Der Politiker Franziskus – und sein Kolumbien-Besuch, der „nichts mit dem Friedensvertrag mit den FARC zu tun hat“ 18. August 2017
Corriere della Sera über Papst-Besuch in Kolumbien: ein Besuch der mit dem "Friedensvertrag" mit den kommunistischen FARC zusammenhängt, aber "nichts damit zu tun hat". (Bogota) Vom 6. bis 11. September wird Papst Franziskus Kolumbien besuchen. Ein Besuch, der unter starken Geburtswehen litt und noch immer zu leiden scheint. Seit die Reise vom Heiligen Stuhl offiziell bestätigt wurde, wird vom Vatikan mit Nachdruck betont, daß es sich ausschließlich um eine Pastoralreise handle. Pastorale Gründe spielen bei einem Papst natürlich immer eine Rolle. Den wirklichen Grund der Reise, der von offizieller Seite verschwiegen wird, nannte gestern der Corriere della Sera, die bedeutendste Tageszeitung Italiens.
Die liberale Zeitung, die Franziskus sehr wohlwollend gesonnen ist, räumte dem Kirchenoberhaupt eine ganze Seite ihres Berliner Formats ein und veröffentlichte das Vorwort von Franziskus für das gestern in deutscher Ausgabe erschiene Buch des Welschschweizers Daniel Pittet „Pater, ich vergebe Euch! Missbraucht, aber nicht zerbrochen“. Darin schildert der Autor, wie er in seiner Kindheit von einem Schweizer Kapuziner sexuell mißbraucht wurde, wie er durch den Glauben dieses Trauma bewältigen und dem Täter vergeben konnte.
Auf derselben Seite des Corriere della Sera findet sich ein Kasten mit dem Konterfei des Papstes und einer kurzen Notiz zum Kolumbien-Besuch:
„Der Papst reist nach Bogota, um zum Friedensvertrag zu ermutigen.“ FARC, KPK, Uribes Sieg und Santos Strategie
Gemeint ist der in Kolumbien umstrittene Vertrag zwischen Staatspräsident Juan Manuel Santos und der marxistischen Guerillaorganisation FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens). Die FARC wurden 1964 als militärischer Arm der Kommunistischen Partei Kolumbiens nach dem Vorbild der kubanischen Revolution und mit Unterstützung Kubas und der Sowjetunion gegründet. Auf ihr Konto gehen mehr als 200.000 Tote und Millionen von Binnenflüchtlingen. Um ihre marxistisch-leninistischen und „bolivarischen“ Ideen voranzubringen, finanzierte sich die Terrororganisation zuletzt aus dem Drogenhandel, was ihr die wenig schmeichelhaften Bezeichnung als Narkoguerilla einbrachte.
Die Marxisten konnten auch deshalb ihr Unwesen treiben, weil das Land von schwachen Präsidenten regiert wurde – bis 2002 Alvaro Uribe Staatspräsident Kolumbiens wurde. Mit Entschlossenheit ging er daran, dem blutigen Spuk der extremen Linken ein Ende zu bereiten. Nach acht Jahren Amtszeit hatte er die FARC militärisch besiegt. Da die kolumbianische Verfassung keine Möglichkeit zu einer dritten Amtszeit vorsieht, blieb es ihm jedoch versagt, das Kapitel auch politisch abzuschließen. Zu seinem Nachfolger wurde der Sozialliberale Santos gewählt, der sich auf Uribes Erfolgen ausruhte und es versäumte, besser gesagt, darauf verzichtete, Uribes Weg fortzusetzen.
Die Gestaltung der „Nachkriegsordnung“
Stattdessen begann er 2012 „Friedensverhandlungen“, die auf Kuba unter der Schirmherrschaft der Castro-Brüder stattfanden. Mit diesen verschaffte er der am Boden liegenden Guerillaorganisation Luft. Was in Kolumbien vielfach als weit schwerwiegender betrachtet wird: Er wertete sie als gleichwertigen Verhandlungspartner auf. Im Moment ihrer größten Niederlage gewährte Santos den „Henkern Kolumbiens“, wie sie auch genannt werden, die das Land ein halbes Jahrhundert in Angst und Schrecken versetzt und immer wieder an den Rand eines Bürgerkriegs gedrängt haben, den größten politischen Erfolg. Die FARC sitzen seit fünf Jahren auf Augenhöhe mit dem Staatspräsidenten am Verhandlungstisch.
Laut Beobachtern versuche Santos die radikale Linke zu domestizieren, um die Wählerbasis der gemäßigten Linken zu erweitern und durch künftige Allianzen Wahlsiege konservativer und rechter Präsidentschaftskandidaten auszuschließen. Zum besseren Verständnis: Uribes rechtsliberale Partei der Zentrumsdemokraten gehört wie die christdemokratische Konservative Partei der Internationalen Demokratischen Union (IDU) an, der auch CDU, CSU und ÖVP angehören. Santos Soziale Partei der Nationalen Einheit gehört mit der bundesdeutschen und schweizerischen FDP der Liberalen Internationale an. Sein wichtigster Koalitionspartner, die Liberale Partei, gehört zur Sozialistischen Internationale. Die FARC, die Kommunistischen Partei Kolumbiens und weitere Gruppen der radikalen Linken kündigten bereits an, für die Parlamentswahlen 2018 ein neues „politisches Subjekt“ zu schaffen. Die Sympathien von Papst Franziskus für die politische Linke, auch die radikale Linke, sind bekannt.
