Wer bestimmt über die Vatikanfinanzen? – „Ermittelt, ermittelt!“ 28. September 2017
Vatkanische Finanzinformationsbehörde (AIF): "Direktoren, Präsidenten, Wirtschaftsprüfer werden entlassen, aber die, die alles zu kontrollieren hätten, die AIF bleibt immer unangetastet und unbeachtet, als würde sie gar nicht existieren?"
(Rom) Der Vatikanist Marco Tosatti lenkte heute den Blick kurz von der Correctio filialis ab. Grund ist ein Schreiben, dessen Autor er nicht namentlich nannte, sondern als „hohes Tier“ bezeichnet. Dieses „hohe Tier“ befasse sich weniger mit Theologie, dafür aber um so mehr mit Politik. Durch die Correctio filialis sei ein anderes Thema aus den Schlagzeilen verschwunden: Das Interview von Libero Milone. Milone war von Papst Franziskus 2015 zum Generalwirtschaftsprüfer des Heiligen Stuhls und aller seiner Institutionen ernannt worden. Am vergangenen 19. Juni wurde Milone plötzlich fristlos vor die Tür gesetzt. Ein Grund wurde vom vatikanischen Presseamt und Kurienerzbischof Angelo Becciu, Substitut im Staatssekretariat, erst nach dem Interview genannt: Milone habe „einige Vertreter des Heiligen Stuhls ausspioniert“.
Dazu nahm das „hohe Tier“ in einem Schreiben an Marco Tosatti Stellung, das nur für„fünf Minuten unsere Aufmerksamkeit von der Correctio filialis und den mit ihr verbundenen Petitionen ablenkt“.
„Mein Eindruck, den ich gewonnen habe, ist der gewohnte (wie bei Vatikleaks 1 und Vatileaks 2): daß man dieses Argument [die Correctio filialis], genützt hat, um die Aufmerksamkeit vom sogenannten ‚Fall Milone‘ und den Vatikanfinanzen abzulenken, von dem ich nur weiß, was ich in den Zeitungen lese, einschließlich Milones Interview im Corriere della Sera.
Nach fünf Jahren sehen wir, daß die ‚Unruhe‘ wegen der Vatikanfinanzen exponentiell wächst. Ich weiß nicht viel, wenn ich dem Papst und vor allem dem Staatssekretär aber einen Rat gegeben könnte, würde ich sie bitten, zu jenen Ermittlungen anzustellen, die der Kontrollbehörde der Vatikanfinanzen vorstehen und diese verwalten. Ist es möglich, daß Direktoren, Präsidenten, Wirtschaftsprüfer entlassen werden, aber die, die alles zu kontrollieren hätte, die AIF [Vatikanische Finanzinformationsbehörde], immer unangetastet und unbeachtet bleibt, als würde sie gar nicht existieren? Haben aber wirklich die Spitzen der AIF das Kommando? Im Auftrag von wem?
Papst Franziskus, Kardinal Parolin, wir beschwören euch für das Wohl der Kirche: Ermittelt! Ermittelt!“ Die AIF
Die im Schreiben an Tosatti genannte Vatikanische Finanzinformationsbehörde (AIF) war 2010 von Papst Benedikt XVI. unter dem ständigen Druck internationaler Gremien nach „mehr Transparenz“ geschaffen worden. Als Leiter der Behörde ernannte er einen Kardinal. Dennoch kritisierte Moneyval, ein Expertenausschusses des Europarates für die Bewertung von Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung die Maßnahme als unzureichend.
