Amoris laetitia: Vor einem Dilemma
Die herrschende Meinung unter den Theologen ist, dass die Lehre durch "Amoris laetitia" nicht geändert wurde, trotz mancher Passagen, die das Gegenteil andeuten. Es bleibt also alles beim Alten - was das Lehramt anbelangt. Die Enttäuschung darüber würde möglicherweise erklären, wieso in Deutschland das Echo unter den progressistischen Theologen so schwach war, wie Kardinal Lehmann behauptet.
Erstellt von Mathias von Gersdorff am 16. Mai 2016 um 13:32 Uhr
Kardinal Lehmann Kommentar von Mathias Gersdorff
In einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ – einem linksorientierten Blatt – stellt Kardinal Karl Lehmann enttäuscht fest, dass „Amoris Laetitia“ in Deutschland auf recht verhaltene Resonanz stieß: „Wenn ich das öffentliche Echo auf das Papstschreiben „Amoris laetitia“ anschaue, stelle ich ein ganz schnelles Abflauen des Interesses fest. Gut, die medialen Erregungswellen kommen und gehen heute insgesamt in kürzerer Folge. Umso mehr müssen sich jetzt die Theologen an den Universitäten und die Fachpublikationen des Textes annehmen. Sonst bleibt er ein Schlag ins Wasser. Bislang enttäuscht und besorgt mich die Zurückhaltung der Theologen. Dass der Papst selbst behauptet, ihm gehe es mehr um die Pastoral als um Dogmatik, dispensiert die Theologie nicht vom Weiterdenken.“
Die von Kardinal Lehmann beschriebene Stimmung in Deutschland ist Folge von unterschiedlichen Erwartungen und Perspektiven, die im Progressismus von Anfang an bestanden.
Was alle Linkskatholiken eint, ist ihr Wunsch, dass sich die katholische Kirche der modernen Welt anpasst oder zumindest stark annähert. Wobei diese Annäherung zur Welt nicht irgendeine sein soll. Nein, die Kirche soll sich den egalitären ideologischen Strömungen anpassen. Die Kirche soll sich entsprechend der vorherrschenden gleichmacherischen Gesinnung umwandeln.
Um die Anpassung an die Welt zu erreichen, müsste sich dementsprechend die Kirche von allem entledigen, das dieser gleichmacherischen Gesinnung widerspricht:
Unterschied zwischen Laien und Priestern, Hierarchie innerhalb des Klerus, Unterschiede zwischen natürlicher und übernatürlicher Ordnung (durch Banalisierung der Liturgie, durch Abschaffung der Volksfrömmigkeit, durch Abschaffung von Devotionalien wie Rosenkränze, durch entsakralisierte Architektur und Kunst etc.), durch Ablehnung einer autoritären Sprache und eines selbstbewussten Auftretens (Stichwort „Barocke Prachtentfaltung“) etc.
Unnötig zu sagen, dass es hier unterschiedliche Intensitäten gibt. Nicht alle wollen so weit wie Hans Küng oder Eugen Drewermann gehen.
Trotz dieser Einheit unter den Progressisten in der Zielrichtung gab es einen wichtigen und grundsätzlichen Unterschied.
1. Für eine Fraktion ging es vor allem darum, dass sich die Kirche kulturell ändert, um auf Augenhöhe mit der „Welt von heute“ in Kontakt treten zu können. Die Vertreter dieser Auffassung meinten, die Kirche müsse anders auftreten, anders kommunizieren, damit sie von modernen Menschen verstanden werden kann. Zu diesem Zweck sollte sie sich weniger mit doktrinären Themen beschäftigen, sondern mit den pastoralen Schwierigkeiten der real existierenden Welt. Aus demselben Grund sollte sich die Kirche mit den Herausforderungen der Welt von heute beschäftigen: soziale Probleme, Hunger in der Welt, Umweltzerstörung etc. Was eben gerade (medial) aktuell ist.
Diese Auffassung führte in der Vergangenheit zu Ansichten, die man heute kaum noch für möglich hält. So gab es beispielsweise Priester, die offen mit sozialistischen oder gar kommunistischen Ideen sympathisierten (ohne unbedingt die Ideologien gutzuheißen). Sie meinten, Sozialismus oder gar Kommunismus seien imstande, den Armen zu helfen. Gleichzeitig verteidigten einige dieser Priester aber entschlossen die katholische Sexualmoral.