Volk lehnt Friedensvertrag ab, Santos macht dennoch weiter
Im August 2016 hatte sich Santos mit den FARC auf ein Abkommen geeinigt, das sich der Präsident von seiner Regierungsmehrheit absegnen ließ. Am 27. September 2016 unterzeichneten er und die FARC in Cartagena de Indias feierlich einen Friedensvertrag, der am 2. Oktober den Kolumbianern in einer Volksabstimmung vorgelegt wurde. Papst Franziskus unterstützte den linken Schulterschluß, während die kolumbianischen Bischöfe das Abkommen ablehnten. Das Wahlvolk stimmte mit 50,2 Prozent knapp gegen den Friedensvertrag.
Die demokratische Niederlage an den Urnen wurde von Staatspräsident Santos einfach ignoriert. Am 24. November 2016 unterzeichnete er mit den FARC einen neuen (alten) Friedensvertrag, den er sich am 1. Dezember vom Parlament bestätigen ließ, aber dieses Mal nicht mehr dem Volk zur Abstimmung vorlegte.
Beim Vertrag geht es nicht mehr um die Beendigung oder Neuauflage eines blutigen „Bürgerkrieges“, sondern um die „Nachkriegsordnung“ und darum, wer diese bestimmen wird. Das wissen auch Kolumbiens Bischöfe.
Der Politiker Franziskus
Papst Franziskus hatte zumindest dreimal öffentlich einen Besuch Kolumbiens an die Unterzeichnung des Friedensvertrages und dessen „hieb und stichfeste“ Absicherung gekoppelt.
Das erste Mal am 26. September 2016, einen Tag vor der feierlichen Unterzeichnung des „Friedensvertrages“, als Franziskus Mitglieder des Jüdischen Weltkongresses (JWC) in Privataudienz empfing. Vertreter des JWC machten im Anschluß die päpstlichen Aussagen zu Kolumbien bekannt. Franziskus zeigte sich mit Blick auf das bevorstehende „Plebiszit“ überzeugt, daß das Volk dem Friedensvertrag zustimmen werde. Präsident Santos habe „alles für den Frieden riskiert“. Er sehe aber auch „andere“, die „alles riskieren, um den Krieg fortzusetzen“. Er werde Kolumbien erst besuchen, wenn der Friedensvertrag „blindato“ (gepanzert), also hieb und stichfest abgesichert sein wird, „sowohl durch das Plebiszit als auch durch die internationale Anerkennung“. Dann werde er nach Kolumbien kommen, „um den Frieden zu feiern. Und vielen Dank an Santos.“ Diese Formulierung, eines „hieb und stichfest“ abgesicherten Friedensabkommens sollte Franziskus noch mehrfach wiederholen. Da sich die kolumbianischen Bischöfe weigerten, als Statisten eine lebende Kulisse für die als Festakt inszenierte Unterzeichnung des Abkommens abzugeben, schickte Papst Franziskus Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin nach Cartagena.
Das zweite Mal am 2. Oktober 2016, dem Tag, an dem die kolumbianischen Wähler das Abkommen ablehnten. Auf dem Rückflug aus Aserbaidschan sagte Franziskus zu den Journalisten über seine Reisepläne: „Mit Sicherheit werde ich nach Portugal gehen, und nur nach Fatima. […] Für Amerika… Ich habe gesagt, wenn der Friedensprozeß [in Kolumbien] – falls er gelingt, möchte ich hingehen –, wenn alles absolut hieb- und stichfest ist, d. h. wenn alles – falls er durch die Volksabstimmung bestätigt wird – völlig sicher ist, sodaß kein Rückzieher mehr möglich ist, die Welt also auf internationaler Ebene darin übereinstimmt, daß kein Einspruch mehr eingelegt werden kann und die Sache restlos abgeschlossen ist, dann könnte ich dort hingehen. Doch wenn die Sache unbeständig ist… Alles hängt davon ab, was das Volk sagen wird. Das Volk ist souverän.“ Das dritte Mal am 16. Dezember 2016 als Franziskus zwischen Staatspräsident Santos und seinem Vorgänger und Hauptwidersacher Alvaro Uribe zugunsten des Friedensabkommens vermitteln wollte, indem er Santos und Uribe gemeinsam zu einer Audienz lud, der beide Folge leisteten. Rome Reports berichtete über das Ereignis. Als man sich verabschiedete, ergab sich folgender Dialog: Juan Manuel Santos: Ich möchte Ihnen diese Karte übergeben und eine offizielle Einladung aussprechen, Kolumbien zu besuchen.
Papst Franziskus: Vielen Dank, wenn alles hieb und stichfest ist, komme ich.
Soweit die Papst-Worte zu einem Kolumbien-Besuch, bevor dieser offiziell bestätigt wurde. Seither ist der Friedensvertrag mit den FARC als Grund seiner Reise aus den offiziellen Erklärungen verschwunden. In Wirklichkeit spielt er weiterhin eine zentrale Rolle, wie die Notiz des Corriere della Sera zeigt und vor allem das Motto des ganzen Besuches belegt: „Demos el primer paso“ (Machen wir den ersten Schritt).