Bergoglio-Biographie von Massimo Borghesi Die Lehrmeister von Papst Franziskus 7. Dezember 2017
Die "intellektuelle Biographie" über die Lehrmeister, die das Denken von Papst Franziskus geprägt haben. Ein Buch mit Stärken, Schwächen und einigen Lücken.
Von Sandro Magister*
Nach den vielen narrativen Biographien über Papst Franziskus liegt nun die erste vor, die sich zurecht mit dem Titel einer „intellektuellen Biographie“ schmückt. Ihr Autor, Massimo Borghesi, ist Professor der Moralphilosophie an der Universität Perugia und steht Jorge Mario Bergoglio sehr nahe, und das schon lange bevor er zum Papst gewählt wurde, wie das insgesamt für den Freundeskreis gilt – dessen bekanntester Name der Vatikanist Andrea Tornielli ist –, der dem römischen Zweig von Comunione e liberazione (CL) angehört, dessen Kopf der Priester Giacomo Tantardini war.
Abgesehen von Borghesis Feder ist das Buch auch ein Kind der Stimme von Papst Franziskus selbst, der bei vier Gelegenheiten – die beiden letzten am 13. März 2017, dem vierten Jahrestag seines Pontifikats – dem Autor ebenso viele Audioaufzeichnungen zur Verfügung stellte, die mehrfach im Text zitiert werden und alle auf die Quellen seiner Formung verweisen.
Gaston Fessard SJ
Es handelt sich also um eine Biographie, die zum Teil auch Autobiographie ist. Ausgangspunkt ist etwas, was hier erstmals von Bergoglio persönlich bekannt gemacht wird, nämlich, daß der Ursprung seines Denkens auf den französischen Jesuitentheologen Gaston Fessard zurückgehe, eines genialen Hegel-Experten ohne selbst Hegelianer zu sein, mit seinem 1956 erschienenen Buch über die „Dialektik“ der „Geistlichen Übungen“ des heiligen Ignatius.
Borghesi bestätigt und begründet, daß Bergoglio tatsächlich vor allem von Fessard sein akzentuiert antinomisches Denken habe, das die Widersprüche liebt. Dann seien noch andere Autoren von hohem Niveau hinzugekommen, die dieses Denken festigten: Erich Przywara und Henri de Lubac, beide ebenfalls Jesuiten, der uruguayische Philosoph Alberto Methol Ferré und vor allem, aber verspätet, Romano Guardini mit seinem Jugendwerk von 1925 mit dem Titel „Der Gegensatz“, über das Bergoglio in den wenigen Monaten, die er 1986 zum Studium in Deutschland verbrachte, seine Doktorarbeit schreiben wollte, die aber schnell fallengelassen und nie geschrieben wurde.
Borghesi skizziert kompetent das Denken dieser großen Theologen und Philosophen. Ihnen fügt er unter den Ideengebern, von denen Bergoglio selbst sagt, ihnen zu Dank verpflichtet zu sein, noch weitere Sterne erster Größe hinzu wie Michel de Certeau und Hans Urs von Balthasar. Vor allem unternimmt er alles, um den Nachweis zu erbringen, daß in den Schriften Bergoglios, ob zeitlich nahe oder fern, sowohl vor als auch nach der Wahl zum Papst, die Genialität dieser seiner Meister aufleuchtet.
Aber gerade bei diesem Übergang von den Meistern zu ihrem Schüler hat die Rekonstruktion von Borghesi ihre Schwächen.
Es fällt beispielsweise wirklich schwer, in den vier „Postulaten“ die reife Frucht der „Dialektik“ Fessards oder die „polaren Gegensätze“ Guardinis wiederzuerkennen, die Papst Franziskus in den Mitteepunkt des programmatischen Textes seines Pontifikats, Evangelii gaudium, gestellt hat, und die er in seiner Enzyklika Laudato si und am Beginn seines anderen Schreibens, Amoris laetitia, wiederholt hat.
Es stimmt, daß Franziskus selbst vor drei Jahren den argentinischen Autoren einer anderen Biographie über ihn offenbart hat, daß das Kapitel von Evangelii gaudium mit den vier Postulaten als ganzer Abschnitt aus seiner nie vollendeten Doktorarbeit über Guardini übernommen worden sei.
Sieht man aber, wie diese Übung des Studenten – eine Übung, die nun zum päpstlichen Lehramt befördert wurde – unerbittlich verrissen wird, kaum daß sie einer elementaren Analyse unterzogen wird, legt das nahe, daß der Abgrund zwischen Bergoglio und seinen berühmten Lehrmeistern wirklich sehr tief ist.
Die „Knoten“ des Hirten Bergoglio – Neuer Dualismus: Seelsorge für Papst, Lehre für Glaubenspräfekten? Die „nicht verhandelbaren Grundsätze“ von Papst Franziskus auf dem Prüfstand Das erste der vier Postulate, laut dem „die Zeit Vorrang vor dem Raum“ hat, bedeutet, banaler ausgedrückt, daß Papst Franziskus will, daß evolutive „Prozesse“, die ihm wichtig sind, über die statischen Machtapparate, kirchliche oder nicht kirchliche, obsiegen.
