Hochzeiten und Scheidungen in Baden-Württemberg Und wie lange hält Ihre Ehe? Von Jan Georg Plavec 21. April 2017 - 17:19 Uhr
Was süß beginnt, endet oft bitter – damals wie heute. Foto: dpa Eine in diesem Jahr geschlossene Ehe wird mit 38 Prozent Wahrscheinlichkeit geschieden. Und auch sonst lässt der Blick in die Statistik tief blicken – auch in Ihre Ehe.
Stuttgart - Am 9.9.99 herrschte, man kann es kaum anders sagen, Ausnahmezustand in den Standesämtern. Die Schnapszahl als Hochzeitsdatum versetzte das ganze Land ins Hochzeitsfieber und verlangte Extraschichten in zahlreichen Ämtern. In Stuttgart waren die Beamten zwar nicht wie anderswo rund um die Uhr im Einsatz, sondern nur von kurz vor 9 Uhr bis 18 Uhr. Weil allein im Standesamt in der Eberhardstraße in Stuttgart-Mitte 41 Ehepaare das besondere Datum nutzen wollten, wurde dort aber immerhin in Doppelbesetzung und im Zwanzig-Minuten-Takt verheiratet. „Es musste unbedingt an diesem Tag sein, damit ich den Hochzeitstag nicht vergesse“, sagte der pünktlich um 9 Uhr getraute Peter Schwarz zu den Reportern der Stuttgarter Zeitung.
Insgesamt 4166 Jaworte wurden an diesem Donnerstag im September 1999 gesprochen. Das ist absoluter Rekord in Baden-Württemberg, sagt die amtliche Statistik. In den Zahlen, die das Statistische Landesamt in der Böblinger Straße in Stuttgart über die Jahrzehnte gesammelt hat, finden sich viele interessante Einblicke, wie das Land heiratet – und wie es sich scheiden lässt. Beispielsweise haben die Statistiker exklusiv für uns errechnet, wie hoch die Scheidungswahrscheinlichkeit einer in diesem Jahr geschlossenen Ehe ist – sie liegt bei 38 Prozent. Das wiederum ist nur der Landeswert; weil Ehen auf dem Land tendenziell stabiler sind, prognostizieren die Statistiker im Main-Tauber-Kreis nur 35 Prozent Wahrscheinlichkeit – und für die Stadtkreise Pforzheim und Mannheim 42 Prozent.
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Dabei handelt es sich, so Werner Brachat Schwarz vom Statistischen Landesamt, natürlich nur um eine grobe Schätzung, die individuelle Einflüsse und auch das Umzugsverhalten im Land nicht berücksichtigen kann. Und doch lohnt sich die Übung, weil das Statistische Landesamt auch für die vergangenen Jahre errechnet hat, wie wahrscheinlich eine Ehe nicht durch den Tod, sondern einen der beiden Ehepartner geschieden wird.
Daraus lassen sich Trends ablesen – etwa der, dass nur 15 von 100 im Jahr 1960 geschlossenen Ehen später geschieden wurden. Wer 1995 heiratete, hat statistisch die höchste Scheidungswahrscheinlichkeit (39,4 Prozent), seither geht die Scheidungsneigung etwas zurück.
Heiraten ist wieder in – oder?
Noch ein Trend, über den viele sprechen: Heiraten ist wieder in. So ähnlich lautete vergangenes Jahr eine Überschrift im „Zeit-Magazin“; auch die Freude an opulenten Hochzeitsfeiern selbst unter Normalverdienern deutet darauf hin. Werner Brachat-Schwarz hat die Zahlen dazu. Sie zeigen, dass die Heiratsneigung besonders in der Altersgruppe 30 Plus in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg gestiegen ist. Der Anstieg kommt aber nur zustande, weil die Berechnungsmethode infolge des Zensus 2011 umgestellt wurde. „Wird dieser Effekt herausgerechnet, kann ein Anstieg der Heiratshäufigkeit nicht mehr festgestellt werden“, schreibt Brachat-Schwarz in einem Fachbeitrag.
Weitere Hochzeitstrends sind nicht gefühlt, sondern der Statistik zu entnehmen – etwa, dass das Heiratsalter immer weiter steigt. In den Siebzigerjahren waren Männer bei ihrer (ersten) Hochzeit im Schnitt 26 Jahre alt, heute besuchen sie das Standesamt mit durchschnittlich 33 Jahren; bei Frauen gab es einen ähnlichen Anstieg auf ein Heiratsalter von zuletzt durchschnittlich 30,2 Jahren.
