die Füße waschen durfte: sie waren in den Tagen zuvor zur Beichte gekommen. Nun erfuhren Sie durch mich nicht nur die Vergebung, sondern auch die dienende Zuwendung Christi und den Auftrag, einander ebenfalls die Füße zu waschen.
Bemerkenswert war für mich die Begeisterung und Freude, die die Missions-Familien ausstrahlten. Manche der Kinder waren erst im Grundschulalter und doch schon mit viel Eifer dabei. Etliche der Erwachsenen sagten mir, sie könnten sich keine Karwoche und kein Ostern mehr ohne Mission vorstellen. Die oft erwähnte Beobachtung, dass die Missionare selbst vielleicht am meisten davon „profitieren“, im geistlichen Sinn natürlich, dass sie ihre Zeit und Kraft den bedürftigen Mitmenschen schenken, konnte ich in eigener Anschauung bestätigt finden und auch selbst in mir erfahren. Hinzu kommt die im mexikanischen Volk noch natürlicher verwurzelte Religiosität, die sich auf beeindruckende Weise mit einer überströmenden Herzlichkeit und Nächstenliebe verbindet. Dass drei kleine Mädchen früh morgens an mein Fenster klopften, um mir, „ungestört von den Erwachsenen“, Fragen zur Beichte und zum Glauben zu stellen, war eine völlig neue Erfahrung und zeigte mir, wie wertvoll ein tiefer und spontaner Glaube sein kann, wenn er überzeugt und engagiert in den Familien gelebt und weitergegeben wird.
Den Erwachsenen half ich durch tägliche morgendliche Betrachtungen und Anregungen in unseren Reflexionsrunden, ihre Arbeit immer auch aus der übernatürlichen Perspektive her zu betrachten und sich nicht zu sehr auf den reibungslosen Ablauf der äußeren Umstände zu konzentrieren, wofür sie natürlich auch verantwortlich waren. Auch hier waren die Missionare selbst jene, die vielleicht am meisten in ihrem eigenen Glaubensleben gewachsen sind.
Die Feier der Osternacht war sicherlich der Höhepunkt dieser Tage. Die von mir zuvor intensiv angeleiteten Messdiener gaben ihr Bestes, ebenso die treue Musikantengruppe der Pfarrei mit nicht immer harmonisch perfekten, aber dafür umso begeisterteren Gitarristen und Sängern. Als das Licht der Osterkerze und der vielen anderen Lichter zum Osterlob erstrahlte, das ich trotz eines aufkommenden Schnupfens und ohne die nötige Probezeit so halbwegs auf Spanisch in den Kirchenraum zu schmettern versuchte, war die Erregung aller Anwesenden deutlich spürbar. Die Freude über die Auferstehung Christi durchwogte die Herzen und hat, so scheint es, den von vielen Prüfungen gezeichneten Menschen neue Hoffnung gegeben.
* Alle Namen bis auf den Ortspfarrer sind geändert.
Dr. Andreas Kramarz LC ist Priester der Legionäre Christi und als Studienpräfekt und geistlicher Leiter im ordenseigenen Ausbildungshaus in Cheshire, Connecticut (USA), tätig (mehr Information hier). https://de.zenit.org/articles/zu-ostern-...onars-familien/
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