Michel de Certeau SJ
Das dritte Postulat, laut dem „die Wirklichkeit Vorrang vor der Idee“ hat, ist nichts anderes als eine Neuauflage des pseudokonziliaren Schlagwortes vom Primat der Orthopraxie vor der Orthodoxie, oder mit anderen Worten gesagt, eines Vorrangs der „Pastoral“ vor der Lehre.
Was die Natur der Kirche als complexio oppositorum betrifft, also der Einheit von Institution und Ereignis, von Mysterium-Sakrament und Wort, des Einzelnen und der Gemeinschaft und von Innerlichkeit und öffentlichem Kult, so zeigt das Pontifikat von Franziskus, daß er keineswegs die gegenseitige Bereicherung zwischen den Gegensätzen mag, sondern vielmehr unterdrücken oder übergehen will, was er im einen oder im anderen Gegensatz für statisch oder überholt hält. Seine Kälte gegenüber der Liturgie ist vor aller Augen sichtbar, ebenso wie seine mangelnde Sensibilität für die Kategorie des Schönen und seine Verachtung der Doktrin und der Institution.
Es ist zu sagen, und Borghesi gibt es zu, daß Bergoglio von seinen Lehrmeistern ihr Gesamtwerk weder studiert noch assimiliert, sondern nur wenige und isolierte Dinge gelesen hat, von denen er auf seine Weise einige Stichwörter übernommen hat.
Das erklärt auch die fehlende Homogenität seiner Schriften, auch der lehramtlichen, in denen er die unterschiedlichsten Materialien zusammenfügt.
Vor allem erklärt es, und das noch deutlicher, die abgrundtiefe Distanz zwischen seinen bemerkenswerten Lehrmeistern und den Personen, derer sich Papst Franziskus als Vertraute und Ghostwriter bedient: vom rhetorisch fabulierenden Jesuiten Antonio Spadaro bis zum Argentinier Victor Manuel Fernandez, einem Theologen von nicht einmal mediokrer Bedeutung, dessen Erstlingswerk den Titel „Sáname con tu Boca. El arte de besar“ (Heile mich mit deinem Mund. Die Kunst des Küssens) trägt, und der dennoch von seinem zum Papst gewordenen Freund beauftragt wurde, ganze Absätze aus seinen wirren Aufsätzen, die er vor mehr als zwölf Jahren über die Moral der Familie veröffentlicht hatte, in Amoris laetitia zu übernehmen.
Rodolfo Kusch Rodolfo Kusch Ein weiteres Zeichen der Verwirrung ist die gleichzeitige „Vorliebe“, die Franziskus für zwei französische Theologen behauptet, für de Lubac und für de Certeau, und damit beweist, nicht zu wissen, daß de Lubac mit seinem Schüler de Certeau gebrochen hat und diesen scharf kritisierte. Er beschuldigte ihn, ein „Joachimit“ zu sein, der wie der mittelalterliche Mönch [Joachim da Fiore] einem angeblichen goldenen Zeitalter des reines Geistes anhänge, das frei von jeder Bindung an eine kirchliche Institution sei.
Zudem enthält die von Borghesi verfaßte „intellektuelle Biographie“ Bergoglios einige offenkundige Lücken. Zu Walter Kasper herrscht zum Beispiel völliges Schweigen, obwohl Franziskus schon beim ersten Angelus nach der Wahl zum Papst erklärte, dessen Leser und Bewunderer zu sein. Und obwohl er ihn mit grenzenlosem Lob ehrte und behauptete, er betreibe eine „Theologie auf den Knien“, und ihn zum Leittheologen für die Wende in Sachen Ehe und Scheidung und dem Vorrang der Ortskirchen vor der Weltkirche beförderte.
Ebensowenig findet sich ein Wort über Rodolfo Kusch, den argentinischen Anthropologen, von dem Papst Franziskus erst vor kurzem sagte, von ihm sein Verständnis von Volk übernommen zu haben. Dabei finden sich in Borghesis Buch viele Seiten über den „Populismus“ von Bergoglio.
Und natürlich sticht in Bergoglio-Lektüre das Fehlen des Theologen Joseph Ratzinger ins Auge, der nicht einmal als Autor der Bücher über Jesus erwähnt wird. Diese Lücke hilft allerdings dabei, noch besser zu verstehen.
*Sandro Magister, Vatikanist des Wochenmagazins L’Espresso und Betreiber des Blogs Settimo Cielo.
https://www.katholisches.info/2017/12/di...pst-franziskus/ + http://www.lanuovabq.it/it/i-papi-e-i-ge...rtellini-gialli + Katholisches wird immer für den Leser kostenlos bleiben. Damit das Magazin Tag für Tag mit neuen Artikel weiterhin erscheinen kann sind Zuwendungen notwendig: Unterstützen Sie bitte Katholisches mit einer Spende. Zuwendungsübersicht
Beliebteste Blog-Artikel:
|