Amoris laetitia und der Weckruf für 2017: Eine alarmistische Kampagne ohne argumentative Substanz
Warum schweigt Papst Franziskus zu den Dubia der Kardinäle, die ihn zu zentralen Fragen der Glaubenslehre und der Sakramentenordnung um Klärung ersuchen?
Es gibt einen neuen Aufruf, „mit Papst Franziskus mitzugehen“. Ähnliche papsttreue Initiativen gab es früher schon – z. B. von Deutschland pro Papa – Solidarität mit Papst Benedikt XVI. Doch das neue Manifest Weckruf für 2017 ist vor allem gegen Kritiker des Papstes gerichtet. Darüber hinaus wird das Schweigen des redseligen Papstes zu zentralen Glaubensfragen gerechtfertigt. Das zeigt sich schon in der Titelzeile, die mit (ursprünglich) fehlerhaftem Latein: #SineDubia gegen den Fragenkatalog der vier Kardinäle gerichtet ist.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.
Die Initiatoren des Weckrufs sind die Chefredakteure des Onlinemagazins The Cathwalk. „Die Cathwalk-Vision“ gestaltet unter dem Titel: „Ästheten aller Länder, vereinigt euch!“ einen „unabhängigen katholischer Lifestyle-Blog“ – „catholic lifestyle blog“. Soweit zum medialen self styling des feuilleton-katholischen Portals.
http://www.katholisches.info/2016/11/vie...tal-in-den-weg/
Rechtfertigung umstrittener päpstlicher Maßregelungen
Der Aufruf gliedert sich in drei Kapitel: Das erste stellt den „guten und rechtgläubigen Papst“ heraus. Die Autoren preisen „die guten Akzente dieses Papstes als einen großen Segen für die Kirche“. Insbesondere mit seinem nachsynodalen Schreiben habe Franziskus die Tore seiner radikalen Barmherzigkeit weit geöffnet.
Im dritten Teil werden die umstrittenen Aktionen des Papstes gerechtfertigt. Dessen kränkende Beschimpfung der Kardinäle als verkalkte Bürokratiemonster wird als „vollumfängliches Recht“ behauptet. Diese „unbequemen Worte“ – auch an „patentierte Fromme“ – stellt man als Ausweis für den jesusähnlichen Pontifex hin: „Christus ähnlich, weil unbequem“ heißt die Kapitelüberschrift. Für die vom Papst gemaßregelten und gedemütigten „neuen Orden“ und „Nostalgie“-Traditionalisten haben die Autoren allerdings nur untergründigen Spott übrig: Selbst wenn der Papst „ihnen Unrecht tun sollte: Ist nicht gerade das stille Ertragen auch vermeintlich ungerechtfertigter Kritik Zeichen der Heiligkeit eines Mannes der Kirche“? Nur von Männern? Auch die 350 frommen Franziskanerinnen der Immakulata sind unter Kuratel gestellt.
Betroffenheitsformeln und Beschimpfungen statt Argumente
Das zweite Kapitel ist dem Umfang nach der Hauptteil des Manifestes. Die Überschrift gibt die Stoßrichtung an: „Nichts als eine Kampagne“. Damit sind alle kritischen Publikationen zu Papst Franziskus, seinen Taten und Äußerungen gemeint, insbesondere zum Schreiben Amoris laetitia.
▪ Doch statt Argumente stellen die Autoren larmoyant ihre Betroffenheit zur Schau: „Wir bedauern..; wir stellen schmerzlich fest…; wir drücken unser Befremden aus…“
▪ Sie distanzieren sich entschieden von den „sogenannten Dubia“. Die würden „suggerieren“, dass „Amoris laetitia einen Bruch des Lehramtes hinsichtlich der Ehepastoral“ darstelle. Was soll denn ein Lehramtsbruch sein?
▪ Die Cathwalk-Katholiken vergleichen die Dubia mit Pharisäer-Fragen, auf die Jesus bei einem Mal mit Schweigen reagiert hätte. Schon Thomas Sternberg, aktueller Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hatte die Fragen der vier Kardinäle als „niederträchtige und schäbige Fangfragen und Fallen“ beschimpft.
▪ Die Unterzeichner überzeichnen dramatisch mit ihrer Feststellung, „dass ein Großteil katholischer Publizisten Papst Franziskus der Häresie bezichtigt“. Tatsächlich ist die franziskus-kritische Szene sehr heterogen. Sie reicht von Kardinälen und den Professoren Josef Seifert, Wolfgang Waldstein, Robert und Christian Spaemann bis zu Sedisvakanten.
http://www.vatican.va/archive/hist_counc...et-spes_ge.html
; Sie konstruieren bei der vielstimmigen kritischen Publizistik zu Amoris laetitia eine gesteuerte „propagandistische Kampagne“. Denn es würde selektiv-negativ zu Papst Franziskus berichtet“. Über ihr Jammern zu grassierendem Defätismus und medialem Destruktivismus sollten die Cathwalker nicht vergessen, dass Radio Vatikan und seine vielen deutschen medialen follower ebenfalls ausschließlich selektiv(-positiv) über den Papst schreiben.
