Nigeria: Boko Haram hinterlässt Leben in Trümmern
Die befreiten Mädchen von Chinok - AFP
21/10/2016 14:07SHARE: Sie sind frei, aber wollen nicht nach Hause zurück: Ein erheblicher Teil der nigerianischen Schülerinnen, die seit ihrer Entführung durch die Terrorsekte Boko Haram im Jahr 2014 frei kamen, sind offenbar nicht dazu bereit, zu ihren Familien zurückzukehren. Dies berichtete jetzt der Gemeindesprecher des Ortes Chibok, aus dem die Mädchen damals gekidnappt wurden. Offenbar empfinden die jungen Frauen Scham aufgrund des erlittenen Unrechtes und hätten Angst vor Anfeindungen ihrer Mitbürger, zitiert ap den Sprecher.
Doune Porter ist Unicef-Sprecherin in Nigeria. Im Gespräch mit Radio Vatikan erklärt sie, wie schwer es den Terror-Opfern fällt, wieder ein normales Leben zu führen. Boko Haram hinterlasse in Nigeria unzählige Leben in Trümmern: „Die Mädchen, die aus Chibok vor über zweieinhalb Jahren entführt wurden, sind nur die Spitze des Eisberges. Es gibt tausende von Kindern, vor allem Mädchen, und Frauen, die von Boko Haram entführt und schwer misshandelt wurden.”
Die jungen Frauen brauchen intensive Betreuung
Letzte Woche waren 21 der damals insgesamt fast 300 Geiseln aus den Händen der Islamisten befreit worden, die Regierung verhandle derzeit über die Freilassung weiterer 83 Entführungsopfer, heißt es. UNICEF hatte schon mit hunderten solcher ehemaliger Boko Haram-Geiseln Kontakt. Die Befreiung der Frauen sei jedes Mal nur der Beginn eines langen, „extrem schwierigen” Prozesses der sozialen Reintegration und Trauma-Bewältigung, berichtet Porter. Boko Haram vergewaltige und verheirate die Mädchen, schlage sie, schüchtere sie ein. Wenn sie frei kämen, bräuchten sie intensive Betreuung, einige hätten entbunden oder seien schwanger, krank und unterernährt. „Sie brauchen kurz-, mittel- und langfristig psycho-soziale und psychologische Unterstützung“, so Porter, „damit sie mit den Erfahrungen, die sie gemacht haben, zurecht kommen, sich neu in ihre Familien und Gemeinschaften eingliedern können. Das Trauma was sie erlitten, macht es sehr schwer für sie zurückzukehren und ihr Leben mit ihren Leuten wieder aufzunehmen, die sie monate- oder jahrelang nicht mehr gesehen haben.”
Dabei stießen die Opfer in den traditionellen Gemeinschaften Nordostnigerias nicht selten auf Ablehnung, bestätigt die Unicef-Sprecherin: Die sexuelle Gewalt stigmatisiere sie in den Augen ihrer Mitbürger. Diese extreme Ablehnung richte sich auch auf ihre Kinder, die sie aus der Gefangenschaft mitbrächten: „Es gibt den starken Glauben, dass Boko Harams Blut sich gegen die Gemeinschaften richten wird, wenn diese Frauen von Boko Haram-Kämpfern geschwängert wurden.” Auch gehe die Angst um, dass die Mädchen von Boko Haram indoktriniert worden seien und den Gemeinden aktiv schaden wollten, etwa in Form von Selbstmordattentaten, ergänzt Porter. Angst und Scham
Mit Blick auf das zuletzt massive Vorgehen der Regierung gegen Boko Haram in Nigeria und die Befreiung ganzer Landstriche von der Sekte hofft das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen darauf, dass noch mehr Frauen und Mädchen aus den Händen der Islamisten befreit werden können. Aufgrund des schmalen Budgets für die Arbeit in Nordostnigeria könne man in der Region allerdings nur begrenzte Hilfe leisten, schildert Porter die Lage. Insgesamt stufe Unicef dort 750.000 Menschen als hilfsbedürftig ein. Kardinal: Terror ist nicht vorbei
Abujas Kardinal John Onaiyekan mahnte derweil dazu, alle Terroropfer in Nigeria gleich zu behandeln. Man dürfe nicht bloß auf die Mädchen von Chibok schauen, sagte er laut dem Nachrichtenportal „Premium Times“ bei einer interreligiösen Konferenz. Viele Menschen dächten, der Terror sei vorbei, sobald die Schülerinnen von Chibok befreit seien, so Onaiyekan. Das sei aber nicht der Fall. „Wir freuen uns über ihre Rückkehr. Aber wir wissen, dass es noch nicht vorbei ist.“ Die Gefahr, die von der islamistischen Terrorgruppe „Boko Haram“ ausgeht, müsse weiter ernstgenommen werden. (rv/ap/kna 21.10.2016 pr)
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