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  • 19.10.2015 19:37 - Der neue Friedenspreisträger Kermani ruft zum Handeln auf Gebet statt Applaus
von esther10 in Kategorie Allgemein.

18.10.2015


Der neue Friedenspreisträger Kermani ruft zum Handeln auf
Gebet statt Applaus

Navid Kermani erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er setzt sich für die Menschenwürde und ein friedliches Miteinander der Kulturen und Religionen ein. Nach der Auszeichnung geschieht etwas Überraschendes.

Am Ende der Rede herrscht Stille. Navid Kermani hat zum Gebet eingeladen - für entführte Christen in Syrien in den Händen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). "Ein Friedenspreisträger soll nicht zum Krieg aufrufen. Doch darf er zum Gebet aufrufen", sagt der Schriftsteller und Orientalist am Ende seiner Dankesrede zur Verleihung eines der bedeutendsten deutschen Kulturpreise am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche.

Kermani bittet darum, für die in Syrien entführten Pater Jacques Mourad und Paolo Dall?Oglio sowie weitere verschleppte Christen zu beten. Und: "Beten Sie oder wünschen Sie sich die Befreiung aller Geiseln und die Freiheit Syriens und des Iraks." Das sind die Worte des in Siegen geborenen Muslims Kermani, die Festgemeinde folgt ihm und erhebt sich.

Die Verleihung des mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreises ist der Höhepunkt der am Sonntag zu Ende gegangenen Frankfurter Buchmesse. Den Preis vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 1950 als einen Beitrag zur Völkerverständigung.

Gleichgültigkeit des Westens

In diesem Sinne ist auch Kermanis Dankesrede zu verstehen. In weiten Teilen widmet er sich Pater Jacques Mourad, der vom IS in Syrien entführt und erst vor rund einer Woche freigelassen worden war. Der ebenfalls verschleppte Jesuitenpater Paolo Dall'Oglio bleibt bislang verschwunden. Er hatte sich um den Dialog von Christen und Muslimen bemüht. Kermani prangert den IS und eine Gleichgültigkeit des Westens an, spricht aber auch von einem Niedergang des Islam.

Die meisten Muslime lehnten Gewalt ab, betont der 47-Jährige. Es sei ein Trugbild, dass der Islam einen Krieg gegen den Westen führe. "Eher führt der Islam einen Krieg gegen sich selbst, will sagen: wird die islamische Welt von einer inneren Auseinandersetzung erschüttert, deren Auswirkungen auf die politische und ethnische Kartographie an die Verwerfungen des Ersten Weltkriegs heranreichen dürften."

Religiöser Faschismus

Der Schriftsteller spricht von einem "religiösen Faschismus". Die Gräueltaten seien "nicht der Beginn, sondern der vorläufige Endpunkt eines langen Niedergangs, eines Niedergangs auch und gerade des religiösen Denkens". Die alten Schriften sagten etwas darüber aus, "was einmal denkmöglich oder sogar selbstverständlich war innerhalb des Islams". In der heutigen religiösen Kultur finde sich nichts, "das auch nur annähernd vergleichbar wäre, eine ähnliche Faszination ausübte, von ebensolcher Tiefe wäre wie die Schriften, auf die ich in meinem Studium stieß", so der Islamwissenschaftler.

Die Vergangenheit dieser Religion sei "so viel aufklärerischer" gewesen, sagt Kermani. "Vielleicht ist das Problem des Islams weniger die Tradition als vielmehr der fast schon vollständige Bruch mit dieser Tradition, der Verlust des kulturellen Gedächtnisses, seine zivilisatorische Amnesie." Kermanis düsteres Fazit: "Es gibt keine islamische Kultur mehr, jedenfalls keine von Rang. Was uns jetzt um die Ohren und auf die Köpfe fliegt, sind die Trümmer einer gewaltigen geistigen Implosion."

Breite Debatte über Fluchtursachen fehlt

Der Friedenspreisträger appelliert daran, die europäische Idee nicht aus den Augen zu verlieren. "Wer vergessen hat, warum es Europa braucht, muss in die ausgemergelten, erschöpften, verängstigten Gesichter der Flüchtlinge blicken, die alles hinter sich gelassen, alles aufgegeben, ihr Leben riskiert haben für die Verheißung, die Europa immer noch ist."

Für ihn sei es beglückend, wenn sich viele Menschen hier für Schutzsuchende engagierten. Aber: "Wir führen keine breite gesellschaftliche Debatte über die Ursachen des Terrors und der Fluchtbewegung und inwiefern unsere eigene Politik vielleicht sogar die Katastrophe befördert, die sich vor unseren Grenzen abspielt."

Gegen Ende seiner Rede, noch bevor sich die Festgemeinde zum Gebet erhebt, fragt er: "Darf ein Friedenspreisträger zum Krieg aufrufen? Ich rufe nicht zum Krieg auf." Klar sei aber: Wir müssten uns zu diesem Krieg verhalten, "womöglich militärisch, ja, aber vor allem sehr viel entschlossener als bisher diplomatisch und ebenso zivilgesellschaftlich". Nach dem Gebet gibt es doch noch Applaus.

Leticia Witte
(KNA)

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Navid Kermani

Die jüngste deutsche Zeitgeschichte scheint den Schriftsteller Navid Kermani zu bestätigen. Deutschland habe genug Ressourcen, die Verantwortung für Flüchtlinge nicht auf Drittstaaten abzuwälzen, hatte Kermani der Politik 2014 bei der Grundgesetz-Feierstunde des Bundestags ins Stammbuch geschrieben.

Heute reisen täglich Tausende Flüchtlinge ungehindert ins Land. Am Sonntag wurde der Deutsch-Iraner mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels würdigte ihn als «eine der wichtigsten Stimmen» der Gesellschaft.

Der 47-jährige Autor und Islamwissenschaftler setzt sich seit langem für eine offene europäische Gesellschaft ein, die auch Flüchtlingen Schutz bietet. Nicht nur in seiner Bundestagsrede, auch in seinen Romanen, Essays und Reportagen aus Krisengebieten tritt er seit Jahren für Menschenwürde und den Respekt von Religionen und Kulturen untereinander ein. Kermani ist eine muslimische Stimme in Deutschland, die gehört wird.

Der Sohn iranischer Eltern, der 1967 in Siegen geboren wurde, studierte Philosophie, Orient- und Theaterwissenschaften in Köln, Kairo und Bonn. Er schlug eine wissenschaftliche Laufbahn ein und schrieb eine Doktorarbeit über die Ästhetik des Koran, die 1999 unter dem Titel "Gott ist schön" erschien. 2006 habilitierte er sich im Fach Orientalistik.




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