Marie Collins, Pädophilie und „das Zuviel an Barmherzigkeit“ von Franziskus 10. März 2017
Marie Collins mit Kardinal O'Malley, dem Vorsitzenden der Päpstlichen Kommission zum Schutz Minderjähriger
(Rom) Der Rücktritt der Irin Marie Collins als Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz Minderjähriger „hat die Medien auf dem falschen Fuß erwischt“, so der Vatikanist Sandro Magister. Die Reaktionen waren entsprechend uneinheitlich. Ein Teil der Medien verschwieg die Protestgeste, ein anderer Teil legte falsche Fährten. Die Medienreaktion erinnert an das Verschweigen der harten Anti-Pädophilen-Politik, die der neue US-Präsident in den ersten Wochen seiner Amtszeit eingeleitet hat. Das Thema sexueller Mißbrauch von Kindern, das ist die daraus abzuleitende Erkenntnis, scheint für manche, so der Eindruck, nur dann besonders schlimm und ein empörendes Thema, wenn damit politisches Kleingeld (oder Einfluß) gewonnen werden kann.
Ein Rücktritt, Interpretationen und falsche Fährten
„Sexueller Mißbrauch. Das Zuviel an Barmherzigkeit des Papstes, einziger Herr und Richter“, so titelt Sandro Magister seinen jüngsten Artikel zum Thema.
Zu den falschen Fährten, die gelegt wurden, gehört es, Collins Rücktritt, mit den „beschämenden“ Widerständen gegen die „Reformpläne“ von Papst Franziskus durch die Römische Kurie zu erklären. Eine schwerwiegende Anklage, die aber vage blieb und daher mehr nach dem Griff in die Mottenkiste erinnert. Die „böse Kurie“ ist ein Stereotyp, das in manchen Kreisen als beliebtes Erklärungsmuster und Generalanklage dient, aber gerade unter Papst Franziskus wenig taugt. Wie kein anderer Papst seit dem Konzil nahm er an der Kurie strategische Personalentscheidungen in seinem Sinne vor und schüchterte zugleich die Kurienmitarbeiter ein. Seine weihnachtlichen Kopfwäschen waren zum Teil so heftig, daß selbst weltliche Medien eine Irritation nicht verbergen konnten.
Andere Medien wurden hingegen sehr konkret und benannte in Kardinal Gerhard Müller, dem Präfekten der Glaubenskongregation den „Schuldigen“ für Collins Abgang aus Rom. Diese Lesart erhielt großes Gewicht, weil die Nachricht von Collins Rücktritt durch einige Presseagenturen, darunter vor allem die italienische Agentur ANSA, gleich so an die Öffentlichkeit gelangte. Er erste Eindruck zählt, heißt es. Das gilt auch bei Nachrichten. Die Mühe, nachzufragen und zu verifizieren, machen sich nicht alle Journalisten und noch weniger die Leser.
Bekanntlich steht Kardinal Müller im Vatikan unter Beschuß. Papst Franziskus ignoriert ihn und die Glaubenskongregation, wann immer der „oberste Glaubenswächter“ und seine Mitarbeiter mit ihrem Festhalten an der Glaubenslehre, den Plänen der „neuen Barmherzigkeit“ im Wege stehen. Aus dem päpstlichen Umfeld wird sogar gezielt am Stuhl des Kardinals gesägt, der sich bisher durch Klugheit und konsequenten Gang an die Öffentlichkeit, wann immer es die Loyalität gegenüber dem Papst erlaubt und die Sache notwendig macht, halten konnte. Das hat auch damit zu tun, daß seine Gegenspieler zwar gewieftere (und vielleicht auf skrupellosere) Taktiker sein mögen, der Kardinal ihnen aber intellektuell überlegen ist. Ein Vergleich der Stellungnahmen genügt, um dies zu belegen.
Alberto Melloni und die zweite Verteidigungslinie
Sandro Magister verweist nun auf einen weiteren Köche, die ihr Süppchen in der Sache kochen, darunter den „Ultrabergoglianer“ Alberto Melloni. Der Historiker ist seines Zeichens Direktor der sogenannte „Schule von Bologna“, jenem progressiven Zentrum, das nach wie vor die Deutungshoheit über das Zweite Vatikanische Konzil verteidigt, wenngleich seine Bedeutung durch das Pontifikat von Benedikt XVI. geschwächt wurde. Nachdem die progressive Rheinische Allianz das Konzil in Teilen usurpiert und teilweise unter ihre Kontrolle gebracht hatte, vor allem aber durch den „Konzilsgeist“ die Nachkonzilszeit geprägt hatte, wollte sie durch die „Schule von Bologna“ die Deutung als „Bruch“ und Ex-novo-Beginn der Kirche zementieren. Eine Operation, die weitgehend gelungen ist. Herzstück dieser Deutungshoheit ist die fünfbändige Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, die als Standardwerk gilt und mit Geldern der Deutschen Bischofskonferenz auch in deutscher Ausgabe vorliegt.
