Das Kapitell von Vézelay: Papst Franziskus in der Schule von Eugen Drewermann? 5. Oktober 2016 0
Das Kapitell von Vézelay: Papst Franziskus wiederholt haltlose Behauptung von Eugen Drewermann
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(Rom) Auf dem Rückflug aus Aserbaidschan nach Rom stellte sich Papst Franziskus am vergangenen Sonntag, dem 2. Oktober, wie gewohnt den Fragen der ihn begleitenden Journalisten. Das größte Aufsehen erregte seine Kritik an der Gender-Ideologie. Was sagte Franziskus wörtlich? Was sagte er zur Scheidung und Amoris laetitia? Und was hat es mit dem Kapitell von Vézelay auf sich? Geht der Papst beim von Rom verurteilten und von seinem Priestertum suspendierten, modernistischen Theologen Eugen Drewermann in die Schule?
Geschlechtsumwandlung ist das eine, Mentalitätsumwandlung etwas anderes
Die Frage zur Gender-Theorie kam von Joshua McElwee vom Flaggschiff des katholischen Progressismus in den USA, dem National Catholic Reporter (NCR), der eine homophile Position vertritt. Der Vatikanist McElwee gehört zum NCR Editorial Staff, das am 28. Dezember 2015 zwei homosexuelle Männer, die nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofes der USA vom 26. Juni 2015 eine „Homo-Ehe“ eingegangen waren, zu den „Menschen des Jahres“ kürte.
Papst Franziskus auf dem Rückflug von Baku
Joshua McElwee: Danke, Heiliger Vater. In Ihrer gestrigen Rede in Georgien haben Sie, wie schon in zahlreichen anderen Ländern, über die Gender-Theorie gesprochen und gesagt, daß sie der große Feind ist, eine Bedrohung gegen die Ehe. Ich möchte aber fragen: Was würden Sie einer Person sagen, die jahrelang mit ihrer Sexualität gelitten hat und wirklich fühlt, daß es ein biologisches Problem gibt, daß ihr physisches Äußeres nicht mit dem übereinstimmt, was er oder sie als ihre sexuelle Identität betrachtet? Wie würden Sie als Hirte und Priester diese Personen begleiten?
Papst Franziskus: Zuallererst: Ich habe in meinem Leben als Priester, als Bischof – auch als Papst – Personen mit homosexueller Neigung und auch homosexuellen Handlungen begleitet. Ich habe sie begleitet, ich habe sie zum Herrn hingeführt, einige können nicht, aber ich habe sie begleitet und nie jemanden im Stich gelassen. Das ist das, was zu tun ist. Die Personen muß man begleiten, so wie Jesus sie begleitet. Wenn eine Person, die diesen Zustand hat, vor Jesus kommt, wird ihr Jesus nicht sagen: ‚Geh weg, weil du homosexuell bist!‚ Nein.
Das, was ich zu der Bösartigkeit gesagt habe, die man heute mit der Indoktrinierung der Gender-Theorie macht: Ein französischer Vater hat mir erzählt, daß sie bei Tisch mit den Kindern sprachen – er katholisch, die Frau katholisch, die Kinder katholisch, oberflächlich, aber katholisch – und er hat den zehnjährigen Sohn gefragt: ‚Und Du, was willst Du machen, wenn Du groß sein wirst?‚ ‚Ein Mädchen‚. Und der Vater kam drauf, daß in den Schulbüchern die Gender-Theorie gelehrt wurde. Das ist gegen die natürlichen Dinge. Eine Sache ist, daß eine Person diese Neigung hat, diese Option, und es gibt auch die Geschlechtsumwandlung. Eine andere Sache ist, den Unterricht in den Schulen auf dieser Linie durchzuführen, um die Mentalität zu ändern. Das nenne ich ‚ideologische Kolonialisierung‘.
