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  • 24.08.2017 00:01 - Verstöße in der Eurokrise Gegen jede Regel: Wie der Rechtsstaat bei seiner großen Bewährungsprobe versagte
von esther10 in Kategorie Allgemein.

Verstöße in der Eurokrise


Gegen jede Regel: Wie der Rechtsstaat bei seiner großen Bewährungsprobe versagte

Donnerstag, 24.08.2017, 08:49

Freiheit und Rechtsstaat waren immer etwas, was erfochten werden musste, was Opfer verlangte und unbequeme Entscheidungen. In der Euro-Krise ordnete er sich jedoch dem Primat der Politik unter.

Normalerweise macht man bei runden Jubiläen eine Flasche Champagner auf. Da frage ich mich, warum nach 10 Jahren Finanzkrise keiner mit dem Glas in der Hand herumläuft, zumal es so viele Gewinner gibt. Sieger, die die Gunst der Stunde zu nutzen wussten, die ihnen die Dekade der Krise(n) geboten hat. Zu diesen Gewinnern gehörten „das Primat der Politik“, die Proponenten des „Marktversagens“ und vor allem die Adepten der monetären Planwirtschaft, die in der Überzeugung schwelgen, dass die Macht über die Druckerpresse zugleich die Macht über die Realität ist.

Wo es Gewinner gibt, finden sich in der Regel auch Verlierer. Das können Gruppen von Menschen sein. Es können aber auch Prinzipien sein. Und der ganz große Verlierer der Finanzkrise ist die Herrschaft des Rechts, die nach dem Motto „Not kennt kein Gebot“ unter die Räder der oben genannten drei ideologischen Kröten geraten ist.
Zur Person

Markus Krall ist Managing Director im Frankfurter Büro von goetzpartners. Er verantwortet den Bereich Risk Management und ist Head of Financial Institutions. Vor seinem Eintritt bei goetzpartners organisierte er als Senior Partner bei Roland Berger die Initiative zur Gründung einer Europäischen Ratingagentur.

Der finanzielle Ausnahmezustand hat einen intellektuellen Ausnahmezustand unserer politischen, geldpolitischen und juristischen Eliten nach sich gezogen, weil sie auf das Schockereignis nicht vorbereitet waren. Man hatte den Zustand des freiheitlichen Rechtsstaats nach 60 Jahren als Normalbetrieb der Gesellschaft hingenommen, quasi als das Ergebnis einer natürlichen gesellschaftlichen Entropie, den Zustand geringster Anstrengung, der sich von alleine einstellt, so wie eine Kugel zu Tal rollt und dann dort im Gleichgewicht liegen bleibt.
Der Rechtsstaat verlangt Opfer

Das war ein Irrtum. Ein Blick in die Geschichte hätte das schon vorher zeigen können: Freiheit und Rechtsstaat waren immer etwas, was erfochten werden musste, was Opfer verlangte und unbequeme Entscheidungen. Freiheit und Rechtsstaat haben natürliche Feinde im Ökosystem der Geschichte. Die Kugel liegt in Wahrheit nicht im Tal, sie balanciert auf der Spitze eines Berges.

Im Gegensatz zum gängigen Glauben ist es aber nicht der Normalbetrieb, es ist der Ausnahmezustand, der die Stabilität und Widerstandskraft von Institutionen – und der Personen, die sie tragen - beweist oder widerlegt. Und was wir dort sehen müssen, stimmt nicht zuversichtlich. Bereits vor der Krise sind wir mit der Durchsetzung von Recht am Beispiel des Maastrichter Vertrages leger umgegangen. Kleine, aber symbolisch bedeutsame Verstöße durch Deutschland und Frankreich wurden nicht geahndet und bildeten so das Einfallstor für eine südeuropäische Schuldenorgie, deren Ergebnis bekannt ist.

Ein Übel zieht das andere nach sich

Graduell, Schritt für Schritt galt ab hier: Ein Übel zieht das andere nach sich. Mit dem Beginn der Schuldenkrise Griechenlands wurde dann zunächst die - vertraglich zugesicherte – No-Bailout-Klausel abgeräumt, nach der kein Euroland für die Schulden eines anderen haften sollte. Diesen Rechtsbruch hat man dann als Serienmodell aufgelegt und in Form des ESM institutionalisiert.