Alberto Melloni lieferte eine eigene Lesart des Collins-Rücktritts. Er beschuldigte die Irin, die selbst im Alter von 13 Jahren von einem Priester sexuell mißbraucht worden war, durch überzogene Forderungen, deren Ablehnung von vorneherein sicher war, Papst Franziskus in Verlegenheit und Schwierigkeiten gebracht haben zu wollen. Melloni beschuldigte also Collins, insgeheim eine Gegnerin des Papstes zu sein.
Baute Melloni, der mehr Einblick besitzt, sicherheitshalber eine zweite Verteidigungslinie auf, falls die falschen Fährten, auf die man die Medien angesetzt hatte, doch nicht ausreichen und einige doch tiefer graben sollten?
Collins „Ungeduld“
Der deutschen Jesuit Hans Zollner, Vorsitzender des Centre for Child Protection an der Päpstlichen Universität Gregoriana, bestätigte, daß Collins manchmal vielleicht „zu ungeduldig“ sei und sich einen schnellen „kuturellen Wandel“ erwartet, der aber, das liege in der Natur der Sache, seine Zeit brauche und Mühe abverlange, und das nicht so sehr von der Römischen Kurie, sondern von den vielen Ortskirchen.
Kardinal Müller bestätigte Zollners Aussagen dahingehend, daß Collins tatsächlich der Kommission einige Vorschläge vorgelegt hatte, die abgelehnt wurden. Konkret ging es dabei um einen zusätzlichen Sondergerichtshof eigens für Bischöfe, die entweder persönlich in Fälle von sexuellem Mißbrauch verstrickt sind oder denen, was wahrscheinlicher ist, vorgeworfen wird, nicht ausreichend hart gegen Priester oder andere Untergebene, die sich des sexuellen Mißbrauchs schuldig gemacht haben, vorgegangen zu sein. Da es an der Glaubenskongregation bereits einen eigenen Gerichtshof für Mißbrauchsfälle durch Kleriker gibt, so Kardinal Müller, habe keine Notwendigkeit für einen zusätzlichen Gerichtshof bestanden.
Der „verschwiegene Punkt“: Collins Kritik an Papst Franziskus
Soweit das Rauschen im medialen Blätterwald. „Es gibt aber noch einen Punkt, der fast zur Gänze verschwiegen wurde: Die Kritik, die Marie Collins gegen Papst Franziskus persönlich erhoben hat“, so Magister.
Katholisches.info berichtete über den Fall Osorno. Am 10. Januar 2015 ernannte Papst Franziskus Juan de la Cruz Barros Madrid zum neuen Bischof der chilenischen Diözese Osorno. Collins und andere Mitglieder der Päpstlichen Kommission für den Schutz Minderjähriger protestierten energisch gegen diese Ernennung.
Gegen den Bischof liegen die detaillierten Anklagen von drei Opfern von sexuellem Mißbrauch vor. Sie werfen ihm vor, der Komplize des Priesters Fernando Karadima gewesen zu sein, der durch Jahre hindurch in der chilenischen Kirche eine Berühmtheit war, bis seine Schandtaten aufflogen. Die weltliche Gerichtsbarkeit zog Karadima wegen Verjährung nicht zur Verantwortung. Er wurde unter Benedikt XVI. für seine erwiesenen Untaten aber kirchenrechtlich belangt, zu einem Leben in „Gebet und Buße“ in völliger Zurückgezogenheit verurteilt verurteilt und von seinem Priestertum suspendiert.
Trotz der Vorwürfe hielt Papst Franziskus an dem von ihm ernannten Barros Madrid fest. Bei dessen Amtseinführung kam es zu heftigen Protesten von Gläubigen. Am 31. März 2015 gab die Bischofskongregation eine Erklärung ab, den Fall „genau studiert und keine objektiven Gründe gefunden zu haben“, die einer Ernennung im Wege gestanden hätten.
Im April reiste Collins mit anderen Kommissionsmitglieder nach Rom und drängten den Kommissionsvorsitzenden, Kardinal Sean Patrick O’Malley, Papst Franziskus dringend um eine Rücknahme des Ernennungsdekrets zu ersuchen.