Im vergangenen Jahr habe ich den Brief eines Spaniers erhalten, der mir seine Geschichte als Kind und als Jugendlicher erzählte. Er war ein Mädchen und hat sehr gelitten, weil er sich wie ein Junge fühlte, aber physisch ein Mädchen war. Er erzählte es der Mutter, als er bereits 22 Jahre alt war. Und er hat ihr gesagt, daß er eine Geschlechtsumwandlung und alle diese Dinge machen wolle. Die Mutter hat ihn gebeten, es nicht zu tun, solange sie lebt. Sie war schon alt und ist bald gestorben. Er hat den Eingriff machen lassen. Er ist Angestellter eines Ministeriums in einer spanischen Stadt. Er ist zum Bischof gegangen. Der Bischof hat ihn sehr begleitet, ein guter Bischof: er hat viel Zeit ‚verloren‘, um diesen Mann zu begleiten. Dann hat er geheiratet. Er hat seine bürgerliche Identität gewechselt, hat geheiratet und hat mir den Brief geschrieben, daß es für ihn ein Trost wäre, mich mit seiner Frau besuchen zu dürfen: er, der eine sie war, aber ein er ist. Und ich habe sie empfangen. Sie waren zufrieden. Und im Viertel, wo er wohnt, gab es einen alten, achtzigjährigen Priester, den früheren Pfarrer, der dort in der Pfarrei den Ordensschwestern half … Und es gab den neuen [Pfarrer]. Als ihn der Neue sah, hat er ihn auf dem Gehsteig ausgeschimpft: ‚Du wirst in die Hölle kommen!‚ Wenn er dem Alten begegnete, sagte ihm dieser: ‚Wann warst Du das letzte Mal beichten?
Komm, komm mit, ich nehme Dir die Beichte ab und so wirst Du zur Kommunion gehen können.‚
Hast Du verstanden? Das Leben ist das Leben, und die Dinge muß man so nehmen wie sie kommen. Die Sünde ist die Sünde. Die Neigungen oder das hormonelle Ungleichgewicht verursachen große Probleme, und wir müssen uns in Acht nehmen und dürfen nicht sagen: ‚Es ist alles gleich, laßt uns feiern‘. Nein, das nicht. Aber jeden Fall annehmen, ihn begleiten, ihn studieren, unterscheiden und ihn integrieren. Das ist es, was Jesus heute tun würde. Und, bitte, sagt nicht: ‚Der Papst wird die Trans heiligsprechen!‚ Bitte! Ich sehe schon die Schlagzeilen der Zeitungen … Nein, Nein.
Gibt es noch Zweifel, zu dem was ich gesagt habe? Ich will klar sein. Es ist ein Problem der Moral. Es ist ein Problem. Es ist ein menschliches Problem. Und man muß es lösen, so gut man es kann, immer mit der Barmherzigkeit Gottes, mit der Wahrheit, wie wir im Fall der Ehe gesagt haben, indem man das ganze Amoris laetitia liest, aber immer so, immer mit dem offenen Herzen. Und vergeßt nicht jenes Kapitell von Vézelay: Es ist sehr schön, sehr schön.“ Das Kapitell von Vézelay und das „komplizenhafte Lächeln“ Jesu?
Zuvor hatte Papst Franziskus auf eine Frage der Journalistin Maria Elena Ribezzo der Nachrichtenagentur La Presse geantwortet und dabei über ein Kapitell der Basilika Sainte-Marie-Madeleine im burgundischen Vézelay gesprochen. Die Basilika wurde nach einem Brand im Jahr 1120 wieder aufgebaut und 1140 geweiht. Aus dieser Zeit stammen auch die weltberühmten Kapitelle. Vézelay ist eines der herausragendsten romanischen Bauwerke Frankreichs und gehörte im Mittelalter zu den bedeutendsten Wallfahrtsorten.