▪ Man glaubt „Einheizer im Hintergrund“ ausmachen zu können, denen im Diesseits mit der Keule des Populismus gedroht wird sowie mit späterer Gerichtsverantwortung…..
▪ Die liberalen Cathwalker werfen den konservativen Katholiken „entfesselten Rubrizismus und starren Rigorismus“ vor.
▪ Schließlich brandmarken sie „die Mentalität im katholisch-konservativen Lager“ als „pathologisches Phänomen“. Nach der Populismus-Keule nun der Knüppel mit der Pathologie-Stigmatisierung.
Eine alarmistische Gegenkampagne
In diesem Teil wirkt der Aufruf wie ein alarmistisches Manifest. Zuerst beschimpft man „eine Großzahl“ katholischer Kampagnen-Publizisten als pathologische Querulanten und rigoristische Traditionalisten. Dann ruft man „alle publizistisch tätigen Katholiken auf“, eine positive Gegenkampagne mit Liebe und Wohlwollen für den Papst zu starten.
Durch ihre überzogenen Einschätzungen und klotzigen Beschimpfungen disqualifizieren sich die Aufruf-Autoren selbst. Besonders perfide ist der Pharisäer-Vorwurf gegen die Dubia-Autoren. Mit dem deutschen Kardinal Joachim Meisner stichelt man gegen einen anerkannten und absolut integren Kirchenmann.
Die größte Schwäche des Aufrufs besteht wohl darin, dass zu dem im Mittelpunkt stehenden Dokument Amoris laetitia einige Lobpreisungen, aber keine substantiellen Aussagen und Argumentationen gemacht werden, nicht einmal rechtfertigende. Die angebliche Cathwalk-Kultur von „Rede und Gegenrede“ ist nicht in Ansätzen erkennbar.
Die folgende Erörterung zu umstrittenen AL-Punkten soll diesem Defizit abhelfen. Es werden jeweils die positiven oder rechtfertigenden Ansichten zu Amoris laetitia an den Anfang gestellt und dann Gegenargumente aufgeführt, so dass die Leser ein argumentatives Für und Gegen nachvollziehen können.
Argumentative Erörterung von Amoris laetitia
▪ Das Hauptargument der Befürworter von Amoris laetitia besteht wohl darin: Der Papst habe sein pastorales Anliegen ausschließlich in pastoraler Sprache vorgetragen. Kirchenrechtliche, dogmatische und moraltheologische Regelungen seien von ihm nicht angetastet worden. - Das trifft sicherlich für die meisten Teile von AL zu, nicht aber für das umstrittene VIII. Kapitel. Dort nimmt Franziskus in zahlreichen Abschnitten auf Bestimmungen der kirchlichen Lehre Bezug. Die Neuerungen lassen sich darin zusammenfassen, dass der Papst mit dem Federstrich des „sogenannten“ die bisherigen kirchenrechtlich „irregulären Situationen“ (etwa in der zivilen Zweitehe) zu regulären umdefiniert.
▪ Kardinal Gerhard Müller argumentiert, wenn Franziskus die Sakramentenordnung hätte ändern wollen, dann wäre das deutlich gesagt und nicht etwa in einer Fußnote versteckt worden. - Der deutsche Glaubenspräfekt unterschätzt die „jesuitische Mentalität“ von Jorge Mario Bergoglio, die der Sondersekretär der Bischofssynode, Erzbischof Bruno Forte, am 2. Mai 2016 enthüllte. Der Papst habe ihm folgende Taktik aufgegeben: Da es innerkirchliche Widerstände gegen die Aufweichung von Ehe- und Altarssakrament gebe, sollten „wir nicht ausdrücklich von Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene sprechen. Mach es so, dass die Prämissen gegeben sind, die Schlussfolgerungen ziehe dann ich.“ Das Ergebnis dieser taktischen Finesse war die Fußnote 351, wonach „die Sakramente Hilfe in gewissen Fällen sein könnten“.
▪ Verschiedene vom Papst ernannte Kardinäle haben behauptet, Amoris laetitia sei „ausreichend klar“, ja sogar von „absoluter Klarheit“. - Warum gibt es dann aber die absolut widersprüchlichen Ausführungsbestimmungen von Bischöfen? Die Bischöfe von Malta haben festgelegt, dass eine geschiedene wiederverheiratete Person nach ihrer subjektiven Gewissensentscheidung zur Kommunion zugelassen werden soll. Bischof Vitus Huonder aus der Schweiz dagegen schreibt mit Hinweis auf die objektiven „Vorgaben der Kirche in Familiaris consortio“, dass „der Empfang der heiligen Kommunion nicht dem subjektiven Entscheid überlassen werden darf“. Dieser Interpretation von AL aus der kirchlichen Tradition haben sich eine Reihe anderer Bischöfe angeschlossen.