Als man merkte, dass das nicht reicht, weil die Märkte in die fiskalischen Rettungskapazitäten der Regierungen nicht genug Vertrauen setzten und risikogerechte Aufschläge auf inkriminierte Anleihen verlangten, hat man das Verbot der monetären Staatsfinanzierung Schritt für Schritt ausgehöhlt. Mit immer neuen Anläufen und Abkürzungen für Kaufprogramme von Staatsanleihen und unter Vorgaukeln anderer Ziele, nämlich die Erhöhung (!) der Inflation auf zwei Prozent, hat man dieses Verbot bis zur absoluten Unkenntlichkeit verstümmelt.

Das Bundesverfassungsgericht überließ die Entscheidung dem EuGH

Das angerufene Bundesverfassungsgericht entzog sich der Verantwortung damals, indem es die Sache an den EuGH verwies, der sich schon immer als politische Instanz im Dienst der „immer tieferen Union“ verstand und nicht primär als Normenkontrollinstrument. Dort sprach dann ein Richter aus Portugal, einem Land, dessen ökonomische Existenz im Euro von dem Urteil abhing „Recht“. Ein Schelm, wer dabei das Wort Befangenheit durch seine Ganglien blitzen sieht.

In Karlsruhe konnte man darauf hin aufatmen, zumal man den Generalablass und Freibrief für die EZB an die Scheinbedingung permanenter Überprüfung der geldpolitischen Rationale geknüpft hatte und sich so der Illusion hingeben konnte, die Sache eingehegt zu haben. Das ist jedoch ebenso wenig möglich, wie man einem Krokodil den Arm ins Maul legen kann und mit Hinweis auf eine Verfügung des EuGH darauf hoffen kann, ihn zu behalten.

Inzwischen ist die EZB der größte Gläubiger der Euro-Staaten

Nun, nur kurze Zeit später ist die EZB der größte Gläubiger jedes einzelnen Mitgliedsstaates der Eurozone. Die Risikoaufschläge der südeuropäischen Staatsanleihen existieren nicht mehr, wenn man bedenkt, dass das dortige Zinsniveau dem der deutschen Anleihen vor dem Programm entspricht. Die Verschuldungsorgie am Mittelmeer geht munter weiter und die Nebenwirkungen für die Gesundheit aller europäischen Volkswirtschaften reichen immer tiefer. Die Aushöhlung der Wettbewerbsfähigkeit, das Abwürgen von kreativer Zerstörung und damit Innovation und Produktivitätswachstum, die Vergiftung der Bankbilanzen durch die Zombifizierung der Unternehmenswelt und die in Target-2 zum Ausdruck kommenden Ungleichgewichte sind die Markenzeichen dieses vom Pfad der Rechtsstaatlichkeit abgekommenen Europas.

So gesehen muss man feststellen: Vom Ausnahmezustand geprüft und für zu leicht befunden.

Erstaunlich ist dabei aber eines: Nicht einmal die als Alibi vom EuGH so dienstfertig zur Verfügung gestellte Ausrede einer permanenten Überprüfung der Mittel im Hinblick auf ihre geldpolitische Eignung hat man offenbar bei der EZB so richtig hinbekommen. Wie sonst hätte sich das Bundesverfassungsgericht genötigt sehen können, den ganzen Vorgang mit dem Ausdruck der Zweifel und des Stirnrunzelns noch einmal nach Brüssel zu überweisen wie einen Krebskranken, den man zu früh aus der Onkologie entlassen hat?

Der Weg des geringsten Widerstands wurde gewählt

Das BVG stand bei der ersten Klage in seiner Selbstwahrnehmung vor der Wahl Recht zu sprechen und damit den Rechtsbruch zu stoppen um den Preis einer Anpassungskrise mit dem wahrscheinlichen Ende des Euro, oder es eben nicht zu tun um den Preis, den Rechtsbruch gewähren zu lassen in der Hoffnung darauf, dass sich das alles irgendwie einrenkt. Man hat sich damals für den Weg des geringeren Widerstands entschieden.

Jetzt hat die Realität das oberste deutsche Gericht eingeholt. Es steht wieder vor der gleichen Wahl. Nur dass die angestauten Ungleichgewichte und Risiken für Deutschland und Europa jetzt um ein Vielfaches größer sind, als beim letzten Mal. Gilt in Europa das Primat des Rechts oder das Primat der Geldpolitik?

Fürs Erste haben wir die Sache wieder nach Brüssel geschickt. Die entscheidende Frage ist daher: Wie lange möchte sich das BVG noch um die unvermeidliche Wahl zwischen Recht und Krisenangst herumdrücken? Kleiner wird das Problem nämlich nicht werden.
http://www.focus.de/finanzen/experten/ve...id_7508112.html



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