Anton Losinger ist Weihbischof und Dompropst im Bistum Augsburg, Mitglied des Deutschen Ethikrates und Mitglied in der Kommission für soziale und gesellschaftliche Fragen der Deutschen Bischofskonferenz.
Weihbischof Anton Losinger © KNA Bundestag verbietet organisierte Sterbehilfe
Geschäftsmäßige Sterbehilfe wird in Deutschland verboten. Nach einer eindringlichen Debatte setzte sich im Bundestag am Freitag ein entsprechender Gesetzentwurf gegen heftige Kritik durch. Vereine oder Einzelpersonen dürfen demnach künftig keine Beihilfe zum Suizid als Dienstleistung anbieten. Der Abstimmung ohne Fraktionszwang war eine einjährige Meinungsbildung über die heikle Gewissensfrage in Parlament und Öffentlichkeit vorausgegangen.
Mit einem neuen Straftatbestand drohen künftig bis zu drei Jahre Haft, wenn etwa einem unheilbar Krebskranken geschäftsmäßig ein tödliches Medikament gewährt wird. Kritiker hatten vor einer Kriminalisierung von Ärzten und einer Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen gewarnt. Dennoch gewann der Verbotsantrag einer Gruppe von Abgeordneten um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) deutlich die Mehrheit. Sie hatten - wie die katholische Kirche - vor einer Tendenz zu mehr Angeboten zur Sterbehilfe in Deutschland gewarnt.
In der Schlussabstimmung erhielt der Antrag 360 von 602 abgegebenen Stimmen. Dagegen stimmten 233 Parlamentarier. Neun Abgeordnete enthielten sich. Bereits in einer Vorabstimmung waren drei alternative Gesetzentwürfe für eine Neuregelung gescheitert.
Nach dem Beschluss hat der Verein Sterbehilfe Deutschland eine Verfassungsbeschwerde angekündigt. "Nach Inkrafttreten des Gesetzes werden wir Verfassungsbeschwerde erheben", sagte Marie-Claire Stellmann, Leiterin der Geschäftsstelle des Vereins, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Freitag. Sobald das Gesetz in Kraft tritt, werde der Verein keine Suizidbegleitung mehr anbieten: "Wir werden gesetzestreu handeln." (dpa, epd)
06.11.2015
Weihbischof Losinger zum Sterbehilfe-Beschluss des Bundestages "Ein starkes Ja zum Lebensschutz"
Organisierte Beihilfe zum Suizid ist künftig verboten - allerdings entschied der Bundestag gegen ein absolutes Beihilfe-Verbot. Ethikrats-Mitglied Weihbischof Anton Losinger erläutert, warum die katholische Kirche dennoch die Entscheidung begrüßt.
domradio.de: Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Weihbischof Losinger: Sehr zufrieden mit einer eingängigen und beeindruckenden Auseinandersetzung und Debatte, die die Abgeordneten des Bundestages zu diesem wirklich wichtigen Thema führten. Ebenfalls durchaus zufrieden bin ich mit dem Stil der Diskussion, der nur zum Schluss an Schärfe gewonnen hatte. Das Ergebnis ist ein politisch akzeptables, nämlich dass der Brand/Griese-Entwurf, der die Strafbarkeit geschäftsmäßiger und organisierter Sterbebeihilfe auf den Fahnen hatte, mit einer durchaus respektablen Stimmenmehrheit von 360 Stimmen durchkam. Allerdings hätte ich als Vertreter der katholischen Kirche und als jemand, der sich gerade dem Lebensschutz und dem Lebensrecht an diesem Punkt stark verpflichtet fühlt, ein absolutes Verbot der Beihilfe zum Suizid noch für besser befunden.
domradio.de: Sind jetzt noch Nachbesserungen wünschenswert?
Weihbischof Losinger: Ein wesentlicher Pool von Nachbesserungen wurde ja schon gestern im Bundestag beschlossen, nämlich die Verbesserung und Ausfinanzierung von Hospiz- und Palliativversorgung von Menschen in dieser Lage. Das ist ein ganz entscheidender Beitrag, weil wir ja in der Frage der Suizidbeihilfe am Lebensende, welche ja nicht in jeder Hinsicht ein frei verantwortliches System ist, sondern ein System der Angst, Menschen mit Hilfe versorgen müssen. Ich bin sehr froh und dankbar, dass der Bundestag gestern damit ein starkes Paket flankierender Maßnahmen beschlossen hat: Hilfe im Bereich des Endes des menschlichen Lebens und auch der Schmerzen, eine Stärkung von Hospiz- und palliativer Versorgung.
Wichtig ist nun, ob dieser heutige Beschluss auch vor dem Bundesverfassungsgericht wetterfest sein wird. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte ja schon einmal gegenüber verschiedenen der Gruppenanträge Bedenken moniert. Ich bin der sicheren Überzeugung, dass diese Frage und diese Debatte noch einmal rechtlich weitergehen wird.
domradio.de: Wie haben Sie den Verlauf dieser langen Debatte bis zum heutigen Tage empfunden?
Weihbischof Losinger: Im Hinblick auf Alternativen, die ja auch möglich gewesen wären, bin ich froh, dass mit dem Brand/Griese-Entwurf ein starkes Ja zum Lebensschutz des Menschen am Ende des menschlichen Lebens gegeben wurde: Etwa die alternativen Entwürfe einer vollständigen Freigabe und Liberalisierung der Beihilfe zum Suizid oder auch die Frage der Freigabe des ärztlichen assistierten Suizids. Das hätte unter Umständen eine deutliche Verwerfung im Rechtsbewusstsein und in der gesellschaftlichen Stimmung bedeutet. Wo Ärzte nicht mehr entsprechend ihres Standesrechtes eindeutig als Heiler und als Helfer darstehen, sondern gleichzeitig auch in den Verdacht des Vollstreckers kommen, oder dort, wo man eine vollständige Liberalisierung der Sterbebeihilfe realisieren möchte, dann wird klar, dass ganz neue Dimensionen drohen.
Ich warne da vor einer Grundsatzillusion. Wir wissen heute nicht nur von Sterbehelfern und -begleitern, sondern vor allem von Psychologen, dass die These von der Freiverantwortlichkeit des Suizids am Lebensende eine Illusion ist. Wir wissen, dass es ein Faktum der Angst ist, Angst vor großen Schmerzen, vor dem Pflegefall, vor der Einsamkeit im Sterben. Hier ist gerade die gestrige Abstimmung wichtig. Wir brauchen eine Hilfe zum Leben, keine Sterbebeihilfe.
Das Interview führte Christian Schlegel.
(dr)
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