Dienstag, 24. Juli 2018
Tausende Observationsfälle
Seehofer: Wir haben die Dinge nicht im Griff Von Hubertus Volmer
Mit mehrwöchiger Verspätung stellt Innenminister Seehofer den Verfassungsschutzbericht vor, der alles andere als beruhigend ist. Dabei äußert er sich doch noch zum Fall Özil, indirekt auch zur Kanzlerin.
Bei der letzten Frage dieser Pressekonferenz geht es darum, wie Bundesinnenminister Horst Seehofer sich fühlt. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hatte gerade gesagt, er wünsche sich "weniger Probleme". Ob auch Seehofer diesen Wunsch habe? Anders als bei Maaßen geht es in Seehofers Antwort nicht um die extremistischen Bedrohungen der Bundesrepublik, sondern um seine persönliche Befindlichkeit - so war die Frage wohl auch gemeint. Er habe in den vergangenen Wochen weder Probleme noch Druck wahrgenommen, sagt der CSU-Chef. Im Gegensatz zu dem, was er häufig gelesen habe, sei er keineswegs "Getriebener einer Person gewesen", auch schlaflose Nächte habe er nicht gehabt. Die Botschaft: alles in Ordnung.
Ob das wirklich stimmt? Seehofer hat harte Wochen hinter sich. Die "Person", von der er spricht, ist natürlich Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihm in ihrer Sommerpressekonferenz an gleicher Stelle kürzlich indirekt vorwarf, im Ton "zu schroff" gewesen zu sein. Seehofers Name fiel in diesem Zusammenhang nicht, aber es lag nahe, an wen sie dachte, als sie von sprachlicher Verwahrlosung sprach.
Auch zwei Fragen nach dem Rücktritt des Fußballspielers Mesut Özil aus der deutschen Nationalmannschaft nutzt Seehofer für einen vorsichtigen Seitenhieb auf seine Chefin. Angesichts der "Vielzahl der Äußerungen" habe er sich vorgenommen, selbst nichts zu diesem Thema zu sagen, sagt der Innenminister, der immerhin auch für den Sport zuständig ist. Zwei Dinge sagt er aber doch: "Ich glaube, in diesem Fall gibt es nur Verlierer." Und: "Die Kanzlerin hat sich geäußert. Und da besteht für einen Sportminister kein Raum mehr." Am Montag hatte Merkel über die stellvertretende Regierungssprecherin ausrichten lassen, sie schätze Özil als "tollen Fußballspieler", der viel für die Nationalmannschaft geleistet habe. "Er hat eine Entscheidung getroffen, die zu respektieren ist."
Doch eigentlich wird hier ja der aktuelle Verfassungsschutzbericht präsentiert. Maaßen sagt, das "extremistische Gesamtpersonenpotenzial" sei auf 126.360 Personen gestiegen. Das gilt für die Bereiche Rechtsextremismus (von 24.350 Personen im Jahr 2016 auf 25.250 Personen 2017), für "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" (von 10.000 auf 16.500), für den Bereich Linksextremismus (von 29.400 auf 30.400) und für den Islamismus (von 24.425 auf 25.810). Dazu kommen noch Extremisten aus anderen Bereichen, etwa Anhänger der kurdischen PKK.
Der Fall des Rizin-Bombenbauers hat Maaßen "wirklich alarmiert"
Ein Bild, welchen Anteil der Islamismus bei der Arbeit des Verfassungsschutzes einnimmt, vermittelt Maaßen, als er sagt, im vergangenen Jahr habe es 2300 "Observationsfälle" und 64.000 "Observationsstunden" gegeben, davon fast die Hälfte im Bereich Islamismus. Gefährlich seien nicht mehr so sehr Rückkehrer aus dem syrischen Bürgerkrieg, sondern vor allem Einzeltäter.
Seehofer lobt, die Arbeit des Verfassungsschutzes sei offenbar erfolgreich, denn mehrere Anschlagsversuche seien vereitelt worden, zuletzt der mutmaßliche Plan des Tunesiers Sief Allah H., eine Rizin-Bombe zu bauen. Dennoch ist Seehofer nicht zufrieden: "Bei der Abschiebung von Gefährdern müssen wir noch ein Stück besser werden." Hier müsse man überlegen, ob der Bund bei dieser Personengruppe die Zuständigkeit von den Ländern übertragen bekommen könne. Maaßen sagt, ihn habe der Fall des mutmaßlichen Rizin-Bombenbauers "wirklich alarmiert".
Auch die Gewaltbereitschaft von Linksextremisten nennt Seehofer alarmierend und erinnert an "die erschreckenden Bilder" des G20-Gipfels vor einem Jahr in Hamburg. Zwar hebt er hervor, dass die rechtsextremistischen Gewalttaten zurückgegangen seien. Als Entwarnung will er das aber nicht verstanden wissen: Die Gewaltbereitschaft in der rechtsextremen Szene sei unverändert hoch, zudem sei die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten mit 12.700 Personen so hoch wie noch nie. Den Anstieg bei den "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" erklärt Maaßen mit mehr Informationen, die seine Behörde gesammelt habe. Nur fünf Prozent der Reichsbürger würden vom Verfassungsschutz zu den Rechtsextremisten gezählt. Beiden Gruppen gemein sei eine "hohe Affinität zu Waffen".
Video: "Reichsbürger"-Szene hat starken Zulauf 24.07.18 Video "Reichsbürger"-Szene hat starken Zulauf Horst Seehofer steht neben Hans-Georg Maaßen bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2017.24.07.18
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Ehefrau soll Bombenbauer geholfen haben
Ebenfalls keine Entwarnung geben Seehofer und Maaßen beim Thema Cyber-Angriffe. Der Verfassungsschutz zähle monatlich rund 52.000 Angriffsmails auf das Regierungsnetzwerk. Auf die Frage, ob auch der US-Geheimdienst NSA unter den Angreifern sei, sagt Maaßen, man müsse sich grundsätzlich auch davor schützen, dass befreundete Staaten sich gegen die Bundesrepublik wenden. Entsprechende Erkenntnisse habe es 2017 aber nicht gegeben. Die meisten Attacken rechne der Verfassungsschutz russischen und chinesischen sowie iranischen Diensten zu. Grundsätzlich sei es aber schwierig, Cyber-Angriffe sicher einem bestimmten Geheimdienst zuzuordnen.
Der Bericht, den Seehofer und Maaßen vorstellen, liegt schon seit ein paar Wochen vor. Dass er jetzt erst veröffentlicht wird, hat mit dem Asylstreit der Union zu tun. Seehofer dankt Maaßen "für die vorzügliche, ausgezeichnete Arbeit", die der Verfassungsschutz leiste. Der Bericht zeige, "dass wir uns vor Extremisten aus den unterschiedlichsten Bereichen schützen müssen", aber auch, dass die Bundesrepublik sich schützen könne. Und er lobt die Koalition dafür, dass die Sicherheitsbehörden eine so hohe Mittelerhöhung zugestanden bekommen hätten wie noch nie. Falls das zuversichtlich klingt, so steuert Seehofer gleich gegen. Es sei viel geschehen, "das will ich nicht bestreiten", so der Minister. Aber: "Wir haben in keinem Bereich die Dinge im Griff." https://www.n-tv.de/politik/Seehofer-Wir...le20544127.html Quelle: n-tv.de
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