Statistiker und Familienforscher führen das darauf zurück, dass Paare heutzutage vor der Hochzeit viel länger zusammenwohnen als früher – was wiederum auf eine Entkopplung der Ehe von Familie, Elternschaft und Sexualität hindeutet. „Familie heute zeichnet sich nicht nur durch eine Vielfalt von Familienformen aus, sondern auch durch Diskontinuitäten“, heißt es in einem aktuellen Report des Sozialministeriums Baden-Württemberg. Zwar verstehen die meisten Bürger unter Familie weiterhin das Zusammenleben von Erwachsenen mit deren eigenen Kindern. Vor allem Jüngere zählen mittlerweile immer häufiger auch gleichgeschlechtliche Paare, Alleinerziehende, kinderlose Paare oder Patchworkbeziehungen als Familie.
Die Mann-Frau-Ehe als „historische Ausnahme“
Dass in Westdeutschland das Modell der klassischen Mann-Frau-Ehe samt Kindern nach dem Krieg so dominant war, sei eine den Umständen geschuldete „historische Ausnahme“, glaubt der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, Norbert Schneider. Sowohl vor 1939 wie auch in zunehmendem Maße in der heutigen Zeit „ist die Vielfalt im Zusammenleben größer“. Familie versteht der Soziologe als „lebenslangen Prozess“, von dem die Ehe nur ein kleiner Teil sei – zumal „viele Ehen nur stattfinden, weil sie steuerlich gefördert werden“. So sagte es Schneider bei einer Fachtagung im Hospitalhof in Stuttgart im vergangenen November.
Manche Ehen werden auch deshalb nur nicht geschieden, weil die Kinder noch im Haus sind. Anders gesagt: seit der Jahrtausendwende steigt der Anteil der Ehen, die nach 16 oder mehr Ehejahren geschieden werden, deutlich an – wohingegen tendenziell weniger Ehen in den ersten Jahren nach der Hochzeit in die Brüche gehen.
Gibt es ein „verflixtes siebtes Jahr“?
Dennoch ist das „verflixte siebte Jahr“ keine Legende, wie die Statistik zeigt. Auf die Ehedauer zum Zeitpunkt der Scheidung gerechnet, finden im siebten Ehejahr die meisten Scheidungen statt. Noch 1990 hätte man jedoch vom „verflixten fünften Jahr“ sprechen müssen.
Nun sind beim Thema Heiraten und Scheidung viele Menschen selbst betroffen und sehen die hier vorgetragenen Zahlen vor ihrem individuellen Hintergrund. Deshalb haben wir parallel zur Zeitungsserie ein Online-Tool entwickelt, das aus den vielen Zahlen und Statistiken jene auswählt, die auf das vom Benutzer eingegebene Hochzeits- oder Scheidungsjahr passen.
Wer sich durchklickt, entdeckt vielleicht einen weiteren Trend im Heiratsverhalten der Baden-Württemberger: Noch bis weit in die achtziger Jahre hinein fand der Löwenanteil aller standesamtlichen Hochzeiten an einem Freitag statt. Dass der 8.8.88, ein Montag übrigens, mit 2789 Eheschließungen in der ewigen Schnapszahlstatistik auf Platz zwei liegt, deutete dann schon an, wohin die Reise seither geht: Heiraten nach Wunschdatum, sei es an einem Schnapszahltag oder wann es eben passt. Die Hochzeitstermine verteilen sich spätestens seit der Jahrtausendwende viel gleichmäßiger übers Jahr. Auch deshalb ist der Mai schon seit 2006 nicht mehr der Monat mit den meisten Eheschließungen, zudem heiratet man inzwischen ganzjährig, gerne vor Feiertagen oder an Samstagen – was wiederum erst möglich wurde, weil sich die Standesämter dafür öffneten.
Aus dieser Entwicklung lässt sich auch erklären, warum der 10.10.10 unter den Schnapszahltagen so abgeschlagen hinten liegt – er fiel auf einen Sonntag. Angesichts dessen ist es fast schon erstaunlich, dass an diesem Tag landesweit trotzdem 525 Ehen geschlossen wurden http://www.stuttgarter-nachrichten.de/in...376aed184a.html
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