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  • 05.08.2015 00:56 - „Wo war Jesus? – An eurer Seite!“ Der 6. August 2014 hat die Kirche im Irak für immer verändert.
von esther10 in Kategorie Allgemein.

05.08.2015 15:30


„Wo war Jesus? – An eurer Seite!“
Der 6. August 2014 hat die Kirche im Irak für immer verändert. Seither leben über 120 000 Christen als Flüchtlinge inner- und außerhalb des Landes. Niemand weiß, wie lange noch. Von Oliver Maksan
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Leben noch immer unter erschwerten Umständen: Christliche Flüchtlinge aus der Ninive-Ebene in einem Lager in Erbil.
Foto: Maksan
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Erbil (DT) Sengende Hitze sucht den Irak dieser Tage unbarmherzig heim. In Bagdad haben die Menschen wegen des Strommangels demonstriert. Sie machen die Korruption dafür verantwortlich. Die Regierung hat in der Folge einige Tage für arbeitsfrei erklärt. Die Temperaturen erinnern nur zu sehr an den 6. August 2014 und das Geschehen in der Ninive-Ebene im Norden des Landes. 50 Grad heiß kann sich die Luft im Sommer dort aufheizen. Auch nachts fällt das Thermometer dann nicht unter dreißig Grad. Die Luft am Horizont des weiten, von verbranntem Gras geprägten Landes flirrt und tanzt.

Es waren dramatische Szenen, die sich damals unter diesen widrigen Umständen abspielten. Panisch flohen die Menschen aus den christlichen Orten der Ninive-Ebene um Mossul vor den vorrückenden Dschihadisten des „Islamischen Staats“. Betroffene erinnern sich, wie sich am Morgen des 6. August der Artilleriebeschuss von Karakosch verstärkte und immer näher kam. Drei Christen kamen dabei in der ehemals größten christlichen Stadt des Irak ums Leben, unter ihnen ein sechzehnjähriges Mädchen. Sie hatte sich erst kurz zuvor verlobt. Viele Menschen begannen schon da, die Stadt mit ihren vielen Kirchen zu verlassen. Als aber dann später die Peschmerga, die kurdischen Kämpfer, abzogen, brach die blanke Panik unter den Menschen aus. Sie wussten: Nichts steht mehr zwischen ihnen und den Kriegern des Kalifats. Bis zuletzt hatten sie sich auf die Zusagen der Kurden verlassen, sie zu schützen. Zehntausende begannen, Karakosch und zahlreiche andere Dörfer und Städtchen der Ebene zu verlassen. Manche rannten aus Angst um ihr Leben einfach los. Andere quetschten sich in überfüllte Autos. Im Schneckentempo nur ging es voran. Denn die Peschmerga kontrollierten akribisch, wer ihre Checkpoints passieren wollte. Die Furcht, dass sich IS-Terrorosten unter die Flüchtenden mischen würden, war zu groß. Viele waren immer noch unterwegs, als die sengende Hitze des 7. August einsetzte.

Sana half den christlichen Flüchtlingen von der ersten Stunde an. Die junge Frau arbeitet für die chaldäische Diözese Erbil. „Ich habe in den Nachrichten vom Vorrücken des IS in Richtung der christlichen Orte gehört. Und dann kamen ja auch schon die ersten Flüchtlinge hier bei uns an. Im Laufe der Nacht und am anderen Morgen wurden es immer mehr.“ Sana half wie viele junge Leute aus Erbil sofort, die Neuankömmlinge zu versorgen. „Es war schlimm, die Menschen so zu sehen. Sie hatten teilweise ja buchstäblich nichts dabei. Sie sind panisch geflüchtet. Sie dachten, IS holt sie ein. Manche fuhren von Karakosch nach Erbil zwölf Stunden und mehr, weil die Wege so überfüllt waren. Normalerweise ist es nicht weit.“ An ihre Gefühle von damals kann sie sich ein Jahr später nicht mehr recht erinnern. Sie selber habe gar keine Zeit zum Nachdenken gehabt. „Wir haben einfach nur geholfen. Zwölf Stunden am Tag und mehr, oft bis spät in die Nacht, haben wir gearbeitet. Diese Tage sind mir unvergesslich.“

Wenn sie heute zurückblicke, wundere sie sich, wo all die vielen tausend Menschen hin sind, die im August nach Erbil geflüchtet waren. „Als die Menschen hier ankamen, haben sie auf dem bloßen Boden geschlafen. Und jetzt hat jeder eine Wohnung oder wenigstens einen Wohncaravan. Es ist viel passiert.“ Aber natürlich sei das Leben für die Menschen nicht leicht. „Sie dachten anfangs ja, dass sie nur wenige Tage oder Wochen hier bleiben müssten.“