Vézelay: der erhängte Judas
Maria Elena Ribezzo: „Guten Abend Heiligkeit: Hören Sie, gestern haben Sie von einem Weltkrieg gesprochen, der gegen die Ehe stattfindet, und in diesem Krieg haben Sie starke Worte gebraucht gegen die Scheidung: Sie haben gesagt, daß sie das Abbild Gottes beschmutzt, während in den vergangenen Monaten, auch während der Synode, von einem Annehmen der Geschiedenen die Rede war. Ich wollte wissen, ob sich diese Ansätze vereinen lassen und auf welche Weise.“
Papst Franziskus: Alles ist enthalten, alles was ich gestern gesagt habe – denn gestern habe ich frei und etwas spontan gesprochen – alles findet sich mit anderen Worten in Amoris laetitia, alles. Wenn man von der Ehe als Verbindung zwischen dem Mann und der Frau spricht, wie es Gott getan hat, als Abbild Gottes, ist es Mann und Frau. Das Abbild Gottes ist nicht der Mann: Es ist der Mann mit der Frau. Zusammen. Die ein Fleisch sind, wenn sie sich in der Ehe vereinen. Das ist die Wahrheit. Es ist wahr, daß in dieser Kultur die Konflikte und die vielen Probleme nicht gut gehandhabt sind, und es gibt auch Philosophien des Heute: ‚Ich gehe diese [Ehe] ein, wenn sie mich ermüdet, gehe ich eine andere ein, und dann eine dritte, und dann eine vierte‚ Das ist der ‚Weltkrieg‘ gegen die Ehe, von der Sie gesprochen haben. Wir müssen aufpassen, diese Ideen nicht eindringen zu lassen. Vor allem aber: Die Ehe ist das Abbild Gottes.
Dann spricht Amoris laetitia davon, wie jene Fälle zu behandeln sind, wie die verletzten Familien zu behandeln sind, und da kommt die Barmherzigkeit ins Spiel. Es gibt ein wunderschönes Gebet der Kirche, das wir letzte Woche gebetet haben. Es ging so: ‚Gott, der Du so wunderbar die Welt erschaffen hast und noch wunderbarer neu gemacht hast‚, also mit der Erlösung und der Barmherzigkeit. Die verletzte Ehe, die verletzten Paare: dort kommt die Barmherzigkeit ins Spiel.
Das Prinzip ist das: es existieren die menschlichen Schwächen, es existieren die Sünden, das letzte Wort hat aber nicht die Schwachheit, das letzte Wort hat nicht die Sünde: das letzte Wort hat die Barmherzigkeit! Mir gefällt es, zu erzählen – ich weiß nicht, ob ich es schon gesagt habe, weil ich es oft wiederhole – daß es in der Kirche zur Heiligen Maria Magdalena in Vézelay ein wunderschönes Kapitell gibt, ungefähr von 1200. Die Menschen des Mittelalters machten mit den Skulpturen der Kathedralen Katechese. Auf einer Seite des Kapitells ist Judas, erhängt, mit er Zunge heraußen, die Augen heraushängend. Und auf der anderen Seite des Kapitells ist Jesus, der Gute Hirte, der ihm vergibt und ihn mit sich nimmt. Und wenn wir das Gesicht Jesu gut anschauen, sind die Lippen Jesu auf der einen Seite traurig, aber auf der anderen Seite mit einem kleinen komplizenhaften Lächeln. Die haben verstanden, was die Barmherzigkeit ist! Mit Judas! Und deshalb: In Amoris laetitia ist die Rede von der Ehe, vom Fundament der Ehe, so wie es ist, doch dann kommen die Probleme. Wie sich auf die Ehe vorbereiten, wie die Kinder erziehen. Und dann, im achten Kapitel, wenn die Probleme kommen, wie man sie löst. Man löst sie mit vier Kriterien: die verletzten Familien aufnehmen, jeden Fall begleiten, unterscheiden und integrieren, neumachen. Das wäre die Art, an dieser ‚zweiten Schöpfung‘ mitzuwirken, in dieser wunderbaren Rekreation, die der Herr mit der Erlösung gemacht hat. Versteht man das? Ja, wenn man nur einen Teil nimmt, funktioniert es nicht!
