Das Märchen von einem, der auszog, das Leben zu lernen. Als Gott den Hans gemacht hatte, sah er, dass ihm Hans gut gelungen war; doch als Hans sich seiner selbst bewusst wurde, da hatte er allerhand an Gottes Werk auszusetzen. Hätte ich mich gemacht, so sagte er; dann besäße ich jetzt ein Fell, wie Bären es haben und brauchte keine Angst vor dem Winter zu haben. Gott sprach: „Der Sinn des Lebens ist es, mich zu loben und zu preisen und dadurch wirst du glücklich werden!“ Aber Hans sagte: „Mach mir ein Kleid, dass ich Schutz habe, im Winter gegen die Kälte, im Sommer gegen die Wärme, dann will ich auch zufrieden sein.“ Da machte Gott Hans aus den Haaren der Tiere ein Kleid. Es hatte eine Kapuze und reichte bis zu den Füßen. „Gut“ sagte Hans, „Und wo sind die Taschen?“ Da Gott nicht bereit war, dem Hans Taschen an den Mantel zu schneidern, er sagte nämlich: „Du brauchst zum Leben nur das, was der Tag dir bringt.“ Aber Hans wußte es besser als der himmlische Vater und nähte sich große Taschen auf den Umhang. Obwohl Hans seinem Schöpfer alles verdankte, war er kein Bisschen dankbar. Von da an schwieg Gott zu all dem, was Hans machte. Auf seinem Weg durchs Leben sammelte Hans alles ein, was ihm brauchbar erschien. Bald waren seine Taschen gefüllt, aber der Sammelleidenschaft Hansens waren hierdurch keine Grenzen gesetzt. Zuerst machte er sich einen Sack für den Rücken, dann ein Joch für die Schultern, und schließlich war er über und über behangen mit Päckchen, Säckchen und Kästchen. Der, der dieses Märchen nacherzählt, muß hier eine Bemerkung machen. Er glaubt, dass fast alle Menschen sich so verhalten wie dieser Hans. Will der Mensch wirklich glücklich sein, muß er sich an das halten, was Gott ihm anempfiehlt. Und so ist dieses Märchen doch eher eine Lehrgeschichte. Man sagt ja, auch Märchen haben einen wahren Kern. Wir sind mit unserem Hans da angelangt, wo die Geschichte dramatisch wird. Wie ein Bettelmönch schleppt sich Hans durch sein Leben. Von der Last gebeugt kann er die Sonne kaum noch sehen. Die Kapuze hängt ihm so vor den Augen, dass er nur den Boden vor seinen Füßen sehen kann. Erinnern wir uns an das, was Gott am Anfang zu ihm gesagt hat: „Der Sinn des Lebens ist es; Mich zu loben und zu preisen!“ Wie soll denn Hans das anstellen, wenn er nur noch auf den Boden schaut? Geht es ihm nicht, wie dem („Pilger der die Höhen überstiegen hat“ 1.)* und glaubt, dass sein selbstgewähltes Kreuz unerträglich schwer ist? Hans schleppt sich weiter und weiß nicht wie. Er möchte sich gerne der Last entledigen, einfach abwerfen, doch sein Gewissen läßt das nicht zu. Ganz allmählich staut sich bei ihm ein Groll gegen seinen Schöpfer an, der ihm so etwas zumutet, dabei hat er sich doch alles selbst zu zuschreiben. Ein Wüstenvater *2.) hat dazu gesagt: „Wohin du schaust, dahin gehst du; schaust du nach oben, gehst du auch nach oben und schaust du nach unten, geht es mit dir nach unten.“ Von all dem wusste Hans nichts. Sein Blick war immer auf die Erde gerichtet und die kam ihm recht wie die Wüste vor. Dabei drückte ihn die Last so sehr, dass er ohne es bewusst zu merken, Stück, für Stück verlor. Und je weniger er zu tragen hatte, umso mehr konnte er sich aufrichten. Der Weg führte ein wenig abwärts in ein liebliches Tal. Hans sah davon kaum etwas, aber er hörte Vögel zwitschern und roch einen besonderen Duft. Bald kam er an ein Bächlein, das munter vor sich her plätscherte. Als ob es lebte, dachte Hans. Geh ich nun dahin wo das lebendige Wasser herkommt, oder dahin, wo es hinfließt? *3) Hans entschloss sich für das Zweite. Allerlei Pflanzen säumten das Ufer des Baches, je nach ihrer Art und Sträucher und Bäume. Von allem ging ein wunderbarer Duft aus, den eine leichte Brise ins Land wehte. Auf den Bäumen gab es Blüten und Früchte gleichzeitig. Während Hans weiter ging, wurde der Bach zu einem Flüsschen und Hans stieg hinein um seine Füße zu kühlen. Dabei hing sein Mantel so im Wasser, dass er sich vollsaugte und immer schwerer wurde. Obwohl Hans sehr an Allem hing, was er in seinem bisherigen Leben gesammelt hatte, mußte er doch einiges davon loswerden; wollte er nicht untergehen und ertrinken. Er befreite sich also von seiner Last, in dem er den Mantel wegwarf. Auch von dem Rucksack trennte er sich. Nur mit einem Lendenschurz bekleidet watete er durch das immer tiefer werdende Wasser. Er hatte alles, was ihn hinunterzog abgelegt und freute sich an der Sonne, dem Gesang der Vögel, den Farben und dem Duft der Blüten und Blumen. Das Wasser des Flusses reichte ihm schon bis zur Hüfte. Und im warmen, strömenden Wasser versuchte er sich treiben zu lassen und siehe, das Wasser trug ihn. Je kräftiger der Strom wurde, umso schneller bewegte er sich. Jetzt, wo er ganz frei war, konnte er sich auch auf den Rücken drehen. Mit offenen Augen gab er sich den vielen Eindrücken hin, dem hellen Licht, den vielen Farben, dem betörenden Duft und dem Gesang der Vögel. Etwas in und mit Hans hatte sich völlig verändert. Aus seinem Herzen strömten Gedanken des Lobes und des Dankes. Hans erinnerte sich ganz allmählich an Gott seinen Schöpfer und nannte Ihn Vater! Und siehe, er tat, was der Vater Ihm anempfohlen hatte. In der kräftigen Strömung des Flusses, auf dem Rücken liegend, stimmte er in das Lied der Vögel, ja der ganzen Schöpfung ein. Und ich glaube, er täuschte sich nicht, dass der Strom und der Himmel und die Erde voller Gesang war, in den er nur einstimmen brauchte. Hans hatte den Sinn seines Lebens erkannt und Gott sprach wieder zu ihm auf vielerlei Weisen, er hatte Zuversicht und es machte ihn glücklich seinem Vater alles zu Füssen zu legen. Er blieb mitten im Lebendigen Wasser und ließ sich von der Kraft, die aus dem Wasser kam, treiben. Als Hans erkannte, dass es nur auf das ankam, was der Vater von ihm wollte, hatte er alles gelernt. Er freute sich seines Lebens, lobte Gott für seine Wohltaten und als er gerufen wurde, ging er freudig in die andere Welt, er war sicher, dass sein Vater ihm seine Fehler verziehen hatte. Anmerkung des Nacherzählers: *1) Adalbert von Chamisso *2) Charles de Foucauld *3) siehe Ez. 47, 1-12
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