„Sie erreichten das genaue Gegenteil“ – Papst maßregelt chilenische Gläubige
„Sie erreichten jedoch das genaue Gegenteil“, so Magister. Einen Monat später kam es am Rande einer Generalaudienz zu einem Wortwechsel. Der ehemalige Pressesprecher der Chilenischen Bischofskonferenz, ein Priester, hielt sich mit einer Gruppe von Gläubigen der Diözese Osorno in Rom auf. Die Chilenen nahmen, wie es für Rompilger üblich ist, an der Mittwochsaudienz teil. Im Anschluß kam es auf dem Petersplatz zu einer kurzen Begegnung mit dem Papst. Die Gruppe brachte ein Anliegen vor: Sie bat den Papst von der Ernennung von Barros Madrid abzusehen. Der Papst reagierte energisch und ermahnte die Anwesenden mit deutlichen Worten. Die Szene wurde gefilmt und später im Internet veröffentlicht. Wörtlich sagte der Papst:
„Das ist eine Kirche [die von Osorno], die ihre Freiheit verloren hat, weil sie sich von den Politikern den Kopf verdrehen hat lassen, indem sie einen Bischof nach 20 Jahren Dienst ohne Beweise verurteilt. Darum: Sie sollen mit ihrem eigenen Kopf denken und sich nicht von jenen Linkischen an der Nase herumführen lassen, die diese Sache aufgebauscht haben. Zudem: Die einzige Anschuldigung, die es gegen diesen Bischofs gegeben hat, wurde vom Gericht widerlegt. Daher, bitte, eh … sollen sie nicht die Ruhe verlieren. [Die Diözese von] Osorno leidet, sicher, weil sie eingelullt wurde, weil sie ihr Herz nicht dem öffnet, was Gott sagt, und sich stattdessen von den Dummheiten mitreißen läßt, die alle diese Leute behaupten. Ich bin der Erste, der verurteilt und bestraft, wer solcher Sachen angeklagt ist … In diesem Fall aber fehlen die Beweise, vielmehr, ganz im Gegenteil … Ich sage es euch von Herzen. Sie sollen sich nicht an der Nase herumführen lassen von jenen, die nur versuchen Verwirrung zu stiften, die zu verleumden versuchen …“ Mit den „Zurdos“, wie er sagte, den „Linken, den Linkischen“, meinte Papst Franziskus 51 chilenische Abgeordnete der Sozialistischen Partei von Staatspräsidentin Michelle Bachelet, die eine Petition gegen die Ernennung von Barros Madrid zum Bischof von Osorno unterzeichnet hatten. Die Linkspartei war auf den Zug aufgesprungen, um aus dem Fall Kapital gegen die Kirche zu schlagen. Bachelet will in ihrer Amtszeit mit der Legalisierung der „Homo-Ehe“ und der Abtreibung einen gesellschaftspolitischen Umbruch durchsetzen. Dabei ist ihr die katholische Kirche im Weg.
Collins: „Barmherzigkeit ist wichtig, Gerechtigkeit aber auch“
Als Marie Collins das Video mit den Worten des Papstes sah, sagte sie, „entmutigt und traurig“ zu sein, wenn sie sehe, wie „die Proteste der mutigen Karadima-Opfer auf solche Weise behandelt werden“, und das vom Papst.
„Der Bischof von Osorno ist nicht der einzige Fall, bei dem Jorge Mario Bergoglio das Urteil an sich gezogen hat, indem er kanonische Verfahren annullierte oder überging“, so Magister.
In Italien sorgte eine Geste der „Barmherzigkeit“ für Aufsehen, mit dem der Priester Mauro Inzoli, begnadigt wurde, der 2012 unter Papst Benedikt XVI. wegen des Mißbrauchs zahlreicher junger Menschen laisiert worden war. 2014 setzte ihn Franziskus wieder in sein Priestertum ein mit der Empfehlung, ein Leben der Buße und des Gebets zu führen. Bald wurde Don Mercedes, wie Inzoli genannt wird, von neuen Anschuldigungen eingeholt. Die weltliche Gerichtsbarkeit verurteilte ihn zu vier Jahren und neun Monaten Gefängnis.
Auch gegen diese „Barmherzigkeit“ hatte Collins protestiert: „Die Barmherzigkeit ist wichtig, aber auch die Gerechtigkeit ist es“, ließ sie wissen. „Wenn man bei den Strafen Schwäche zeigt, sendet man jenen, die mißbrauchen, die falsche Botschaft.“ http://www.katholisches.info/2017/03/mar...von-franziskus/ Text: Giuseppe Nardi Bild: Vatican.va (Screenshot)
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