Amoris laetitia – das will ich sagen: Alle gehen zum achten Kapitel. Nein, nein. Man muß es vom Anfang bis zum Schluß lesen. Und was ist der Mittelpunkt? Aber … das hängt vom einzelnen ab. Für mich ist der Mittelpunkt von Amoris laetitia, der Kern, das vierte Kapitel, das man das ganze Leben braucht. Man muß aber das Ganze lesen und das Ganze noch einmal lesen und das Ganze diskutieren, es ist ein Ganzes. Es gibt die Sünde, es gibt den Bruch, es gibt aber auch die Barmherzigkeit, die Erlösung, die Heilung. Habe ich mich verständlich gemacht?
Das Kapitell von Vézelay und Eugen Drewermann: Wenn der Papst Christus mit einem Dämon verwechselt
Erst im 20. Jahrhundert haben Kunsthistoriker, auf der Suche nach „Neuigkeiten“, die eine Darstellung auf dem genannten Kapitell der Basilika von Vézelay als den „Guten Hirten“ bezeichnet. Der modernistische Theologe Eugen Drewermann stellte daraus einen Zusammenhang zwischen den beiden Darstellungen des Kapitells her und behauptete, Christus trage Judas Iskariot auf seinem Rücken. Ein Symbol dafür, daß auch der im Selbstmord geendete Christus-Verräter gerettet ist. Drewermann wurde wegen häretischer Lehren 1992 vom Priestertum suspendiert, gilt als „durch die Tat selbst“ exkommuniziert und erklärte 2005 selbst den Kirchenaustritt.
Jesus, der Judas rettet oder ein Dämon, der Judas verschleppt?
In Wirklichkeit ist das Kapitell von Vézelay nicht eine mittelalterliche Vorwegnahme einer modernistischen Theologie des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Auf der „Rückseite“ des Judas-Selbstmordes ist nicht Christus dargestellt, sondern wahrscheinlich ein Dämon, der Judas verschleppt. Ein Vergleich mit tatsächlichen Darstellungen des „Guten Hirten“ zeigt, daß dieser in der christlichen Kunst immer ganz anders dargestellt wurde. Kein mittelalterlicher Künstler hätte Jesus zum Beispiel ohne Bart dargestellt und mit einem so verzerrt entstelltem Gesicht. Zudem gab es zu jener Zeit überhaupt keine Darstellungen des „Guten Hirten“.
Papst Franziskus sprach am vergangenen 16. Juni erstmals von dem Kapitell von Vézelay und vermittelte den Eindruck, als sei dort Christus dargestellt, der Judas Iskariot auf dem Rücken trägt und rettet. Der katholische Journalist Antonio Socci schrieb damals: „Es ist aufsehenerregend – für einen Papst – den Teufel mit Jesus zu verwechseln.“
Die Verwechslung sei, so Socci, zwar „wahrscheinlich einem oberflächlichen Ghostwriter geschuldet“, aber dennoch „emblematisch für dieses Pontifikat“. Jesus und den Teufel theologisch zu verwechseln, das allerdings komme direkt vom Papst, der damit zu verstehen geben will, daß „nicht einmal Judas in der Hölle ist, sondern (ohne zu bereuen) gerettet wurde.“
Ob ein Ghostwriter oder der Papst selbst, wer auch immer, jemand im Vatikan liest offenbar Eugen Drewermann.
Papst Franziskus hielt damals zur Eröffnung der Kirchentagung „Die Freude der Liebe“ der Diözese Rom eine Ansprache in der Lateranbasilika, in deren Mittelpunkt das umstrittene nachsynodale Schreiben Amoris laetitia stand.
Auf die Frage eines Katecheten, wie die Jugend heute zur Schönheit der Ehe erzogen werden könne, antwortete Papst Franziskus mit der erstaunlichen Aussage, daß „eine große Mehrheit unserer sakramentalen Ehen nichtig“ sei. In der späteren offiziellen Veröffentlichung der Ansprache durch den Vatikan wurde die „große Mehrheit“ mit „teils“ ersetzt.
http://www.katholisches.info/2016/10/05/...gen-drewermann/ Text: Giuseppe Nardi Bild: Basilique Sainte Marie Madeleine (Screenshot)
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