Papst Franziskus nahm wenige Monate nach seiner Wahl weitreichende Veränderungen vor. Der erste Eingriff erfolgte am 8. August 2013. Im November desselben Jahres setzte er mit einem Motu proprio ein neues Statut der AIF in Kraft. Parallel zogen mit seinem Pontifikat die Global Players unter den Beratungsfirmen im Vatikan ein. Katholisches.info schrieb am 28. Januar 2014:
„McKinsey, Promontory, Ernst&Young, KPMG: Mit dem neuen Pontifikat begann auch im Vatikan ein Wettlauf, die erlesensten und kostspieligsten Beraterfirmen der Welt in Sachen Organisation und Finanzen zu engagieren. Die Welt als „globales Dorf“ macht sie unentbehrlich und vor allem sind es sie selbst, die sich unentbehrlich machen. Eine System aus Effizienz und Gewinnstreben, das sich selbst ständig neu erfindet und an Macht ständig zunimmt. Kein Finanzminister kommt mehr ohne sie aus, weil sie längst den Durchblick verloren haben. Aus diesem Grund schreiben die Beraterfirmen bereits die Gesetze selbst, die von der Politik abgesegnet werden. Auch in der Bundesrepublik Deutschland. Die Politik am Gängelband eines Dutzend internationaler Beratungsunternehmen, die in wessen Interesse arbeiten?“ Der Schweizer René Brülhart wurde im November 2012 neuer Direktor der AIF, um die Forderungen des Moneyval-Reports umzusetzen, wie es damals in einer Erklärung des vatikanischen Presseamtes hieß. Seit 2014 ist er deren Präsident. Brülhart, so legte Franziskus fest, ist nur dem Papst weisungsgebunden und hat ihm Bericht zu erstatten. Das galt für Generalrevisor Milone auch, doch ab September 2016 empfing ihn Franziskus nicht mehr. Milone, der mit Franziskus über seine Entlassung sprechen wollte, drang nicht bis zu ihm durch.
Brülhart machte Tommaso Di Ruzza zu seinem Nachfolger als Direktor. Neben Brülhart und Di Ruzza gehören Maria Bianca Farina (Italien), Marc Odendall (Frankreich), Joseph Yuvaray Pillay (Singapur) und Juan C. Zarate (USA) dem AIF-Direktorium an.
Marc Odendall
Marc Odendall war zum Jahreswechsel 2016/2017 im Zusammenhang mit dem Konflikt im Malteserorden, zwischen Großkanzler Albrecht von Boeselager und Großmeister Fra Festing, genannt worden. Papst Franziskus stellte sich auf die Seite Boeselagers und setzte den Großmeister ab. Dabei stützte sich Franziskus auf den Bericht einer von ihm eingesetzten Untersuchungskommission. Die Kommission hatte dem damals amtsenthobenen Großkanzler tadelloses Verhalten attestiert. Odendall war einer der fünf Kommissionsmitglieder. Laut einem Urteil des Hamburger Landgerichts wußte Boeselager über die Verteilung von Verhütungsmitteln durch Malteser International Bescheid und billigte dies auch. Somit war, was den Konflikt im Malteserorden angeht, das Verhalten des Großkanzlers gar nicht so tadellos.
Großmeister Festing hatte bereits zuvor der Kommission „Befangenheit“ vorgeworfen, weil mindestens drei der fünf Mitglieder in geschäftlichen Beziehungen zu Boeselager standen. Den Papst kümmerte es nicht. Bisher auch nicht, daß das Hamburger Gericht indirekt die Glaubwürdigkeit des Kommissionsberichts in Frage stellt. Immerhin wurde damit Fra Festings Vorwurf bestätigt, Papst Franziskus habe sich ein Gefälligkeitsgutachten vorlegen lassen.
Boeselager und Odendall stehen über den in Neuseeland registrierten, 120 Millionen Schweizer Franken umfassenden Caritas Pro Vitae Gradu Charitable Trust (CPVG) in Verbindung, der von einer Schweizer Treuhandschaft verwaltet wird.
Die schützende Hand des Staatssekretariats
Über das Staatssekretariat, genau gesagt, Substitut Becciu, erfolgte der Rauswurf des Generalrevisors Milone. Das Staatssekretariat hält die schützende Hand über der AIF. Das Staatssekretariat wählte die fünf Kommissionsmitglieder, die Papst Franziskus das zweifelhafte Dokument zur Hand gaben, mit dem Großmeister Festing entlassen und Boeselager wieder als Großkanzler eingesetzt wurde. Becciu wurde von Papst Franziskus als sein persönlicher Vertreter im Malteserorden mit kommissarischem Durchgriffsrecht eingesetzt und der offizielle Vertreter des Papstes, Kardinalpatron Raymond Burke, marginalisiert.
Das „hohe Tier“, das Tosatti erwähnt, meinte aber nicht Substitut Becciu mit den Fragen: „Haben aber wirklich die Spitzen der AIF das Kommando? Im Auftrag von wem?“
Text: Giuseppe Nardi Bild: Vatican.va (Screenshot)
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