Es gab aber von vornherein ein zweites Lager innerhalb des Progressismus, welches sich nicht mit einer bloßen kulturellen Anpassung der Kirche zufrieden gab:
2. Diese zweite Strömung war der Auffassung, die Lehre der Kirche müsse geändert werden. Eine neue Pseudo-Lehre müsse kreiert werden, die den revolutionären Maximen der egalitären modernen Welt entspricht. Ein Nebenprodukt einer solchen „Reform“ wäre, dass die Kirche nicht mehr die Hüterin der Wahrheit sein würde. Für diese Fraktion entsteht die Wahrheit durch einen fortlaufenden theologischen Dialog.
Um beim Beispiel des Kommunismus zu bleiben: Die Befreiungstheologie, die eine Symbiose zwischen der Doktrin des Klassenkampfes und dem Christentum anstrebte, war eines dieser theologischen „Projekte“.
Was Deutschland anbelangt, ist die Kritik an einer Morallehre, die das Naturrecht zur Grundlage nimmt, seit langem stark verbreitet. Schon in den 1950er Jahren (um nicht noch weiter zurück zur Zeit des Modernismus zu gehen) war die Situationsethik [wonach moralische Sachverhalten müssen nach den konkreten individuellen Lebensumständen beurteilt werden müssen und nicht nach allgemeinen Normen] unter den modernen Theologen populär (wohl der wichtigste war damals der Redemptorist Bernhard Häring CSsR).
Diese Strömung innerhalb des deutschen Progressismus ist mit den Jahren immer stärker geworden und trat vor den letzten beiden Synoden publizistisch stark in Erscheinung. Sie hofften offenbar, dass die ordentliche (Familien-)Synode im Herbst 2015 nicht nur die Kommunion für die wiederverheirateten Geschiedenen erlauben würde, sondern auch die Verhütungsmittel und alle möglichen Formen von Partnerschaften – inklusive der gleichgeschlechtlichen – absegnen würde.
Amoris Laetitia, das postynodale Schreiben, greift diese Themen zwar auf, ist aber bestenfalls unklar, was Änderungen der Lehre angeht. Die herrschende Meinung unter den Theologen ist, dass die Lehre dadurch nicht geändert wurde, trotz mancher Passagen, die das Gegenteil andeuten. Es bleibt also alles beim Alten – was das Lehramt anbelangt.
Die Enttäuschung darüber würde möglicherweise erklären, wieso in Deutschland das Echo unter den progressistischen Theologen so schwach war, wie Kardinal Lehmann behauptet.
Ganz anders aber war die Aufnahme von Amoris Laetitia in Ländern, in denen Progressisten, die keine neue Lehre anstreben, sondern eine weitere kulturelle Anpassung der Kirche an die moderne Welt, die Mehrheit bilden.
Insbesondere in Italien ist diese Partei stark. Viele Theologen dort wollen gar kein klares Lehramt, sondern sind durchaus mit undeutlichen oder gar widersprüchlichen Aussagen zufrieden und hoffen, dass sich die Realität, also die real existierende Kirche ändert, ohne sich auf langwierige und anstrengende theologische Dispute einzulassen. Für sie ist das Chaos in der Kirche ein durchaus erstrebenswerter Zustand. „Die Gläubigen“, so die Überlegung dieser Progressisten, „würden in einem Zustand des Chaos´ beginnen so zu leben, wie sie es für richtig halten. Das Lehramt würde im Alltag fast keine Rolle mehr spielen und das wäre gut so.“
Im Grunde können die oben beschriebenen Parteien als zwei unterschiedliche Strategien aufgefasst werden, die zum selben Ziel führen sollen, also der Zerstörung der katholischen Kirche: Eine katholische Kirche, die nicht mehr vorrangig dafür da ist, die Wahrheit zu verkünden, wäre keine wahre Kirche mehr.
Es ist wichtig für die Gläubigen, beide Strategien im Auge zu behalten. Beide Vorgehensweisen erfordern unterschiedliche Gegenstrategien. Jedenfalls ist eine rein theologische Auseinandersetzung mit den Irrtümern der Progressisten nicht ausreichend, wenn es darum geht, den katholischen Glauben zu verteidigen. Eine kulturelle Gegenreaktion ist mindestens genauso wichtig.
Bildquelle: Publikationen Bistum Mainz / Ndemuth
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