Schon einmal waren die Einwohner von Karakosch ja im Juni vergangenen Jahres vor den Kämpfen zwischen dem „Islamischen Staat“ und den Peschmerga nach Erbil geflohen, dann aber schnell wieder in ihre Häuser zurückgekehrt. Sie glaubten, dass es diesmal ähnlich sein würde. Doch ein Jahr später hofft niemand mehr auf eine rasche Rückkehr. „Als die Menschen erst einen Monat, dann zwei Monate, dann drei Monate hier waren, da war ihnen klar, dass es wohl länger dauern würde“, sagt Sana. „Viele haben gar keine Hoffnung mehr, dass sie zurückkönnen.“ Tröstlich, so Sana, seien ihr angesichts der Not auch ein Jahr später noch Worte des Bischofs von Erbil. „In einer Predigt antwortete er auf die zornige Frage der Menschen, wo Jesus in diesen Tagen des August war: Jesus floh mit euch. Er lief an eurer Seite. Nur deshalb seid ihr noch am Leben.“

Das sieht auch Pater Douglas Bazi so. Der Priester aus Bagdad leitet das Mar Elia Centre in Erbil. Anfangs lebten hier 240 Familien. Jetzt sind es nur noch etwa 130. Einige sind ins Ausland gegangen. Die meisten aber haben eigene Wohnungen bezogen. „Ich war geschockt, als ich letzten August die Massen von Flüchtlingen sah“, erinnert sich der Priester. Schnell begann der dynamische Mann aber, Hilfe zu organisieren. Auf dem Gebiet seiner Kirche Mar Elia entstand ein Flüchtlingslager. Pater Douglas wollte allerdings nicht nur das nötigste zum Leben anbieten. „Ich habe als Seminarist in den neunziger Jahren geholfen, Lebensmittel und Medizin an die Menschen zu verteilen, die unter dem internationalen Embargo des Irak litten. Das waren schlimme Zeiten. Diesmal wollte ich den Menschen nicht nur Brot und ein Dach über dem Kopf geben, sondern ihnen helfen, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen.“ Besonders konzentriert er sich dabei auf die Kinder und Jugendlichen. Sie können Instrumente, Sprachen wie Englisch und Französisch und den Umgang mit dem Computer lernen. „Ich habe sofort damit begonnen. Viele meinten, ich spinne. Die Kinder brauchen Essen und du gibst ihnen Bücher, meinten manche meiner Mitbrüder. Ich habe deshalb an mir selbst gezweifelt. Aber mittlerweile sehe ich, dass es richtig war. Man muss positiv sein und versuchen, die Zeit zu nutzen. Angst macht mir aber, dass die Kinder immer fragen, was als nächstes kommt. Ich weiß es bald selbst nicht mehr.“

Den traurigen Jahrestag begeht Pater Douglas mit einer Messe. In ihr sollen Trauer über das Geschehene, aber auch Dankbarkeit dafür, noch am Leben zu sein, Platz haben. „Zusammen mit Jugendlichen aus unserem Zentrum haben wir auch ein kleines Musikvideo gedreht. Es ist eine Hymne aus unserer Liturgie. Darin bitten wir Gott um seinen Beistand. In diesem Jahr gedenken wir Chaldäer ja nicht nur der schlimmen Geschehnisse vom letzten Jahr, sondern auch des Genozids an unserem Volk vor hundert Jahren durch Türken und Kurden. „101“ ist deshalb unser Logo geworden. Daneben ist ein blutiger Handabdruck zu sehen. Er soll bedeuten: Genug. Wir irakische Christen haben genug gelitten. Wer heute im Irak um die vierzig und jünger ist, hat ja eigentlich nie Frieden erlebt. In den Achtzigern gab es den brutalen Krieg mit dem Iran. Er dauerte acht Jahre. Dann kam der Golfkrieg von 1991. 2003 dann kamen die Amerikaner erneut. Und seither kommt unser Land nicht mehr zur Ruhe.“

Das Oberhaupt der chaldäischen Kirche, Patriarch Louis Raphael I. Sako, weiß um die sich neigenden Kräfte seiner Herde. Zum Jahrestag der Flucht hat er die Christen der Welt aufgerufen, sich mit den irakischen Christen im Gebet zu vereinen. In einem von ihm verfassten Gebet zum 6. August heißt es: „Stärke das Vertrauen in uns und gib uns die Kraft, diesem Sturm zu widerstehen



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