▪ Wenn die behauptete Kontinuität von Amoris laetitia mit der bisherigen kirchlichen Lehre und Moraltheologie wirklich gewollt ist, warum weigert sich der Papst, auf die klaren Einzelfragen der Dubia zur Lehrkontinuität eine klare Antwort zu geben – und damit auch die sichtbaren und widersprüchlichen Unklarheiten in der Interpretation von AL durch die Bischöfe zu beseitigen?
▪ Seit Thomas von Aquin unterscheidet die Moraltheologie verbotene Taten, die durch Umstände in erlaubte geändert werden können – wie z. B. Töten in Selbstverteidigung – von Handlungen, die in sich schlecht sind wie z. B. Ehebruch. Deren Schlechtigkeit kann nicht durch Umstände oder Bedingungen gemindert oder gar aufgehoben werden. - Franziskus’ Argumentation läuft aber darauf hinaus, „nach Bedingtheiten und mildernden Faktoren“ bei in sich schlechten Handlungen wie dem Verharren im Ehebruch zu suchen, wodurch die „objektive Situation der Sünde subjektiv nicht schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist“ (Nr. 305).
▪ Franziskus behauptet, auch die im Ehebruch Verharrenden könnten in der Gnade Gottes leben, lieben und wachsen. Er idealisiert das Leben in einer zivilen Zweitehe geradezu mit den Wendungen „erwiesene Treue, großherzige Hingabe, christliches Engagement“ (AL 298). - Moralisch wird in diesem Fall die zivile Zweitehe als gleichwertig mit der sakramentalen Erstehe vermittelt. Für diese moraltheologische Neubewertung gibt es keinen Bezug in der bisherigen kirchlichen Lehre. Auch Amoris laetitia findet keinen Beleg dafür in kirchlichen Schriften. Unredlich ist es aber, wenn ein Konzilszitat aus Gaudium et spes, das sich auf die eheliche Treue bezieht, für die irreguläre Zweitehe in Anspruch genommen wird (Anm. 329).
Franziskus’ Anliegen: alle Geschiedene nach ihren Wünschen zur Kommunion zulassen
▪ Kurz nach Ende der zweiten Bischofssynode fragte der italienische Journalist Eugenio Scalfari den Papst, ob wiederverheiratet Geschiedene künftig zur Kommunion zugelassen würden. Franziskus bejahte diese Frage: „Das ist das wesentliche Ergebnis, (…) am Ende (…) werden alle Geschiedenen, die es wünschen, zugelassen werden.“ 1) ▪ Wenn nach Franziskus’ Ansinnen alle Wiederverheirateten zum Altarsakrament hinzutreten sollen, dann ist die Unterscheidung von Einzelfällen in AL offensichtlich nur eine vorläufige Etappenstation auf dem Weg zur Freigabe der Kommunion für alle und jeden.
▪ Wenn allein das subjektive Begehren Kriterium für den Kommunionzugang ist, dann ist die Kirchenrechtsbestimmung von Can. 915 irrelevant gemacht, wonach Gläubige vom Empfang der Kommunion ausgeschlossen sind, wenn sie „offenkundig in einer schweren Sünde (wie Ehebruch) verharren“.
▪ Wenn der Wunsch des Einzelnen den Sakramentenempfang regelt, dann ist die bisherige Sakramentenordnung ausgehebelt.
Eine „wahre Revolution im Vatikan“ (Kurienbischof Josef Clemens)
▪ Nach Kardinal Kasper gibt Amoris laetitia „kein Jota der traditionellen Lehr der Kirche auf. Und doch verändert diese Schreiben alles….“. Das sagte er laut Radio Vatikan – „der Stimme des Papstes“ – vom 22. 10. 2016.
▪ Diese dialektische Bewertung (‚nichts und zugleich alles verändern’) bedeutet im Lichte des obigen Bergoglio-Zitates: Kirchenrecht, Doktrin und Moraltheologie bleiben formal unangetastet, werden aber als irrelevant angesehen, indem der pastorale Papst alles Bisherige in der Kirche verändert.
▪ Eine Variante dieser dialektischen Lesart wäre: Die kirchliche Doktrin – z. B. zur Unauflöslichkeit der Ehe – müsse im Sinne des vorrangigen Pastoralprinzips der Barmherzigkeit uminterpretiert werden. Aber auch bei diesem Ansatz würde die bisherige kirchliche Lehre zum irrelevanten Appendix der Pastoral herabsinken. http://www.katholisches.info/2017/02/amo...ative-substanz/ Text: Hubert Hecker Bild: Vatican.va (Screenshot)
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